Acetonperoxid

Acetonperoxid

Strukturformel
Acetone Peroxides Structural Formulae V.1.svg
Dimer (oben) und Trimer (unten)
Allgemeines
Name Acetonperoxid
Andere Namen
  • trimeres Acetonperoxid
  • dimeres Acetonperoxid
  • Triacetontriperoxid (TATP)
  • Tricycloacetonperoxid (TCAP)
  • IUPAC: 3,3,6,6-Tetramethyl- 1,2,4,5-tetraoxan (Dimer)
  • IUPAC: 3,3,6,6,9,9-Hexamethyl- 1,2,4,5,7,8-hexaoxonan (Trimer)
  • 3,3,6,6,9,9-Hexamethyl- 1,2,4,5,7,8-hexaoxacyclononan
  • Acetonperoxyd (APEX)
Summenformel
  • C6H12O4 (Dimer)
  • C9H18O6 (Trimer)
CAS-Nummer
  • 1073-91-2 (Dimer)
  • 17088-37-8 (Trimer)
Kurzbeschreibung

farblose monokline Kristalle mit „würzigem“ Geruch[1]

Eigenschaften
Molare Masse
  • 222,24 g·mol−1 (Trimer)
Aggregatzustand

fest

Dichte

1,22 g·cm−3[1]

Schmelzpunkt

91 °C (Trimer)[2][3]

Dampfdruck
  • 6,46 Pa (30 °C, Trimer)[3]
  • 45,53 Pa (50 °C, Trimer)[3]
Löslichkeit
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [4]
keine Einstufung verfügbar
H- und P-Sätze H: siehe oben
P: siehe oben
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
Vorlage:Infobox Chemikalie/Summenformelsuche vorhanden

Acetonperoxid (auch bekannt als APEX oder TATP) ist ein hochexplosiver Stoff mit der Schlagempfindlichkeit eines Initialsprengstoffs.

Wie die meisten organischen Peroxide ist auch Acetonperoxid instabil und kann durch Stoß, Wärme oder Reibung zerfallen und heftig detonieren, ist aber im Unterschied zu weniger gefährlichen Peroxiden wie Dibenzoylperoxid viel empfindlicher gegen Schlag und Wärme.

Man unterscheidet dimeres, trimeres und tetrameres Acetonperoxid, welche unter unterschiedlichen Bedingungen (z. B. in Abhängigkeit vom benutzten Katalysator) gebildet werden.

Alle Acetonperoxide sind hochexplosiv und bergen dadurch ein hohes Gefahrenpotenzial. Acetonperoxid sollte nach ersten Angaben der Sicherheitsbehörden (von APEX war in späteren Stellungnahmen keine Rede mehr) bei den Anschlägen auf Londoner Flugzeuge im Jahr 2006 verwendet werden; allerdings ist es unwahrscheinlich, dass es den Terroristen gelungen wäre, den Sprengstoff rechtzeitig zu trocknen.

Ebenfalls zum Einsatz kommen sollte es bei den geplanten Anschlägen der sogenannten "Sauerland-Gruppe", die zu diesem Zweck größere Mengen Wasserstoffperoxid zu kaufen versuchte.[5]

Acetonperoxid ist nach dem SprengG als explosionsgefährlich eingestuft und wurde der Stoffgruppe A zugeordnet.[6]

Eigenschaften

Acetonperoxidkristalle

Bildung

Trimeres Acetonperoxid (Schmelzpunkt 97 – 131,5 °C) entsteht bei Einwirken von Wasserstoffperoxid auf Aceton in Gegenwart verdünnter Säuren als Katalysator:[7][8]

Bildung von trimerem Acetonperoxid aus Aceton und Wasserstoffperoxid.

Bei Anwesenheit von Salzsäure, Schwefelsäure oder Phosphorsäure verlaufen die Reaktionen, in Abhängigkeit wie viel von dem Katalysator beigemengt wurde, stark exotherm (Explosionsgefahr). Bei mangelnder Kühlung entsteht bei der Reaktion mit Salzsäure unter Kochen das Tränengas Chloraceton.

