2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin

2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin

Strukturformel
Struktur von 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxin
Allgemeines
Name 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin
Andere Namen
  • 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxin
  • Dioxin
  • TCDD
  • Seveso-Gift
Summenformel C12H4Cl4O2
CAS-Nummer 1746-01-6
PubChem 15625
Kurzbeschreibung

farblose Kristalle[1]

Eigenschaften
Molare Masse 321,97 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Dichte

1,83 g·cm−3 [1]

Schmelzpunkt

295 °C[2]

Löslichkeit
Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [4]
06 – Giftig oder sehr giftig 08 – Gesundheitsgefährdend

Gefahr

H- und P-Sätze H: 300-400
P: ?
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [5][6]
Sehr giftig
Sehr giftig
(T+)
R- und S-Sätze R: 45-26/27/28
S: 36/37-62
MAK

0,01 ng·m−3 [1]

LD50
  • 20 µg·kg−1 (Ratte, oral)[7]
  • 115 µg·kg−1 (Kaninchen, oral)[7]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
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2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin ist eine chlorhaltige organische Verbindung. Der systematische Name lautet 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxin bzw. 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-1,4-dioxin (gesprochen zwei- drei- sieben- acht- tetrachlor- dibenzo- para- di-oxin). Die Substanz leitet sich vom Dibenzodioxin ab und wird abgekürzt als 2,3,7,8-TCDD oder nur TCDD, umgangssprachlich häufig auch als „Dioxin“ oder „Seveso-Dioxin“/„Seveso-Gift“ bezeichnet.

Geschichte

TCDD wurde erstmals 1957[8] von Wilhelm Sandermann[9] im Labor synthetisiert. Er entdeckte auch die Wirkung von TCDD.

Im Vietnamkrieg wurde von 1965 bis 1970 das Entlaubungsmittel Agent Orange eingesetzt, dessen Verunreinigung mit TCDD zu schweren, bis heute andauernden Schädigungen bei Bevölkerung und US-Soldaten führte.

Am 10. Juli 1976 kam es zu dem verheerenden Sevesounglück, bei dem in der norditalienischen Stadt Seveso zwischen einigen hundert Gramm und wenigen Kilogramm an TCDD austraten.[10]

Im Laufe der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine 2004 bestätigte sich der Verdacht auf eine Dioxinvergiftung des Kandidaten Wiktor Juschtschenko, als seine Ärzte in seinem Blut und Gewebe mehr als das 50.000-fache der normalen Konzentration an TCDD fanden.[11] Juschtschenkos Gesicht zeigt seit dem mutmaßlichen Anschlag starke Chlorakne-Symptome.

Vorkommen

TCDD entsteht zusammen mit anderen polychlorierten Dibenzodioxinen und Dibenzofuranen als Nebenprodukt bei der Synthese von organischen Chlorverbindungen (beispielsweise Halogenphenoxycarbonsäure-Herbizide) oder der Verbrennung von chlor- und kohlenwasserstoffhaltigen Verbindungen.

Unter anderem entsteht es in Müllverbrennungsanlagen im Beisein chlorhaltiger Verbindungen wie PVC. Moderne Verbrennungsanlagen führen daher eine Nacherhitzung auf über 1200 °C mit anschließender schneller Abkühlung durch, wodurch die TCDD-Konzentration auf Bruchteile reduziert wird.

Eigenschaften

2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin ist ein langlebiger, sehr giftiger Schadstoff, der bei Raumtemperatur in kristalliner Form vorliegt. Außerdem ist er gut in organischen Lösungsmitteln löslich und lipophil.[12] Der logarithmierte Oktanol-Wasser-Verteilungskoeffizient log KOW von TCDD beträgt 6,80.[13]

Verwendung

TCDD ist wie alle anderen Dioxine und Furane ein unerwünschtes Nebenprodukt ohne wirtschaftlichen Nutzen. Es gibt derzeit keine kommerzielle Verwendung für diese Stoffgruppe.

In der tierexperimentellen Forschung wird es als Agonist für den Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor (abgekürzt Ah-Rezeptor) eingesetzt.

