Thiomersal

Thiomersal

Strukturformel
Struktur von Thiomersal
Allgemeines
Freiname Thiomersal
Andere Namen
  • Thimerosal
  • Merfamin
  • Natrium-2-(ethylmercurithio) benzoat
  • Quecksilberethyl- natriumthiosalicylat
Summenformel C9H9HgNaO2S
CAS-Nummer 54-64-8
PubChem 16682923
ATC-Code

D08AK06

Kurzbeschreibung

weißes bis gelbliches Pulver [1]

Arzneistoffangaben
Wirkstoffklasse

Antiseptikum

Eigenschaften
Molare Masse 404,81 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

234 °C [1]

Löslichkeit

gut in Wasser (1000 g·l−1 bei 20 °C) [1]

Sicherheitshinweise
Bitte die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) [2]
06 – Giftig oder sehr giftig 08 – Gesundheitsgefährdend 09 – Umweltgefährlich

Gefahr

H- und P-Sätze H: 300-310-330-373-410
P: 260-​264-​273-​280-​284-​302+350Vorlage:P-Sätze/Wartung/mehr als 5 Sätze [3]
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [4] aus EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) [2]

T+
Sehr giftig

N
Umwelt-
gefährlich
R- und S-Sätze R: 26/27/28-33-50/53
S: (1/2)-13-28-36-45-60-61
LD50

75 mg·kg−1 (Maus, peroral) [5]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
Vorlage:Infobox Chemikalie/Summenformelsuche vorhanden

Thiomersal (auch: Thimerosal im US-Raum) ist das Natriumsalz einer organischen Quecksilberverbindung und wird als Konservierungsstoff in kosmetischen und pharmazeutischen Produkten verwendet, um diese vor mikrobiellem Verderb zu schützen. Es ist bereits in sehr niedrigen Konzentrationen wirksam. Die minimale Hemmkonzentration beträgt je nach Keim 0,2 Mikrogramm pro Milliliter (z. B. gegen Staphylokokkus aureus) bis 128 Mikrogramm pro Milliliter (z. B. gegen Aspergillus niger). Thiomersal hat ein breites Wirkungsspektrum, ist aber nicht gegen sporenbildende Keime wirksam.[6]

Gewinnung und Darstellung

Die Synthese von Thiomersal erfolgt durch die Umsetzung von Thiosalicylsäure mit Ethylquecksilberchlorid in Gegenwart von Natronlauge.[7]

Wirkungsmechanismus

Thiomersal wird im Organismus zu Thiosalicylat und Ethylquecksilber metabolisiert. Das Ethylquecksilberkation blockiert über Bindung an Thiol-Gruppen in den Eiweißstrukturen von Enzymen deren Aktivität. Daraus resultieren in niedrigen Dosen die antimikrobielle Wirkung und in hohen Dosen eine nerven- und nierengiftige Wirkung (Neurotoxizität, Nephrotoxizität). Thiomersal wirkt in Abhängigkeit vom pH-Wert bakterienabtötend (bakterizid) oder wachstumshemmend auf Bakterien und Pilze (bakteriostatisch und fungistatisch).[6]

Verwendung in Kosmetika

In Deutschland ist Thiomersal gemäß der Kosmetik-Verordnung in Konzentrationen bis 0,007 % (berechnet als Quecksilber) zur Haltbarmachung von Schmink- und Abschminkmitteln für die Augen erlaubt.[8]

Verwendung in Medizinprodukten

Thiomersal wird zur Konservierung von Reinigungs- und Aufbewahrungslösungen für Kontaktlinsen verwendet. Es wurde eine Reihe von Überempfindlichkeitsreaktionen bei Kontaktlinsenträgern berichtet, die thiomersalhaltige Pflegeprodukte für ihre Linsen benutzt hatten.[9]

Verwendung in Arzneimitteln

Arzneimittel zur äußerlichen Anwendung

Thiomersal kann zu Konservierung von Augentropfen in Mehrdosenbehältnissen, für die eine Konservierung zwingend vorgeschrieben ist, von Nasen- und Ohrentropfen sowie von topischen Zubereitungen verwendet werden. Der Konzentrationsbereich liegt je nach Arzneiform zwischen 0,001 % und 0,01 %.[6] Als Wirkstoff für desinfizierende Spüllösungen (in Konzentrationen von etwa 0,1 %) spielt Thiomersal aufgrund seiner Giftigkeit in höheren Dosen und seiner Umweltschädlichkeit keine Rolle mehr.

