Polymerchemie
Die Polymerchemie beschäftigt sich mit natürlichen (zum Beispiel Stärke, Zellulose, Lignin) und künstlichen Polymeren (zum Beispiel Polyolefine, Polyester, Polyamide), deren Herstellung, Modifizierung und Eigenschaften.
Geschichte der Polymerwissenschaft
Im 19. Jahrhundert waren vor allem der Naturkautschuk und dessen Vulkanisation mit Schwefel 1839 sowie Cellulose und deren Veresterung zu Nitrocellulose von Interesse. Darüber hinaus fielen unterschiedliche Polymere, der Begriff Polymerie wurde von Berzelius eingeführt, als Reaktionsprodukte der organischen Chemie an. Die erste Beschreibung einer Polymerisation erfolgte durch E. Simon 1839, der Styrol aus Storaxharz gewann und feststellte, dass sich dieses Styrol beim Aufbewahren an der Luft zu einem glasigen Feststoff umwandelte. Zur gleichen Zeit beschrieb Henri Victor Regnault eine Reaktion von Vinylidenchlorid zu einem nichtkristallinen Feststoff. Die ersten Polykondensationen wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Lourenco beschrieben, indem er Polyester aus Ethylenglycol und Ethylendihalogeniden synthetisierte. Das vermutlich erste Polyamid wurde 1883 aus m-Aminobenzoesäure hergestellt.
Bis Ende des 19. Jahrhunderts war allerdings wenig über die genauen Strukturen polymerer Materialien bekannt. Man wusste lediglich aus Dampfdruck- und Osmosemessungen, dass es sich um sehr große Moleküle, mit hoher Molmasse handeln müsste. Fälschlicherweise war man jedoch der Meinung, dass es sich um kolloidale Verbindungen handelte. Röntgenmessungen von Kurt Heinrich Meyer und Hermann F. Mark an kristallinem Kautschuk im Jahre 1928 sollten Klarheit verschaffen. Kristalline Feststoffe bestehen häufig aus mehreren über Korngrenzen verbundenen kleineren Kristalliten. Wie man heute weiß, liegen in kristallinen Polymeren die Ketten gleichzeitig in mehreren Kristalliten. Da dies zu diesem Zeitpunkt unbekannt war, interpretierte man die Ergebnisse der Röntgenstrukturanalyse völlig falsch. Man glaubte, dass Moleküllängen nicht größer als die Länge der Kristallite sein könnten und ermittelte so falsche, viel zu kleine Größenordnungen für Polymermolküle.[1] Arbeiten zur Verbesserung der Analysemethoden von Biomolekülen von The Svedberg (Nobelpreis 1926) halfen jedoch genauere Ergebnisse zu erhalten.
Als Vater der Polymerwissenschaften gilt der deutsche Chemiker Hermann Staudinger. Bereits 1917 äußerte er vor der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft, dass „hochmolekulare Verbindungen“ aus kovalent gebundenen langkettigen Molekülen bestehen. 1920 veröffentlichte er in den Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft einen Artikel, der als Begründung der modernen Polymerwissenschaften gilt.[2] Vor allem in den Jahren von 1924–1928, folgten weitere wichtige Theorien[3][4][5] über den Aufbau von Kunststoffen, die die Grundlage für das heutige Verständnis dieser Werkstoffklasse bilden. Für diese Arbeiten erhielt er 1953 den Nobelpreis.
Anfang der 1950er-Jahre entdeckte der deutsche Chemiker Karl Ziegler, dass Katalysatoren aus Aluminiumalkylen und Titantetrachlorid die Polymerisation von Ethen zu Polyethylen schon bei Raumtemperatur erlauben.[6][7][8] Bisher musste Polyethylen unter hohem Druck in Stahlautoklaven polymerisiert werden. Die nach Ziegler hergestellten Polymere zeigten auch bezüglich ihrer Kettenstruktur einen wesentlich höheren Ordnungsgrad und völlig andere Materialeigenschaften (s. hier). Der italienische Chemiker Giulio Natta forschte, basierend auf den Arbeiten von Ziegler, erfolgreich an einem ähnlichen Verfahren zur Herstellung von Polypropylen.[9] Heute sind die so hergestellten Polyethylene (PE) und Polypropylen (PP), neben Polystyrol (PS), die am häufigsten als Verpackungsmaterialien von Lebensmitteln, Shampoos, Kosmetika, etc verwendeten Kunststoffe. Ziegler und Natta erhielten im Jahre 1963 für ihre Arbeiten den Nobelpreis für Chemie. Den Arbeiten[10] von Paul J. Flory und Maurice L. Huggins sind weitere theoretische Erkenntnisse zum Verhalten von Polymeren in Lösung, in Mischungen, sowie ihren Strukturen im Festkörper zu verdanken, die heute die Grundlage der physikalischen Chemie der Makromoleküle darstellen.
