Heisenbergsche Unschärferelation

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Dieser Artikel behandelt die Unschärferelation in der Quantenphysik; für den Bereich der Informationstechnik siehe Küpfmüllersche Unbestimmtheitsrelation.
Heisenberg und die Gleichung der Unschärferelation auf einer deutschen Briefmarke

Die Heisenbergsche Unschärferelation oder Unbestimmtheitsrelation ist die Aussage der Quantenphysik, dass zwei komplementäre Eigenschaften eines Teilchens nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmbar sind. Das bekannteste Beispiel für ein Paar solcher Eigenschaften sind Ort und Impuls. Die Unschärferelation ist nicht die Folge von Unzulänglichkeiten eines entsprechenden Messinstrumentes, sondern prinzipieller Natur. Die Unschärferelation wurde 1927 von Werner Heisenberg im Rahmen der Quantenmechanik formuliert.

Klassische Physik und Quantenmechanik

Die Unschärferelation resultiert aus der Tatsache, dass eine grundlegende Voraussetzung der Klassischen Physik in mikroskopischen Dimensionen nicht mehr gerechtfertigt ist, nämlich: dass einem Körper zu jeder Zeit ein bestimmter Ort und eine bestimmte Geschwindigkeit zugeschrieben werden kann. Damit verliert der Begriff der Teilchenbahn seine exakte Grundlage. Für makroskopische Vorgänge bleibt er als Näherung weiterhin brauchbar, auf mikroskopischen Skalen hat eine Teilchenbahn jedoch keine Bedeutung mehr.

Die wesentlich erfolgreicheren Ansätze von Heisenberg und Schrödinger, mit denen 1925/26 die Quantenmechanik begründet wurde und die sich bis heute bewähren, haben bei aller Unterschiedlichkeit eines gemeinsam: Die Begriffe Geschwindigkeit und Bahnkurve des Elektrons kommen in ihnen nicht vor. Dass man gerade im Verzicht auf diese Grundbegriffe der klassischen Physik eine wesentliche Bedingung für den Erfolg beider Ansätze sehen kann, begründete Heisenberg 1927 unter dem Titel Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik.[1]

Heisenberg erkannte, dass die mikroskopische Bestimmung des Ortes x eines Teilchens im Allgemeinen zu einer Beeinflussung (Störung) des Impulses p des Teilchens durch den Messapparat führen muss. Da aber die „Bahn“ des Teilchens maßgeblich durch seinen momentanen Impuls bestimmt ist, kann sie nach der Kenntnisnahme des Ortes durch den Beobachter nicht mehr denselben Verlauf haben wie vorher. Die Frage danach, ob eine Teilchenbahn existiert, wenn keine Beobachtung vorgenommen wird, wurde in der Physik intensiv diskutiert (vgl. Kopenhagener Diskussion).

Die physikalische Beeinflussung des Teilchens bei Messung kann man wie folgt veranschaulichen: Wenn der Ort eines Elektrons durch optische Beobachtung (im einfachsten Fall: Sehen) bestimmt werden soll, so kann das Teilchen beleuchtet werden, damit mindestens eins der einfallenden Lichtquanten in das Messinstrument (Auge, Mikroskop) gestreut wird. Einerseits ist die Ungenauigkeit Δx des Ortes dabei abhängig von der Wellenlänge des verwendeten Lichtes. Andererseits wirkt die Ablenkung des Lichtquants wie ein Stoß auf das Teilchen, wodurch der Impuls des Körpers eine Unbestimmtheit von Δp erfährt (Comptonstreuung). Als prinzipielle Untergrenze für diese Unbestimmtheiten schätzte Heisenberg, dass das Produkt von Δx und Δp nicht kleiner sein kann als die für die Quantenphysik charakteristische Naturkonstante, das Plancksche Wirkungsquantum $ h $. Diese fundamentale Grenze der Messbarkeit formulierte Heisenberg in der (symbolischen) Aussage[1][2]

$ \Delta x\Delta p\;\sim \;h $

Der zunächst qualitative Charakter dieser Abschätzung rührt daher, dass diese Aussage nicht (streng) bewiesen ist und weil der darin verwendeten Notation für die Unbestimmtheiten noch keine präzise und eindeutige Definition zugrunde gelegt wurde. Bei geeigneter Interpretation der Notation im Rahmen der modernen Quantenmechanik zeigt sich jedoch, dass diese Formel der Realität bereits sehr nahe kommt.