Injektionsarzneimittel

Auch Injektionsarzneimittel können mit Thiomersal konserviert werden. Speziell Durchstechfläschchen zur mehrfachen Entnahme einer Injektionsdosis machen eine Konservierung aufgrund gesetzlicher Vorschriften zwingend erforderlich, weswegen bspw. auch manche Pandemieimpfstoffe (z. B. Pandemrix, Celtura, Daronix) Thiomersal enthalten.[10] Bei dem mehrfachen Anstechen der Fläschchen könnten Keime hinein gelangen, deren Vermehrung durch Thiomersal unterdrückt wird. Unter Umständen kann aber auch für nicht mit Standardverfahren sterilisierbare Einzeldosisformen eine Konservierung notwendig sein.

Ende der 1990er Jahre kamen Zweifel an der Unbedenklichkeit von Thiomersal auf: einerseits aufgrund zunehmender Meldungen von unerwünschten Wirkungen, insbesondere Überempfindlichkeitsreaktionen, andererseits auch wegen der kumulierenden Quecksilberbelastung von Kindern durch die routinemäßigen Kinderimpfungen, aufgrund derer neurologische Störungen wie z. B. Autismus befürchtet wurden. Die Behörden in den USA und Europa empfahlen vorsorglich – ohne dass konkrete Hinweise auf eine neurologische Giftigkeit vorlagen – Thiomersal und andere organische Quecksilberverbindungen möglichst aus Impfstoffen für Säuglinge und Kleinkinder zu entfernen.[11] So werden in den USA bei Kindern unter sechs Jahren nur noch Impfstoffe eingesetzt, die kein Thiomersal oder höchstens Spuren davon enthalten. Insgesamt sind in den USA die meisten Impfstoffe in Einzeldosisverpackungen frei von Thiomersal.[12]

Im Jahr 2004 revidierte der Ausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur die Bewertung von Thiomersal in Impfstoffen. Die Auswertung von epidemiologischen Studien hatte zu dem Schluss geführt, dass kein Zusammenhang zwischen neurologischen Entwicklungsstörungen und Thiomersal in Impfstoffen bestehe. Dennoch solle die Entwicklung von Impfstoffen ohne quecksilberhaltige Hilfsstoffe, auch aus ökologischen Gründen, weiter vorangetrieben werden. Die Agentur betonte, der Vorteil von Impfungen überwiege bei weitem theoretische Risiken des Thiomersals.[13]

Durch den technischen Fortschritt konnte die aseptische Fertigung so verbessert werden, dass Einzeldosisrezepturen ohne Konservierungsstoffe hergestellt werden können. In Deutschland enthalten solche Einzeldosisimpfstoffe zur Anwendung am Menschen mittlerweile in der Regel kein Thiomersal mehr oder höchstens in Spuren aus dem Herstellprozess.[14] In Tierimpfstoffen wird Thiomersal weiterhin eingesetzt.

Kennzeichnung

Thiomersalhaltige Arzneimittel müssen Warnhinweise zu möglichen Überempfindlichkeitsreaktionen und Sensibilisierungen in der Packungsbeilage, der Gebrauchsinformation und der Etikettierung aufnehmen.

Allergien

Impfungen mit Thiomersal-haltigen Impfstoffen können Kontaktallergien hervorrufen. In vielen Fällen ist der Nutzen der Impfung weitaus größer als das geringe Risiko einer kontaktallergischen Reaktion an der Impfstelle.[15]

Kontroverse

Thiomersal wurde von einigen Wissenschaftlern, Impfgegnern und von einigen Eltern autistisch behinderter Kinder – besonders in den USA – mit dem Auftreten von Autismus in Verbindung gebracht. Aufgrund epidemiologischer Studien gilt ein Zusammenhang von Thiomersal und dem Vorkommen von Autismus heute als widerlegt.[14][16][17][18][19][20][21]

