Mathematische Struktur der Quantenmechanik
Dieser Artikel stellt die mathematische Struktur der Quantenmechanik dar.
Formulierung durch von Neumann
Die wesentlichen Grundlagen für die mathematisch strenge Formulierung der Quantenmechanik wurden im Jahr 1932 durch John von Neumann formuliert. Demnach lässt sich ein physikalisches System allgemein durch drei wesentliche Bestandteile beschreiben: Seine Zustände, seine Observablen und seine Dynamik (das heißt durch seine zeitliche Entwicklung). Die von Neumannschen Postulate werden hier in leicht aktualisierter Form (Spin, Pauli-Prinzip, siehe unten) dargestellt:
Postulate der Quantenmechanik (Kopenhagener Interpretation)
Im Rahmen der Kopenhagener Interpretation basiert die quantenmechanische Beschreibung eines Systems auf folgenden Postulaten:
- Zustand: Der Zustand eines physikalischen Systems zu einem Zeitpunkt t0 wird durch die Angabe eines zum Zustandsraum
gehörenden komplexen Zustandsvektors definiert. Vektoren, die sich nur um einen von Null verschiedenen Faktor unterscheiden, beschreiben denselben Zustand. Der Zustandsraum des Systems ist ein Hilbertraum. - Observable: Jede Größe A, die physikalisch „gemessen“ werden kann, ist durch einen im Zustandsraum wirkenden hermiteschen Operator
beschrieben. Dieser Operator wird als Observable bezeichnet und hat ein reelles Spektrum mit einer vollständigen sogenannten Spektralschar, bestehend aus einem „diskreten“ Anteil mit Eigenvektoren und Eigenwerten (Punktspektrum) und aus einem Kontinuum. - Messresultat: Resultat der Messung einer physikalischen Größe A kann nur einer der Eigenwerte der entsprechenden Observablen
sein oder bei kontinuierlichem Spektrum des Operators eine messbare Menge aus dem Kontinuum. - Messwahrscheinlichkeit im Fall eines diskreten nichtentarteten Spektrums: Wenn die physikalische Größe A an einem System im Zustand
gemessen wird, ist die Wahrscheinlichkeit P(an), den nichtentarteten Eigenwert an der entsprechenden Observable zu erhalten (mit dem zugehörigen Eigenvektor ): . Dabei seien und normiert. - Die Zeitentwicklung des Zustandsvektors
ist gegeben durch die Schrödingergleichung:
, wobei die der totalen Energie des Systems zugeordnete Observable ist.
Dazu kommen Aussagen über Spin und Pauli-Prinzip, die zwar erst in einer relativistischen Erweiterung der Quantenmechanik begründet werden können, aber bereits für die nicht-relativistische Quantenmechanik wesentlich sind und zum Beispiel das Periodensystem der Elemente entscheidend bestimmen.
Quantenmechanische Zustände
In der klassischen Mechanik wird der Zustand eines physikalischen Systems mit
Im Rahmen der Quantenmechanik wird ein physikalischer Zustand
Die zu den Eigenwerten zugehörigen Zustände
Da sich Messungen bezüglich der Observablen eines VSKO nicht gegenseitig beeinflussen, lässt sich durch die Verwendung geeigneter Filter ein gegebenes quantenphysikalisches System zu einem Zustand präparieren, der Eigenzustand zu jeder der Observablen des VSKO ist:
Ein solcher Zustand wird häufig auch reiner Quantenzustand genannt. Er ist über seine zugehörigen Eigenwerte definiert und maximal bestimmt.
Es sei betont, dass über einen derart präparierten Quantenzustand – im Gegensatz zum Zustand eines klassischen Systems – nicht sämtliche messbaren Eigenschaften des physikalischen Systems bestimmt sind! Für Observablen, die mit dem VSKO unverträglich sind, kann für jeden ihrer Eigenwerte lediglich eine bestimmte Wahrscheinlichkeit angeben werden, mit der dieser aus einer Messung resultiert; das Messergebnis ist in jedem Fall ein Eigenwert der Observable. Diese prinzipielle Unbestimmtheit hängt mit der o. g. Unbestimmtheitsrelation zusammen. Sie ist eine der wichtigsten Aussagen der Quantenmechanik und ist zugleich Ursache für vielerlei Ablehnung dieser gegenüber.