Definition
Von Polymeren spricht man im Allgemeinen ab einer Molmasse von etwa 10.000 g/mol, alternativ wenn sich die Eigenschaften beim Hinzukommen einer weiteren Repitiereinheit nicht mehr messbar ändern. Bei kleineren Verbindungen spricht man von Oligomeren [Oligo (griech.) = einige].
Unterteilung
Biopolymere
- - Proteine
- Chemisch gehören die Proteine zu den Polyamiden.
- - DNA/RNA
- Chemisch gehören DNA und RNA zu den Polyestern
- - Polysaccharide
- Chemisch gehören die Polysaccharide zu den Polyacetalen
- - Naturkautschuk
- Chemisch gehört Naturkautschuk zu den Polyterpenen oder allgemeiner zu den Polyolefinen
- - Polyhydroxyalkanoate
- Chemisch gehören die Polyhydroxyalkanoate zu den Polyestern und dienen Bakterien als Speichersubstanz
Synthetische und halbsynthetische Polymere
Physikalische Einteilung
Von ihrem physikalischen Verhalten abgeleitet, kann man Polymere in vier Gruppen einteilen.
- Elastomere
- Thermoplaste
- Thermoplastische Elastomere
- Duroplaste
In jeder dieser Gruppen kommen chemisch unterschiedliche Polymere vor.
Chemische Einteilung
Chemisch lassen sich Polymere unterteilen in
- Polyolefine
- Polyamide
- Polyester
- Polyurethane
- Polyether
- Polyharnstoffe
- Polyimide
- Polyamine
- Polyacetale
- Silikone
Homo- und Copolymere
Homopolymere
Besteht ein Polymer nur aus einer Sorte eines monomeren Bausteins (Repetiereinheit), spricht man von einem Homopolymer (homo (griech.) = gleich, gleichartig).
Copolymere
Wenn ein Polymer aus unterschiedlichen Monomerbausteinen aufgebaut ist, spricht man von einem Copolymer.[11] Es gibt solche aus chemisch sehr ähnlichen Monomeren wie Copolymere aus Ethen und Propen, aber auch Copolymere, deren Monomere sich chemisch sehr unterscheiden, wie z.B. α-Olefin / MSA-Copolymere. Meist werden zwei Monomere eingesetzt, es gibt aber auch Copolymere mit drei und mehr unterschiedlichen Monomeren. Copolymere aus drei Monomeren werden Terpolymere genannt. Ein Beispiel sind die ABS-Kunststoffe, die durch die Herstellung von Legobausteine bekannt sind.
Je nach Abfolge der einzelnen Monomere werden statistische, alternierende, Gradienten-, Blockcopolymere unterschieden. Werden an eine bestehende Kette weitere Monomere anpolymerisiert, oder durch polymeranaloge Reaktionen aufgebracht, spricht man von Pfropf(co)polymeren.
Welche Abfolge der beteiligten Monomere sich im Verlauf der Copolymerisation einstellt, wird durch die Copolymerisationsparameter bestimmt. Sie werden (bei Copolymeren aus zwei Monomeren) aus den vier Geschwindigkeitskonstanten der möglichen Reaktionen abgeleitet. Bei Copolymeren mit mehr als zwei unterschiedlichen Monomeren gilt das Modell analog, es ergeben sich aber mehr mögliche Reaktionen und entsprechend mehr Quotienten.
Dendrimere
Eine besondere Klasse polymerer Moleküle stellen die Dendrimere dar. Sie sind bei geeigneter Synthesestrategie monodispers, d.h. es gibt keine Molmassenverteilung, alle Teilchen sind identisch. Die Anzahl der Syntheseschritte wird als Generation bezeichnet, wobei das Kernmolekül die Generationsnummer null erhält. Hat dieses Kernmolekül vier reaktive Gruppen und das Reaktionsprodukt (1. Generation) pro ursprünglicher Gruppe zwei reaktive Gruppen, sind acht Gruppen vorhanden etc.
Denrimere können nicht beliebig groß werden, weil es durch sterische Effekte zu gegenseitigen Behinderungen kommt. Die Form der Dendrimre nähert sich dann immer mehr einer Kugel an.
Herstellung von Polymeren
Der Vorgang, bei dem aus den Monomeren Polymere hergestellt werden, nennt man Polyreaktion. Polyreaktionen unterscheidet man die Klassen
Stufenwachstumsreaktionen
und Kettenwachstumsreaktion
Es gibt Polymere, die nicht direkt aus den (formalen) Monomeren hergestellt werden können, weil diese Monomere nicht stabil sind. Ein Beispiel ist Polyvinylalkohol (PVA). Der hypothetisch zugrunde liegende Vinylalkohol liegt in einem tautomeren Gleichgewicht mit Acetaldehyd vor, wobei die Gleichgewichtlage nahezu vollständig auf Seiten des Aldehyds liegt. PVA wird hergestellt, indem Polyvinylacetat hydrolysiert wird. Ähnliches gilt für Polyvinylamin. Solch eine Reaktion, bei der ein bestehendes Polymer chemisch modifiziert wird, nennt man polymeranaloge Reaktion. Durch die chemische Modifikation in der Natur vorkommender Polymerer – beispielsweise Zellulose – erhält man Polymere mit modifizierten Eigenschaften, wie Zelluloid, das zu den halbsynthetischen Polymeren zählt.
