Melamin

Melamin

Dieser Artikel behandelt die chemische Verbindung Melamin, nicht das Hautpigment Melanin.


Strukturformel
Struktur von Melamin
Allgemeines
Name Melamin
Andere Namen
  • Cyanursäuretriamid
  • 2,4,6-Triamino-1,3,5-triazin
Summenformel C3H6N6
CAS-Nummer 108-78-1
PubChem 7955
Kurzbeschreibung

farb- und geruchlose monokline Prismen[1]

Eigenschaften
Molare Masse 126,12 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Dichte

1,57 g·cm−3 (20 °C) [2]

Schmelzpunkt

350 °C (Zersetzung) [1]

Dampfdruck

< 0,1 Pa (20 °C) [2]

Löslichkeit
  • schlecht in kaltem Wasser (3,2 g·l−1 bei 20 °C)[2]
  • gut in heißem Wasser, unlöslich in Diethylether[1]
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [2]
keine GHS-Piktogramme
H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze
LD50
  • 3296 mg·kg−1 (Maus, peroral) [3]
  • 3161 mg·kg−1 (Ratte, oral) [3]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
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Melamin (2,4,6-Triamino-s-triazin), eine farblose Substanz, ist eine heterocyclische aromatische Verbindung mit Stickstoff. Im Handel und Alltag wird die Bezeichnung auch für einen Kunststoff aus der Gruppe der Duroplaste, ein Aminoplast, verwendet.

Gewinnung und Darstellung

Justus von Liebig stellte 1834 Melamin aus Kaliumthiocyanat und Ammoniumchlorid erstmals dar. Die erste kommerzielle Herstellung fand 1930 statt, worauf Bedeutung und Menge des jährlich hergestellten Melamins stark anstiegen. Früher spielte die Trimerisierung von Cyanoguanidin eine Rolle.

Melamin wird heute technisch durch Trimerisierung von Harnstoff gewonnen. Es existieren Hochdruck- (> 8 MPa) und Niederdruckverfahren (ca. 1 MPa). Es zählt zu den High Production Volume Chemicals (HPV).[4] Bedeutende Hersteller sind unter anderem BASF, Borealis Agrolinz Melamine, der weltgrößte Produzent Orascom Construction Industries (Sparte OCI Melamine, früher DSM Melamin)[5] und Zakłady Azotowe Puławy (ZAP). Für den europäischen Markt werden auch Importe aus Asien, insbesondere aus der Volksrepublik China, immer bedeutender.

Anlagen zur Herstellung von Melamin sind meist direkt an solche zur Harnstoffherstellung angebunden.

Als Nebenprodukte entstehen neben polycyclischen Verbindungen wie Melam und Melem auch Verbindungen mit Hydroxygruppen (–OH) statt Aminogruppen (–NH2). Dies sind Ammelin mit einer, Ammelid mit zwei und Cyanursäure mit drei OH-Gruppen. Die Hydoxyverbindungen kommen im fertigen technischen Produkt meist nur in Konzentrationen von unter 0,1 % vor.

Eigenschaften

Physikalische Eigenschaften

Melamin beginnt sich beim Schmelzen (ab etwa 350 °C) zu zersetzen. Es ist in kaltem Wasser wenig, in heißem gut löslich.

Chemische Eigenschaften

Die drei reaktiven Amin-Gruppen ermöglichen eine Vielzahl chemischer Reaktionen, von denen die Reaktion mit Formaldehyd zu sogenannten Methylol-Melaminen die wirtschaftlich bedeutendste ist (siehe Abbildung).

Durch die Reaktionsbedingungen und das molare Verhältnis von Melamin zu Formaldehyd lässt sich das Gleichgewicht von Melamin über Mono-, Di-, Tri-, Tetra-, Penta- bis zu Hexamethylolmelamin beeinflussen.

Wenn Melamin (1) mit Formaldehyd reagiert, entstehen Methylol-Melamine unterschiedlichen Grades. So entsteht nach sechsfacher Reaktion das Hexamethylolmelamin (2).


Bei der Tränkharz-Herstellung (sowie auch anderen sogenannten MF-Harzen) wird das Reaktionsprodukt weiter kondensiert, wobei höhermolekulare Verbindungen entstehen.

Darüber hinaus bildet Melamin wasserlösliche Salze mit vielen Mineralsäuren und organischen Säuren.

Analytik

Die qualitative und quantitative Bestimmung von Melamin bzw. Melamin-Metaboliten in komplexen Matrices wie z.B. Lebensmitteln erfolgt zuverlässig mit hoher Spezifität und Sensitivität mit den Methoden der HPLC und der Kopplung der HPLC mit der Massenspektrometrie. Des Weiteren wurde von Romer Labs eine Screeningmethode basierend auf dem ELISA-Prinzip entwickelt. Die Testmethode ist für Tierfutter, Weizengluten, Milch und Milchpulver nach den Kriterien der GIPSA zugelassen.[6]

Verwendung

Industrie

Der überwiegende Teil von Melamin wird zu Aminoplast-Kunstharz unter der Bezeichnung Melaminharz verarbeitet:

  • Holzwerkstoffleime: Für Standardprodukte (etwa Spanplatten im Möbelbau) werden aus Kostengründen reine Harnstoffharze verwendet; für Anwendungen, die erhöhte Anforderungen bezüglich Feuchtebeständigkeit haben, wird Melamin als Bestandteil in hochwertigen Harzklebesystemen verwendet (etwa Melamin-Harnstoff-Formaldehyd-Harze = MUF, mit „U“ für urea, engl. für ‚Harnstoff‘).
  • Tränkharze: Als MF-Tränkharz dient Melaminharz zur Verklebung von Dekorpapieren auf Trägerplatten (z. B. Spanplatten). Bedrucktes oder gefärbtes Papier wird oft mit Melaminharz getränkt, getrocknet und später unter Druck und erhöhter Temperatur mit dem Trägermaterial verbunden. Die entstehende Oberfläche zeichnet sich durch gute Haltbarkeit und Kratzfestigkeit aus.
  • Melaminharze werden aufgrund ihrer Bruchsicherheit häufig in Camping- und Kindergeschirr eingesetzt. Diese können allerdings bei Erhitzung gesundheitsgefährliche Mengen von Melamin und Formaldehyd freisetzen, weshalb man es nicht in Mikrowellenherden einsetzen sollte.[7]

Weitere, mengenmäßig weniger bedeutende Anwendungen:

  • Melaminharzschaum (Handelsname Basotect (BASF)[8]) verwendet man als nichtbrennbares Polstermaterial in Flugzeug- und Kinositzen und als akustischen Absorber. Melaminharzschaum-Platten an Wänden und/oder Decken absorbieren Schallwellen in Kinos, Tonstudios (z. B. schalltoten Räumen), Klassenzimmern und Kindergärten. Dies verbessert die Akustik (z. B. bessere Sprachverständlichkeit, weniger Nachhall/kürzere Nachhallzeit, akustisch „wärmere“ Atmosphäre). Basotect wird auch zur thermischen und akustischen Dämmung (z. B. Schallschutz in Diskotheken ) eingesetzt.
  • Offenporiger Schaum aus Melaminharz wird auch als „Schmutzradierer“, etwa der Handelsmarken „Meister Proper“[9], „Meiko“ oder „Oetex“ sowie „Nanoform“ genutzt. Die Reinigungswirkung beruht auf den abrasiven Harzpartikeln, die beim Reiben entstehen. Die Partikel werden, zusammen mit den Schmutzpartikeln, vom Schwamm aufgenommen. Der Schwamm verbraucht sich somit beim Reinigen.
  • Das Salz von Melamin mit Cyanursäure Melamincyanurat sowie auch Melaminpolyphosphat werden als Flammschutzmittel eingesetzt. Melamincyanurat ist dabei bis etwa 320 °C, Melaminpolyphosphat bis zu 350 °C stabil.[10]

Sicherheitshinweise

Die orale Aufnahme hoher Mengen führt bei verschiedenen Tierarten zur Bildung von Kristallen im Urin und Harnblasensteinen. Bei der Gabe hoher Dosen im Letalbereich an Mäuse und Ratten traten als Symptome Augentränen, Atemstörungen, Zittern, Kreislaufstörungen und Lähmung der Vorderextremitäten auf.[2] Die letale orale Dosis LD50 liegt für Ratten bei 3161 mg/kg, für Mäuse 3296 mg/kg.[3] Bei männlichen Ratten wurde eine erhöhte Inzidenz von Harnblasentumoren beobachtet. Es kann bei langfristiger hochdosierter Einnahme zum Tod durch Nierenversagen kommen. Das dabei beobachtete Auskristallisieren in den Harnwegen beruht allerdings nicht auf Melamin, sondern auf dessen Salzen, z. B. mit Glykolsäure.[11] Die Anreicherung in der Nahrungskette gilt als hochgradig unwahrscheinlich.[12]

Grenzwerte

Die Weltgesundheitsorganisation hat Anfang Juli 2010 im Codex Alimentarius einen maximalen Grenzwert von 2,5 Milligramm Melamin in einem Kilogramm Lebensmittel und der Tiernahrung festgelegt. Für Kindernahrung wie Milchpulver wurde ein Grenzwert von 1 Milligramm Melamin pro Kilogramm bestimmt.[13]

Aktuelle Untersuchungen des Bundesinstituts für Risikobewertung zeigten, dass Kochgeschirr und Kochgeräte aus Melamin nicht auf 100 °C erhitzt werden dürfen, da sonst relevante Mengen an Melamin und Formaldehyd freigesetzt werden können. Bis zu einer Temperatur von 70 °C bestehen aus gesundheitlicher Sicht keine Bedenken.[14]

Missbrauch in Tierfutter und Lebensmitteln

In China wurde Melamin 2006 dazu verwendet, eine für die USA bestimmte Lieferung von Weizengluten – ein Bestandteil von Haustierfutter – zu strecken, um einen höheren Proteingehalt vorzutäuschen. Die Fütterung führte zum Tod von Haustieren durch Nierenversagen, und 2007 wurde ein landesweiter Rückruf des Futters eingeleitet.[15][16] Zur Pathophysiologie von Melamin bei Hauskatzen wurde inzwischen eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung vorgelegt.[17]