Für ein gegebenes quantenphysikalisches System bilden die zu den Eigenwerten einer Observable gehörenden Eigenzustände einen linearen Zustandsraum
Ein einfaches Beispiel eines Quantensystems ist das Zweizustandssystem, siehe dazu den Artikel Qubit.
Statistische Aussagen der Quantenmechanik
Aus der Zerlegung des Zustandes in eine lineare Kombination der orthonormalen Eigenzustände
Demnach ergeben sich bei wiederholter Durchführung einer Messung einer Observablen i. A. unterschiedliche Messergebnisse, auch wenn das System vor der Messung immer im gleichen Zustand war. Ausnahme: Sofern das System in einem Eigenzustand einer Observablen
Hierbei wird der Einfachheit halber angenommen, dass man es mit einem rein diskreten Spektrum zu tun hat.
Zeitliche Entwicklung
Die Dynamik von Quantenzuständen wird durch unterschiedliche Repräsentationen, die sogenannten „Bilder“, beschrieben, welche sich durch Redefinition der Operatoren und Zustände ineinander überführen lassen und somit äquivalent sind. Für alle Bilder sind die Erwartungswerte von Operatoren gleich.
Schrödinger-Bild
Im Schrödinger-Bild ergibt sich die Dynamik aus folgender Betrachtung:
Der Zustand ist definiert durch eine differenzierbare Abbildung der durch t parametrisierten Zeit auf den Hilbertraum der Zustände. Wenn
mit
Die Zeitentwicklung eines Zustandes ist gegeben durch den unitären Zeitentwicklungsoperator
, wobei
(Der Zeitordungsoperator
Heisenberg-Bild
Im Heisenberg-Bild der Quantenmechanik wird anstelle zeitlicher Änderungen der Zustände, die in diesem Bild konstant bleiben, die Zeitabhängigkeit durch zeitabhängige Operatoren für die Observablen beschrieben. Für die zeitabhängigen Heisenberg-Operatoren ergibt sich für
Mit dem (schon bekannten) Zeitentwicklungsoperator
Dirac-Bild
Das sogenannte Dirac-Bild oder Wechselwirkungsbild (Index I für "interaction") hat sowohl zeitabhängige Zustände als auch zeitabhängige Observablen, wobei für Zustände und Observable unterschiedliche Hamiltonoperatoren gelten. Im Schrödingerbild sei der Hamiltonoperator zusammengesetzt aus einem zeitunabhängigen und einem zeitabhängigen hermiteschen Operator
^
Im Wechselwirkungsbild benutzt man dann für die Observablen nur die Ähnlichkeitstransformation mit
Das Wechselwirkungsbild ist dann am nützlichsten, wenn die zeitliche Entwicklung der Observablen exakt lösbar ist (das heißt, wenn
- erstens die Zustandsgleichung (vgl. Schrödingergleichung)
- und zweitens die Operatorgleichung (vgl. Heisenbergsche Bewegungsgleichung)
Mit dem Zeitentwicklungsoperator des zeitunabhängigen Teilproblems
werden Zustände und Operatoren im Diracbild mit denen im Schrödingerbild über folgende Beziehungen verknüpft:
Bemerkungen
Zum Zeitpunkt
Das Heisenbergbild entspricht der klassischen Hamilton-Mechanik (zum Beispiel entsprechen die Kommutatoren
Manche Wellenfunktionen bilden Wahrscheinlichkeitsverteilungen, die sich mit der Zeit nicht ändern. Viele Systeme, die in der klassischen Mechanik mit einem dynamischen Zeitverhalten beschrieben werden müssen, weisen in der quantenmechanischen Beschreibung solche „statischen“ Wellenfunktionen auf. Zum Beispiel wird ein einzelnes Elektron in einem Atom im Grundzustand durch eine kreisförmige Trajektorie um den Atomkern beschrieben, während es in der Quantenmechanik durch eine statische, kugelsymmetrische Wellenfunktion beschrieben wird, die den Atomkern umgibt. (Man beachte, dass nur die kleinsten Drehimpuls-Zustände, die „s“-Wellen, kugelsymmetrisch sind).