Warum diese charakteristischen Unbestimmtheiten weder im Alltag noch in der Forschung früher bemerkt worden waren, kann man verstehen, wenn man sich die Kleinheit des Planckschen Wirkungsquantums gegenüber den typischen erreichbaren Messgenauigkeiten für Ort und Impuls vergegenwärtigt. Dazu die folgenden Beispiele:

Beispiele

  • „Radarkontrolle im Straßenverkehr"
Der Ort des Fahrzeugs sei bei der Radarkontrolle bis auf ±1 m genau bestimmbar, d. h. Δx = 2 m. Die Unbestimmtheit der Geschwindigkeit wird mit Δv = 1 km/h angenommen und die Masse mit m = 1000 kg. Daraus ergibt sich eine Impulsunschärfe von Δp = m·Δv = 270 kg m/s. Damit resultiert für das Produkt: Δx·Δp = 8·1035·h. Die Einschränkung durch die Unschärferelation würde sich daher erst bei Steigerung der Genauigkeit um je 18 Dezimalstellen bei Ort und Geschwindigkeit bemerkbar machen. Es ist offensichtlich, dass das Radarsignal das Fahrzeug bei der Messung praktisch nicht beeinflusst.
  • „Staubkorn“
Bei einem extrem genau mikroskopierten Staubkorn von einer Masse m = 10-15 kg und geringer Unschärfe sowohl der Ortsangabe, Δx = 0.01 μm, als auch der Geschwindigkeit Δv = 1 mm/s, resultiert für das Produkt: Δx·Δp = 1.5·107·h. Die Einschränkung durch die Unschärferelation würde sich hier bei Steigerung der Genauigkeit um je vier Dezimalstellen bei Ort und Geschwindigkeit bemerkbar machen.
  • „Elektron im Atom“
Ein Atom hat einen Durchmesser von etwa 1 Å. Bei einer kinetischen Energie eines darin gebundenen Elektrons von etwa Ekin = 10 eV ergibt sich für das Elektron eine Impulsunschärfe von etwa Δp = 1.7·10-24 kg m/s. Eine Ortsbestimmung mit der Ungenauigkeit von etwa 10 Atomdurchmessern, Δx = 10 Å, ergibt für das Produkt Δx·Δp = 2.5·h, was noch im Bereich des prinzipiell Möglichen liegt. Für eine Ortgenauigkeit in der Größenordnung des Atomdurchmessers mit Δx = 1 Å hingegen gilt: Δx·Δp = 0.25·h. Dies steht aber in Widerspruch zur Unschärferelation, eine solche Genauigkeit der Beschreibung ist somit prinzipiell unmöglich.

Aussagen

Unter dem Begriff des Unschärfeprinzips werden die folgenden Aussagen zusammengefasst, die zwar miteinander verwandt sind, jedoch physikalisch unterschiedliche Bedeutung haben.[3] Sie sind hier beispielhaft für das Paar Ort und Impuls notiert.

  1. Es ist nicht möglich, ein Quantenobjekt in einem Zustand zu präparieren, bei dem der Ort und der Impuls beliebig genau definiert sind. Diese Unschärfe lässt sich als unmittelbare Konsequenz der Wellennatur der Materie („Welle-Teilchen-Dualismus“) in der Quantenphysik interpretieren.
  2. Es ist prinzipiell unmöglich, den Ort und den Impuls eines Teilchens gleichzeitig mit unbegrenzter Genauigkeit zu messen.
  3. Die Messung der Position eines Quantenobjektes ist zwangsläufig mit einer Störung seines Impulses verbunden, und umgekehrt.

