Antidepressivum

Antidepressivum

Antidepressiva sind Psychopharmaka, die hauptsächlich gegen Depressionen, aber auch zum Beispiel bei Zwangsstörungen und Panikattacken, generalisierten Angststörungen, phobischen Störungen, Essstörungen, chronischen Schmerzen, Entzugssyndromen, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, prämenstruell-dysphorischem Syndrom sowie bei der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS, PTSD) eingesetzt werden.[1]

Thymoleptikum ist ein nur mehr selten verwendetes Synonym für Antidepressivum. Mit über 1 Milliarde DDD (Definierte Tagesdosis) waren die Antidepressiva 2009 die mit Abstand am häufigsten ambulant verordnete Gruppe von Psychopharmaka in Deutschland.[2]

Allgemeines

Die große Gruppe der antidepressiven Wirkstoffe zeichnet sich durch ihre Wirkung auf das depressive Syndrom aus. Dabei entfalten Antidepressiva ihre stimmungsaufhellende (thymoleptische) Wirkung unabhängig von der jeweiligen Ursache des depressiven Syndroms. In der antidepressiven Therapie spielt die Placebowirkung eine besonders ausgeprägte Rolle.[3] Eine über die Placebowirkung hinausgehend festgestellte Wirksamkeit verschiedener Antidepressiva ist teilweise stark vom Publikationsbias beeinflusst worden:[4] So ergab etwa eine Analyse von bei der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) eingereichten klinischen Studien, dass nur in 51 % aller Studien eine antidepressive Wirksamkeit gemessen wurde. Unter den publizierten Studien hingegen waren 94 % mit einem positiven Wirksamkeitsnachweis,[4] was dafür spricht, dass negative Studienergebnisse seltener veröffentlicht werden.

Die verschiedenen Antidepressiva unterscheiden sich hinsichtlich ihres Wirkungsprofils. So können sie neben einer stimmungsaufhellenden Wirkung auch antriebssteigernde (thymeretische), antriebsneutrale oder antriebsdämpfende sowie beruhigende (sedierende) und angstlösende (anxiolytische) Wirkungen entfalten. Die häufigsten Nebenwirkungen der Antidepressiva betreffen das Herz-Kreislauf-System, das Nervensystem und die Sexualität. Auch hier können zwischen einzelnen Antidepressiva beträchtliche Unterschiede bestehen.

Bei einer Vielzahl von Antidepressivatypen entfaltet sich die volle Wirkung erst nach einigen Tagen bis Wochen kontinuierlicher Einnahme. Grund dafür dürfte die neurophysiologische Anpassung des Gehirngewebes sein, die eine gewisse Zeit beansprucht. Dazu gehören Veränderungen in der Empfindlichkeit und Häufigkeit von Rezeptoren und ähnlicher Strukturen. Die dauerhafte Besserung tritt demnach indirekt aufgrund zellulärer Anpassungsprozesse unter konstantem Wirkstoffspiegel auf.

Antidepressiva ersetzen keine Psychotherapie, können aber möglicherweise im Falle schwerer Depressionen eine solche erst ermöglichen, da in diesen Fällen die als Voraussetzung einer erfolgreichen Therapie notwendige Ansprechbarkeit oft nicht gegeben ist.

Einteilung der Antidepressiva

Trizyklische Antidepressiva, nicht selektive Monoamin-Wiederaufnahmehemmer (NSMRI)

Trizyklische Antidepressiva, kürzer Trizyklika, leiten ihren Namen (trizyklisch – v. griech.: drei Ringe) von der dreifachen Ringstruktur dieser Wirkstoffe ab. Strukturelle und damit auch neurophysiologische Unterschiede zeigen sich in der Substitution und in den Seitenketten dieser Aromate. Das erste trizyklische Antidepressivum Imipramin wurde 1956 von Ciba-Geigy entwickelt. Als weitere Substanzen folgten zum Beispiel Clomipramin und Amitriptylin. Sie greifen in mehrere Neurotransmittersysteme gleichzeitig ein, indem sie die Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin hemmen und auf Azetylcholin-, Histamin- oder auch Adrenozeptoren wirken. Daher sind bei trizyklischen Antidepressiva auch die Nebenwirkungen vielfältig.