Die Schrödingergleichung ist wie die eng verwandte Heisenberggleichung und die Gleichungen des Wechselwirkungsbildes eine partielle Differentialgleichung, die nur für einige wenige Modellsysteme analytisch gelöst werden kann (zu den wichtigsten Beispielen gehören der quantenmechanische harmonische Oszillator und das Elektron im Coulombpotential). Selbst die Elektronenstruktur des Helium-Atoms, das nur ein Elektron mehr als Wasserstoff aufweist, ist bereits nicht mehr analytisch berechenbar. Es existieren jedoch eine Reihe verschiedener Techniken zur Berechnung von Näherungslösungen. Ein Beispiel ist die bereits erwähnte Störungstheorie, bei der vorhandene analytische Lösungen vereinfachter Modellsysteme als Ausgangspunkt zur Berechnung komplexerer Modelle verwendet werden. Diese Methode ist insbesondere dann erfolgreich, wenn sich die Wechselwirkungen des komplexen Modells als „kleine“ Störungen des einfachen Modellsystems formulieren lassen. Eine andere Methode ist die sogenannte „semiklassische Näherung“, die auf Systeme angewendet werden kann, die nur kleine Quanteneffekte aufweisen. Die quantenmechanisch bedingten Effekte können dann unter der Annahme klassischer Bewegungstrajektorien berechnet werden. Dieser Ansatz wird zum Beispiel bei der Erforschung des Quantenchaos zugrunde gelegt.
Spin
Neben ihren sonstigen Eigenschaften besitzen alle Teilchen eine Art Eigendrehimpuls, den Spin, für den es in der klassischen Physik kein Pendant gibt. Der Spin ist in Einheiten von
Man unterscheidet Bosonen (S = 0 oder 1 oder 2 oder …) und Fermionen (S = 1/2 oder 3/2 oder 5/2 oder …)
Pauli-Prinzip
Damit verknüpft ist für Systeme aus N identischen Teilchen das sogenannte Pauli-Prinzip, das zum Beispiel in der Ortdarstellung besagt, dass bei Vertauschung zweier der N Teilchen,
das heißt, für Bosonen muss sich der Vorfaktor +1, für Fermionen dagegen (−1) ergeben.[1] In zwei Raumdimensionen kann
Elektronen sind Fermionen mit S=1/2; Photonen sind Bosonen mit S=1.
Neuere Formalismen
Ein alternativer Ansatz zur Berechnung quantenmechanischer Systeme ist der Pfadintegral-Formalismus von Richard Feynman, bei dem eine quantenmechanische Amplitude als Summe über die Wahrscheinlichkeitsamplituden für alle theoretisch möglichen Pfade eines Teilchens bei seiner Bewegung von einem Ausgangszustand zu einem Zielzustand dargestellt wird. Diese Formulierung ist das quantenmechanische Analogon zum klassischen Wirkungsprinzip.
Erst in neuerer Zeit ist eine allgemeinere mathematische Beschreibung von Observablen durch positiv-operatorwertige Wahrscheinlichkeitsmaße (positive operator valued probability measures, POVM) entstanden, die in der traditionellen Lehrbuchliteratur noch kaum behandelt wird. Operationen auf Quantensystemen werden in der modernen, aber noch wenig bekannten Version der Quantenmechanik durch „completely positive maps“, vollständig positive Abbildungen, sehr umfassend und mathematisch elegant beschrieben. Diese Theorie verallgemeinert sowohl die unitäre Zeitentwicklung als auch die oben beschriebene traditionelle von-Neumannsche Beschreibung der Veränderung eines Quantensystems bei einer Messung. Konzepte, die nur schwer im traditionellen Bild beschrieben werden können, wie zum Beispiel kontinuierlich ablaufende unscharfe Messungen, fügen sich problemlos in diese neuere Beschreibung ein. Zu nennen ist hier auch die Methode der sogenannten C*-Algebren.
Literatur
- J. von Neumann: Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik, Berlin: Springer 1932
- Claude Cohen-Tannoudji: Quantenmechanik. de Gruyter, 1999, ISBN 3-11-016458-2.
- Wolfgang Nolting: Grundkurs Theoretische Physik 5/1 (Quantenmechanik – Grundlagen). Springer, 2008, ISBN 978-3-540-68868-6.
Einzelnachweise und Fußnoten
- ↑ Das Auftreten des Faktors (-1) bei Fermionen kann man mit dem ungewöhnlichen Drehverhalten dieser Teilchen in Zusammenhang bringen, indem man sich etwa vorstellt, dass die Vertauschung zweier identischer Fermionen so vor sich geht, dass das eine Teilchen auf dem unteren Halbkreis von Pi nach Pj läuft und gleichzeitig das andere auf dem oberen Halbkreis von Pj nach Pi. Insgesamt entsteht so ein Umlauf um 360 °, was bei Fermionen einen Faktor (-1) impliziert.