Jede dieser drei Aussagen lässt sich quantitativ in Form sogenannter Unschärfe-Relationen formulieren, die eine untere Grenze für die minimal erreichbare Unschärfe der Präparation bzw. Messung angeben.

Auch zwischen anderen Paaren physikalischer Größen können Unschärferelationen gelten. Die Voraussetzung dafür ist, dass der Kommutator der beiden den Größen zugeordneten quantenmechanischen Operatoren nicht null ist.

Folgende Analogie verdeutlicht die Unbestimmtheit: Nehmen wir an, dass wir ein zeitveränderliches Signal, zum Beispiel eine Schallwelle, haben und wir die genaue Frequenz dieses Signals zu einem bestimmten Zeitpunkt messen wollen. Das ist unmöglich, denn um die Frequenz einigermaßen exakt zu ermitteln, müssen wir das Signal über eine Zeitspanne, die eine gewisse Mindestgröße nicht unterschreiten darf, beobachten, und dadurch verlieren wir Zeitpräzision. Das heißt, ein Ton kann nicht innerhalb nur einer beliebig kurzen Zeitspanne da sein, wie etwa ein kurzer Impuls, und gleichzeitig eine exakte Frequenz besitzen, wie sie etwa ein ununterbrochener reiner Ton hat. Die Dauer und die Frequenz der Welle sind analog zum Ort und Impuls eines Teilchens zu betrachten.

Ungleichungen

Bei der Formulierung von Unbestimmtheitsrelationen im Rahmen der Quantenmechanik gibt es verschiedene Vorgehensweisen, die sich jeweils auf unterschiedliche Arten von Messprozessen beziehen. Abhängig von dem jeweils zugrundegelegten Messprozess ergeben sich dann entsprechende mathematische Aussagen.

Streuungs-Relationen

Bei der populärsten Variante von Unschärferelationen wird ausgehend von einer Teilchengesamtheit die Unschärfe des Ortes x und des Impulses p durch deren statistische Streuung σx und σp gemessen. Die Unschärferelation besagt in diesem Fall[1][4]

$ \sigma _{x}\sigma _{p}\geq {\frac {\hbar }{2}}\,,\quad \quad \quad \quad (1) $

wobei $ \hbar =h/2\pi $ und $ \pi $ die Kreiszahl ist. Das charakteristische bei dem dabei zugrundegelegten Messprozess ist, dass sich die Messung der beiden Streuungen auf unterschiedliche, aber identisch präparierte, Stichproben von Teilchen beziehen. Daher handelt es sich hier nicht um einen simultanen Messprozess von Ort und Impuls. Gemäß dieser Vorgehensweise kann also keine gegenseitige Beeinflussung der Messungen zwischen Ort und Impuls vorkommen.[5]

Im Rahmen des Formalismus der Quantenmechanik ergeben sich die Wahrscheinlichkeitsverteilungen für Orts- und Impulsmessungen und damit die Standardabweichungen aus den zugehörigen Wellenfunktionen. Die Relation (1) folgt dann aus dem Umstand, dass die Wellenfunktionen bezüglich Ort und Impuls über eine Fourier-Transformation miteinander verknüpft sind. Die Fourier-Transformierte eines lokal begrenzten Wellenpakets ist nun wiederum ein Wellenpaket, wobei das Produkt der Paketbreiten einer Beziehung gehorcht, die der obigen Ungleichung entspricht. Aufgrund ihrer mathematisch stringenten Herleitbarkeit im Rahmen der Quantenmechanik erlangte diese Ungleichung u. a. ihre Bedeutung in der Lehrbuchliteratur.

