Flammschutzmittel

Flammschutzmittel

Flammschutzmittel (oder Brandhemmer) sind Stoffe, welche die Ausbreitung von Bränden einschränken, verlangsamen oder verhindern sollen. Angewendet werden Flammschutzmittel überall dort, wo sich potentielle Zündquellen befinden, wie z. B. in elektronischen Geräten (Elektrischer Kurzschluss), Polstermöbeln oder Teppichen (siehe Zimmerbrand).

Der weltweite Jahresverbrauch von Flammschutzmitteln liegt aktuell bei über 1,5 Mio. Tonnen, was einem Verkaufsvolumen von ca. 1,9 Mrd. Euro entspricht.[1]

Viele Flammschutzmittel sind gesundheitlich und/oder ökologisch bedenklich. Im Hausstaub, im Blutserum und in der Muttermilch findet man von einigen Flammschutzmitteln seit Jahren steigende Konzentrationen.[2][3][4]

Wirkungsweise von Flammschutzmitteln

Die Wirkung wird in chemische und physikalische Prinzipien unterteilt.

Bei der chemischen Wirkung wird wie folgt unterschieden:

  • Gasphase: Durch bei der Pyrolyse des Materials entstehende Gase wird die Radikalkettenreaktion unterbunden
  • Festphase: Eine „Schutzschicht“ aus verkohltem Material wird aufgebaut (Intumeszenz). Diese verhindert den Zutritt von Sauerstoff und von Wärme.

Bei der physikalischen Wirkung unterscheidet man folgende Effekte:

  • Kühlung: Durch den Energieverbrauch einer endothermen Zersetzung, beispielsweise durch Verdampfen von (chemisch oder physikalisch) gebundenem Wasser, wird das Material gekühlt
  • Bildung einer Schutzschicht (Intumeszenzschicht); die Bildung der Schicht kann sowohl durch chemische als auch durch physikalische Prozesse geschehen
  • Verdünnung der brennbaren Gase durch inerte Substanzen
  • Verflüssigung: Das erhitzte Material schmilzt und fließt aus der Brandzone, die Schmelze wird durch die verringerte Oberfläche schwer entflammbar

Die meisten Flammschutzmittel wirken sowohl durch einen oder mehrere chemische als auch physikalische Prozesse, in jeweils unterschiedlich starken Anteilen.

Der Vorgang der Radikalkettenreaktion läuft schematisch folgendermaßen ab:

1. Freisetzung der Halogenradikale (X·) aus dem Flammschutzmittel: R–X → R· + X·
2. Bildung von Halogenwasserstoffen (HX): R–H + X· → R· + H–X
3. Endothermes Binden des Sauerstoffes über Zwischenstufen: X· + ·O–O· → X–O· + ·O·
X· + ·O· → X–O·
·O· + H–X → ·OH + X·
X-O· + H–X → 2 X· + ·OH
4. Neutralisation energiereicher Radikale und Rekombination: H–X + ·OH → H2O + X·
R· + ·OH → R–OH
R· + R· → R–R

Die Reaktion von Halogenradikal und Halogenwasserstoff mit Sauerstoff und dessen Reaktionsprodukten dient hierbei als endothermer Schritt, um die stark exotherme Verbrennung zu bremsen und eine Ausbreitung der Flamme zu erschweren. Gleichzeitig wirkt der Halogenwasserstoff als verdünnendes Gas in der Umgebung der Flamme und verringert so den Sauerstoffanteil im Gas-Luft-Gemisch. Hierdurch wird zusätzlich ein flammhemmender Effekt erzielt.

Die Effizienz von halogenierten Flammschutzmitteln kann durch Kombination mit Antimonoxid (Sb2O3) auf ein Mehrfaches gesteigert werden. Hierbei spricht man von einem synergetischen Effekt.

Typen von Flammschutzmitteln

Prinzipiell unterscheidet man vier Typen von Flammschutzmitteln:

  • Additive Flammschutzmittel: Die Brandhemmer werden in die brennbaren Stoffe als Zusatzstoffe eingearbeitet
  • Reaktive Flammschutzmittel: Die Substanzen sind selbst Bestandteil des Materials (siehe auch Polymerisation)
  • Inhärenter Flammschutz: Das Material selbst ist flammwidrig
  • Coating: Der Brandhemmer wird von außen als Beschichtung aufgebracht

Diese setzen sich anteilig aus den folgenden Kategorien zusammen (Produktionsanteile weltweit[5]):

