Poissonzahl
Die Poissonzahl $ \nu \,\! $ (auch Querkontraktionszahl, Querdehnungszahl oder Querdehnzahl genannt; vereinzelt auch mit $ \mu \,\! $ bezeichnet) ist eine Größe in der Mechanik bzw. Festigkeitslehre. Sie dient der Berechnung der Querkontraktion und ist nach Siméon Denis Poisson benannt. Sie gehört zu den elastischen Konstanten eines Materials.
Definition
Die Poissonzahl $ \nu $ ist definiert als negatives Verhältnis aus relativer Dickenänderung $ \Delta d/d $ zur relativen Längenänderung $ \Delta l/l $ bei Einwirkung einer äußeren Kraft oder Spannung.
Es gilt also:
- $ \nu =-{\frac {\Delta d/d}{\Delta l/l}}\, $
wobei $ l $ die ursprüngliche Länge und $ d $ die ursprüngliche Dicke bezeichnet.
Positive Werte von $ \Delta d $ oder $ \Delta l $ bezeichnen eine Vergrößerung dieser Abmessung, negative Werte entsprechen einer Verkleinerung.
Die Poissonzahl ist eine dimensionslose Größe. Die Poissonzahl ist eine Materialkonstante, d. h. sie ist abhängig vom Material des verwendeten Werkstücks. Die elastischen Konstanten hängen wechselseitig zusammen. So gilt für linear-elastisches, isotropes Material folgender Zusammenhang zwischen dem Schubmodul G, dem Elastizitätsmodul E und dem Kompressionsmodul K:
- $ \nu ={\frac {E}{2G}}-1={\frac {3K-E}{6K}}={\frac {3K-2G}{6K+2G}} $.
Die relative Volumenänderung ΔV/V, mit der ein Körper auf ein-achsige Dehnung (Zugversuch) reagiert, berechnet sich mit Hilfe der Poissonzahl unter Vernachlässigung quadratischer Terme [1] aus
- $ {\frac {\Delta V}{V}}=(1-2\nu ){\frac {\Delta l}{l}}\, $.
Gültigkeitsbereich
Die Poissonzahl liegt üblicherweise zwischen 0 und 0,5 (für isotrope Materialien). Typische, häufige Werte der Poissonzahl liegen zwischen 0,1 und 0,4.
Bei einer Poissonzahl $ \nu =0{,}5 $ bleibt das Volumen eines elastischen Körpers unter Belastung näherungsweise konstant. Die Inkompressibilität bleibt nur für infinitesimale Verformungen gewahrt. Außerdem ergeben sich in den Cauchy'schen Konstitutivgleichungen Polstellen. Für die Berechnung von nahezu oder voll inkompressiblen Materialien (z. B. Gummimaterialien, entropieelastischen Materialien, hyperelastischen Materialien) sollten Green'sche Materialmodelle verwendet werden.[2]
Bei einer Poissonzahl kleiner als 0,5 nimmt bei Zugbelastung das Volumen zu, bei Druckbelastung ab.
Bei Werten größer als 0,5 tritt bei Zugbelastung eine Abnahme des Volumens auf. Dies kann bei diversen porösen Materialien beobachtet werden. Für Faserverbundwerkstoffe können auch Poissonzahlen größer 0,5 auftreten, da sich die E-Moduln der drei Achsen (x,y,z) unterscheiden. Dementsprechend treten auch sechs unterschiedliche Poissonzahlen auf, welche die jeweilige Wechselwirkung beschreiben. Zum Beispiel beschreibt νxy die Dehnung entlang der Achse x infolge der Spannung entlang Achse y [3]. In der Summe bleibt damit der Grundsatz des Volumenerhalts bestehen, da zwar einzelne Poissonzahlen größer 0,5 - andere jedoch kleiner sind.
