Wasserstoffperoxid

Wasserstoffperoxid

Strukturformel
Struktur von Wasserstoffperoxid
Allgemeines
Name Wasserstoffperoxid
Andere Namen
  • μ-1κO,2κO′-Dioxidodiwasserstoff
  • Perhydrol
  • Wasserstoffsuperoxid
Summenformel H2O2
CAS-Nummer 7722-84-1 (wässrige Lösung)
ATC-Code
Kurzbeschreibung

farblose fast geruchlose Flüssigkeit[1]

Eigenschaften
Molare Masse 34,02 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte
  • 1,71 g·cm−3 (-20 °C, Feststoff)[2]
  • 1,45 g·cm−3 (20 °C, rein)[1]
  • 1,11 g·cm−3 (20 °C, 30-prozentig)[1]
Schmelzpunkt
  • −0,41 °C (rein)[1]
  • −11 °C (90-prozentig)[1]
  • −33 °C (35-prozentig)[1]
Siedepunkt
  • 150,2 °C (rein)[1]
  • 142 °C (90-prozentig)[1]
  • 108 °C (35-prozentig, unter Zersetzung)[1]
Dampfdruck

1,9 hPa (20 °C)[1]

pKs-Wert
  • 11,75 (20 °C)[3]
  • 11,8 (20 °C)[3]
Löslichkeit

mischbar mit Wasser[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) [4]
03 – Brandfördernd 05 – Ätzend 07 – Achtung

Gefahr

H- und P-Sätze H: 271-332-302-314
P: 220-​261-​280-​305+351+338-​310 [5]
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [6] aus EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) [4]
Brandfördernd Ätzend
Brand-
fördernd
Ätzend
(O) (C)

wässrige Lösung > 70 %

R- und S-Sätze R: 5-8-20/22-35
S: (1/2)-17-26-28-36/37/39-45
MAK

0,5 ml·m−3 bzw. 0,71 mg·m−3[1]

Thermodynamische Eigenschaften
ΔHf0

−188 kJ·mol−1[7]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
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Wasserstoffperoxid (H2O2) ist eine blassblaue, in verdünnter Form farblose, weitgehend stabile Flüssigverbindung aus Wasserstoff und Sauerstoff. Es ist etwas viskoser als Wasser, eine schwache Säure und gegenüber den meisten Stoffen ein sehr starkes Oxidationsmittel, das als solches heftig mit Substanzen wie etwa Kupfer, Messing, Kaliumiodid reagiert und somit als starkes Bleich- und Desinfektionsmittel fungiert. In hochkonzentrierter Form ist es sowohl als Einzel- als auch als Komponentenraketentreibstoff einsetzbar.

Geschichte

Wasserstoffperoxid wurde zum ersten Mal 1818 von Louis Jacques Thénard durch Reaktion von Bariumperoxid mit Salpetersäure dargestellt.[8] Das Verfahren wurde zunächst durch den Einsatz von Salzsäure, dann von Schwefelsäure verbessert. Diese eignet sich besonders gut, da das Nebenprodukt Bariumsulfat dabei ausfällt. Thénards Verfahren wurde vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts benutzt.[9]

Lange Zeit glaubte man, dass reines Wasserstoffperoxid instabil sei, da Versuche, es vom bei der Herstellung anfallenden Wasser zu trennen, scheiterten. Dies war der Tatsache geschuldet, dass Festkörperspuren und Schwermetallionen zu einem katalytischen Abbau oder gar zu einer Explosion führen. Absolut reines Wasserstoffperoxid wurde erstmals 1894 von Richard Wolffenstein per Vakuumdestillation gewonnen.[10]

Gewinnung und Darstellung

Früher wurde Wasserstoffperoxid hauptsächlich durch Elektrolyse von Schwefelsäure hergestellt. Dabei bildet sich Peroxodischwefelsäure, die dann wieder zu Schwefelsäure und Wasserstoffperoxid hydrolysiert wird.