Traditionell werden Trizyklika nach dem (vereinfachten) Kielholz-Schema in drei Grundtypen eingeteilt:

  • Stoffe vom Amitriptylin-Typ wirken eher beruhigend (dämpfend) und sind besonders zur Behandlung der agitiert-ängstlichen Depression geeignet;
  • Stoffe vom Imipramin-Typ sind antriebsneutral und wirken vor allem stimmungsaufhellend, sie können sowohl zur Behandlung des agitiert-ängstlichen als auch des gehemmt-depressiven Depressionstypus eingesetzt werden;
  • Stoffe vom Desipramin-Typ wirken eher wachmachend bzw. antriebssteigernd, sie sind besonders zur Behandlung der gehemmt-depressiven Depression geeignet.

Dieses Schema stammt aus einer Zeit, als das Wissen um Neuro-Rezeptoren, Neurotransmitter und deren Wirkmechanismen noch relativ gering war; es gilt mittlerweile als veraltet. Heute werden auch die trizyklischen Antidepressiva anhand ihrer Wirkung auf die Monoamin-Neurotransmittersysteme in die folgenden vier Gruppen eingeteilt, wobei zu beachten ist, dass für die Einordnung in eine der Gruppen das hauptsächlich beeinflusste System maßgeblich ist, die anderen Neurotransmittersysteme aber immer in unterschiedlichem Maße (von kaum bis erheblich, je nach Substanz) mitbeeinflusst werden:

  • Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SRI)
  • Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NRI)
  • Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)
  • Trizyklische Antidepressiva mit andersartigem oder ungesichertem Wirkmechanismus (TZA)

Wegen dieser nicht selektiven Wirkung werden die trizyklischen Antidepressiva den nicht selektiven Monoamin-Wiederaufnahmehemmern (englisch: non selective monoamino reuptake inhibitors, NSMRI) zugerechnet.

Beispiele für trizyklische Wirkstoffe sind: Doxepin, Imipramin, Clomipramin, Amitriptylin, Amitriptylinoxid, Trimipramin, Opipramol.

Einige trizyklische Antidepressiva (zum Beispiel Clomipramin) sind gegen Angst- und Panikstörungen wirksam und werden auch in der Behandlung von Zwangsstörungen eingesetzt. Manche Trizyklika, vor allem Amitriptylin und Clomipramin, werden in der Schmerztherapie bei neuropathischen oder anderen chronischen Schmerzen eingesetzt. Die schmerzlindernde Wirkung kommt vermutlich durch noradrenerge Aktivierung des absteigenden schmerzhemmenden Systems im ZNS zustande und hängt nicht mit der antidepressiven Wirkung zusammen.

Die trizyklischen Antidepressiva sind struktur-chemisch verwandt mit den trizyklischen Neuroleptika. Je nach der dreidimensionalen Konformation des trizyklischen Ringsystems wirken die Substanzen entweder antidepressiv oder neuroleptisch: Sind die Ringe nahezu eben zueinander angeordnet, ist die neuroleptische Wirkung wahrscheinlicher, sind sie stark gegeneinander verwinkelt, so ist die antidepressive Wirkung wahrscheinlicher.

Bei den tetrazyklischen Antidepressiva (TetraCA) wird durch den vierten Ring die räumliche Struktur der anderen drei Ringe positiv zugunsten der antidepressiv wirksamen Konformation stabilisiert. Die tetrazyklischen Antidepressiva sind sowohl in ihrer Wirkung als auch Struktur (sie haben ja auch drei Ringe neben dem vierten, sind also in gewisser Weise trizyklisch) den trizyklischen sehr ähnlich; einige Substanzen (zum Beispiel Maprotilin) beeinflussen insbesondere das Noradrenalin stärker. Trotz ihrer engen Verwandtschaft zu den Trizyklika werden sie nicht einfach unter diesen subsumiert und in der Praxis auch nicht in eine eigene Gruppe der Tetrazyklika zusammengefasst. Vielmehr werden sie einzeln in die Gruppen Noradrenerges Antidepressivum mit Hemmung präsynaptischer Alpha-2-Rezeptoren (Mianserin) und Noradrenerges und spezifisch serotonerges Antidepressivum (Mirtazapin) eingeordnet oder – im Falle von Maprotilin – als Einzelsubstanz stehen gelassen; Maprotilin kann jedoch wirkungsmäßig sehr gut den trizyklischen Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern zugeordnet werden.