50 % Anorganische Flammschutzmittel
25 % Halogenierte (bromierte und chlorierte) Flammschutzmittel
20 % Organophosphor-Flammschutzmittel (können auch Chlor oder Brom enthalten)
5 % Stickstoff basierte Flammschutzmittel

Die DIN EN ISO 1043-4 klassifiziert Flammschutzmittel für Kunststoffe und weist ihnen zweistellige Codenummern zu:

  • 1x: Halogenverbindungen
  • 2x: Halogenverbindungen
  • 3x: Stickstoffverbindungen
  • 4x: Organische Phosphorverbindungen
  • 5x: Anorganische Phosphorverbindungen
  • 6x: Metalloxide, Metallhydroxide, Metallsalze
  • 70–74: Bor- und Zinkverbindungen
  • 75–79: Siliziumverbindungen
  • 80: Graphit

Flammgeschützte Kunststoffe enthalten in ihrem Kurzzeichen den Zusatz „FR(<Codenummer1>+<Codenummer2>+..)“. Beispielsweise steht „PA6 GF30 FR(52)“ für ein mit 30 % Glasfasern gefülltes Polyamid 6, welches mit rotem Phosphor flammgeschützt ist.

Halogenierte Flammschutzmittel

Die wichtigsten Vertreter sind polybromierte Diphenylether (PentaBDE, OctaBDE, DecaBDE), TBBPA und HBCD. Bis in die 1970er-Jahre wurden außerdem Polybromierte Biphenyle (PBB) als Flammschutzmittel verwendet. Zu den chlorierten Flammschutzmitteln zählen z. B. Chlorparaffine und Mirex. Mit Ausnahme von TBBPA werden diese Substanzen nur als additive Flammschutzmittel eingesetzt. Haupteinsatzbereiche sind Kunststoffe in elektrischen und elektronischen Geräten (z. B. Fernseher, Computer), Textilien (Polstermöbel, Matratzen, Vorhänge, Sonnenstoren, Teppiche), Automobilindustrie (Kunststoffbestandteile und Polsterüberzüge) und Bau (Isolationsmaterialien und Montageschäume).[6][7]

Vor allem bei Bränden stellen halogenierte Flammschutzmittel eine große Gefahr dar. Unter der Hitzeeinwirkung wirken sie zwar brandhemmend, indem die bei der Pyrolyse gebildeten Halogen-Radikale die Reaktion mit Sauerstoff hemmen. Allerdings entstehen auch hohe Konzentration an polybromierten (PBDD und PBDF) oder polychlorierten Dibenzodioxinen und Dibenzofuranen (PCDD und PCDF). Diese sind auch unter dem Überbegriff „Dioxine“ für ihre hohe Toxizität bekannt („Seveso-Gift“). Überdies kann während der Produktion, der Gebrauchsphase und der Entsorgung eine Emission von Flammschutzmitteln stattfinden.[8]

TBBPA stellt einen Spezialfall der bromierten Flammschutzmittel dar. Es wird hauptsächlich als reaktives Flammschutzmittel eingesetzt, d. h., es wird chemisch in die Polymermatrix (z. B. Epoxidharze von Leiterplatten) eingebunden und stellt einen festen Bestandteil des Kunststoffes dar. Weitere reaktive bromierte Flammschutzmittel sind z. B. Brom- und Dibromstyrol, sowie 2,4,6-Tribromphenol. Ins Polymer eingebunden, sind die Emissionen dieser Flammschutzmittels sehr gering, und stellen meistens keine Gefahr dar. Die Dioxinbildung ist dennoch nicht grundsätzlich geringer. Im geringeren Maß wird TBBPA jedoch auch als additives Flammschutzmittel eingesetzt. Über die Abbauprodukte des durch Licht leicht zersetzlichen TBBPA liegen erst sehr wenige Daten vor.


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Alle oben genannten bromierten Flammschutzmittel haben eine ausführliche Risikobewertung im Rahmen der EU Altstoffverordnung 793/93/EWG durchlaufen oder sind in der Endphase dieser Risikobewertung. Als Resultat wurden PentaBDE und OctaBDE verboten, da sie sich in der Umwelt anreichern, persistent und toxisch sind. Es wurde kein Risiko für Mensch und Umwelt für DecaBDE gefunden, auch für TBBPA wurde kein Risiko für die Gesundheit gefunden. Die Risikobewertungen für Hexabromocyclododecan und der Umweltteil von TBBPA sind noch nicht abgeschlossen, werden aber gegen Ende 2006 vervollständigt sein. Bei DecaBDE sind in letzter Zeit wieder Diskussionen aufgekommen, da neue Untersuchungen gezeigt haben, dass die Substanz unter Einfluss von UV-Strahlung debromiert werden kann und somit auch die kürzlich verbotenen OctaBDE und PentaBDE gebildet werden können.