$ \mathrm {1.)\ 2\ SO_{4}^{2-}\longrightarrow S_{2}O_{8}^{2-}+2\ e^{-}} $
$ \mathrm {2.)\ S_{2}O_{8}^{2-}+2\ H_{2}O\longrightarrow H_{2}O_{2}+2\ HSO_{4}^{-}} $

Heute wird Wasserstoffperoxid technisch durch das Anthrachinon-Verfahren hergestellt. Dazu wird Anthrahydrochinon mit Luftsauerstoff unter Druck zu Wasserstoffperoxid und Anthrachinon umgesetzt. Anthrachinon kann im nächsten Schritt erneut mit Wasserstoff zum Anthrahydrochinon reduziert werden. Die Bruttogleichung lautet:

$ \mathrm {H_{2}+O_{2}\longrightarrow H_{2}O_{2}} $

Im Labormaßstab wird Wasserstoffperoxid auch bei der Behandlung von Peroxiden mit Säuren hergestellt. Ein historisch wichtiges Reagenz ist Bariumperoxid, das in einer schwefelsauren Lösung zu Wasserstoffperoxid und Bariumsulfat reagiert.

$ \mathrm {BaO_{2}+2\ H^{+}+SO_{4}^{2-}\longrightarrow H_{2}O_{2}+BaSO_{4}} $

Die molaren Bildungsenthalpien betragen:

  • ΔfH0gas: −136,11 kJ/mol
  • ΔfH0liq: −188 kJ/mol
  • ΔfH0sol: −200 kJ/mol

Eigenschaften

Physikalische Eigenschaften

Die Verbindung ist mit Wasser in jedem Verhältnis mischbar. Obwohl die Schmelzpunkte der reinen Komponenten relativ ähnlich sind, werden in Mischungen signifikant niedrigere Schmelzpunkte beobachtet. Dabei wird ein definiert bei -52.1 °C schmelzendes Dihydrat (H2O2·2H2O) gefunden.[11] Dieses bildet mit den Reinstoffkomponenten zwei Eutektika bei einem Wasserstoffperoxidgehalt von 45.2 Ma% mit -52.4 °C und von 61,2 % mit -56,5 °C.[11] Wasserstoffperoxid und Wasser bilden kein azeotrop siedendes Gemisch.[12]

Binäres Fest-flüssig-Phasendiagramm

Das H2O2-Molekül ist hinsichtlich der beiden O–O–H- Ebenen gewinkelt (Diederwinkel = 90,2±0.6°).[13] Die O–O-Bindungslänge beträgt 145,3±0,7 pm, die O–H-Bindungslänge 99,8±0,5 pm sowie der O–O–H-Bindungswinkel 102,7±0,3°.[13] In flüssiger Phase werden wie beim Wasser Wasserstoffbrücken gebildet. Die gewinkelte Struktur und geänderte Wasserstoffbrückenstruktur führt zu einer im Vergleich zu Wasser wesentlich höheren Dichte und etwas höheren Viskosität.

Physikalische Eigenschaften von wässrigen Wasserstoffperoxidlösungen[12].
H2O2-Konzentration (in Ma%) 0 35 50 70 90 100
Dichte (in g·cm−3) 0 °C 0,9998 1,1441 1,2110 1,3071 1,4136 1,4700
20 °C 0,9980 1,1312 1,1953 1,2886 1,3920 1,4500
25 °C 0,9971 1,1282 1,1914 1,2839 1,3867 1,4425
Viskosität (in mPa·s) 0 °C 1,792 1,82 1,87 1,93 1,88 1,819
20 °C 1,002 1,11 1,17 1,23 1,26 1,249

Wasserstoffperoxid ist eine sehr schwache Säure. In Wasser stellt sich das folgende Gleichgewicht ein:

$ \mathrm {H_{2}O_{2}+H_{2}O\rightleftharpoons \ H_{3}O^{+}+HO_{2}^{-}} $

Die Säurekonstante beträgt KS = 1,6·10−12 bzw. pKS = 11,8.[14]

Chemische Eigenschaften

Wasserstoffperoxid neigt dazu, in Wasser und Sauerstoff zu zerfallen. Insbesondere bei hochkonzentrierten Lösungen und bei Kontakt mit Metalloberflächen beziehungsweise der Gegenwart von Metallsalzen kann eine spontane Zersetzung erfolgen. Dabei wird eine Energie von 98,02 kJ/mol freigesetzt[2]:

$ \mathrm {2\ H_{2}O_{2}\longrightarrow 2\ H_{2}O+O_{2}} $
Disproportionierung zweier Moleküle Wasserstoffperoxid zu Wasser und Sauerstoff.