Simultane Messung

Schematische Darstellung der Beugung am Spalt. Die Genauigkeit $ \Delta x $ der Ortsmessung entspricht der Breite des Spaltes.

Bei der von Heisenberg ursprünglich publizierten Relation wird der Begriff der Unschärfe von Ort und Impuls nicht immer durch die statistische Streuung dargestellt.[1][2] Ein von Heisenberg und Bohr in diesem Zusammenhang häufig diskutiertes Gedankenexperiment ist die Bestimmung von Ort und Impuls von Teilchen mit Hilfe des Einfachspaltes: Ein Strahl möglicher Elektronenbahnen wird durch einen Schirm mit einem Spalt der Breite Δx ausgeblendet (siehe Abbildung rechts). Die Teilchen, die durch den Spalt hindurch kommen, sind in diesem Moment durch ihren Ort in Richtung parallel zum Schirm mit der Genauigkeit $ \Delta x $ des Spaltes festgelegt (Präparation). Die Ausblendung des Strahls ist mit einer räumlichen Ablenkung des Objektes um den (zufälligen) Öffnungswinkel $ \alpha $ verbunden (Beugung), und alle Punkte des Spalts sind nach dem huygensschen Prinzip Ausgangspunkte für Elementarwellen.

Nun werden die folgenden Voraussetzungen getroffen:

  1. Der Ablenkungswinkel α ist eine Zufallsgröße, die bei jedem Teilchen einen anderen Wert annehmen kann.
  2. Für die De-Broglie-Wellenlänge $ \lambda $ des Teilchens gilt
    $ \lambda ={\frac {h}{p}}. $
  3. Damit das erste Interferenzminimum auf dem Schirm noch optisch erkennbar ist, muss der Gangunterschied etwa mindestens so groß sein wie die De-Broglie-Wellenlänge des Teilchens, das heißt
    $ \Delta x\,\sin(\alpha )\;\gtrsim \;\lambda . $
  4. Es werden nur Teilchen betrachtet, deren Ablenkungswinkel α einem Impuls entsprechen, der innerhalb des vorgegebenen Impulsintervalls Δp (keine Zufallsgröße) des ersten Beugungsminimums auf der Impulsskala liegt. Formal sind das genau diejenigen, welche der Bedingung genügen:
    $ p\,\sin(\alpha )\leq \Delta p. $

Die letzten beiden Relationen ergeben zusammen mit der Formel von de Broglie die folgende Einschränkung für die gemäß Heisenberg betrachteten Streuwinkel:

$ {\frac {h}{p\Delta x}}\;\lesssim \;\sin(\alpha )\;\leq \;{\frac {\Delta p}{p}}. $

Werden nun ausschließlich die äußeren Terme in diesem Ausdruck betrachtet, so ergibt sich nach Multiplikation mit p·Δx die Relation von Heisenberg:[1]

$ \Delta x\Delta p\;\gtrsim \;h.\quad \quad \quad (2) $

Ein wesentlicher Unterschied der beiden Ungleichungen (1) und (2) liegt insbesondere in dem jeweilig zugrunde gelegten Messprozess. Bei der „Streuungs-Relation“ (1) bezieht sich die Messung der Streuungen σx und σp auf unterschiedliche Stichproben von Teilchen, für die jeweils der gleiche Ausgangszustand der Wellenfunktion ψ vorausgesetzt wird. Daher ist es im Allgemeinen nicht möglich, in diesem Fall von simultanen Messungen zu sprechen.[5] Der physikalische Inhalt der Heisenberg-Relation (2) kann daher nicht vollständig durch die Kennard-Relation (1) beschrieben werden.[6]

Eine Aussage, die sich aus der Präparation durch einen Spalt im Sinne von (2) ergibt, lässt sich wie folgt formulieren: Für Teilchen (Wellenfunktionen), die in einem endlichen Intervall Δx präpariert wurden, erfüllt die Standardabweichung für den Impuls die Ungleichung[7]

