Gruppentheorie
- Gruppentheorie
- Symmetrie (Physik)
- Theoretische Chemie
- Kristallographie
- Teilgebiet der Mathematik
Die Gruppentheorie als mathematische Disziplin untersucht die algebraische Struktur von Gruppen.
Anschaulich besteht eine Gruppe aus den Symmetrien eines Objekts oder einer Konfiguration zusammen mit jener Verknüpfung, die durch das Hintereinanderausführen dieser Symmetrien gegeben ist. So bilden beispielsweise die Drehungen eines regelmäßigen
Die systematische Untersuchung von Gruppen begann im 19. Jahrhundert und wurde durch konkrete Probleme ausgelöst, zunächst durch die Frage nach der Lösbarkeit von algebraischen Gleichungen, später durch die Untersuchung geometrischer Symmetrien. Dementsprechend stand zunächst die Untersuchung konkreter Gruppen im Vordergrund; erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden verstärkt abstrakte Fragestellungen untersucht. Wichtige Beiträge stammen unter anderem von Évariste Galois und Niels Henrik Abel in der Algebra sowie Felix Klein und Sophus Lie in der Geometrie. Eine der herausragenden mathematischen Leistungen des 20. Jahrhunderts ist die Klassifikation aller endlichen einfachen Gruppen, also der unzerlegbaren Bausteine aller endlichen Gruppen.
Die große Bedeutung der Gruppentheorie für viele Gebiete der Mathematik und ihrer Anwendungen resultiert aus ihrer Allgemeinheit, denn sie umfasst in einer einheitlichen Sprache sowohl geometrische Sachverhalte (Bewegungen des Raumes, Symmetrien, etc.) als auch arithmetische Regeln (Rechnen mit Zahlen, Matrizen, etc.). Vor allem in der Algebra ist der Begriff der Gruppe von grundlegender Bedeutung: Ringe, Körper, Moduln und Vektorräume sind Gruppen mit zusätzlichen Strukturen und Eigenschaften. Methoden und Sprechweise der Gruppentheorie durchziehen daher viele Gebiete der Mathematik. In Physik und Chemie treten Gruppen überall dort auf, wo Symmetrien eine Rolle spielen (z. B. Invarianz physikalischer Gesetze, Symmetrie von Molekülen und Kristallen). Zur Untersuchung solcher Phänomene liefern die Gruppentheorie und die eng verwandte Darstellungstheorie die theoretischen Grundlagen und eröffnen wichtige Anwendungen.
Zugang ohne mathematische Voraussetzungen
Gruppen werden in der Mathematik verwendet, um das Rechnen mit Zahlen zu verallgemeinern. Entsprechend besteht eine Gruppe aus einer Menge von Dingen (z.B. Zahlen, Symbolen, Objekten, Bewegungen) und einer Rechenvorschrift (eine Verknüpfung, in diesem Absatz als
Von einer Gruppe spricht man, falls für eine Menge zusammen mit einer Verknüpfung je zweier Elemente dieser Menge, hier geschrieben als
- Die Verknüpfung zweier Elemente der Menge ergibt wiederum ein Element derselben Menge. (Abgeschlossenheit)
- Für die Verknüpfung ist die Klammerung unerheblich, das heißt es gilt
für alle . (Assoziativgesetz) - Es gibt ein Element
in der Menge, das bezüglich der Verknüpfung nichts bewirkt, also ein -neutrales Element: für alle . - Zu jedem Element
gibt es bezüglich der Verknüpfung ein Umkehr-Element, also ein -inverses Element . Dieses hat die Eigenschaft, beim Verknüpfen mit das neutrale Element zu ergeben: .
Man beachte: Falls auf der Menge von mehreren Verknüpfungen die Rede ist, etwa
- Wenn man zudem noch die Operanden vertauschen darf, wenn also stets
gilt, dann liegt eine abelsche Gruppe vor, auch kommutative Gruppe genannt. (Kommutativgesetz)
Beispiele für abelsche Gruppen sind
- die ganzen Zahlen
mit der Addition als Verknüpfung und der Null als neutralem Element, - die rationalen Zahlen
ohne Null mit der Multiplikation als Verknüpfung und der Eins als neutralem Element. Die Null muss hierbei ausgeschlossen werden, da sie kein inverses Element besitzt: „1/0“ ist nicht definiert.