Die Gefahrenpotentiale von Flammschutzmitteln wie polybromierten Diphenylethern (PBDE) und polybromierten Biphenylen (PBB) in Bezug auf deren Bildung von PBDD/F haben zu einem Verbot durch die EU geführt (WEEE, RoHS, ElektroG). Eine Ausnahme bildete DecaBDE, das von diesem Verbot vorerst ausgenommen war. Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist dieses ab dem 1. Juli 2008 in Elektro- und Elektronikgeräten nun doch verboten.[9]

Im Jahr 2000 wurden weltweit 38 % der rund 5 Millionen Tonnen Brom für die Herstellung von bromierten Flammschutzmitteln verwendet.[10]

Gehalt an Flammschutzmitteln in verschiedenen Kunststoffen[11]:

Polymer Gehalt [%] Flammschutzmittel
Polystyrolschaum 0,8–4 HBCD
HIPS 11–15 DecaBDE, bromiertes Polystyrol
Epoxidharz 19–33 TBBPA
Polyamide 13–16 DecaBDE, bromiertes Polystyrol
Polyolefine 5–8 DecaBDE, Propylendibromstyrol
Polyurethan 10–18 PentaBDE, TBBPA-Ester
Polyethylenterephthalat 8–11 Bromiertes Polystyrol, TBBPA-Derivat
Ungesättigte Polyester 13–28 TBBPA
Polycarbonate 4–6 Bromiertes Polystyrol, TBBPA-Derivat
Styrol-Copolymere 12–15 OctaBDE, bromiertes Polystyrol

Ausschließlich aus halogenierten Monomeren bestehende Kunststoffe wie z. B. Polyvinylchlorid (PVC) und Polytetrafluorethen (PTFE), aber auch Polydibromstyrol und ähnliche Kunststoffe, sind durch ihre besonderen chemischen Eigenschaften nicht brennbar und werden als inhärent Flammgeschützt bezeichnet. Sie benötigen, je nach Flammschutzkategorie, kein oder nur wenig zusätzliches Flammschutzmittel.

Stickstoff basierte Flammschutzmittel

Stickstoff basierte Flammschutzmittel sind beispielsweise Melamin und Harnstoff.

Organophosphor-Flammschutzmittel

Bei dieser Verbindungsklasse werden typischerweise aromatische und aliphatische Ester der Phosphorsäure eingesetzt, wie beispielsweise:

  • TCEP (Tris(chlorethyl)phosphat)
  • TCPP (Tris(chlorpropyl)phosphat)
  • TDCPP (Tris(dichlorisopropyl)phosphat)
  • TPP (Triphenylphosphat)
  • TEHP (Tris-(2-ethylhexyl)phosphat)
  • TKP (Trikresylphosphat)
  • ITP („Isopropyliertes Triphenylphosphat“) Mono-, Bis- und Tris(isopropylphenyl)phosphate unterschiedlichen Isopropylierungsggrades
  • RDP (Resorcinol-bis(diphenylphosphat))
  • BDP (Bisphenol-A-bis(diphenylphosphat))

Diese Flammschutzmittel kommen beispielsweise bei weichen und harten PUR-Schäumen in Polstermöbeln, Fahrzeugsitzen oder Baumaterialien zum Einsatz.[12]. In letzter Zeit werden BDP und RDP jedoch zunehmend als Ersatzstoffe für OctaBDE in Elektrogeräte-Kunststoffen eingesetzt.

Anorganische Flammschutzmittel

Anorganische Flammschutzmittel sind beispielsweise:

  • Aluminiumhydroxid [Al(OH)3], das weltweit am meisten eingesetzte Flammschutzmittel (auch ATH für „Aluminiumtrihydrat“ genannt). Es wirkt, durch Abspaltung von Wasser, kühlend und gasverdünnend, muss aber in großen Anteilen (bis zu 60 %) zugemischt werden.
  • Magnesiumhydroxid [Mg(OH)2, MDH, „Magnesiumdihydrat“] ist ein mineralisches Flammschutzmittel mit höherer Temperaturbeständigkeit als ATH, aber mit gleicher Wirkungsweise.
  • Ammoniumsulfat [(NH4)2SO4] und -phosphat [(NH4)3PO4] verdünnen das Gas in der Flamme durch Abspaltung von Ammoniak (NH3), welches zu Wasser und unterschiedlichen Stickoxiden verbrennt und der Flamme dadurch den Sauerstoff entzieht. Gleichzeitig bewirken sie die Bildung einer Schutzschicht durch die entstehende Schwefel- (H2SO4) bzw. Phosphorsäure (H3PO4), die als eine ihrer Funktionen die Radikalkettenreaktion unterbrechen können. Die Säuren sind außerdem nicht brennbar, stark hygroskopisch und besitzen hohe Siedepunkte. Daher kondensieren sie im kühleren Bereich der Flamme und schlagen sich auf dem Material nieder. Phosphorsäure bildet durch Wasserabspaltung zusätzlich Meta- und Polyphosphorsäure, welche noch höhere Siedepunkte besitzen.
  • Roter Phosphor bildet eine Schicht aus Phosphor- und Polyphosphorsäuren auf der Oberfläche und lässt diese aufquellen (Intumeszenz). Diese Schicht wirkt isolierend und schützt das Material vor Sauerstoffzutritt. Die hier gebildeten Phosphate haben die gleichen Eigenschaften wie die aus dem Ammoniumphosphat stammenden.
  • Antimontrioxid (Sb2O3) wirkt nur als Synergist in Kombination mit halogenierten Flammschutzmitteln. Nachteilig ist seine katalytische Wirkung bei der Dioxin-Entstehung im Brandfall.
  • Antimonpentoxid (Sb2O5) wirkt, ähnlich wie Sb2O3, als Synergist.
  • Zinkborate (siehe Borate) wirken unter anderem durch Wasserabgabe des Borates kühlend und gasverdünnend. Zinkverbindungen können aber auch synergetisch wirken und teilweise das gefährlichere Antimontrioxid ersetzen.
  • Gelöschter Kalk [Ca(OH)2] wurde während des 2. Weltkriegs als Flammschutzmittel für das Holz der Dachstühle verwendet. Es bindet zunächst unter Wasserabspaltung Kohlendioxid aus der Luft und geht in Calciumcarbonat (CaCO3) über. Als Schutzanstrich erschwert es den Zutritt von Sauerstoff.

Quellen

  1. Marktstudie Flammschutzmittel von Ceresana Research
  2. Sonya Lunder, Renee Sharp, Amy Ling, Caroline Colesworthy: Study Finds Record High Levels of Toxic Fire Retardants in Breast Milk from American Mothers
  3. Rückstände von Flammschutzmitteln in Frauenmilch aus Deutschland unter besonderer Berücksichtigung von polybromierten Diphenylethern (PBDE) (PDF)
  4. Andreas Sjödin, Lars Hagmar, Eva Klasson-Wehler, Kerstin Kronholm-Diab, Eva Jakobsson, Åke Bergman: Flame Retardant Exposure: Polybrominated Diphenyl Ethers in Blood from Swedish Workers, Environmental Health Perspectives 107 (8) 1999, PMC 1566483 (in dieser Publikation finden sich noch weitere Referenzen)
  5. Danish EPA (1999). Brominated Flame Retardants. Substance Flow Analysis and Assessment of Alternatives
  6. Dieter Drohmann (2001): Das Anwendungsspektrum bromierter Flammschutzmittel: Einsetzbarkeit, Eigenschaften, Umweltdiskussion (Version vom 28. September 2007 im Internet Archive).
  7. R. Gächter, H. Müller, Plastics Additives Handbook, Hanser, Munich, 1993.
  8. Kemmlein, S., Hahn, O., Jann, O.: Emissionen von Flammschutzmitteln aus Bauprodukten und Konsumgütern, project no. (UFOPLAN reference no.) 299 65 321, Environmental Research Programme of the Federal Ministry for Environment, Nature Conservation and Nuclear Safety, commissioned by the Federal Environmental Agency (UBA), UBA-FB 000475, Berlin, April 2003.
  9. Presseinformation Umweltbundesamt vom 30. Juni 2008
  10. Linda S. Birnbaum, Daniele F. Staskal: Brominated Flame Retardants: Cause for Concern?, Environ Health Perspect 112: 9–17 (2004); doi:10.1289/ehp.6559.
  11. Pedro Arias (2001): Brominated flame retardants – an overview. The Second International Workshop on Brominated Flame Retardants, Stockholm.
  12. SpecialChem4polymers: Flame Retardants Center – Organic Phosphorus Compounds Center

Weblinks