Aufgrund ihrer Nebenwirkungen (Mundtrockenheit, Sehstörungen, Kreislaufstörungen, Herzrhythmusstörungen, delirante Zustandsbilder und Vergiftungen) sind Trizyklika heutzutage selten Mittel der ersten Wahl. Man greift jedoch bei schweren und/oder chronischen Fällen auf sie zurück, etwa wenn die Patienten nicht auf neuere, vegetativ verträglichere Substanzen (vor allem SSRI) ansprechen. Dann stellen Trizyklika eine Alternative in der medikamentösen Therapie dar. Ältere Menschen und Männer scheinen besonders gut auf TZA anzusprechen [5]

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SRI)

Trizyklische SRI wirken vor allem als Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Wirkstoffe sind: Clomipramin.

Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NRI)

Trizyklische NRI wirken vor allem als Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Wirkstoffe sind: Desipramin, Lofepramin, Nortriptylin. Daneben noch Maprotilin – als Trizyklikum aufgefasst.

Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)

Trizyklische SNRI wirken vor allem als Serotonin-und-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Wirkstoffe sind: Amitriptylin, Dibenzepin, Doxepin, Imipramin.

TZA mit unsicherem Wirkmechanismus

Trimipramin ist ein trizyklischer Wirkstoff, bei dem die hauptsächliche monoaminerge Wirkkomponente noch nicht sicher geklärt werden konnte.

Genotoxisches Potential der TZA

Einige trizyklische Antidepressiva führten bei der Fruchtfliege zu Erbgutschäden und erhöhen nach neuen Studien möglicherweise das Brustkrebsrisiko. Dazu zählen: Clomipramin, Desipramin, Doxepin, Imipramin, Trimipramin sowie weitere in Deutschland nicht zugelassene trizyklische Antidepressiva.[6][7]

Bei anderen trizyklischen Antidepressiva konnte kein mutagenes oder karzinogenes Potential nachgewiesen werden. Dazu zählen Amitriptylin und andere, jedoch in Deutschland nicht zugelassene Wirkstoffe.[6][7]

Selektive Wiederaufnahmehemmer

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)

Die SSRI blockieren speziell die Rezeptoren, die für die Wiederaufnahme des Botenstoffes Serotonin zuständig sind. Die durch Eingriff in weitere Transmittersysteme verursachten Nebenwirkungen der trizyklischen Antidepressiva spielen bei der SSRI-Behandlung eine entsprechend geringere Rolle.

Wirkstoffe dieser Gruppe sind zum Beispiel Fluvoxamin, Fluoxetin, Citalopram, Escitalopram, Sertralin und Paroxetin. Mehrere Medikamente dieser Gruppe werden auch zur Behandlung von Angststörungen und Panikattacken eingesetzt.

SSRI sind die am häufigsten eingesetzten Antidepressiva. Die Wirkung der SSRI auf das depressive Syndrom ist abhängig von der Schwere der Erkrankung. So ist bei leichtgradigen Depressionen häufig keine statistisch nachweisbare Überlegenheit gegenüber der Gabe von Scheinmedikamenten (Placebo) festzustellen. Bei schwerer ausgeprägten Depressionen hingegen sprechen etwa 50–75 Prozent der Patienten auf ein SSRI an, während etwa 25–33 Prozent der Patienten auf Placebo ansprechen.[8]

Schon kurz nach Einführung der ersten Wirkstoffe dieser Gruppe wurde über gewalttätiges Verhalten und Suizide unter SSRI-Medikation berichtet; eine möglicherweise suizidalitätssteigernde Wirkung dieser Substanzen ist bislang weder gesichert noch widerlegt. Beim Absetzen von SSRI nach längerer Einnahme kann sich ein Absetzsyndrom (SSRI Discontinuation Syndrome) entwickeln. Eine Abhängigkeit von SSRI entsprechend der DSM-IV-Definition ist aber nicht bekannt.

Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI, SNRI)

Die NARI hemmen den Transporter, der Noradrenalin nach erfolgter Signalübertragung natürlicherweise wieder zu den Speicherplätzen zurückbefördert. Noradrenalin verbleibt länger am Wirkort, und seine Wirksamkeit als Signalüberträger steigt. Wirkstoffe dieser Gruppe sind zum Beispiel Reboxetin und Viloxazin. Anwendungsgebiete sind akute depressive Erkrankungen, darunter mit Antriebsstörungen einhergehende Depressionen. Viloxazin wurde im Juli 2006 vom Markt genommen.

Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (DRI, DARI)

Amineptin ist seit 2005 gemäß BtMG (D) nicht mehr verschreibungsfähig.[9] Es ist damit die einzige arzneilich als Antidepressivum verwendete Substanz, die Abhängigkeit auslöst. Weitere DRI sind Nomifensin und Medifoxamin, die aber wegen starker Nebenwirkungen mittlerweile nicht mehr gebräuchlich sind.

Selektive Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI, SSNRI)

Die Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) hemmen die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin. Einsatzgebiete sind Depressionen und Angststörungen.

Wirkstoffe sind Venlafaxin, Duloxetin und Milnacipran.

Selektive Noradrenalin-/Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (NDRI)

Die NDRI hemmen die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Dopamin. Einsatzgebiete sind Depressionen, vor allem bei Antriebsschwäche.

Die bisher einzigen Wirkstoffe in dieser Klasse sind Bupropion, Amineptin und Methylphenidat, wobei letzteres für die antidepressive Therapie keine Zulassung hat.

Andere Monoaminerge Antidepressiva

Noradrenerges Antidepressivum mit Hemmung präsynaptischer Alpha-2-Rezeptoren

Diese Medikamente wirken durch die Blockade von inhibitorischen präsynaptischen Auto-Rezeptoren des Alpha-2-Rezeptortyps und bewirken dadurch eine verstärkte Ausschüttung von Noradrenalin. Vertreter dieser Gruppe sind die tetrazyklischen Antidepressiva Mirtazapin und Mianserin.

Noradrenerges und spezifisch serotonerges Antidepressivum (NaSSA)

Bei Depressionen (besonders bei Hemmung, Gewichtsverlust, Schlafstörung und Ängsten), wirken meist sedierend, teilweise werden NaSSA auch als Schlafmittel eingesetzt. Wirkstoffe: zum Beispiel Mirtazapin.

Serotonin-(5-HT2)-Antagonist-und-Wiederaufnahmehemmer (SARI)

Ein Wirkstoff aus dieser Gruppe ist das Trazodon. Es wird eingesetzt zur Behandlung von Depressionen unterschiedlicher Ätiologie mit oder ohne Angstkomponente, anhaltenden Schlafstörungen bei Depressionen sowie zur Behandlung von im Rahmen von Depressionen auftretenden erektilen Dysfunktionen ohne schwerwiegende organische Ursachen.

Dual-synaptische Antidepressiva (DSA)

Wirken als 5-HT2A-Antagonisten und präsynaptische 5-HT-(Rück-)Transporter-Inhibitoren. Wirkstoff: Nefazodon. Ist in Deutschland wegen einiger Fälle schweren Leberversagens vom Markt genommen worden.

Serotonin-Wiederaufnahmeverstärker (SRE = Serotonine Reuptake Enhancer)

Serotonin-Wiederaufnahmeverstärker erhöhen die Serotonin-Rückaufnahme aus dem synaptischen Spalt und steigern die Feuerungsrate der Neuronen im Hippocampus. Bei Depressionen, ängstlich-depressiven Zustandsbildern, Somatisierung von Depression und Angst, Angst/Depression bei Alkoholikern und Älteren. Wirkstoff: Tianeptin.

MAO-Hemmer (MAOH/MAOI)

MAO-Hemmer wirken, indem sie das Enzym Monoaminooxidase (MAO) hemmen, welches für den Abbau der Neurotransmitter sorgt. Dadurch steigt die Konzentration der Neurotransmitter in der Nervenzelle an. Von diesem Enzym gibt es zwei Unterarten: A und B. In der Depressionsbehandlung werden hauptsächlich Medikamente eingesetzt, die Typ A hemmen. MAO-Hemmer, die auf Typ B wirken, setzt man meist in der Behandlung der Parkinson-Krankheit ein.

