Charles Frédéric Gerhardt
Charles Frédéric Gerhardt (* 21. August 1816 in Straßburg; † 19. August 1856 ebenda) war ein elsässischer Chemiker. Gerhardt war ein organischer Chemiker, er erkannte, dass die bislang benutzten Summenformeln in der organischen Chemie falsch waren, er verbesserte die Typentheorie (Typen: Wasserstoff, Halogenwasserstoff, Ammoniak, Wasser), er erkannte, dass sich die Siede- und Schmelzpunkte von organischen Verbindungen durch jede zusätzliche Methylengruppe gleichmäßig ändern.
Leben
Sein Vater war der Samuel Gerhardt (1780–1847), zunächst ein Bankbeamter in Strasbourg dann seit dem Jahre 1825 Fabrikant in Hangenbieten.[1] Seine Mutter war die verwitwete Charlotte Henriette Gerhardt (1785–1846), geborene Weber und vormals mit Philipp Jacques Lobstein verheiratet.
Gerhardt studierte ab 1831 an der polytechnischen Schule in Karlsruhe, 1833 in Leipzig bei Erdmann, in Gießen bei Justus von Liebig und in Dresden.
Ab 1834 arbeitete er in der väterlichen Bleiweißfabrik. Er ging nach einem Streit mit seinem Vater zum Militär. Durch Geld von deutschen Freunden (vermutlich auch von Liebig) konnte er sich vom Militärdienst freikaufen, seinem Vater Geld übermitteln und bei Liebig in Gießen forschen (1836–1837). Durch die komplizierte Beziehung zu seinem Vater kam es zu erneuten Zerwürfnissen, so dass Gerhardt 1838 mit einer Referenz von Justus von Liebig ausgestattet nach Paris ging. Er hörte dort Chemie- und Physik-Vorlesungen bei Jean-Baptiste Dumas und César-Mansuète Despretz. 1838 wurde er Assistent bei eben Dumas an der Sorbonne. Durch die Vermittlung des ihm befreundeten Auguste André Thomas Cahours wurde er anschließend Assistent im Laboratorium von Eugène Chevreul im Pariser botanischen Garten Jardin des Plantes aufgenommen. Durch die nunmehr sich verbessernden Möglichkeiten zu eigenständigen experimenteller Arbeit so über die kampferähnliche Substanz Hellenin, aus der Wurzel der Inula hellenium[2] und über die Bernsteinsäure (Succinylsäure). Mit seinem Studienfreund forschte er ferner über ätherische Öle. 1841 promovierte er, bestand die Lizentiatprüfung und wurde 1844 Titularprofessor für Chemie in Montpellier. 1844 lernte er auch Auguste Laurent kennen, mit dem er bis zu dessen Tod 1853 befreundet blieb. Aus Geldmangel kam die Ehe mit einer Frau aus Montpellier nicht zustande. Gerhardt heiratete 1844 schließlich Jane Sander, die Tochter eines Schotten.
1848 verließ er Montpellier und gründete in Paris seine Schule für praktische Chemie, École de chimie pratique. 1855 wurde er Professor für Chemie an der École Polytechnique in Straßburg.
Wissenschaftliche Leistungen
Gerhardt hatte im Alter von achtzehn Jahren bereits Gesteinsproben auf Silikat untersucht.
Atommasse, Äquivalente
Im Jahr 1842 veröffentlichte er eine Abhandlung über chemische Äquivalente, die im Gegensatz zur Lehrmeinung stand.[3] Damals lagen die Äquivalentgewichte für die Atome C = 6, O = 8, S = 16, Ca = 20. Da Wasserstoff noch als einatomiges Gas angesehen wurde, stellte Gerhardt Abweichungen beim Avogadroschen Gesetz für organischen Molekülen in der Gasphase fest. Er nahm an, dass organische Moleküle im Gas zwei Volumenteile benötigen würden. Ferner schrieb Gerhardt, dass ein Großteil aller älteren Formeln für organische Moleküle falsch sei, die Formeln müssten halbiert werden. Vor 1845 gebrauchte Leopold Gmelin die Summenformeln C2O4 (Kohlendioxid), S2O4 (Schwefeldioxid), für Anilinhydrochlorid gab August Wilhelm von Hofmann (1842) die Formel C12H14N2 + H2Cl2 an.
Gerhardt forderte für die Atommassen von C = 12, O = 16, S = 32.[4] Da Gerhardt den Begriff des Äquivalents falsch gebrauchte und auch für Metalloxide falsche Atommassen ansetzte, wurden seine Ideen von anderen Chemikern abgelehnt.
Durch eine Ausarbeitung von Auguste Laurent, der Wasserstoff, Sauerstoff, Chlor, Stickstoff als zweiatomige Gase betrachtete und diese zweiatomigen Gase als Moleküle bezeichnete, konnten die Dichten, die Molekülmassen und Summenformeln von organischen Molekülen richtig bestimmt werden.
Die richtige Schreibweise für Summenformeln bürgerte sich erst ab 1850 in Zeitschriften und Büchern ein.
Resttheorie, Basizitätsgesetz, Typentheorie
In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zur Theorie der Reaktionen von organischen Stoffen unterstützte Gerhardt die Kerntheorie von Laurent. Er ergänzte die Kerntheorie bezüglich der Resttheorie. Bei Abspaltungen aus organischen Molekülen, die im Kohlenstoff-Kern konstant bleiben, treten stabile anorganische Verbindungen wie Wasser, Ammoniak, Chlorwasserstoff, Kohlendioxid aus. Die Atomkomplexe des Kohlenstoffs (die Reste) bleiben dabei intakt. Da noch keine exakten Strukturformeln für organische Moleküle bekannt waren, ging Gerhardt davon aus, dass die abgespaltenen Reste im engen Verband im Molekül im Zusammenhang stehen. Er nahm also mehrere Formeln für ein Molekül an.