Die Herstellungsmöglichkeit des dimeren Produktes besteht in der Umsetzung von Aceton mit Peroxomonoschwefelsäure (Carosche Säure)[9] und die Oxidation von Diisopropylether durch Luftsauerstoff oder bei einer Ozonolyse. Bei unsachgemäßer Lagerung von Diisopropylether kann daher Acetonperoxid entstehen. Zur Vernichtung solcher Peroxide werden Kupfer(I)-Verbindungen zur Reduktion eingesetzt.

Tetrameres Acetonperoxid wurde vor wenigen Jahren in obiger Reaktion bei Verwendung von Lewis-Säuren als Katalysator gewonnen.[10]

Acetonperoxid kann in erheblichen Mengen beim bloßen Vermischen von Aceton mit Wasserstoffperoxid-haltigen Lösungen nach mehrtägiger Lagerung des Gemischs entstehen. So entdeckte es der Berliner Chemiker Richard Wolffenstein bereits 1895.[7]

Besondere Gefahren

Acetonperoxid ist wie andere ähnlich gebaute Peroxide äußerst explosiv.

Trimeres Acetonperoxid sublimiert schon bei 14–18 °C, also unterhalb der Raumtemperatur, und detoniert feucht noch bei einem Wassergehalt von 25 %. Bei Raumtemperatur und etwa Lagerung in einem geschlossenen Gefäß bilden sich durch die Sublimation des Acetonperoxids im Bereich des Gefäßverschlusses schnell kleine Kristalle aus, die schon durch die Reibung beim Öffnen des Gefäßes zur Detonation führen können. Das bloße Zerbrechen der feinen Kristalle im Verschlussbereich wird dann eine Explosion des gesamten Gefäßinhaltes auslösen. Da aus demselben Grund die Acetonperoxid-Kristalle generell nicht stabil sind, können jederzeit Kristallbrüche entstehen (durch Temperatur- und Lichtunterschiede etwa), die "völlig unmotiviert" zu einer spontanen Explosion des gesamten Gefäßinhaltes führen können.

Die Sprengkraft von Acetonperoxid liegt, je nach Testmethode, bei 80–100 % der Sprengkraft von Trinitrotoluol (TNT). Bei der Explosion von Acetonperoxid entstehen die für die Sprengwirkung verantwortlichen Gasmoleküle ohne die bei vielen Sprengstoffen übliche Hitzeentwicklung.[11]

Bereits bei 130 °C kann es sich explosionsartig zersetzen. Bei erhöhten Lagertemperaturen zersetzt es sich innerhalb weniger Stunden. Bei direkter Berührung eines Kristalls mit einer Flamme erfolgt jedoch nur eine relativ harmlose Verpuffung.

In einem Fallhammerversuch mit einem 1 kg-Fallhammer (üblich sind bei normalen Sprengstoffen Untersuchungen mit einem 2 kg-Fallhammer) detoniert es bei Schlag aus nur 3 cm Höhe.

APEX unterliegt dem Sprengstoffrecht (insbesondere der Erlaubnispflicht des § 27 Sprengstoffgesetz,[12]) sofern keine Ausnahmen nach der 1. Verordnung zum Sprengstoffgesetz für Forschung und Lehre greifen.

Als chemisches Experiment wird an Schulen und Universitäten gelegentlich das Erhitzen feuchten trimeren Acetonperoxids im Milligramm-Bereich frei auf einer stabilen Eisenplatte bis zum Detonieren des Peroxids vorgeführt. Alternativ kann auf Hexamethylentriperoxiddiamin (HMTD) ausgewichen werden, das bei geringerer Schlagempfindlichkeit und fehlender Tendenz zur Sublimation den gleichen didaktischen Vorführungswert hinsichtlich der Detonation hat. Auf Grund der Handhabungsunsicherheit von Acetonperoxid und HMTD sowie der teils problematischen Vernichtung von Restmengen sind beide Stoffe für Lehrversuche jedoch generell nicht zu empfehlen.

Acetonperoxid lässt sich mit herkömmlichen, auf Nitroverbindungen empfindlichen Sprengstoffdetektoren, nicht detektieren.

