VSEPR-Modell

VSEPR-Modell

Das VSEPR-Modell (VSEPR ist die Abkürzung für englisch valence shell electron pair repulsion, deutsch Valenzschalen-Elektronenpaar-Abstoßung), auch EPA-Modell (Elektronenpaarabstoßungsmodell) oder ursprünglich auch VEPR-Theorie (englisch valence electron pair repulsion theory), führt die räumliche Gestalt eines Moleküls auf die abstoßenden Kräfte zwischen den Elektronenpaaren der Valenzschale zurück.

Modell für zwei und drei Elektronenpaare

Das Modell wurde von Ronald Gillespie und Ronald Nyholm entwickelt und wird deshalb auch Gillespie-Nyholm-Theorie genannt.

Die abgeleiteten Regeln

Aus dem VSEPR-Modell ergeben sich für Moleküle des Typs AXn folgende Regeln[1]:

  • Die Elektronenpaare des Zentralatoms (A), das heißt das Atom im Zentrum des Moleküls, ordnen sich so an, dass der Abstand zwischen ihnen möglichst groß wird.
  • Die freien Elektronenpaare (hier mit E symbolisiert) in einem Molekül vom Typ AXnEm beanspruchen mehr Raum als die bindenden Elektronenpaare und führen somit zu einer Vergrößerung der Winkel X-A-E und einer Verkleinerung der Winkel X-A-X.
  • Größere Elektronegativitätsdifferenzen zwischen A und X vermindern damit den Raumbedarf der entsprechenden Bindung.
  • Mehrfachbindungen beanspruchen mehr Raum als Einfachbindungen. Hierbei steigt der Platzbedarf mit der Bindungsordnung. Einzelne freie Elektronen in Radikalen nehmen hingegen weniger Raum ein als freie Elektronenpaare. Für die Bestimmung der groben Molekülstruktur werden jedoch nur die Sigma-Bindungen herangezogen. Das heißt, dass Mehrfachbindungen bei der Bestimmung der Struktur wie Einfachbindungen behandelt werden.
  • Kleinere Zentralatome bzw. größere negativ polarisierte Liganden bewirken eine starke sterische und elektronische Abstoßungskraft, die die eines freien Elektronenpaars übertreffen kann.

Vorhersagen nach VSEPR bei freien Elektronenpaaren am Zentralatom

Molekülstrukturen können recht einfach durch Abzählen der „Reste“ vorhergesagt werden, wenn keine freien Elektronenpaare am Zentralatom vorhanden sind. Dennoch lässt sich auch die näherungsweise Betrachtung von Verbindungen mit einem oder mehreren freien Elektronenpaaren schematisieren, indem freie Elektronenpaare wie Bindungspartner behandelt werden: Man gelangt hierüber zur Pseudostruktur(Ψ - Struktur, von Ψ, der Wellenfunktion der Elektronen) des jeweiligen Moleküls.

Das Sauerstoffatom des Wassermoleküls, an welches zwei Wasserstoffatome kovalent geknüpft sind, weist zwei freie Elektronenpaare auf. Dementsprechend ergibt sich aus $ X=2 $ (Wasserstoffatome) und $ E=2 $ (freie Elektronenpaare) $ 2+2=4 $ und somit eine tetraedrische Geometrie. Die Molekülgestalt selbst wird aber nur durch die Atomkerne beschrieben. Indem die freien Elektronenpaare nun „weggedacht“ werden, bleibt die Realstruktur zurück: gewinkelt.