Diese Zersetzungsreaktion wird unter anderem durch Mn2+- (siehe Nachweis) oder andere Schwermetallionen, I- und OH-Ionen katalysiert. Daher werden H2O2-Lösungen im Handel mit Stabilisatoren (unter anderem Phosphorsäure) versetzt. Es ist ein starkes Oxidationsmittel. Unter Verminderung der Oxidationsstufe von −I auf −II entstehen als Reaktionsprodukte nur Wasser und Sauerstoff. Schwer abzutrennende oder störende Nebenprodukte fallen nicht an, was seine Anwendung im Labor vereinfacht.

Abhängig von der Lage beider Redox-Potentiale kann H2O2 auch als Reduktionsmittel wirken, so wird das MnVII (im Kaliumpermanganat) reduziert.

Wasserstoffperoxid ist eine sehr schwache Säure; seine anorganischen Salze und organischen Ester sind die Hydroperoxide und Peroxide.

Physiologie

Wasserstoffperoxid wirkt stark ätzend, besonders als Dampf. Falls man Wasserstoffperoxid auf die Haut bekommt, sollte man die Stelle mit Wasser gut spülen (Verdünnung), oder zumindest sofort von der Haut entfernen. Dringt es in die Haut ein, so zersetzt es sich dort rasch, und die entstehenden Sauerstoffbläschen lassen die Haut weiß erscheinen.

Allgemein wirkt Wasserstoffperoxid zytotoxisch und durch seine starke Toxizität gegenüber vielen prokaryotischen Kleinstlebewesen desinfizierend.

Wasserstoffperoxid entsteht bei zahlreichen biochemischen Prozessen. Im biologischen Kreislauf entsteht es durch die oxidative Metabolisierung von Zucker. Der Organismus schützt sich gegen seine toxische Wirkung mittels EnzymenKatalasen, Peroxidasen, die es wieder zum ungiftigen O2 und H2O zersetzen.

Die weibliche Eizelle produziert nach der Befruchtung durch ein Spermium kurzzeitig Wasserstoffperoxid in geringer Konzentration, um andere Spermien abzutöten.

Zudem stellt Wasserstoffperoxid ein Signalmolekül für die Induktion der pflanzlichen Abwehr von Pathogenen dar (Aspekt der Zytotoxizität).

Verwendung

Hochkonzentrierte Lösungen von Wasserstoffperoxid können sich spontan unter Explosion zersetzen, daher sind im Handel maximal 3-prozentige Lösungen in Wasser frei erhältlich. Um höhere Konzentrationen anzukaufen, wird eine Endverbleibserklärung benötigt. Für den Industriebedarf gibt es Konzentrationen bis zu 70 Prozent H2O2 in Wasser.

Bleichmittel

Wasserstoffperoxid ist ein Bleichmittel. Weltweit die häufigste Anwendung ist das Bleichen von Zellstoff. Zellstoff wird aus Holz gewonnen, und das enthaltene Lignin gibt dem Zellstoff einen Gilbton, der bei der Hauptverwendung von Zellstoff für Papier und Papiererzeugnisse als störend empfunden wird.

Im Handwerk werden Hölzer bei der Restaurierung oder der Renovierung mit Wasserstoffperoxid gebleicht und dadurch aufgehellt.

Es kommt beim Blondieren, sowie Färben, Tönen und Intensivtönen und zur Fixierung von dauerhaften Umformungen (Dauerwelle und Volumenwelle) sowie zum Fixieren permanenter Glättung von Haaren zum Einsatz.

In der Zahnmedizin wird es in unterschiedlichen Konzentrationen zum Bleichen von Zähnen verwendet.

Häufig wird es als an Carbamid gebundenes Peroxid eingesetzt.

Wasserstoffperoxid und wasserstoffperoxidhaltige Bleichmittel, wie etwa ein Peroxyessigsäure-Wasserstoffperoxid-Gemisch, werden in der Werbesprache auch mit dem Kunstwort „Aktiv-Sauerstoff“ bezeichnet. Außer dem Wasserstoffperoxid kommen für Bleichzwecke auch andere Peroxide in Frage, die beim Zutritt von Wasser zerfallen und den aktiven (atomaren) Sauerstoff abgeben.

Auch bei der Tierpräparation wird es verwendet, um bei Tierschädeln den Knochen weiß zu bleichen.