Die sehr allgemeine Definition von Gruppen ermöglicht es, nicht nur Mengen von Zahlen mit entsprechenden Operationen als Gruppen aufzufassen, sondern auch andere mathematische Objekte mit geeigneten Verknüpfungen, die die obigen Anforderungen erfüllen. Ein solches Beispiel ist die Menge der Drehungen und Spiegelungen (Symmetrietransformationen), durch die ein regelmäßiges n-Eck auf sich selbst abgebildet wird, mit der Hintereinanderausführung der Transformationen als Verknüpfung (Diedergruppe).
Mathematische Definition des Gruppenbegriffs
Definition
Eine Gruppe ist ein Paar
- Assoziativität: Für alle Gruppenelemente
, und gilt: - Es gibt ein neutrales Element
, mit dem für alle Gruppenelemente gilt: . - Zu jedem Gruppenelement
existiert ein inverses Element mit .
Eine Gruppe
- Kommutativität: Für alle Gruppenelemente
und gilt .
Andernfalls, d. h., wenn es Gruppenelemente
Abschwächung
Die Gruppenaxiome können formal abgeschwächt werden, indem man die Axiome für das neutrale und das inverse Element folgendermaßen ersetzt:
Es gibt ein linksneutrales Element
- Für alle Gruppenelemente
gilt: - Zu jedem
existiert ein linksinverses Element mit
Diese formal schwächere Definition ist äquivalent zu der ursprünglichen Definition, denn es gilt:
- Jedes linksinverse Element ist auch rechtsinvers, denn für beliebiges
gilt:
- Jedes linksneutrale Element ist auch rechtsneutral, denn für beliebiges
gilt:
- .
Bemerkungen zur Notation
Häufig wird für die Verknüpfung
Die Gruppeneigenschaften lassen sich auch additiv notieren, indem für die Verknüpfung
Ist die Verknüpfung klar, so schreibt man für die Gruppe häufig nur
Beispiele
Bekannte Beispiele für Gruppen sind:
- Kleinsche Vierergruppe (abelsch)
- symmetrische Gruppe (nicht-abelsch für n > 2)
- alternierende Gruppe (nicht-abelsch für n > 3)
- Diedergruppe (nicht-abelsch für n > 2)
- Quaternionengruppe (nicht-abelsch)
- Triviale Gruppe: Besteht nur aus dem neutralen Element
Eine ausführlichere Aufzählung finden Sie in der Liste kleiner Gruppen.
Grundlegende Eigenschaften einer Gruppe
- Das neutrale Element einer Gruppe ist eindeutig bestimmt:
- Wenn undneutrale Elemente sind, dann musssein, daneutral ist, und, daneutral ist. Somit folgt.
- Wenn
- Es gilt die Kürzungsregel: Aus
oder mit Gruppenelementen folgt jeweils : - Daraus ergibt sich, dass die Verknüpfungstabelle einer (endlichen) Gruppe ein Lateinisches Quadrat ist, bei dem in jeder Zeile und in jeder Spalte jedes Gruppenelement genau einmal vorkommt.
- Die Gleichung
ist stets eindeutig lösbar und die Lösung ist . Ebenso hat die eindeutige Lösung . - Das zu einem Gruppenelement
inverse Element ist eindeutig bestimmt. Wenn und beide invers zu a sind dann folgt: - Es gilt
und . - Für alle Elemente gilt
:- Somit ist zuinvers.
Grundkonzepte der Gruppentheorie
Ordnung einer Gruppe
Die Mächtigkeit (Kardinalität)
Ordnung von Elementen
→ Hauptartikel: Ordnung eines Gruppenelementes
Ergibt ein Element
Davon ausgehend kann man zeigen, dass die Ordnung jedes Elements einer endlichen Gruppe endlich ist und die Gruppenordnung teilt (Satz von Lagrange).
Die kleinste Zahl
Untergruppen
→ Hauptartikel: Untergruppe
Ist
Hierzu ein wichtiger Satz (Satz von Lagrange): Die Ordnung (Anzahl der Elemente) jeder Untergruppe
Nebenklassen
Definiert man auf der Gruppe
- ,
erhält man eine Äquivalenzrelation auf
- .