Geschichte

Acetonperoxid wurde im Jahre 1895 von Richard Wolffenstein an der Technischen Hochschule Berlin bei der Untersuchung der Oxidation von Coniin mit Wasserstoffperoxid in Aceton als Lösungsmittel zufällig entdeckt.[7] Ein Herstellungsverfahren für Acetonperoxid wurde von ihm im Jahre 1895 unter der Nummer D.R.P. 84953 in Deutschland zum Patent angemeldet. Baeyer und Villiger publizierten im Jahre 1899 und 1900 einige Artikel über die Bildung dimeren und trimeren Acetonperoxids. Im Jahre 1925 wurde es zwar unter der Nummer D.R.P. 423,176 in Deutschland und verschiedenen anderen Ländern von den Sprengstoffwerken Dr. R. Nahnsen & Co. AG, Hamburg als angeblich sicherer und stabiler Initialsprengstoff zum Patent angemeldet, aber die extreme Schlagempfindlichkeit, Flüchtigkeit (6,5 % in 24 h bei 14–18 °C) und mangelnde Stabilität verhinderten jedoch jegliche praktische Nutzung (vgl. Rohrlich/Sauermilch) aufgrund der großen Gefährlichkeit.

A. E. Thiemann schlug im Jahre 1942 die Nutzung von Acetonperoxid als Zusatz zur Verbesserung der Zündwilligkeit des Dieselkraftstoffs vor.

Acetonperoxid sorgte immer wieder aufgrund unbeabsichtigter Bildung für spektakuläre Arbeitsunfälle, so z. B. 2001 in einem Labor an der Universität Bonn, wo ein 55-Liter-Abfallfass mit Chemikalienabfällen gefüllt wurde, die Acetonperoxid bilden konnten. Allerdings erfolgte hier kein Nachweis, ob tatsächlich eine Peroxidbildung erfolgt war.[13][14]

Bei einem geplanten Anschlag auf mehrere Flugzeuge während des Fluges in die USA, der am 10. August 2006 in London verhindert werden konnte, sollte möglicherweise Acetonperoxid verwendet werden.[15] Die Attentäter hätten die Rohstoffe (Aceton und Wasserstoffperoxid) in flüssiger Form in Trinkgefäßen in die Flugzeuge schleusen und dort den Sprengstoff ohne weiteren Katalysator herstellen können.[15] Die Praktikabilität eines solchen Unterfangens wird von Experten jedoch bezweifelt[16] Ohne Säurekatalyse erfolgt allerdings erst nach mehrtägigem Stehen der Mischung aus Aceton und Wasserstoffperoxid eine Reaktion, wie schon Wolffenstein 1895 nachweisen konnte;[7] es wäre also zusätzlich noch eine Säure benötigt worden. Auch müsste das Peroxid nach der Herstellung von der Lösung abfiltriert werden. Die nachfolgende nötige Trocknung würde mehrere Stunden auf dem Filter dauern. Somit ist die „Flugzeugvariante“ in dieser Ausführung sehr unwahrscheinlich. Ebenso sollte es angeblich in sehr großer Menge (700 kg) bei einem Attentatsversuch in Deutschland verwendet werden. Die tatsächliche Durchführbarkeit dieses Plans ist jedoch sehr kritisch zu sehen. Die extreme Empfindlichkeit des Stoffes verhindert einen tatsächlichen Einsatz wirksam.

Acetonperoxid kann am besten in Aceton und unter dessen Lösungsvermittlung in Diesel oder Biodiesel eingebracht werden. Aber auch die Löslichkeit in Aceton ist beschränkt und dürfte die 25 % nicht überschreiten. In Dieselkraftstoff oder Pflanzenöl erhöht es die Cetanzahl. Da es preisgünstigere und ungefährlichere Lösungen gibt, wird es für diesen Zweck nicht verwendet.