Graufärbung von Haaren im Alter

Deutsche und britische Forscher gaben in einer Studie im März 2009 bekannt, dass die Graufärbung von Haaren im Alter Folge eines geringeren Abbaus von Wasserstoffperoxid in den Haaren ist. Man konnte im Laborversuch zeigen, dass Wasserstoffperoxid die Funktion des für die Melaninproduktion notwendigen Enzyms Tyrosinase durch Oxidation der in der Tyrosinase enthaltenen Aminosäure Methionin behindert.[15]

Wasseraufbereitung

Bei der Einwirkung von UV-Strahlen auf Wasserstoffperoxid wird das Hydroxyl-Radikal, ein wesentlich stärkeres Oxidationsmittel als das Peroxid selbst, gebildet. Nachfolgend die Gleichung für die Bildung:

$ \mathrm {HOOH\ {\xrightarrow {UV-Licht}}\ 2\ {\cdot }OH} $

Diese starke Oxidationswirkung wird in der Wasseraufbereitung zum Abbau organischer Verunreinigungen verwendet. Als Beispiel, das sogenannte UVOX-Verfahren (UV-Licht und OXidation), mit dem das Herbizid Atrazin und sein Abbauprodukt Desethylatrazin oder auch andere toxische Inhaltsstoffe aus dem Trinkwasser sicher entfernt werden können[16] Durch diese „nasse Verbrennung“ des Atrazin werden nur Abbauprodukte wie Wasser, Sauerstoff, Kohlenstoffdioxid und Stickstoff gebildet, und es tritt keine zusätzliche Aufsalzung des Wasser auf. Weiterhin ersetzt diese Methode die Verwendung von Aktivkohle, die deutlich kostenintensiver ist.

Desinfektion und Sterilisation

Eine dreiprozentige Lösung Wasserstoffperoxid wird zur Desinfektion, auch im Haushaltsbereich, eingesetzt. Einsatzbeispiele sind Mund- und Rachenraum (zur Mundspülung wird es auf 0,3 Prozent verdünnt), die Zahnmedizin, die Desinfektion von Kontaktlinsen in Reinigern, die Entkeimung von Packstoffen oder die Desinfektion der Hände in Krankheitsfällen. Demgemäß kommt es in Gesichtscremes zum Einsatz: zur Reinigung der Poren und der Bekämpfung von Pickeln und Hautverunreinigungen. Auch bei der Reinigung von industriellen Abwässern und in der Schwimmbadetechnik erfolgt damit die Desinfektion des Wassers.

Die 35-prozentige Lösung von Wasserstoffperoxid wird in der Lebensmittelindustrie in aseptischen Abfüllanlagen zur Sterilisation von PET-Flaschen, Kunststoffbehältern und den typischen mehrschichtigen Kartonverpackungen verwendet. Zahlreiche Lebensmittel (Getränke, Milch, Milchprodukte, Soßen, Suppen) werden heute zur besseren Haltbarkeit und Produktqualität in Kartons, Becher, Flaschen und Folien aseptisch abgepackt. Dabei wird das Verpackungsmaterial mit 35-prozentigem Wasserstoffperoxid desinfiziert, bevor das jeweilige Lebensmittel eingefüllt wird.

Ein weiteres Anwendungsgebiet ist der Einsatz von gasförmigem H2O2 zur Reinraumdekontamination. Dazu wird eine üblicherweise 35-prozentige Lösung in einem speziellen Apparat verdampft und in den zu dekontaminierenden Bereich (Raum, Kammer usw.) geblasen.

Die hohe bakterizide Wirkung von H2O2, die Umweltverträglichkeit und die gute technische Realisierbarkeit sind die Gründe für die weite Verbreitung dieses Verfahrens.

Sauerstoffzuführung

Wasserstoffperoxid kann in Aquarien zum Zuführen von Sauerstoff benutzt werden. Die Sauerstofferzeugung geschieht in einem Oxidator. Dazu wird in einem Gefäß im Aquarium Wasserstoffperoxid mit Hilfe eines Katalysators in Wasser und Sauerstoffradikale gespalten.

Gegen Schimmelbefall

Bei der Innenrenovierung kann Schimmelpilzbefall mit Wasserstoffperoxid bekämpft werden. Dabei wirkt es desinfizierend sowohl gegen die biologisch aktiven Pilzzellen (Fungizid) als auch gegen die Konidien (Fruchtkörper) der Schimmelpilze.