Wirkungsweise

ITE, der vermutliche Ligand des Ah-Rezeptors

Die letale Dosis beim Menschen ist nicht bekannt, im Tierversuch lag die tödliche Dosis bei peroraler Verabreichung je nach Tierart zwischen 0,5 (Meerschweinchen) und 1157 µg/kg Körpergewicht (Hamster).[7] Kontakt mit TCDD kann zum Auftreten von Chlorakne führen, die als Symptom einer schweren Dioxinvergiftung gilt. Eine solche Vergiftung kann auch zu schweren Organschäden, insbesondere der Leber führen. Eine mutagene Wirkung ist nicht eindeutig nachgewiesen. Auch die Frage, ob Dioxine Missbildungen beim Nachwuchs auslösen können (teratogene Wirkung), lässt sich nicht mit Gewissheit beantworten. Dagegen gilt es als sicher, dass Dioxine Krebs verursachen können.[1] Ob TCDD dabei direkt kanzerogen wirkt, oder als Tumorpromotor fungiert, ist nicht abschließend geklärt.

Die Giftwirkung des TCDD wird nach heutigem Kenntnisstand über Aktivierung des Ah-Rezeptors vermittelt, der – ähnlich wie die Rezeptoren für Steroidhormone und Schilddrüsenhormone – an bestimmte regulatorische DNA-Sequenzen binden kann und dadurch die Expression verschiedener Gene reguliert. Als natürlicher Ligand des Ah-Rezeptors wird ITE vermutet (siehe Abbildung). Die TCDD-vermittelte Aktivierung des Ah-Rezeptors führt unter anderem zu einer starken Induktion des Cytochrom P450.

Metaboliten

Bei toxikokinetischen Untersuchungen zur Vergiftung des ukrainischen Präsidentschaftskandidaten Wiktor Juschtschenko wurden zwei Metaboliten in Serum, Urin und Fäzes nachgewiesen. Dabei handelt es sich um 2,3,7-Trichlor-8-hydroxydibenzo-p-dioxin und 1,3,7,8-Tetrachlor-2-hydroxydibenzo-p-dioxin. Als Haupteliminierungsroute aus dem menschlichen Organismus wurden die Fäzes ermittelt. Der Nachweis erfolgte durch Koppelung der Kapillar-Gaschromatographie mit der Massenspektrometrie, wie bei der Analytik der PCDD üblich.[11]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Eintrag zu 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 19. Dezember 2008 (JavaScript erforderlich).
  2. Mary Lide, David R. Lide: CRC Handbook of Chemistry and Physics. 87. Auflage, CRC Press, 2007, ISBN 978-0-8493-0594-8, S. 470.
  3. 3,0 3,1 Römpp Online – Version 3.5, 2009, Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
  4. 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-[1,4]-dioxin SDS
  5. Seit 1. Dezember 2012 ist für Stoffe ausschließlich die GHS-Gefahrstoffkennzeichnung zulässig. Bis zum 1. Juni 2015 dürfen noch die R-Sätze dieses Stoffes für die Einstufung von Zubereitungen herangezogen werden, anschließend ist die EU-Gefahrstoffkennzeichnung von rein historischem Interesse.
  6. Datenblatt 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-dioxin solution bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 6. Januar 2011. (Sicherheitsdatenblatt-Anzeige mit Einstufung des Stoffes selbst nach Klicken auf MSDS).
  7. 7,0 7,1 7,2 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin bei ChemIDplus.
  8. Wilhelm Sandermann (1984): Dioxin. Die Entdeckungsgeschichte des 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxins (TCDD, Dioxin, Sevesogift) (Version vom 14. Dezember 2008 im Internet Archive) Abgerufen am 13. August 2012.
  9. Biografie von Wilhelm Sandermann.
  10. P A. Bertazzi, I. Bernucci, G. Brambilla, D. Consonni, A C. Pesatori: The Seveso studies on early and long-term effects of dioxin exposure: a review. In: Environmental Health Perspectives. 106, April 1998, S. 625–633. doi:10.1289/ehp.98106625. Abgerufen am 13. August 2012.
  11. 11,0 11,1 O. Sorg, M. Zennegg, P. Schmid, R. Fedosyuk, R. Valikhnovskyi, O. Gaide, V. Kniazevych, J.-H. Saurat: 2,3,7,8-tetrachlorodibenzo-p-dioxin (TCDD) poisoning in Victor Yushchenko: identification and measurement of TCDD metabolites. In: The Lancet, 374(9696), 1179–1185; PMID 19660807; DOI:10.1016/S0140-6736(09)60912-0.
  12. Ottfried Strubelt: Gifte in Natur und Umwelt. Pestizide und Schwermetalle, Arzneimittel und Drogen. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg / Berlin / Oxford 1996, S. 183–192.
  13. Rene P. Schwarzenbach, Philip M. Gschwend, Dieter M. Imboden: Environmental Organic Chemistry. Wiley-Interscience, Hoboken, New Jersey 2003, ISBN 0-471-35750-2.