$ \sigma _{p}\,\Delta x\,\geq \,\pi \hbar . $

Die Streuung der Impulsverteilung wird demnach von der Breite Δx des Spaltes abhängig sein. Hingegen bezieht sich die Präparation bei Kennard auf solche Teilchen, die vor der Impulsmessung eine Streuung σx aufweisen. Für Teilchen, die in einem Spaltversuch präpariert wurden, kann daher Ungleichung (1) die untere Schranke $ \hbar /2 $ nie erreichen, da Gauss-Verteilungen auf der gesamten reellen Achse definiert sind.

Messrauschen und Störung

Aufgrund der in Ungleichung (1) zugrunde liegenden Präparation ist eine gegenseitige Störung bei Orts- und Impulsmessung von vornherein nicht möglich, da die Messungen von Ort und Impuls dort an unterschiedlichen Stichproben von Teilchen vorgenommen werden. Eine modifizierte Variante, die den Einfluss der Wechselwirkung zwischen Messobjekt und Messapparatur berücksichtigt, führt zu folgendem Ausdruck:[8]

$ \varepsilon (x)\eta (p_{x})+\varepsilon (x)\sigma (p_{x})+\sigma (x)\eta (p_{x})\geq {\frac {\hbar }{2}} $

Die neuen Variablen εx und ηp repräsentieren dabei den Einfluss des Messapparates auf die betrachteten Messgrößen. Dabei ist:

  • $ \varepsilon (x) $ die durchschnittliche Abweichung zwischen wahrem und gemessenem Ort (Messrauschen),
  • $ \eta (p_{x}) $ die Störung der Impulsmessung durch die Zeitentwicklung in der Messapparatur.

Unter der Annahme, dass 1. εx und ηp unabhängig vom Zustand ψ des Teilchens sind und 2. die Streuung σx der Ortsverteilung des Teilchens kleiner ist als das Messrauschen εx, lässt sich aus Relation (1) die Ungleichung

$ \varepsilon (x)\eta (p_{x})\geq \hbar /2 $

folgern, was von dem japanischen Physiker Masanao Ozawa als Ausdruck für den Messprozess von Heisenberg interpretiert wird. Da es sich bei der hier vorliegenden Betrachtung nicht um eine simultane Messung im Sinne von Heisenberg handelt, ist zu erwarten, dass das Produkt εx·ηp auch Werte kleiner als $ \hbar /2 $ annehmen kann. Dies veranlasste einige Autoren zu der Aussage, dass Heisenberg irrte. Das zugrundeliegende Konzept wurde 2012 durch Experimente mit Neutronenspins[9] und durch Versuche mit polarisierten Photonen verifiziert.[10][11]

Verallgemeinerung

Die zuerst von Kennard bewiesene Ungleichung (1) wurde 1929 von Robertson formal verallgemeinert.[12] Mit dieser Verallgemeinerung lassen sich auch Unschärfebeziehungen zwischen weiteren physikalischen Größen angeben. Dazu gehören beispielsweise Ungleichungen bezüglich unterschiedlicher Drehimpulskomponenten, zwischen Energie und Impuls oder auch Ort und Energie. In Bra-Ket Notation kann für zwei Observablen A und B allgemein die folgende Ungleichung formuliert werden:[12]

$ \sigma _{A}\sigma _{B}\geq {\frac {1}{2}}\left|\langle \psi |[{\hat {A}},{\hat {B}}]|\psi \rangle \right| $