Für diese Menge schreibt man
Wenn man umgekehrt eine Relation
- ,
definiert, dann ist
die Menge der zu
Diese Menge entsteht also durch Rechtsverknüpfung der Elemente aus
Will man nun zwei dieser Äquivalenzklassen mittel
Beispiel
Wir betrachten die ganzen Zahlen mit der Addition als Gruppe
H H+1 H+2 H+3=H H+4=H+1 ...
... ... ... -6 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 6 7 8 ... ... ...
Da
Jetzt mag man versucht sein, hier nur mit den Nebenklassen zu rechnen, also modulo 3, und sich fragen, ob es so ein Konzept zu jeder Untergruppe für beliebige Gruppen gibt. Dies führt zur folgenden Definition:
Normalteiler
→ Hauptartikel: Normalteiler
Ist für jedes Element
In einer kommutativen Gruppe ist jede Untergruppe ein Normalteiler.
Faktorgruppe
→ Hauptartikel: Faktorgruppe
Die Linksnebenklassen (oder auch die Rechtsnebenklassen) bezüglich einer Untergruppe teilen die Gruppe (als Menge angesehen) in disjunkte Teilmengen auf. Ist die Untergruppe sogar ein Normalteiler, so ist jede Linksnebenklasse zugleich eine Rechtsnebenklasse und wird ab jetzt nur Nebenklasse genannt. Für zwei gegebene Nebenklassen ist die Menge aller möglichen Produkte eines Elements der einen Nebenklasse mit einem Element der anderen Nebenklasse wieder eine Nebenklasse. Man kann die Nebenklassen damit als Elemente einer neuen Gruppe, der Faktorgruppe, ansehen.
Bei der Konstruktion der Faktorgruppe ignoriert man insbesondere, dass die Nebenklassen „eigentlich“ Mengen von Gruppenelementen sind. Die Faktorgruppe ist eine Art vergröbertes Abbild der originalen Gruppe.
Die Elemente der Faktorgruppe von
Diese Definition ist konsistent, da das Ergebnis von der Wahl der Elemente g und h aus den Nebenklassen unabhängig ist. Man nennt die Verknüpfung dann wohldefiniert.
Die mit den Nebenklassen als Elementen und dieser Verknüpfung definierte Gruppe nennt man die Faktorgruppe von
Zyklische Gruppen
→ Hauptartikel: Zyklische Gruppe
Gibt es in
Klassifikation der endlichen einfachen Gruppen
Eine nicht-triviale Gruppe heißt einfach, wenn sie keine Normalteiler außer der trivialen Gruppe und sich selbst hat. Beispielsweise sind alle Gruppen von Primzahlordnung einfach. Die einfachen Gruppen spielen eine wichtige Rolle als „Grundbausteine“ von Gruppen. Seit 1982 sind die endlichen einfachen Gruppen vollständig klassifiziert. Jede gehört entweder zu einer der 18 Familien endlicher einfacher Gruppen oder ist eine der 26 Ausnahmegruppen, die auch als sporadische Gruppen bezeichnet werden.
Ausblick
Die Eigenschaften endlicher Gruppen lassen sich mit dem Zauberwürfel veranschaulichen, der seit seiner Erfindung vielfach im akademischen Unterricht eingesetzt wurde, weil die Permutationen der Ecken- und Kantenelemente des Würfels ein sichtbares und handgreifliches Beispiel einer Gruppe darstellen.
Es gibt auch Verallgemeinerungen der Gruppentheorie. Eine Herangehensweise ist die Definition der Halbgruppen und Monoide: Für Halbgruppen wird nur die Assoziativität verlangt. Existiert in einer Halbgruppe ein neutrales Element, so spricht man von einem Monoid.
Eine andere Verallgemeinerung stellen die Quasigruppen dar.
