Freiheitsgrad
Mit Freiheitsgrad wird die Zahl der frei wählbaren, voneinander unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten eines Systems bezeichnet. Ein starrer Körper im Raum hat demnach den Freiheitsgrad $ f=6 $, denn man kann den Körper in drei voneinander unabhängige Richtungen bewegen und in drei voneinander unabhängigen Ebenen drehen. In dieser Bedeutung als Gesamtzahl der unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten kommt der Begriff Freiheitsgrad nur im Singular vor.[1] Die einzelnen Bewegungsmöglichkeiten werden dann auch Freiheiten genannt. In der Literatur und im allgemeinen Sprachgebrauch wird aber auch jede der unabhängigen Bewegungsmöglichkeiten eines Systems als ein Freiheitsgrad bezeichnet.[2] Ein starrer Körper ohne Bindungen hat demnach sechs Freiheitsgrade.
Mechanik
Jeder Freiheitsgrad eines physikalischen Systems entspricht einer unabhängigen (verallgemeinerten Koordinate), mit der das System beschrieben werden kann. Was mit dem Wort „unabhängig” gemeint ist, sieht man an einem Beispiel: Angenommen ein Teilchen könne sich nur entlang einer Geraden in der Ebene (z.B. auf einem Tisch) bewegen. Wählt man als unabhängige Koordinate den Weg auf der Linie, so können die x-Koordinaten und die y-Koordinaten berechnet werden.
Die Zahl der verallgemeinerten Koordinaten ist eine Systemeigenschaft. Beispielsweise hat ein freier Massenpunkt drei Translationsfreiheitsgrade. Ein starrer Körper hingegen besitzt neben den drei Translations- noch drei Rotationsfreiheitsgrade, letztere durch dessen Drehwinkel beschrieben.
Gelenke
Im Gelenk eines Mechanismus sind zwei Teile miteinander beweglich verbunden. Der Freiheitsgrad $ f $ ist die Anzahl der möglichen Bewegungen, die das Gelenk ausführen kann. Dabei stehen die Freiheiten des starren Körpers zur Verfügung. Innerhalb eines Gelenks wird mindestens eine Freiheit unterbunden, maximal fünf Freiheiten stehen für eine technische Anwendung zur Verfügung. Mehr als drei Freiheiten werden mit Mehrfachgelenken erreicht.
- Figur 2: Drehgelenk $ f=1 $
- Figur 3: Schraubgelenk $ f=1 $
- Figur 5: Drehschubgelenk, Plattengelenk $ f=3 $
- Figur 6: Drehschubgelenk $ f=2 $
- Figur 7: Kugelgelenk $ f=3 $
Die Zahl der Freiheiten eines Systems, das aus vielen Teilsystemen gebildet wird, ist die Summe der Freiheiten der Teilsysteme, sofern diese nicht durch Zwangsbedingungen (z. B. Fahrzeugkupplung: Der Anhänger kann sich nicht unabhängig vom Zugfahrzeug bewegen) eingeschränkt wird.
- ein Freiheitsgrad >0 beschreibt ein in sich bewegliches System (Mechanismus).
- ein Freiheitsgrad =0 beschreibt ein statisch bestimmtes System.
- ein Freiheitsgrad <0 steht für ein statisch überbestimmtes System, in dem starke innere Spannungen auftreten können („klemmt“).
Thermodynamik
Die Zahl der Freiheitsgrade eines Systems spielt auch in der Thermodynamik eine Rolle, da sich die Energie gleichmäßig auf die einzelnen Freiheitsgrade verteilt. Die Zahl der Freiheitsgrade geht daher auch in die Entropie ein, die ja letztlich ein Maß für die Zahl der erreichbaren Zustände ist. Thermodynamische Systeme haben generell sehr viele Freiheitsgrade, etwa in der Größenordnung von 1023. Es können allerdings viele gleichartige Systeme mit jeweils nur wenigen Freiheitsgraden zustande kommen, zum Beispiel 1023 Atome mit effektiv (s.u.) je drei Freiheitsgraden.
Man kann die innere Energie eines idealen Gases in Abhängigkeit von der Temperatur $ T $ und der Anzahl der Freiheitsgrade $ f $ eines Gasteilchens angeben. Im Normalfall eines einatomigen idealen Gases mit $ N $ Teilchen ergibt sich mit der Boltzmann-Konstante $ k $
- $ U={\frac {3}{2}}NkT $.