Hierbei sind A und B die den Observablen zugehörigen linearen, hermiteschen Operatoren. Der Ausdruck [A,B] = AB-BA bezeichnet den Kommutator von A und B. Anders als bei der für Ort und Impuls bestehenden Relation (1) kann in der verallgemeinerten Relation von Robertson auch die rechte Seite der Ungleichung explizit von der Wellenfunktion abhängig sein. Das Produkt der Streuungen von A und B kann daher sogar den Wert null annehmen, und zwar nicht nur dann, wenn die Observablen A und B miteinander kommutieren, sondern für spezielle $ \psi $ selbst dann, wenn dies nicht der Fall ist. Für Ort und Impuls, und andere sog. „komplementäre“ Observablenpaare, ist der Kommutator aber jeweils proportional zum Einheitsoperator. Der Erwartungswert in der Relation von Robertson kann daher für komplementäre Observablen nie null werden. Andere in diesem Zusammenhang oft genannte Variable, die nicht miteinander vertauschen (z. B. zwei verschiedene Drehimpulskomponenten), sind hingegen nicht zueinander komplementär, weil ihr Vertauschungsprodukt keine Zahl, sondern ein Operator ist. Vertauschbare Observable sind hingegen in jedem Fall, d. h. für alle $ \psi $, gleichzeitig streuungsfrei messbar, da ihr Kommutator verschwindet. Es handelt sich dann um kompatible oder verträgliche Observablen.

Die obige Ungleichung kann in wenigen Zeilen bewiesen werden:

Zunächst werden die Varianzen der Operatoren A und B mit Hilfe von zwei Zustandsfunktionen f und g dargestellt, d. h., es sei

$ |f\rangle :=({\hat {A}}-\langle {\hat {A}}\rangle )|\psi \rangle $,
$ |g\rangle :=({\hat {B}}-\langle {\hat {B}}\rangle )|\psi \rangle $.

Damit erhält man für die Varianzen der Operatoren die Darstellungen:

$ \sigma _{A}^{2}=\langle \psi |({\hat {A}}-\langle {\hat {A}}\rangle )^{2}|\psi \rangle =\langle \psi |({\hat {A}}-\langle {\hat {A}}\rangle )({\hat {A}}-\langle {\hat {A}}\rangle )|\psi \rangle =\langle f|f\rangle $
$ \sigma _{B}^{2}=\langle g|g\rangle . $

Unter Verwendung der schwarzschen Ungleichung ergibt sich daraus:

$ \sigma _{A}^{2}\sigma _{B}^{2}=\langle f|f\rangle \langle g|g\rangle \geq |\langle f|g\rangle |^{2} $

Um diese Ungleichung in die gebräuchliche Form zu bringen, wird die rechte Seite weiter abgeschätzt und berechnet. Dazu verwendet man, dass das Betragsquadrat einer beliebigen komplexen Zahl z nicht kleiner als das Quadrat ihres Imaginärteils sein kann, d. h.

$ |z|^{2}\geq \mathrm {Im} (z)^{2}=\left[{\frac {z-z^{*}}{2i}}\right]^{2}, $

wobei $ Im(z) $ den Imaginärteil von $ z $ darstellt. Mit der Substitution $ z:=\langle f|g\rangle $ ergibt sich daraus für das Produkt der Varianzen die Abschätzung

$ \sigma _{A}^{2}\sigma _{B}^{2}\geq \left[{\frac {1}{2i}}(\langle f|g\rangle -\langle g|f\rangle )\right]^{2}. $

Für die darin auftretenden Skalarprodukte $ \langle f|g\rangle $ und $ \langle g|f\rangle $ erhält man durch weiteres Ausrechnen

$ \langle f|g\rangle =\langle {\hat {A}}{\hat {B}}\rangle -\langle {\hat {A}}\rangle \langle {\hat {B}}\rangle \qquad {\text{bzw.}}\qquad \langle g|f\rangle =\langle {\hat {B}}{\hat {A}}\rangle -\langle {\hat {A}}\rangle \langle {\hat {B}}\rangle . $

Damit ergibt sich für die Differenz in der Ungleichung

$ \langle f|g\rangle -\langle g|f\rangle =\langle {\hat {A}}{\hat {B}}\rangle -\langle {\hat {B}}{\hat {A}}\rangle =\langle \psi |[{\hat {A}},{\hat {B}}]|\psi \rangle , $

also gerade der Erwartungswert des Kommutators. Das führt schließlich zur Ungleichung

$ \sigma _{A}^{2}\sigma _{B}^{2}\geq \left[{\frac {1}{2i}}\langle \psi |[{\hat {A}},{\hat {B}}]|\psi \rangle \right]^{2}, $

und ein Wurzelziehen liefert die oben angegebene Ungleichung.