Anwendungen
Chemie
Die Koordinaten der Atome der Moleküle in ihrer Gleichgewichtskonformation lassen sich mit Hilfe von Symmetrieoperationen (Spiegelung, Drehung, Inversion, Drehspiegelung) auf sich selbst abbilden. Die Symmetrieoperationen haben die Eigenschaften von Gruppen, die so genannten Punktgruppen. Außerdem kann gezeigt werden, dass die Gruppentheorie auch für die Symmetrie von Funktionen gilt, also auch für Wellenfunktionen in der Quantenmechanik.
Beispielanwendungen
- Quantenchemie
- Der Rechenaufwand von quantenchemischen Rechnungen kann unter Benutzung der Gruppentheorie erheblich verringert werden, z. B. hat ein Hamiltonoperator die gleiche Symmetrie wie sein System.
- Weiterhin ist sie hilfreich zur Beschreibung von SALKs (Symmetrieadaptierten Linearkombinationen aus Atomorbitalen), was in der MO-Theorie und Ligandenfeldtheorie Anwendung findet.
- Weiterhin findet die Gruppentheorie Anwendung bei der Theorie der Erhaltung der Orbitalsymmetrie (siehe: Woodward-Hoffmann-Regeln).
- Spektroskopie
- Die Gruppentheorie ist auch für die Infrarotspektroskopie von Bedeutung, IR-, Raman-Eigenschaften, Vorhandensein von Quadrupol- und Octopolmoment können direkt aus der Charaktertafel eines Moleküls abgelesen werden.
- In der NMR-Spektroskopie sind Protonen, die sich durch Spiegelung aufeinander abbilden lassen chemisch äquivalent und ergeben darum im Spektrum die gleiche chemische Verschiebung.
- Physikalische Eigenschaften
- Ein permanentes elektrisches Dipolmoment können nur Moleküle der Punktgruppen
und haben - Chiralität/optische Aktivität
- Moleküle, die keine Drehspiegelachse
aufweisen, sind chiral und daher optisch aktiv, z. B. Brom-chlor-iod-methan - Moleküle, die eine Spiegelachse haben, sind nicht optisch aktiv, auch wenn sie chirale Zentren enthalten, z. B. Meso-Verbindungen. Chirale Katalysatoren in der enantioselektiven Synthese enthalten oft Liganden mit
-Symmetrie, damit sich definierte Komplexe bilden.
- Moleküle, die keine Drehspiegelachse
- Ein permanentes elektrisches Dipolmoment können nur Moleküle der Punktgruppen
- Kristallographie
- In der Kristallographie kommt die Gruppentheorie durch die Einordnung von Kristallstrukturen in die 230 möglichen Raumgruppen vor.
Physik
In der Quantenmechanik sind Symmetriegruppen als Gruppen von unitären oder antiunitären Operatoren realisiert. Die Eigenvektoren einer maximalen, abelschen Untergruppe dieser Operatoren zeichnet eine physikalisch wichtige Basis aus, die zu Zuständen mit wohldefinierter Energie oder Impuls oder Drehimpuls oder Ladung gehört. Beispielsweise bilden in der Festkörperphysik die Zustände in einem Kristall mit einer fest gewählten Energie einen Darstellungsraum der Symmetriegruppe des Kristalls.
Siehe auch
- Hierarchie mathematischer Strukturen
- Der Begriff kartesische Gruppe bezeichnet in der synthetischen Geometrie einen Ternärkörper mit bestimmten Zusatzeigenschaften.
Literatur
- Gerd Fischer: Lineare Algebra. Eine Einführung für Studienanfänger. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-8348-0428-0.
- Pavel S. Alexandroff: Einführung in die Gruppentheorie. Deutsch, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-8171-1801-4.
- Hans Kurzweil, Bernd Stellmacher: Theorie der endlichen Gruppen - eine Einführung. Springer, Berlin 1998, ISBN 3-540-60331-X.
- Thorsten Camps, et al.: Einführung in die kombinatorische und die geometrische Gruppentheorie. Heldermann, Lemgo 2008, ISBN 978-3-88538-119-8.
- Oleg Bogopolski: Introduction to group theory. European Math. Soc., Zürich 2008, ISBN 978-3-03719-041-8.
Weblinks
- Gruppenzwang – eine Einführung in die Gruppentheorie auf Matroids Matheplanet
- Online-Werkzeug zur Erstellung von Gruppentafeln (englisch)