Um die illegale Streckung von Milchpulver und anderen Milchprodukten durch bislang noch unbekannte Stoffe, aber auch Wasser, zu verdecken, wurde von chinesischen Molkereien und Babynahrungsherstellern dem Milchpulver Melamin zugesetzt. Der dadurch erhöhte Stickstoffgehalt täuscht einen höheren Proteinanteil vor, da die Bestimmung des Stickstoffgehalts nach Kjeldahl in der Lebensmittelanalytik als einfache, aber unspezifische Methode zur Ermittlung des Proteingehalts verwendet wird. Die für die Niere giftige Wirkung von Melamin führte 2008 in China zum Tod von sechs Säuglingen und durch Nierenstein-Bildung zur Erkrankung von rund 294.000 Kindern.[18] Melamin wurde außerdem in Milchfertigprodukten und gewöhnlicher Flüssigmilch nachgewiesen.[19]

Am 25. September 2008 verbot die Kommission der Europäischen Union die Einfuhr aller Erzeugnisse für Säuglinge und Kleinkinder aus China, welche Milchanteile enthalten. Dennoch mussten Anfang Oktober 2008 sowohl in Österreich als auch in der Slowakei mit Melamin belastete Milchgetränke aus dem Verkehr gezogen werden.[20] Ende 2008 fand das baden-württembergische Verbraucherministerium in Hirschhornsalz aus China Spuren von Melamin. Die Behörden starteten eine Rückrufaktion der betroffenen Ware, die nicht dem Reinheitsgebot nach dem Lebensmittelrecht entspricht.[21]

Im ersten Prozess um die vergiftete Babynahrung verurteilte ein Gericht in der Provinz Hebei im Januar 2009 drei Angeklagte zum Tode, zwei von ihnen wurden am 24. November 2009 hingerichtet.[22] Sie wurden für schuldig befunden, an der Herstellung von verseuchtem Milchpulver beteiligt gewesen zu sein. Das Gericht verhängte außerdem für weitere Angeklagte Haftstrafen zwischen fünf und 15 Jahren.[23]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Thieme Chemistry (Hrsg.): RÖMPP Online - Version 3.5. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2009.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Eintrag zu Melamin in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 11. Januar 2008 (JavaScript erforderlich)
  3. 3,0 3,1 3,2 Toxicology and Applied Pharmacology. Vol. 72, Pg. 292, 1984.
  4. screening Report
  5. Orascom: OCI Nitrogen.
  6. Romer Labs - AgraQuant® Melamine ELISA Test Kit
  7. Melaminharz-Geschirr sollte nicht in die Mikrowelle, Welt Online, 13. Mai 2011
  8. [www.basotect.de basotect.de]
  9. Stiftung Warentest: Melamin in Milchprodukten : Keine Panik, Meldung vom 1. Oktober 2008
  10. Flame Retardants Center: Melamine Compounds
  11. Melamin Salze, Bereich Makromolekulare Chemie der TU Wien
  12. Interim Melamine and Analogues Safety/Risk Assessment, U.S. Food and Drug Administration, 25. Mai 2007
  13. WHO: International experts limit melamine levels in food. Mitteilung vom 6. Juli 2010
  14. Freisetzung von Melamin und Formaldehyd aus Geschirr und Küchenutensilien. Stellungnahme Nr. 012/2011 des BfR vom 9. März 2011
  15. MSNBC: Human, pet food makers checked for melamine 3. Mai 2007
  16. Science Daily: Pet Food Recall: How Melamine Impairs Kidney Function
  17. Cianciolo et al.: Clinicopathologic, histologic, and toxicologic findings in 70 cats inadvertently exposed to pet food contaminated with melamine and cyanuric acid. J Am Vet Med Assoc. 2008 Sep 1;233(5):729-37. PMID 18764706
  18. "Vertuscht und verschwiegen: Melamin-Skandal weitet sich aus" (Zeit Online vom 2. Dezember 2008)
  19. „Melamin in Milchprodukten in China und Hongkong entdeckt“ (AFP-Meldung vom 18. September 2008)
  20. Melamin-Milch auch in der Slowakei entdeckt www.heute.de, 4. Oktober 2008
  21. RP Online: Melamin-Skandal weitet sich aus: Chemikalie auch im Weihnachtsgebäck?, 2. Dezember 2008
  22. http://www.focus.de/politik/ausland/milchpulver-skandal-zwei-hinrichtungen-in-china_aid_456934.html
  23. Gericht verhängt Todesstrafen im Milchpulver-Skandal Spiegel Online, 22. Januar 2009

Übersichtsarbeiten

  • Anthony Kai-ching Hau, Tze Hoi Kwan, Philip Kam-tao Li: Melamine toxicity and the kidney. In: Journal of the American Society of Nephrology: JASN. 20, Nr. 2, 2009, S. 245-50. doi:10.1681/ASN.2008101065. PMID 19193777. Abgerufen am 10. März 2009.

Weblinks