Durch die bleichende Wirkung entfernt es auch „optisch“ die Rückstände des Schimmelbelags von porösen Untergründen. Wasserstoffperoxid hat gegenüber Alkohol oder Chlorbleichlauge einige Vorteile, da es im Gegensatz zu Alkohol nicht brennbar ist, bleichende Wirkung hat und im Gegensatz zu Chlorbleichlauge keine chlorierten Nebenprodukte hinterlässt.

Medizin

In der Zahnmedizin wird H2O2 zur lokalen Desinfektion des Zahngewebes und zur Blutstillung bei kleineren Eingriffen verwendet. In der Medizin und Notfallmedizin kann die Substanz zur Desinfektion von Oberflächen, Instrumenten, Haut und Schleimhaut verwendet werden. Bei der Reinigung von Wunden kommt Wasserstoffperoxid heutzutage zwar noch vereinzelt zum Einsatz, hat aber seine traditionell bedingte Bedeutung inzwischen verloren, denn es wird innerhalb der Wunde schnell inaktiviert und entfaltet daher seine Wirkung nur kurz.[17]

Bei der Präparation von Knochen dient Wasserstoffperoxid zum Bleichen und Desinfizieren.

Seit geraumer Zeit wird ein Verfahren zum Sterilisieren von bestimmten Medizinprodukten und chirurgischen Instrumenten angewandt, in dem H2O2 als Prozesschemikalie Verwendung findet (H2O2-Plasmaverfahren). Besonders bei thermolabilen Produkten bringt es Vorteile gegenüber der Dampfsterilisation, da bei Raumtemperatur Wasserstoffperoxid bis zu einem Druck von 11 mbar verdampft wird.[18]

Zudem wird H2O2 zur Desinfektion von Piercings verwendet. Dort soll es die betroffenen Stelle desinfizieren und eine mögliche Blutung gerinnen lassen, wodurch ein schnellerer Heilprozess eintreten soll.

Landwirtschaft

In der Landwirtschaft wird Wasserstoffperoxid zur Desinfektion in Gewächshäusern und zur Sauerstoffanreicherung in Nährlösungen von Hydrokulturen benutzt. Wasserstoffperoxid wird auch zur Reinigung beziehungsweise Desinfektion und Hygienisierung von Tränkeleitungssystemen oder Stalleinrichtungen zum Beispiel in der Schweinehaltung verwendet.

Biologie

Für die Bestimmung von Bakterienkulturen wird der Katalase-Test mit dreiprozentiger Wasserstoffperoxidlösung durchgeführt. Die meisten aeroben und fakultativ anaeroben Bakterien wie auch Pilze haben das Enzym Katalase, welches imstande ist, das für die Zellen giftige H2O2 zu spalten.

Experimentell wird Wasserstoffperoxid in der Biologie zur Herbeiführung des programmierten Zelltodes von isolierten eukaryotischen Zellen genutzt.

Forensik

Wasserstoffperoxid wurde in der Forensik zum Nachweis von Blut verwendet. Louis Jacques Thénard entdeckte 1818, dass Hämoglobin Wasserstoffperoxid zersetzt. Christian Friedrich Schönbein entwickelte daraus 1863 einen Test auf Blut. Heute wird jedoch der empfindlichere Kastle-Meyer-Test zum Nachweis von Blut verwendet.

Ätzmittel

In der Mikroelektronik benutzt man das Gemisch von Schwefelsäure und Wasserstoffperoxid – „Piranha“ genannt – zur Reinigung der Oberfläche von Wafern und zur Erzeugung einer dünnen, etwa drei bis vier Nanometer dicken hydrophilen Oxidschicht auf den Wafern. Heutzutage ist die Bezeichnung „SPM“ (Sulfuric Peroxide Mixture) geläufiger. Die Hauptanwendung ist das Entfernen von Fotolacken.

Bei der Herstellung von gedruckten Leiterplatten (Platinen) werden Kupferchlorid-Ätzbäder zum Entfernen des Kupfers verwendet:

$ \mathrm {Cu+CuCl_{2}\longrightarrow 2\ CuCl} $.
Elementares Kupfer reagiert mit Kupfer(II)-chlorid zu Kupfer(I)-chlorid. Es handelt sich hierbei um eine Komproportionierung.