Die MAO-Hemmer haben eine hohe Nebenwirkungsrate, da es Interaktionen mit Tyramin-haltigen Lebensmitteln gibt (Käse, Wein und viele andere), was dann beispielsweise zu starken Blutdrucksteigerungen führen kann. Außerdem muss zwischen der Einnahme eines MAO-Hemmers und einem anderen Antidepressivum eine Wartezeit eingehalten werden, um schwerwiegende Interaktionen zu vermeiden (zum Beispiel Serotonin-Syndrom). Deswegen werden heute nach Möglichkeit nur noch reversible MAO-Hemmer angewendet, etwa Moclobemid, bei denen diese Nebenwirkungen weniger gravierend auftreten. Irreversible, nicht-selektive MAO-A- und -B-Hemmer wie Tranylcypromin wurden 2004 erstmals wieder häufiger verschrieben als Moclobemid (2,5 Millionen DDD gegenüber 2,0 Millionen DDD).[10]

Reversible Inhibitoren der Monoaminoxidase A (RIMA)

Siehe Abschnitt: MAO-Hemmer (MAOH/MAOI)

Serotonin-(5-HT2)-Antagonist und Melatonin-(MT1- und MT2)-Antagonist

Agomelatin wirkt agonistisch auf die melatonergen MT1- und MT2-Rezeptoren und antagonistisch auf die serotonergen 5HT2C-Rezeptoren.[11][12] Die dem Melatonin strukturell verwandte chemische Verbindung aus der Gruppe der Antidepressiva wird in der Behandlung von Episoden einer Major Depression bei Erwachsenen eingesetzt.[13]

Phytopharmaka

Ein Phytopharmakon (griechisch φυτόν phyton (Pflanze) und φάρμακον pharmakon (Arzneimittel)) ist ein in der Phytotherapie verwendetes Fertigarzneimittel, dessen wirksame Bestandteile ausschließlich pflanzlicher Herkunft sind. Ein Phytopharmakon besteht aus einem oder mehreren pflanzlichen Wirkstoffen, wobei die pflanzlichen Wirkstoffe zumeist selbst Vielstoffgemische verschiedener Pflanzeninhaltsstoffe sind.[14]

Hierzu gehört bei den Antidepressiva insbesondere das Echte Johanniskraut (Hypericum perforatum). Anders als lange angenommen, wird der antidepressive Effekt nicht vorrangig durch Hypericin hervorgerufen, welches zwar auch die Wiederaufnahme verschiedener Neurotransmitter hemmt, aber bei üblicher Dosierung nicht in wirksamer Menge vorkommt. Es wird angenommen, dass der Haupteffekt durch Hyperforin verursacht wird, welches in den verwendeten Dosen ausreichend Wirkung zeigt.

Standardisierte Johanniskrautextrakte werden bei leichten bis mittelschweren Depressionen eingesetzt, wobei die Wirksamkeit – ebenso wie bei anderen Antidepressiva – kontrovers diskutiert wird. Johanniskraut ist in verschiedenen Darreichungsformen (zum Beispiel als Tee, Tabletten etc.) erhältlich und teilweise frei verkäuflich. Verlässlich wirksam gegen Depressionen sind – wenn überhaupt – aber meist nur die apothekenpflichtigen Präparationen dieses Mittels. Ein Cochrane Review von 29 Studien mit etwa 5.000 Patienten, bei denen nach DMS- oder ICD-10-Kriterien eine Major-Depression vorlag, ergab, dass Johanniskraut ähnlich gut wirkt wie synthetische Antidepressiva. Dabei war Johanniskraut verträglicher. Die Abbruchrate war nur ein Viertel so hoch wie mit trizyklischen Antidepressiva und etwa halb so hoch wie mit SSRI. Die Wirksamkeit wurde jedoch nur in Studien aus deutschsprachigen Ländern gesehen.[15] Auch bei Johanniskraut ist mit der bei anderen Antidepressiva üblichen verzögerten Wirksamkeit von ca. 10–14 Tagen zu rechnen. An Nebenwirkungen verursacht Johanniskraut eine gesteigerte Lichtempfindlichkeit (sog. Photosensibilität) der Haut. Johanniskrautpräparate zeigen, bedingt durch Induktion des Cytochrom P450-Enzyms vom Subtyp CYP3A4, welches etwa die Hälfte aller Pharmaka im Körper abbaut, oft Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die ebenfalls über diesen Cytochrom-Subtyp abgebaut werden. Dazu gehören zum Beispiel die Antibabypille oder Medikamente, die eine Transplantatabstoßung verhindern sollen. Eine Wirkungsminderung dieser Medikamente durch Johanniskraut ist daher möglich.