# Molekültypen * Beispiel Ψ - Struktur ** Realstruktur *** Winkel
1 AX1E0-2D.png
AX1
H2 AX1E0-3D-balls.png
linear
AX1E0-3D-balls.png
linear
180°
2 AX2E0-2D.png
AX2
BeCl2
CO2
AX2E0-3D-balls.png
linear
Linear-3D-balls.png
linear
180°
AX1E1-2D.png
AX1E1
AX1E1-3D-balls.png
linear
AX1E0-3D-balls.png
linear
180°
3 AX3E0-side-2D.png
AX3
BF3
NO3
CO32−
AX3E0-3D-balls.png
trigonal planar
Trigonal-3D-balls.png
trigonal planar
120°
AX2E1-2D.png
AX2E
SO2
O3
NO2
AX2E1-3D-balls.png
trigonal planar
Bent-3D-balls.png
gewinkelt
ca. 115°
AX1E2-2D.png
AX1E2
AX1E2-3D-balls.png
trigonal planar
AX1E0-3D-balls.png
linear
180°
4 AX4E0-2D.png
AX4
CH4
SO42− PO43−
ClO4
AX4E0-3D-balls.png
tetraedrisch
Tetrahedral-3D-balls.png
tetraedrisch
109,5°
AX3E1-2D.png
AX3E
NH3
PCl3
AX3E1-3D-balls.png
tetraedrisch
Pyramidal-3D-balls.png
trigonal-pyramidal
ca. 107°
AX2E2-2D.png
AX2E2
H2O AX2E2-3D-balls.png
tetraedrisch
Bent-3D-balls.png
gewinkelt
ca. 104°
AX1E3-2D.png
AX1E3
HCl AX1E3-3D-balls.png
tetraedrisch
AX1E0-3D-balls.png
linear
180°
5 AX5E0-2D.png
AX5
PCl5 Trigonal-bipyramidal-3D-balls.png
trigonal-bipyramidal
Trigonal-bipyramidal-3D-balls.png
trigonal-bipyramidal
120° / 90°
AX4E1-2D.png
AX4E
SF4 AX4E1-3D-balls.png
trigonal-bipyramidal
Seesaw-3D-balls.png
"Wippe", bisphenoidal
ca. 175° / 110°
AX3E2-2D.png
AX3E2
ClF3 AX3E2-3D-balls.png
trigonal-bipyramidal
T-shaped-3D-balls.png
T-förmig
ca. 87,5°
AX2E3-2D.png
AX2E3
XeF2 AX2E3-3D-balls.png
trigonal-bipyramidal
Linear-3D-balls.png
linear
180°
6 AX6E0-2D.png
AX6
SF6 AX6E0-3D-balls.png
oktaedrisch (=quadratisch-bipyramidal,
trigonal-antiprismatisch)
Octahedral-3D-balls.png
oktaedrisch (=quadratisch-bipyramidal,
trigonal-antiprismatisch)
90°
AX5E1-2D.png
AX5E
ClF5 AX5E1-3D-balls.png
oktaedrisch (=quadratisch-bipyramidal,
trigonal-antiprismatisch)
Square-pyramidal-3D-balls.png
quadratisch-pyramidal
ca. 85°
AX4E2-2D.png
AX4E2
XeF4 AX4E2-3D-balls.png
oktaedrisch (=quadratisch-bipyramidal,
trigonal-antiprismatisch)
Square-planar-3D-balls.png
quadratisch-planar
90°
7 AX7E0-2D.png
AX7
IF7 AX7E0-3D-balls.png
pentagonal-bipyramidal
Pentagonal-bipyramidal-3D-balls.png
pentagonal-bipyramidal
90° / 72°
AX6E1-2D.png
AX6E
XeF6 AX6E1-3D-balls.png
pentagonal-bipyramidal
Pentagonal-pyramidal-3D-balls.png
pentagonal-pyramidal
ca. 90° / ca. 72°
AX5E2 XeF5 pentagonal-bipyramidal Pentafluoroxenate-ion-from-xtal-3D-balls.png
pentagonal-planar
72°
8 AX8 IF8 tetragonal-antiprismatisch tetragonal-antiprismatisch 78° / 73°

Anmerkungen:

* Keilstrichformel mit Zentralatom: A, Liganden: X und Elektronenpaar: E
** nicht gebundene Elektronenpaare (blass gelb) als gedachte Bindungspartner
*** reale räumliche Anordnung der Atome

Grenzen der Anwendbarkeit

Das VSEPR-Modell lässt sich auf Moleküle anwenden, bei denen die an das Zentralatom gebundenen Reste (Atome oder Atomgruppen) nicht allzu groß werden und keine spezifischen Wechselwirkungen aufeinander ausüben. Nicht oder nur eingeschränkt anwendbar ist sie auf Übergangsmetallverbindungen. Vielfach fallen auch schon bei einfachen Molekülen Valenzwinkel aus dem Rahmen, die nicht mit dem Modell übereinstimmen. Für Verbindungen mit delokalisierten Elektronen ist die Anwendung des Modells ebenfalls mit Schwierigkeiten verbunden, hier ist die Hinzuziehung der Molekülorbitaltheorie notwendig.

Literatur

  • Reinhart Ahlrichs: Gillespie‐ und Pauling‐Modell — ein Vergleich. In: Chemie in unserer Zeit. 14, Nr. 1, 1980, S. 18–24, doi:10.1002/ciuz.19800140104.
  • Ronald J. Gillespie, Edward A. Robinson: Models of molecular geometry. In: Chemical Society Reviews. 34, Nr. 5, 2005, S. 396–407, doi:10.1039/B405359C.
  • R. J. Gillespie, I. Hargittai: The VSEPR Model of Molecular Geometry. 8. Aufl., Allyn & Bacon, Boston 1991, ISBN 978-0-205-12369-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Arnold Fr. Holleman, Egon Wiberg: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. 101. Auflage. Gruyter, 1995, ISBN 3-11-012641-9, S. 136 und 315.