Allgemein gilt:
- $ U={\frac {f}{2}}NkT $.
Hierbei ist wichtig, dass zur Bestimmung von $ f $ innere Freiheitsgrade doppelt gezählt werden, da Schwingungen sowohl kinetische als auch potentielle Energie besitzen (s.u.).
Aufgrund der diskreten Energieniveaus der Quantenmechanik können bei niedrigen Energien meist nicht alle Freiheitsgrade angeregt werden, da der erste angeregte Zustand bereits eine zu hohe Energie besitzt. Dadurch kann ein System bei einer gegebenen Energie effektiv weniger Freiheitsgrade haben. Zum Beispiel hat ein Atom bei Raumtemperatur effektiv nur die drei Translationsfreiheitsgrade, da die mittlere Energie so niedrig ist, dass atomare Anregungen praktisch nicht vorkommen.
Ein zweiatomiges Molekül wie molekularer Wasserstoff hat – neben den elektronischen Anregungen – sechs Freiheitsgrade: Drei der Translation, zwei der Rotation, und einen Schwingungsfreiheitsgrad (der allerdings bei der Berechnung der inneren Energie doppelt zählt). Rotation und Schwingung sind quantisiert und bei geringer Gesamtenergie eines Moleküls können energetisch höher liegende Rotations- und Schwingungsfreiheitsgrade nicht angeregt werden; man sagt, sie seien „eingefroren.” So verhalten sich die meisten zweiatomigen Gase wie zum Beispiel Wasserstoff, Sauerstoff oder Stickstoff unter Normalbedingungen effektiv so, als hätten die Einzelmoleküle nur fünf Freiheitsgrade, was sich am Adiabatenexponenten ablesen lässt. Bei hohen Temperaturen sind dem System alle Freiheitsgrade zugänglich.
Komplexere Moleküle haben viel mehr Schwingungsfreiheitsgrade, und liefern somit einen höheren Beitrag zur Entropie.
Jedes Molekül mit $ n $ Atomen hat $ 3n $ Freiheitsgrade, weil man für jedes Atom drei Koordinaten braucht um seine Position zu definieren. Diese kann man formal in Translations-, Rotations- und innere Schwingungsfreiheitsgrade einteilen.
Hierbei gilt
- für $ n $-atomige lineare Moleküle:
- $ 3 $ Translationsfreiheitsgrade,
- $ 2 $ Rotationsfreiheitsgrade,
- $ 3n-5 $ Schwingungsfreiheitsgrade (die bei der Berechnung der inneren Energie doppelt zählen),
- für $ n $-atomige nicht lineare Moleküle:
- $ 3 $ Translationsfreiheitsgrade,
- $ 3 $ Rotationsfreiheitsgrade,
- $ 3n-6 $ Schwingungsfreiheitsgrade (die bei der Berechnung der inneren Energie doppelt zählen).
Ein Molekül mit $ A $ Atomen besitzt für die innere Schwingungsenergie allgemein
- $ f_{\mathrm {vib} }=3A-f_{\mathrm {trans} }-f_{\mathrm {rot} } $
Schwingungsfreiheitsgrade.
Stoff | Freiheitsgrade | |||
---|---|---|---|---|
Translation | Rotation | Schwingung (doppelt zu zählen) | Summe | |
Gasmolekül, 1-atomig | +3 | +0 | 2×(3×1−3−0)=+0 | 3 |
Gasmolekül, 2-atomig | +3 | +2 | 2×(3×2−3−2)=+2 | 7 |
Gasmolekül, 3-atomig linear | +3 | +2 | 2×(3×3−3−2)=+8 | 13 |
Gasmolekül, 3-atomig gewinkelt | +3 | +3 | 2×(3×3−3−3)=+6 | 12 |
1 Atom im Festkörper | +0 | +0 | 2×(3×1−0−0)=+6 | 6 |
Die thermodynamischen Freiheitsgrade der Zustandsgrößen auf makroskopischer Ebene ergeben sich für beliebige Systeme im Gleichgewicht über die Gibbssche Phasenregel.
Siehe auch
- Laufgrad
- Kardanische Aufhängung
- Holonom
Einzelnachweise
- ↑ Wolfgang H. Müller, Ferdinand Ferber: Technische Mechanik für Ingenieure: Geeignet für die Bachelor-ausbildung
- ↑ Eberhard Brommundt, Gottfried Sachs, Delf Sachau: Technische Mechanik: Eine Einführung