Vereinzelt sind auch linear elastische, isotrope Materialien mit negativer Poissonzahl bekannt.[4] Negative Werte ergeben eine Querdehnung anstatt eine Querkontraktion bei Längendehnung. Solche Materialien werden als auxetisch bezeichnet. Beispiele dafür sind gewisse Polymerschäume, Kristalle oder Carbonfasern. Unter Berücksichtigung dieser (seltenen) auxetischen Materialien erweitert sich der Wertebereich der Poissonzahl auf -1 ≤ ν ≤ 0,5 .
Der Kehrwert der Poissonzahl
In der Geotechnik und Felsmechanik wird auch der Kehrwert der Poissonzahl als „Poissonzahl“ bezeichnet. Oft wird dann das Zeichen m verwendet. Eine einheitliche Bezeichnung hat sich bisher nicht durchgesetzt. Zur Vereinheitlichung wäre folgende Regelung empfehlenswert, wie bereits Othmar Rescher vorgeschlagen hat, der in seinem Buch "Talsperrenstatik - Berechnung und Bemessung von Gewichtsstaumauern" von 1965 die Querdehnzahl mit $ \nu $ bezeichnet und die Poisson'sche Konstante mit m:
- Querdehnzahl: Zeichen: $ \nu $; mit Zahlenwerten von 0 bis < 0,5
- Poisson'sche Konstante oder "Poissonzahl" (der Geotechnik): Zeichen m; mit Zahlenwerten > 2
wobei gilt:
- $ \nu ={\frac {1}{m}}\, $
Zahlenwerte für die Poissonzahl $ \nu $
Material | Querdehnzahl $ \nu $ |
---|---|
Kork | 0,00 (etwa) |
Beryllium | 0,032 |
Bor | 0,21 |
Schaumstoff | 0,10…0,40 |
Siliciumcarbid | 0,17 |
Beton | 0,20 |
Sand | 0,20…0,45 |
Eisen | 0,21…0,259 |
Glas | 0,18…0,3 |
Si3N4 | 0,25 |
Stahl | 0,27…0,30 |
Lehm | 0,30…0,45 |
Kupfer | 0,34…0,35 [5] |
Aluminium | 0,34 |
Titan | 0,34 [6] |
Magnesium | 0,35 |
Neusilber | 0,37 [7] |
Messing | 0,37 |
PMMA (Plexiglas) | 0,40…0,43 |
Blei | 0,44 |
Gummi | 0,50 |
Faserverbundkunststoff (abhängig von der Faserorientierung) |
0,05…0,55 |
Für metallische Werkstoffe wird häufig ein Wert von $ \nu =0{,}3 $ oder $ \nu =1/3 $ angenommen und für thermoplastische Kunststoffe 0,35, falls keine genaueren Werte bekannt sind. Ein Fehler in der Poissonzahl wirkt sich in der Berechnung des Bauteilverhaltens unter mechanischer Beanspruchung deutlich weniger aus als ein Fehler im E-Modul. Deshalb muss der E-Modul für das verwendete Material genau bestimmt werden (z. B. im Zugversuch), während für die Querkontraktion häufig ein ungefährer Wert genügt.
Siehe auch
Quellen
- ↑ W. Rückert: Entwicklung einer elastischen Linse, Dissertation KIT Karlsruhe, S. 144
- ↑ R. W. Ogden: Non-Linear Elastic Deformations. Dover Publications, Inc., Mineola, New York (1984).
- ↑ VDI Richtlinie 2014 Teil 3
- ↑ Klaas Kölln: Morphologie und mechanische Eigenschaften von Zellulosefasern, Dissertation Uni Kiel, S. 22
- ↑ http://www.glyconet.de/RTFM_public/Article/Display.html?lang=de&id=87
- ↑ http://www.der-wirtschaftsingenieur.de/index.php/elastizitats-modul-e-modul
- ↑ http://www.glyconet.de/RTFM_public/Article/Display.html?lang=de&id=87
- ↑ Glassproperties.com Calculation of the Poisson Ratio for Glasses