Quantenmechanische Messung
Das besondere bei einem Messprozess ist die Notwendigkeit einer physikalischen Wechselwirkung zwischen gewissen Eigenschaften des Messobjektes (z.B. Ort, Impuls, magn. Moment) und dem Zustand (der "Zeigerstellung") der Messapparatur.
Das charakteristische bei einem Messprozess auf makroskopischer Ebene ist, dass jeder physikalischen Größe die gemessen werden soll, nach der Wechselwirkung von Objekt und Apparatur, eine Zeigerstellung zugeordnet werden kann und bei einer Wiederholung der Messung unter denselben Bedingungen sich (etwa) dasselbe Ergebnis einstellen würde.
Bei einem Messprozess in mikroskopischen Dimensionen hingegen kann es vorkommen, dass die Wiederholung von Messungen unter exakt denselben Voraussetzung zu beliebig verschiedenen Messergebnissen führen. Letztere Abweichungen lassen sich nicht durch die Messungenauigkeit des Messapparates begründen, sondern sind durch den statistischen Charakter der Quantenmechanik verursacht, welcher bei der Wechselwirkung im Messapparat zur Ausprägung kommt. Die Analyse des Messprozesses in mikroskopischen Dimensionen wird mitunter als quantenmechanischer Messprozess bezeichnet.
Präparation und Messung in der Quantenmechanik
Die theoretische Deutung eines Messprozesses erfordert gemäß Heisenberg drei Schritte[1]:
- Es wird eine Stichprobe von Teilchen erzeugt, welche durch eine Wellenfunktion ψ repräsentiert wird (Präparation).
- Es findet eine zeitliche Entwicklung des physikalischen Systems, bestehend aus Messobjekt und Messapparat, statt (Wechselwirkung).
- Nach der Zeitentwicklung wird das Messergebnis bestimmt (Registrierung).
Besonders Lamb[2] verweist in diesem Zusammenhang auf eine eindeutige Klärung, worin der erste Schritt des Prozesses genau bestehen soll, also die Fixierung der äußeren Bedingungen, durch welche die Ausgangssituation des betrachteten Systems vor der Messung definiert wird, z. B. dass sich die Teilchen einer Stichprobe zu Beginn in einem bestimmten Raumbereich befinden oder ein bestimmtes magnetisches Moment besitzen.
Hingegen ist das Ergebnis einer einzelnen Messung eine reelle Zahl oder eine Eigenschaft der betrachteten Messgröße. Bei Wiederholungen der Messung erhält man nicht dasselbe Ergebnis wie zuvor, sondern bestenfalls eine Werte-Statistik für die fragliche Observable. Bei vorgegebener Präparation kann die Wahrscheinlichkeit für das Ergebnis einer Messung aus der zeitlichen Entwicklung der Wellenfunktion im Messapparat vorhergesagt werden.
Es war John von Neumann, der dieses Konzept 1932 als erster ausführlich in seinem mathematischen Lehrbuch zur Quantenmechanik diskutierte.[3]. Von Neumann's Ziel dabei war es, sowohl das Messobjekt (genannt System) also auch den Messapparat inklusive deren Wechselwirkung im Rahmen der Quantenmechanik zu beschreiben. Dieses Konzept wird in der Literatur häufig als von Neumann Messprozess bezeichnet.
Von Neumann-Messprozess
Bei einer idealen Messung nach von Neumann[3] wird das mikroskopische System durch Basisvektoren
wobei das Produkt dem sogenannten Tensorprodukt der beiden Zustände des Gesamtsystems entspricht. Dieses Produkt kann man vereinfacht als UND-Verknüpfung verstehen. Gemäß diesem Schema ergibt sich eine eindeutige Zuordnung von möglichen Zuständen des Systems und den möglichen Zeigerstellungen des Messgerätes. Da dieses Schema den Zustand
Das Messproblem
Die zeitliche Entwicklung der Wechselwirkung zwischen einem Messobjekt und dem Messgerät kann einen Endzustand des Gesamtsystems ergeben, der zunächst keiner eindeutigen Zeigerstellung des Messgerätes entspricht. Andererseits werden am Messgerät in der Praxis aber eindeutige Messergebnisse abgelesen. Die Frage danach, auf welche Weise in diesem Prozess die Entscheidung für die Anzeige des Gerätes geschieht, ist als Messproblem bekannt.[3] Das Messproblem wird im Folgenden anhand eines Beispiels erläutert:
Ein Messobjekt sei zu Beginn im Eigenzustand
Analog ist die Situation, wenn das Objekt am Anfang im Zustand
Ist nun der Anfangszustand, der gemessen werden soll, kein Eigenzustand der zu messenden Observablen, sondern eine Überlagerung von verschiedenen Eigenzuständen (Superposition), dann wird der Prozess der Messung komplizierter.
Ist beispielsweise das Messobjekt am Anfang im Zustand
In diesem Fall lässt sich der Zustand nach der Wechselwirkung nicht mehr als Produkt darstellen. Die Superposition der Zustände des Systems wurden durch die zeitliche Wechselwirkung auf die makroskopischen Zustände des Messgerätes übertragen. Der Endzustand entspricht also einer Superposition von System und Messgerät und es ist dann nicht mehr offensichtlich, welcher Zeigerstellung der Endzustand des Systems entsprechen soll (vgl. Schrödingers Katze). Lediglich nach der Registrierung am Ende kann eine eindeutige Aussage gemacht werden, ob entweder
Die Frage danach, warum der eine oder andere Messwert am Ende registriert wird führt zu den grundlegenden Diskussionen bezüglich der Interpretation der Quantenmechanik.