Gerhardt erkannte auch, dass das austretende Element bei einer chemischen Reaktion dem eintretenden Element in stöchiometrischer Menge entsprechen muss (z. B. Umsetzung von Ethanol zu Ethylbromid, Restgruppe: Wasser, Eintrittsgruppe: Bromid). Neben der Substitution erkannte er auch bei der Addition gesetzmäßige Zusammenhänge. Bei der Einwirkung von Schwefelsäure oder Salpetersäure auf organische Verbindungen (z.B. Alkohole, Kohlenwasserstoffe) konnte er veränderte Eigenschaften dieser Stoffe nachweisen. Diese Erkenntnisse führten zum sogenannten Basizitätsgesetz. Die Basizität gepaarter Verbindungen ist gleich der Summe der Basizitäten sich paarenden Körper, weniger eins. Die Basizität war damals mit der Zahl der abspaltbaren Wasserstoffatome einer Säure identisch. Schwefelsäure hatte die Basizität von zwei. Bei Verbindung zu einer organischen Sulfonsäure lag die Basizität der Sulfonsäure nur noch bei eins.
In seiner Typentheorie (Chemie), die eine Ergänzung der Ideen von Jean Baptiste Dumas war, vertrat Gerhardt die Auffassung, dass es vier Typen geben müsste: Wasserstoff (H-H), Halogenwasserstoff (H-Cl), Wasser (H-O-H), Ammoniak (NH3). Durch Ersatz eines Wasserstoffatoms lassen sich vier Typen von Verbindungen ableiten. Durch Verdopplung einzelner Typen lassen sich auch gemischte Typen erzeugen[5].
Analysen und Synthesen
Mit Cahours entdeckte Gerhardt 1841 im Kümmelöl den organischen Stoff p-Cymol, das Dumas bereits im Jahr 1832 aus Kampfer synthetisiert hatte. Im Jahr 1842 entdeckte Gerhardt das Chinolin im Chinin. 1843 stellte Gerhardt das Acetanilid aus Acetylchlorid und Anilin her. Er synthetisierte nun viele weitere Anilide, d.h. Amide die als Aminogruppe das Anilin enthalten. Beim Erhitzen von Salicylsäure finden Gerhardt und Laurent das Hydroxyphenyl, das sie Phenol nennen. Die Salicylsäure konnte von ihm auch acetyliert werden, so dass Acetylsalicylsäure entstand. 1849 synthetisieren Laurent und Gerhardt aus Phenol und Phosphorpentachlorid das Chlorbenzol. 1852 entdeckt Gerhardt wasserfreie Säuren, die Säureanhydride, in der organischen Chemie. Im gleichen Jahr prägte Gerhardt den Begriff Acetyl als er das Acetylchlorid aus Kaliumazetat und Phosphortrichlorid dargestellt hatte. Mit dem Acetylchlorid konnten nun viele Amide, Diamide in der organischen Chemie hergestellt werden.
Zusammen mit Laurent vertrat Gerhardt die Auffassung, das Atome auch in organischen Molekülen verschiedene Wertigkeiten besitzen und Stoffumsetzungen in chemischen Gleichungen auszudrücken sind.
Gerhardt führte 1843 den Begriff der Homologen Reihe ein.
Gerhardt hat auch ein Lehrbuch für Organische Chemie geschrieben.
Werke (Auswahl)
- Ueber einige Stickstoffverbindungen des Benzoyls, Justus Liebigs Annalen der Chemie, (1838)
- Recherches chimiques sur les huiles essentielles: Premier Mémoire présenté à l'Académie des sciences , le 30 novembre 1840, Imprimerie de Bachelier, 1841.
- Recherches sur l'hellénine, principe concret de la racine d'aunée et sur quelques composés congénères, (1841)
- Untersuchungen über die organischen Basen, Liebigs Ann. Chem., (1842)
- Ueber Salpetersäure und salpetrigsäure Salze, Journal für Praktische Chemie, (1846)
- Recherches sur les acides organiques anhydres, Ann. Chim. Phys., (1853.
- Recherches sur les amides (mit L. Chiozza), Comptes rendus de l'Académie des sciences, (1853)
- Ueber die Einwirkung des Phosphorsuperchlorids auf einige Amide, Liebigs Ann. Chem., (1858)
Literatur
- Max Bloch: Gerhardt und Laurent, In: Das Buch Der Grossen Chemiker von Günther Bugge, Band 2, Verlag Chemie, Weinheim 1974, S. 92 ff. , ISBN 3-527-25021-2.
Weblinks
- Digitalisierte Werke von Gerhardt - SICD der Universitäten von Strasbourg (Version vom 12. Juni 2010 im Internet Archive)
Einzelnachweise
- ↑ Günther Kerstein: Gerhardt, Carl (Charles) Friedrich. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 6, Duncker & Humblot, Berlin 1964, S. 282 f. (Digitalisat).
- ↑ Pharmazeutisches Zentralblatt für 1840, Band 1 von No. 1-26, Voss Leipzig, S. 309 (eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
- ↑ Journ. pr. Chem. 27, 439.
- ↑ Journ. pr. Chem. 30, 1 ff
- ↑ Kekulé, August; et al.: Lehrbuch der organischen Chemie Bd.1, S.66 ff.,Google-Books
Personendaten | |
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NAME | Gerhardt, Charles Frédéric |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Chemiker |
GEBURTSDATUM | 21. August 1816 |
GEBURTSORT | Straßburg |
STERBEDATUM | 19. August 1856 |
STERBEORT | Straßburg |