Beispiele

1. Wählt man im vorhergehenden Kapitel für die Operatoren $ A=x $ sowie $ B=p $ und verwendet, dass für den Kommutator von Ort und Impuls $ [x,p]=i\hbar $ gilt, so ergibt die Ungleichung von Robertson die Relation von Kennard. Die rechte Seite der Relation ist dabei unabhängig von der Wellenfunktion des Teilchens, da der Kommutator in diesem Fall eine Konstante ist.

2. Eine Unschärferelation für die Messung von kinetischer Energie $ T=p^{2}/2m $ und Ort $ x $ ergibt sich aus dem Kommutator $ [T,x]=i\hbar p/m $, d. h.

$ \sigma _{T}\sigma _{x}\geq {\frac {\hbar }{2m}}|\langle {\hat {p}}\rangle |. $

In diesem Fall ist die untere Schranke nicht konstant, sondern vom Mittelwert des Impulses abhängig und damit von der Wellenfunktion des Teilchens.

3. Bei einer Messung von Energie und Impuls eines Teilchens in einem vom Ort abhängigen Potential $ V(x) $ ist der Kommutator der Gesamtenergie $ H=T+V $ und $ p $ von der Ableitung des Potentials (Kraft) abhängig, d. h. $ [H,p]=-i\hbar V'. $ Die entsprechende Unschärferelation für Energie und Impuls ist damit

$ \sigma _{H}\sigma _{p}\geq {\frac {\hbar }{2}}\,|\langle V({\hat {x}})'\rangle |. $

Auch in diesem Beispiel ist die rechte Seite der Ungleichung im Allgemeinen keine Konstante.

4. Im Fall der Messung von Energie und Zeit lässt sich die Verallgemeinerung von Robertson nicht unmittelbar anwenden, da die Zeit in der Standard-Quantentheorie nicht als Operator definiert ist. Mit Hilfe des ehrenfestschen Theorems und einer alternativen Definition der Zeitunschärfe lässt sich allerdings eine analoge Ungleichung beweisen, siehe Energie-Zeit-Unschärferelation.

5. Für die Zeitabhängigkeit des Ortsoperators im Heisenberg-Bild gilt die Darstellung

$ {\hat {x}}(t)={\hat {x}}(0)+{\frac {\hat {p}}{m}}\,t\,. $

Aufgrund der Impulsabhängigkeit in dieser Darstellung ergibt sich, dass der Kommutator von zwei Ortsoperatoren zu den unterschiedlichen Zeitpunkten 0 und $ t $ nicht verschwindet, d. h. $ [x(0),x(t)]=i\hbar t/m. $ Daraus folgt für das Produkt der Streuungen der beiden Ortsmessungen im zeitlichen Abstand $ t $ die Unschärferelation

$ \sigma _{x}(0)\sigma _{x}(t)\geq {\frac {\hbar }{2}}\,{\frac {t}{m}}\,. $

Je mehr Zeit zwischen den beiden Streuungsmessungen vergeht, desto größer wird die minimal erreichbare Unschärfe. Man beachte, dass bei diesem Beispiel für zwei nicht gleichzeitig durchgeführte Messungen eine Unschärferelation vorliegt. Für zwei instantan durchgeführte Messungen des Ortes verschwindet der Kommutator und die untere Schranke der Ungleichung wird gleich 0.