Spinmessungen
Bei der Messung des magnetischen Spinmomentes werden in einer Quelle Spin-1/2 Teilchen präpariert, die sich nach Austritt in y-Richtung durch ein inhomogenes Magnetfeld
Die Kopplung von System und Messgerät im von Neumann-Messprozess wird hier also durch das Produkt von Spin und dem magnetischen Feld des Messgerätes ausgelöst. Der für die Wechselwirkung relevante Teil des Hamiltonoperators ist
wobei
Das zu diesem Operator gehörige Eigenwertproblem ist
d. h., die Eigenwerte des Operators sind
Wie jeder Projektor hat dieser Operator gemäß Definition die Eigenwerte „1“ und „0“. Letztere werden in der Quantenlogik manchmal als „Ja/Nein“-Aussagen interpretiert.
Wahrscheinlichkeiten bei Spinmessungen
Betrachtet man eine Gesamtheit von Teilchen die ausschließlich in Richtung des Vektors
Um diesen Ausdruck auszuwerten beschränkt man sich häufig auf Richtungsvektoren
Häufig wird diese Formel auch in einer äquivalenten Form angegeben
.
Diese Formel für die bedingte Wahrscheinlichkeit spielt u. a. eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der Bell’schen Ungleichung und der Herleitung des Quanten-Zeno-Effektes.
Spin-Messungen an zusammengesetzten Systemen
Von der klassischen Physik her ist man gewohnt, dass zusammengesetzte Systeme in Teilsysteme oder Untersysteme zerlegt werden können. In der Quantenmechanik zeigt sich, dass zusammengesetzte Systeme darüber hinaus völlig andere und überraschende ganzheitliche Eigenschaften aufweisen können. Sie treten auf, wenn sich zusammengesetzte Quantensysteme in verschränkten Zuständen befinden.
Es können z. B. Quantensysteme präpariert werden, bei denen man an zwei verschiedenen Orten bei Messungen jeweils ein Photon registriert. Analoge Systeme gibt es auch für Elektronen. Zwei solche Teilchen werden als nicht unterscheidbar angesehen. Unterscheidbar sind hingegen die Orte der Objekte, an denen bei einer Messung z. B. eine Photonenpolarisation gemessen wird.
Formal kann man z. B. zwei unabhängige Quantensysteme S1 und S2 betrachten, die jeweils durch die Spin-Zustände
definiert ein aus den beiden Teilsystemen gebildetes Gesamtsystem, d. h. einen Produktzustand der Teilchen. In diesem speziellen Fall faktorisiert die Zweiteilchenwellenfunktion und es handelt sich um unabhängige Teilsysteme, da keine Abhängigkeit zwischen den Systemen nachgewiesen werden kann.
Eine Verschränkung der Teilsysteme ergibt sich u. a. für den sog. Singulettzustand, der im Rahmen des EPR-Gedankenexperimentes eine zentrale Rolle spielt.[4] Die formale Darstellung dieses Zustandes ist
.
Dieser Zustand lässt sich nicht als ein Produkt der zwei Einteilchenzustände darstellen. Eine Messung der einzelnen Spins der beiden Teilchen in z-Richtung ergibt mit Wahrscheinlichkeit 1 entgegengesetzte Vorzeichen und ist unabhängig von der Reihenfolge mit welcher die Messungen an den beiden Komponenten durchgeführt werden. Die Festlegung auf die Orientierung in z-Richtung ist keine Beschränkung der Allgemeinheit, da dieser Zustand die Eigenschaft der Rotationsinvarianz besitzt.
Im Rahmen des EPR-Experimentes werden für zwei fest vorgegebene Richtungsvektoren a und b, Spinmessungen an den beiden Komponenten 1 und 2 des Singulettzustandes durchgeführt. Dabei kann man nach der bedingten Wahrscheinlichkeit fragen, bei Teilchen 2 einen Spin
.
Das Tensorprodukt der Operatoren macht deutlich, dass der jeweils links in diesem Produkt vorkommende Operator nur auf die erste Komponente des Singuletzustandes angewendet wird, während der jeweils rechts stehende Operator nur auf die zweite Komponente des Singulattzustandes angewendet werden soll.
Der Nenner ist gleich der Wahrscheinlichkeit
Nach den Regeln der Spin-Algebra ergibt sich für die bedingte Wahrscheinlichkeit das formal einfache Ergebnis
,
wobei
Die Verbundwahrscheinlichkeit der beiden Ereignisse ist gleich dem Produkt aus der bedingten Wahrscheinlichkeit und der Randwahrscheinlichkeit, d. h.
.
Damit lässt sich die Korrelation
wobei der letzte Term das gewöhnliche Skalarprodukt der beiden Richtungsvektoren darstellt. Der spezielle Fall gleicher Orientierungen der beiden Messrichtungen a und b entspricht einer Winkeldifferenz von 0°. In diesem Fall ist die Korrelation gleich −1. Bilden hingegen die Messorientierungen einen relativen Winkel von 90°, d. h. sie sind orthogonal zueinander ausgerichtet, dann ergibt die obige Formel eine verschwindende Korrelation von 0.
Einzelnachweise
- ↑ W. Heisenberg: Physik und Philosophie. Hirzel, Stuttgart 1959.
- ↑ W.E. Lamb, An Operational Interpretation of nonrelativistic Quantum Mechanics, Physics Today 22 (1969) Heft 4, 23–28.
- ↑ 3,0 3,1 3,2 J. v. Neumann, Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik, Springer (1932, 1968, 1996).
- ↑ „Verschränkt“ wäre auch der analoge „Triplett“-Zustand, der sich vom Singulettzustand durch ein Plus anstelle des Minus-Zeichens unterscheidet.
Literatur
- John v. Neumann, Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik, [Nachdr. der Ausg.] Berlin, Springer, 1932. – Berlin; Heidelberg; New York: Springer, 1996.