Charakterisierung von Polymeren
Zur Charakterisierung der Polymere gibt es verschiedene Methoden, die in indirekte (oder relative) und direkte Methoden unterteilt werden. Indirekte Methoden ergeben keine absoluten Werte der Molmasse, es lassen sich aber über Vergleichproben ähnlicher Zusammensetzung und bekannter Molmasse Aussagen über die gemessene Probe machen.
indirekte Methoden der Molmassenbstimmung
- Gel-Permeations-Chromatographie
- Viskosimetrie
- Zentrifugation
direkte Methoden der Molmassenbstimmung
Bei der Charakterisierung von Makromolekülen ist zu beachten, dass fast immer eine gewisse Verteilung (Streuung) in der Molmasse vorliegt, deren Breite und Verteilungsform zudem deutlich unterschiedlich sein kann, sodass Proben mit scheinbar gleicher Molmasse (gleicher mittlerer Molmasse) völlig unterschiedliche Eigenschaften haben können (mechanisch, physikalisch oder chemisch).
Quellen
- ↑ Meyer, Kurt H.; Mark, H.: Gummi. Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft, Abteilung B: Abhandlungen, 1928, 61B 1939–1949.
- ↑ Staudinger H., Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 1920, 53, 1073.
- ↑ Staudinger, H.: Die Struktur des Gummis. VI.; Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft, Abteilung B: Abhandlungen 1924, 57B 1203-8.
- ↑ Staudinger H. Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 1926, Ges. 59.201.
- ↑ Staudinger, H.; Frey, K.; Starck, W.: Verbindungen hohen Molekulargewichts IX. Polyvinylacetat und Polyvinylalkohol., Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft, Abteilung B: Abhandlungen 1927, 60B 1782–1792.
- ↑ Deutsches Patent: 961537: Verfahren zur Herstellung von Aluminiumtrialkylen und Aluminiumalkylhydriden, Erfinder: K. Ziegler; H.-G. Gellert
- ↑ Ziegler, Karl; Gellert, Hans Georg; Lehmkuhl, Herbert; Pfohl, Werner; Zosel, Kurt: Organometallic compounds. XXVI. Trialkylaluminum and dialkylaluminum hydride from olefins, hydrogen, and aluminum.; Ann., 1960, 629, 1–13.
- ↑ US-Patent: Ziegler, Karl; Breil, Heinz; Holzkamp, Erhard; Martin, Heinz: Catalysts for polymerizing olefins, especially ethylene.; U.S. 1971, 14 pp. Continuation-in-part of U.S. 3,257,332 (CA 65;7308d).
- ↑ Natta, G.; Pasquon, I.; Zambelli, A.: Stereospecific catalysts for the head-to-tail polymerization of propylene to a crystalline syndiotacfic polymer.; Journal of the American Chemical Society, 1962, 84, 1488–1490.
- ↑ Flory, P. J.; Yoon, D. Y.: Moments and distribution functions for polymer chains of finite length. I. Theory.; Journal of Chemical Physics; 1974, 61, 5358–5365.
- ↑ M. D. Lechner, K. Gehrke und E. H. Nordmeier: Makromolekulare Chemie, 4. Auflage, Birkhäuser Verlag, 2010, S. 102–104, ISBN 978-3-7643-8890-4.
Literatur
- Elias, Hans Georg : Makromoleküle Band 1 bis 4, 6. Auflage Wiley-VCH, Weinheim 1999 - 2003 ISBN 352729872X, 35270299602, 3527299610, 3527299629
- Mark, Herman F. (ed.): Encyclopedia of Polymer Science and Technology 12 Volumes, 3. Edition John Wiley & Sons November 2004 ISBN 978-0-471-27507-7
- Newkomme, G.R. ; Moorefield, C.N. ; Vögtle, F.: Dendritic Molecules: Concepts - Syntheses - Perspectives VCH-Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim 1996, ISBN 3-527-29325-6
- Tieke, Bernd: Makromolekulare Chemie – Eine Einführung. 2. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2005, ISBN 978-3-527-31379-2
- Dietrich Braun: Der lange Weg zum Makromolekül – Polymerforschung vor Hermann Staudinger. In: Chemie in unserer Zeit. 46, Nr. 5, 2012, ISSN 0009-2851, S. 310-319, doi:10.1002/ciuz.201200566.
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