Zur Regeneration der Kupferchlorid-Ätzbäder wird Wasserstoffperoxid zusammen mit Salzsäure eingesetzt:

$ \mathrm {2\ CuCl+2\ HCl+H_{2}O_{2}\longrightarrow 2\ CuCl_{2}+2\ H_{2}O} $.
Durch Reaktion des Kupfer(I)-chlorid mit Wasserstoffperoxid und Salzsäure wird das Kupfer(II)-chlorid regeneriert. Das Kupferatom wird dabei oxidiert.

Dabei werden die Wasserstoffperoxid- und Salzsäurezugabe über das Redoxpotential gesteuert.

Raketen-/Torpedotriebwerke

Als Sauerstofflieferant wird H2O2 durch Zersetzung (vorzugsweise über Braunstein) in U-Booten eingesetzt. In konzentrierter Form kam es bei Raketenantrieben bei Max Valier und der Messerschmitt Me 163 zum Einsatz, außerdem bei U-Boot-Antrieben (Walter-U-Boot). Mit Hilfe von Kaliumpermanganat zersetztes Wasserstoffperoxid wurde als Treibgas für die Treibstoffpumpen (500 PS Leistung) der A4 verwendet.

In britischen Raketen (z. B. Black Arrow) wurde unzersetztes 85-prozentiges Wasserstoffperoxid als bei Normaltemperatur flüssiger Sauerstoffträger benutzt und mit Kerosin verbrannt, mit dem es hypergolisch reagierte.[19]

Eine der Thesen zum Untergang des russischen Atom-U-Boots K-141 Kursk im Jahre 2000 besagte, dass Wasserstoffperoxid aus einem Tank eines Torpedos drang und nach Reaktion mit Kupferteilen den Torpedo sprengte.

Ein derartiges Treibstoffgemisch (85–98 % Wasserstoffperoxid) für Raketen und Torpedos wird im Englischen auch als HTP (High Test Peroxide) bezeichnet.

Zersetzungsgefahr

Wasserstoffperoxid neigt zu unkontrollierter Zersetzung. So starben am 16. Juli 1934 Kurt Wahmke und zwei Techniker in Kummersdorf bei der Explosion eines mit Wasserstoffperoxid betriebenen Triebwerkes. Aufgrund der Gefährlichkeit in Einsatz und Handhabung (Ätzwirkung, unkontrollierte Zersetzung, Explosion bei Verunreinigungen in Tank und Leitungssystem) ist der Gebrauch heute auf Kleinraketentriebwerke (Rekordversuche, Steuertriebwerke) beschränkt.

Brandgefahr kann in geeigneter Verbindung mit Eisenspänen und Putzlappen entstehen, die Unfallverhütungsvorschriften schreiben deshalb Vorsichtsmaßnahmen bei der Prozesswasseraufbereitung in metallverarbeitenden Betrieben vor.

Sprengstoffherstellung

Durch die Peroxidgruppe ist die Verbindung energiereich und zerfällt unter Sauerstofffreigabe. Wasserstoffperoxid reagiert in Anwesenheit eines geeigneten Katalysators mit Aceton zu Acetonperoxid, das ein Triaceton-Triperoxid ist und als Sprengstoff mit TATP bezeichnet wird. Unter Verwendung von Wasserstoffperoxid wird auch der Sprengstoff Hexamethylentriperoxiddiamin (HMTD) hergestellt.

Analytik

Klassische qualitative und quantitative Analytik

Diese klassischen Methoden verlieren wegen ihrer geringen Nachweisgrenzen und ihrer Umständlichkeit ihre Bedeutung in der Laborpraxis.

Nachweis als blaues Chromperoxid (CrO(O2)2)

Chromtrioxid CrO3 wird im stark sauren Bereich (pH<0) durch Wasserstoffperoxid zum tiefblau gefärbten und etherlöslichen Chromperoxid umgesetzt. Dazu wird Kaliumdichromat im Reagenzglas mit verdünnter Schwefelsäure angesäuert und mit etwas Ether überschichtet. Bei Anwesenheit von H2O2 färbt sich die Etherphase bläulich. Wegen der Verwendung giftiger und karzinogener Chrom(VI)-Verbindungen ist dieser Test heute nur noch von akademischem Interesse.