Aminpräkursoren

Im Rahmen der Depressionsbehandlung sind mit Aminpräkursoren die Stoffwechsel-Vorstufen der Monoamin-Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin gemeint. Darunter fallen L-Tryptophan, 5-Hydroxytryptophan für Serotonin und L-Phenylalanin, L-Tyrosin und L-DOPA sowohl für Noradrenalin als auch Dopamin.

Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisatoren) mit antidepressiver Wirkung

  • Lithium (→ Lithiumtherapie)
  • Valproat: In mehreren Studien konnte keine signifikante antidepressive Wirkung von Valproat festgestellt werden, jedoch eine gute anti-manische Wirkung.[16]
  • Carbamazepin: Eine eindeutige antidepressive Wirkung wird von mehreren Studien bestätigt; beste Datenlage hinsichtlich eines antidepressiven Effektes unter allen Antikonvulsiva.[16]
  • Lamotrigin: Die vorhandenen Daten sprechen für einen antidepressiven Effekt (bei monopolaren Depressionen) bei diesem Antikonvulsivum, obwohl es nicht viele Studien über eine antidepressive Wirkung von Lamotrigin bei monopolaren Depressionen gibt.[16] Kein Zweifel besteht jedoch an seiner antidepressiven Wirksamkeit im Rahmen einer bipolaren Störung - in Deutschland ist es als Präventionsmittel gegen depressive Episoden bei bipolaren Störungen zugelassen.[17]

Omega-3-Fettsäure Eicosapentaensäure (EPA)

Es konnte nachgewiesen werden, dass die Omega-3-Fettsäure Eicosapentaensäure (kurz: EPA) einen antidepressiven Effekt bei einer Dosierung von mehr als 1 g/Tag aufweist.[18] Auch auf Schizophrenie hat EPA einen positiven Effekt.[19]

Nebenwirkungen

Während der Behandlung können verschiedene unerwünschte Wirkungen auftreten. Diese hängen aufgrund der großen Unterschiede zwischen den Antidepressiva von der jeweiligen Substanz ab.

Beim Absetzen von Antidepressiva können Absetz-Phänomene wie Rebound auftreten. Die Einnahme von Antidepressiva führt jedoch nicht zur Abhängigkeit.

Hinsichtlich der Anwendung von SSRI und SSNRI bei Kindern und Jugendlichen mit depressiven Störungen liegen aus Studien Hinweise für eine unter dieser Therapie erhöhte Suizidalität vor. Insbesondere das Risiko für suizidale Gedanken und feindselige, gegen die eigene Person oder andere gerichtete Handlungen scheint erhöht zu sein, während vollendete Suizide nicht berichtet wurden. Bei Erwachsenen konnte eine erhöhte Suizidalität unter SSRI nicht nachgewiesen werden. Die Befunde werden in der Psychiatrie kontrovers diskutiert. Die depressive Erkrankung selbst ist der wichtigste Risikofaktor für Suizidalität.[20]

Pharmakoökonomie

Zur Behandlung depressiver Störungen wurden in Deutschland im Jahr 2002 etwa 4 Milliarden Euro ausgegeben (direkte Krankheitskosten). Der Anteil der Kosten für Medikamente an den gesamten direkten Kosten ist international vergleichbar und beträgt etwa 4 bis 11 Prozent.[21]