6. Die minimale Breite einer Tunnelbarriere kann über die Unschärferelation abgeschätzt werden. Betrachtet man ein Elektron mit der Masse $ m_{e} $ und der elektrischen Ladung $ e, $ das eine Potentialdifferenz $ U $ durchtunnelt, so ergibt sich für die Ortsunschärfe und somit die minimale Breite der Tunnelbarriere

$ \sigma _{x}\geq {\frac {\hbar }{\sqrt {8m_{e}eU}}}. $

Bei einer Potentialdifferenz von 100 mV, wie sie etwa bei der Rastertunnelmikroskopie vorkommt, ergibt sich aufgrund dieser Beziehung eine kleinste Tunnelbarriere von etwa 0,3 nm, was sich gut mit experimentellen Beobachtungen deckt.[13]

Siehe auch

Literatur

  • Werner Heisenberg: Gesammelte Werke. Herausgegeben von Walter Blum, Hans-Peter Dürr und Helmut Rechenberg. Piper, München 1984–1992; Springer, Heidelberg/Berlin/New York 1994.
  • ders.: Der Teil und das Ganze Piper, München 1969.
  • ders.: Quantentheorie und Philosophie. Reclam, Stuttgart 1979.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4  W. Heisenberg: Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik. In: Zeitschrift für Physik. 43, Nr. 3, 1927, S. 172–198, doi:10.1007/BF01397280 (Originalarbeit als HTML).
  2. 2,0 2,1 Werner Heisenberg: Physikalische Prinzipien der Quantentheorie. S. Hirzel Verlag, Leipzig 1930.
  3.  Paul Busch, Teiko Heinonen, Pekka Lahti: Heisenberg's uncertainty principle. In: Physics Reports. 452, Nr. 6, 2007, S. 155–176, arXiv:quant-ph/0609185v3, doi:10.1016/j.physrep.2007.05.006.
  4.  E. H. Kennard: Zur Quantenmechanik einfacher Bewegungstypen. In: Zeitschrift für Physik. 44, Nr. 4, 1927, S. 326–352, doi:10.1007/BF01391200.
  5. 5,0 5,1  L. E. Ballentine: The Statistical Interpretation of Quantum Mechanics. In: Reviews of Modern Physics. 42, Nr. 4, 1970, S. 358–381.
  6.  J. B. M. Uffink, J. Hilgevoord: Uncertainty principle and uncertainty relations. In: Foundations of Physics. 15, Nr. 9, 1985, S. 925–944, doi:10.1007/BF00739034.
  7.  T. Schürmann, I. Hoffmann: A closer look at the uncertainty relation of position and momentum. In: Foundations of Physics. 39, Nr. 8, 2009, S. 958–963, arXiv:0811.2582, doi:10.1007/s10701-009-9310-0.
  8.  Masanao Ozawa: Universally valid reformulation of the Heisenberg uncertainty principle on noise and disturbance in measurement. In: Physical Review A. 67, Nr. 4, 2003, S. 042105, arXiv:quant-ph/0207121, doi:10.1103/PhysRevA.67.042105.
  9. Quantum Uncertainty: Are You Certain, Mr. Heisenberg? In: Science Daily. 18. Januar 2012
  10. Geoff Brumfiel:Common Interpretation of Heisenberg's Uncertainty Principle Is Proved False. Scientific American, 11. September 2012.
  11. Vergleiche auch Quantenphysik. Der große Heisenberg irrte. in: FAZ.NET vom 17. November 2012
  12. 12,0 12,1  H. P. Robertson: The Uncertainty Principle. In: Physical Review. 34, Nr. 1, 1929, S. 163–164, doi:10.1103/PhysRev.34.163.
  13. Markus Bautsch: Rastertunnelmikroskopische Untersuchungen an mit Argon zerstäubten Metallen, Kapitel 2.1: Vakuum-Tunneln - Unschärferelation beim Tunneln, Seite 10, Verlag Köster, Berlin (1993), ISBN 3-929937-42-5

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