Trivia

Acetonperoxid lässt sich leicht aus Haushaltsreinigern zusammenmischen und ist deshalb wiederholt Thema von Kriminalromanen und -filmen.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 Thieme Chemistry (Hrsg.): RÖMPP Online - Version 3.5. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2009.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 J. Köhler, R. Meyer, A. Homburg: Explosivstoffe. 10., vollständig überarbeitete Auflage. Wiley-VCH, 2008, ISBN 978-3-527-32009-7.
  3. 3,0 3,1 3,2 H. Félix-Rivera, M.L. Ramírez-Cedeño, R.A. Sánchez-Cuprill, S.P. Hernández-Rivera: Triacetone triperoxide thermogravimetric study of vapor pressure and enthalpy of sublimation in 303–338 K temperature range. In: Thermochim. Acta. 514 (2011), S. 37–43, doi:10.1016/j.tca.2010.11.034.
  4. Diese Substanz wurde in Bezug auf ihre Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  5. Sauerland-Terrorprozess: "Ramstein hört sich gut an". In: Süddeutsche Zeitung. 5. Mai 2009.
  6. Feststellungsbescheid Nr 413 der BAM.
  7. 7,0 7,1 7,2 7,3 R. Wolffenstein: Ueber die Einwirkung von Wasserstoffsuperoxyd auf Aceton und Mesityloxyd. In: Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. 28 (1895), S. 2265–2269, doi:10.1002/cber.189502802208.
  8. Bayer u. a., 1900.
  9. R. W. Murray, R. Jeyaraman: Dioxiranes - Synthesis and Reactions of Dioxiranes. In: Journal of Organic Chemistry. Washington 50.1985,16, S. 2847–2853, ISSN 0022-3263.
  10. Heng Jiang, Gang Chu, Hong Gong, Qingdong Qiao: Tin Chloride Catalysed Oxidation of Acetone with Hydrogen Peroxide to Tetrameric Acetone Peroxide. In J. Chem. Res. (S), 1999, S. 288–289, doi:10.1039/a809955c.
  11. Faina Dubnikova, Ronnie Kosloff, Joseph Almog, Yehuda Zeiri, Roland Boese, Harel Itzhaky, Aaron Alt, Ehud Keinan: Decomposition of Triacetone Triperoxide Is an Entropic Explosion JACS, 2005, 127 (4), S. 1146-1159 doi:10.1021/ja0464903.
    Populärwissenschaftlich aufgearbeitet im Deutschlandfunk: Peter Podjavorsek: Detektionsverfahren für Plastiksprengstoff
  12. Sprenggesetz 1976, Neufassung vom 10. September 2002.
  13. Armin Himmelrath: Explosive Universität Bonn - Die GSG-9 und das blaue Fass. Spiegel online, 22. September 2001 (abgerufen 20. August 2012).
  14. Giftabfälle.
  15. 15,0 15,1 Heise Newsticker.
  16. Markus Becker: Flüssigsprengstoff: Höllenstoff in Flaschen. Spiegel Online, 10. August 2006, abgerufen am 23. Mai 2012.

Literatur

  • Richard Escales: Initialexplosivstoffe. Survival Press, Radolfzell 2002, ISBN 3-8311-3939-3.
  • Deutsche Chemische Gesellschaft (Hrsg.): Beilsteins Handbuch der organischen Chemie. Hrsg. v. Beilstein-Inst. für Literatur der Organ. Chemie. 31 Bde. Springer, Berlin 1918-31 (4.Aufl.).
  • R. Wolffenstein, in: Berichte der deutschen Chemischen Gesellschaft. Friedländer, Berlin 28.1895, S. 2265, ISSN 0365-9496.
  • Tadeusz Urbanski: Chemie und Technologie der Explosivstoffe. Bd 3. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig 1964, S. 194ff.
  • Basil T. Fedoroff u. a.: Encyclopedia of Explosives and related items. Technical Report 2700. 11 Bde. Picatinny Arsenal, Dover NJ 1960ff.
    • Bd 1. Dover NJ 1960, S.A-41.
    • Bd 7. Dover NJ 1975, S.H-83.
  • M. Rohrlich, W. Sauermilch, In: Zeitschrift für das gesamte Schieß- und Sprengstoffwesen. München 98.1943, S. 38, ISSN 0372-8935.
  • Tenney L Davis: Chemistry of Powder and Explosives. Wiley, New York 1941-1943.
  • A. E. Thiemann, in: Automobiltechnische Zeitschrift (ATZ). Vieweg, Stuttgart 45.1942, 454, ISSN 0001-2785.
  • H. Jiang, G. Chu, H. Gong, Q. D. Qiao, In: Journal of chemical research. Synopsis, London 288.1999, ISSN 0308-2342.
  • J. Gartz: Vom griechischen Feuer zum Dynamit – eine Kulturgeschichte der Explosivstoffe. E. S. Mittler & Sohn, Hamburg 2007, ISBN 978-3-8132-0867-2.

Weblinks

Commons: Acetonperoxid – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Vorlage:Commonscat/WikiData/Difference