Nachweis als gelbes Peroxotitanyl(IV)-Ion

Der Nachweis als Titangelb (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen organischen Reagenz) ist sehr empfindlich. Titan(IV)-Ionen reagieren mit Spuren von Wasserstoffperoxid zu intensiv orangegelb gefärbten Peroxotitanyl-Komplexionen.

Redox-Titration mit Kaliumpermanganat

Die Konzentration von Wasserstoffperoxid in schwefelsaurer, wässriger Lösung kann mit Kaliumpermanganat titrimetrisch ermittelt werden. Ist stattdessen Salzsäure vorhanden, wird Reinhardt-Zimmermann-Lösung hinzugefügt. Der Titration liegt folgende Reaktion zu Grunde:

$ \mathrm {2\ MnO_{4}^{-}\ +\ 5\ H_{2}O_{2}\ +\ 6\ H^{+}\longrightarrow \ 2\ Mn^{2+}\ +\ 5\ O_{2}\ +\ 8\ H_{2}O} $

Der Farbumschlag erfolgt von farblos bis zur schwachen Rosafärbung, die für eine Minute bestehen bleiben sollte. Der Verbrauch von 1 ml KMnO4-Lösung (0,1 mol/l) entspricht 1,701 mg H2O2. Auf diesem Weg können auch Verbindungen titriert werden, die in schwefelsaurer Lösung H2O2 abspalten, wie Peroxide, Perborate oder Percarbonate.[20]

Nachweis mit Iodidstärke-Papier

Iodid-getränktes und stärkehaltiges Filterpapier zeigt bereits geringe Peroxidmengen durch Blaufärbung an. Hierbei oxidiert das Peroxid das Iodid zu Iod, das wiederum mit Stärke zusammen einen charakteristischen blauen Komplex bildet.

Instrumentelle quantitative Analytik

Optische Methoden

Photometrie

Das Oxidationsvermögen von H2O2 ermöglicht eine Vielzahl von (zum Teil enzymatisch katalysierten) chromogenen Reaktionen. Dadurch sind photometrische oder reflektometrische Bestimmungen von H2O2 möglich. Eine der bewährtesten Oxidationsreaktionen ist die „Trinder-Reaktion“ von Phenol mit 4-Aminoantipyrin zu einem violetten Farbstoff. Die Absorbanz ist proportional zur Analytkonzentration und kann bei 510 Nanometer gemessen werden.[21] Chemische Modifikationen der Reagenzien erlauben auch eine Messung bei Wellenlängen von 550 und 750 Nanometer. Mit dieser Methode konnte eine Nachweisgrenze von 1 µmol erzielt werden.[22]

Fluorometrie

Eine der wohl wichtigsten Nachweismethoden für Wasserstoffperoxid ist die Peroxidase-katalysierte Oxidation von Amplex Red durch H2O2 zu Resorufin. Resorufin zeigt nach Anregung bei 535 Nanometer eine deutliche Fluoreszenz bei 590 Nanometer, während Amplex Red nicht fluoresziert. Die Wasserstoffperoxidkonzentration kann so mit einer Nachweisgrenze von 5 nmol/l bestimmt werden.[23]

Amperometrische Sensorik

Amperometrische Sensoren zum Nachweis von Wasserstoffperoxid sind schon länger bekannt. Das Messprinzip beruht darauf, dass Wasserstoffperoxid an einer Arbeitselektrode bei einem konstanten Potential entweder kathodisch reduziert oder anodisch oxidiert wird[24] Der resultierende Strom ist dabei proportional zur Konzentration des H2O2. Das Potential für die kathodische Reduktion liegt meist zwischen −100 und –200 mV und das Potentialfenster für die anodische Oxidation reicht von 600 bis 800 mV bezogen auf eine Ag/AgCl-Referenzelektrode.[25]

Ein weiterer Ansatz ist die Immobilisierung von Enzymen (etwa der Meerrettich-Peroxidase) auf einer Kompositschicht aus Kohlenstoffnanoröhren und Chitosan.[26] Mit diesen Biosensoren wurde eine Nachweisgrenze von 10,3 µmol/l erzielt.[27] Eine zunehmend wichtigere Rolle spielen biomimetische, nichtenzymatische Sensoren auf Basis von magnetischen Eisenoxid-Nanopartikeln. Diese übernehmen die katalytische Funktion der Peroxidase und ermöglichen eine Nachweisgrenze von 3,6 µmol/l[28][29] Weitere Sonden bedienen sich so genannter Mn-NTA-Nanodrähte (Mangan-Nitrilotriacetat-Komplex), welche amperometrisch die elektrochemische Oxidation des Wasserstoffperoxids verfolgen. Es wurde eine Nachweisgrenze von 0,2 µmol/l beschrieben.[30]