„Die Weltgesundheitsorganisation WHO, das US-amerikanische "Institute of Medicine" sowie die Europäische Arzneimittelagentur sind inzwischen allerdings unabhängig voneinander zu dem Schluss gelangt, dass die verfügbaren Studien gegen einen solchen Zusammenhang sprechen.“ [22]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Eintrag zu Thiomersal in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 3. Dez. 2007 (JavaScript erforderlich).
  2. 2,0 2,1 Nicht explizit in EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) gelistet, fällt aber dort mit der angegebenen Kennzeichnung unter den Sammelbegriff „Organische Quecksilberverbindungen“; Eintrag aus der CLP-Verordnung zu Organische Quecksilberverbindungen in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 8. April 2012 (JavaScript erforderlich) Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „CLP_530082“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  3. Datenblatt Thimerosal bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 24. April 2011.
  4. Seit 1. Dezember 2012 ist für Stoffe ausschließlich die GHS-Gefahrstoffkennzeichnung zulässig. Bis zum 1. Juni 2015 dürfen noch die R-Sätze dieses Stoffes für die Einstufung von Zubereitungen herangezogen werden, anschließend ist die EU-Gefahrstoffkennzeichnung von rein historischem Interesse.
  5. Thiomersal bei ChemIDplus.
  6. 6,0 6,1 6,2 Handbook of Pharmaceutical Excipients, 5th Edition (2006). Ray C. Rowe (Herausgeber), Paul J. Sheskey (Herausgeber), P.J. Weller (Herausgeber).
  7. US patent 1 672 615 (M. S. Kharasch; 1928; appl. 1927).
  8. Anlage 6 zu § 3 der Kosmetik-Verordnung.
  9. Thiomersal keratoconjunctivitis, frequency, clinical spectrum and diagnosis. N. Wilson-Holt N, J.K. Dart in: Eye 1989;3 ( Pt 5):581-7. PMID 2630335 Immunological complications of soft contact lenses. B.J. Mondino et. Al. in: J Am Optom Assoc. 1987 Oct;58(10):832-5. PMID 3316352 Allergic and toxic reactions of soft contact lens wearers. B.J. Mondino et. Al. in: Surv Ophthalmol. 1982 May-Jun;26(6):337-44. PMID 6810487 Allergic reactions to contact lens solutions. A.A. Fisher in: Cutis. 1985 Sep;36(3):209-11. PMID 3931986.
  10. Paul-Ehrlich-Institut: Fachliche Information für Ärzte und Apotheker: Pandemie-Impfstoffe in der Schwangerschaft, s. Abschnitt 3.3.1 Andere Stoffe.
  11. Statement der Europäischen Arzneimittelagentur zu Thiomersal-haltigen Arzneimitteln Juli 1999 (englisch).
  12. Thimerosal in Vaccines, Food and Drug Administration (FDA), Juni 2008.
  13. Statement der Europäischen Arzneimittelagentur zur Verwendung von Thiomersal in Impfstoffen zur Anwendung am Menschen März 2004 (englisch).
  14. 14,0 14,1 K. Weisser, K. Bauer, P. Volkers und B. Keller-Stanislawski (2004): Thiomersal und Impfungen. In: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz. Bd. 47, S. 1165–1174. doi:10.1007/s00103-004-0943-z PDF.
  15. Datenbank zu Alles zur Allergologie. (online).
  16. Statement on thiomersal, WHO, 2006.
  17. Verstraeten T et al.: Safety of thimerosal-containing vaccines: a two-phased study of computerized health maintenance organization databases. Pediatrics. 112(5), 2003, S. 1039–1048 PMID 14595043 (PDF, 120 kB).
  18. Hviid A et al.: Association between thimerosal-containing vaccine and autism. JAMA. 290(13), 2003, S. 1763–1766 PMID 14519711 (PDF, 81 kB)
  19. Fombonne E et al.: Pervasive developmental disorders in Montreal, Quebec, Canada: prevalence and links with immunizations. Pediatrics. 118(1), 2006, S. e139–50 PMID 16818529 (PDF, 584 kB).
  20. Shevell M et Fombonne E: Autism and MMR vaccination or thimerosal exposure: an urban legend?. Can J Neurol Sci. 33(4), 2006, S. 339–40 PMID 17168157.
  21. DeStefano F: Vaccines and autism: evidence does not support a causal association. Clin Pharmacol Ther. 82(6), 2007, S. 756–759, PMID 17928818,
  22. Robert-Koch-Institut in Schutzimpfungen – 20 Einwände und Antworten des Robert Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts.

Siehe auch

Weblinks

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