Einzelnachweise

  1. Benkert, Hippius, Kompendium der psychiatrischen Pharmakotherapie. 5.Auflage. Springer, Heidelberg 2005, ISBN 3-540-21893-9
  2. psywiki.org: Psychopharmaka Verordnungen 2009, Zugriff am 21. Februar 2011
  3. aerzteblatt.de: Meta-Analyse: Antidepressiva nur bei schwersten Depressionen wirksam, 26. Februar 2008.
  4. 4,0 4,1 Turner EH, Matthews AM, Linardatos E, Tell RA, Rosenthal R: Selective publication of antidepressant trials and its influence on apparent efficacy. In: N. Engl. J. Med.. 358, Nr. 3, Januar 2008, S. 252–60. doi:10.1056/NEJMsa065779. PMID 18199864.
  5. http://www.aerztekammer-bw.de/25/10praxis/60neurologie/0501.pdf
  6. 6,0 6,1 Heavy exposure to some tricyclic antidepressants associated with elevated risk of breast cancer
  7. 7,0 7,1 British Journal of Cancer, Volume 86, S. 92-97, Ausgabe vom 7. Januar, 2002
  8. H.-J. Möller, G. Laux, H.-P. Kapfhammer: Psychiatrie und Psychotherapie. 3. Auflage. Springer, Heidelberg 2008. 2 Bände. Band 2; S. 426
  9. Anlage II (zu § 1 Abs. 1) verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel.
  10. Arzneiverordnungs-Report 2005 Aktuelle Daten, Kosten, Trends und Kommentare', Schwabe et al., XVI. Auflage, Springer, Berlin, 2005, ISBN 3-540-28368-4
  11. Audinot, V., F. Mailliet, et al. (2003). New selective ligands of human cloned melatonin MT1- und MT2 receptors. Naunyn-Schmiedebergs Arch Pharmacol 367: 553-561. PMID 12764576
  12. San, L. Arranz, B (2008). Agomelatine: a novel mechanism of antidepressant action involving the melatonergic and the serotonergic system. Eur Psychiatry 23(6): 396-402. PMID 18583104
  13. Valdoxan, Europäische Arzneimittelagentur
  14. Heinz Schilcher, Susanne Kammerer, Tankred Wegener: Grundlegendes zur rationalen Phytotherapie. In: Leitfaden Phytotherapie, 3, S. 1-30, Elsevier,Urban&FischerVerlag 2007, ISBN 3437553429
  15. Linde K, Berner MM, Kriston L. St John's wort for major depression. Cochrane Database Syst Rev. 2008 Oct 8;(4):CD000448. PMID 18843608 zitiert nach Bestätigt: Johanniskraut lindert Depressionen, Ärzte-Zeitung, 21. Oktober 2008, S. 1
  16. 16,0 16,1 16,2 Bauer, Berghöfer, Adli: Akute und therapieresistente Depressionen. 2. Auflage. Springer, Heidelberg 2005. ISBN 978-3-540-40617-4. S. 276 f
  17. Benkert, Hippius, Kompendium der psychiatrischen Pharmakotherapie. 7.Auflage. Springer, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-540-78470-8, S.157
  18. Richardson AJ: ‘’Comment on: Br J Nutr. 2008 Feb;99(2):421-31. n-3 Fatty acids and mood: the devil is in the detail.’’ Br J Nutr., 2008 Feb;99(2):221-3.
  19. Peet M, Brind J, Ramchand CN, Shah S, Vankar GK: Two double-blind placebo-controlled pilot studies of eicosapentaenoic acid in the treatment of schizophrenia. In: Schizophr. Res.. 49, Nr. 3, 2001, S. 243–51. PMID 11356585. Abgerufen am 21. Dezember 2007.
  20. F. Holsboer, G. Gründer, O. Benkert (Hrsg.): Handbuch der Psychopharmakotherapie. 1. Auflage. Springer, Heidelberg 2008. ISBN 978-3-540-20475-6. S. 544
  21. H.-J. Möller, G. Laux, H.-P. Kapfhammer: Psychiatrie und Psychotherapie. 3. Auflage. Springer, Heidelberg 2008. 2 Bände. Band 2; S. 441

Literatur

  • Ursula Breyer-Pfaff, Hans J. Gaertner, Pierre Baumann: Antidepressiva. 2005, ISBN 3-8047-2147-8
  • O. Benkert, H. Hippius: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. (5. Auflage). Springer, Berlin 2005, ISBN 3-540-21893-9
  • Brigitte Woggon: Behandlung mit Psychopharmaka (2. Auflage). Hans Huber, Bern 2005, ISBN 3-456-83538-8
  • Michael Bauer, Anne Berghöfer, Mazda Adli: Akute und therapieresistente Depressionen – Pharmakotherapie – Psychotherapie – Innovationen (2., vollst. überarb. und erw. Auflage). Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2005, ISBN 978-3-540-40617-4 (Print), ISBN 978-3-540-28049-1 (Online).

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Antidepressivum – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Antidepressiva – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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