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,00 1,01 1,02 1,03 1,04 1,05 1,06 1,07 1,08 1,09 1,10 1,11 Eintrag zu Wasserstoffperoxid in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 16. November 2007 (JavaScript erforderlich).
  2. 2,0 2,1 Thieme Chemistry (Hrsg.): Eintrag zu Wasserstoffperoxid im Römpp Online. Version 3.29. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2012, abgerufen am 1. Juli 2012.
  3. 3,0 3,1 D'Ans-Lax: Taschenbuch für Chemiker und Physiker, 3. Auflage, Band 1, Springer-Verlag, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1967 (ChemieOnline – pKb- und pKs-Werte), abgerufen am 27. April 2012.
  4. 4,0 4,1 Eintrag aus der CLP-Verordnung zu CAS-Nr. 7722-84-1 in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA (JavaScript erforderlich)
  5. Datenblatt Hydrogen peroxide solution bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 25. April 2011.
  6. Seit 1. Dezember 2012 ist für Stoffe ausschließlich die GHS-Gefahrstoffkennzeichnung zulässig. Bis zum 1. Juni 2015 dürfen noch die R-Sätze dieses Stoffes für die Einstufung von Zubereitungen herangezogen werden, anschließend ist die EU-Gefahrstoffkennzeichnung von rein historischem Interesse.
  7. PAETEC-Formelsammlung Ausgabe 2003, S. 116.
  8. Louis Jacques Thénard in: Annales de chimie et de physique. 8, 1818, S. 308.
  9. Craig W. Jones: Applications of Hydrogen Peroxide and Deriatives. Royal Society of Chemistry, Cambridge 1999, ISBN 978-1-84755-013-2.
  10. Richard Wolffenstein: Concentration und Destillation von Wasserstoffsuperoxyd. In: Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. 27, Nr. 3, 1894, S. 3307–3312, doi:10.1002/cber.189402703127.
  11. 11,0 11,1 Foley, W.T.; Giguere, P.A.: Hydrogen peroxide and its analogues II. Phase equilibrium in the system hydrogen peroxide-water in Can. J. Chem. 29 (1959) 123–132, doi:10.1139/v51-016, pdf.
  12. 12,0 12,1 Goor, G.; Glenneberg, J.; Jacobi, S.: Hydrogen peroxide in Ullmann's Encoclopedia of Industrial Chemistry, 2007 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim, doi:10.1002/14356007.a13 443.pub2.
  13. 13,0 13,1 Busing, W.R.; Levy, H.A.: Crystal and Molecular Structure of Hydrogen Peroxide: A Neutron‐Diffraction Study in J. Chem. Phys. 42 (1965) 3054–3059, doi:10.1063/1.1696379.
  14. L. Kolditz: Anorganische Chemie, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1983, S.459.
  15. J. M. Wood u. a.: Senile hair graying: H2O2-mediated oxidative stress affects human hair color by blunting methionine sulfoxide repair. In: The FASEB Journal. 23, Nr. 7, S. 2065–2075, doi:10.1096/fj.08-125435.
  16. K. H. Pettinger, B. Wimmer, D. Wabner: Atrazinentfernung aus Trinkwasser durch UV-aktiviertes Wasserstoffperoxid. In: Das Gas- und Wasserfach. Ausgabe Wasser, Abwasser. 132, Nr. 10, 1991, S. 553–557.
  17. Vasel-Biergans, Probst: Wundversorgung für die Pflege, wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart (2011), Stuttgart 2. Aufl., S. 157.
  18. Deutscher Bundestag – Drucksache 13/1049 vom 4. April 1995
  19. Bernd Leitenberger: Von der Diamant zur Ariane 4. Europas steiniger Weg in den Orbit. Books on Demand, Norderstedt 2009, ISBN 3-83709591-6 (Europäische Trägerraketen. Band 1), S. 63–64.
  20. Jander/Jahr: Maßanalyse, 15. Auflage, de Gruyter, Berlin 1989, S. 168.
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