Metamaterial

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Aufbau eines Metamaterials für Mikrowellenanwendungen
Der Maßstab ist Zoll; die kleinste Unterteilung ist 1,5875 mm.

Ein Metamaterial ist eine künstlich hergestellte Struktur, deren Durchlässigkeit für elektrische und magnetische Felder (Permittivität $ \epsilon _{r}\,\! $ und Permeabilität $ \mu _{r}\,\! $) von der in der Natur üblichen abweicht. Das wird erreicht durch speziell angefertigte, meist periodische, mikroskopisch feine Strukturen (Zellen, Einzelelemente) aus elektrischen oder magnetisch wirksamen Materialien in ihrem Inneren.

Von besonderem Interesse sind – als exemplarische Anwendung des Prinzips – Metamaterialien mit reellen Brechzahlen im Bereich $ -\infty <n<1 $, bei denen ein auftreffender Lichtstrahl über das Lot hinaus in die negative Richtung gebrochen wird; der Lichtstrahl befindet sich also innerhalb und außerhalb des Materials auf derselben Seite des Lots. (In der Natur gibt es dagegen nur Materialien mit positiver Brechzahl, meist > 1, bei denen Licht oder andere elektromagnetische Strahlung beim Übergang in das jeweilige Material zum Lot hin abgelenkt wird, aber nicht darüber hinaus; der Lichtstrahl befindet sich also innerhalb und außerhalb des Materials auf verschiedenen Seiten des Lots. Zum Zusammenhang zwischen Brechzahl, Permittivität und Permeabilität s. hier.)

Metamaterialien mit Brechzahlen < 1 absorbieren das Licht nicht und versprechen neuartige Anwendungen im Bereich der Optik und Elektrotechnik: einerseits können sie Licht um Objekte herumlenken und diese dadurch unsichtbar machen, andererseits können sie Räume beobachtbar machen, in die man sonst nicht hineinschauen könnte.

Ein Beispiel eines Metameterials für Mikrowellenstrahlung zeigt die nebenstehende Abbildung. Vereinfacht betrachtet besteht es aus einer großen Anzahl nebeneinander angeordneter elektrischer Schwingkreise. Deren kapazitiven Elemente sind einander gegenüberstehende metallische Leiterelemente, während die induktiven Elemente gebildet werden durch die aufgetrennten Ringstrukturen der Leiterelemente selbst. Die Mikrowellenstrahlung versorgt die Schwingkreise mit Energie und regt sie zu resonanten Schwingungen an.

Definition

Die Definition von Metamaterialien ist noch im Fluss:

  • Die geläufigere Definition beschränkt die Zellgröße auf (deutlich) kleiner als eine viertel Freiraumwellenlänge. Die Anordnung verhält sich wie ein effektiv homogenes Medium, d.h. in erster Linie bestimmt der Zellinhalt die Funktion.
  • Manche Autoren beziehen auch noch photonische Kristalle mit ein, bei denen die Zellgröße in der Größenordnung einer halben Wellenlänge liegt. Hier und bei frequenzselektiven Flächen bestimmt in erster Linie die Zellgröße die Funktion.

Physikalische Grundlagen

Die Besonderheit von Metamaterialien besteht darin, dass ihre Materialkonstanten $ \epsilon _{r} $ und $ \mu _{r} $ negative Werte annehmen können. Das bedeutet aus Sicht der Feldtheorie, dass

jeweils einander entgegengesetzt gerichtet sind.

Den unterschiedlichen Vorzeichen stehen keine grundsätzlichen physikalischen Gründe entgegen, da den D- und E- sowie den B- und H-Feldern entsprechend den Maxwellgleichungen in ihrer materialunabhängigen Form voneinander unabhängige „Entstehungsmechanismen“ zugrunde liegen:

Coulombsches Gesetz $ {\mbox{div}}\,{\boldsymbol {D}}=\rho $ D-Felder entstehen durch Ladungen
Faradaysches Gesetz $ {\mbox{rot}}\,{\boldsymbol {E}}+{\frac {\partial {\boldsymbol {B}}}{\partial t}}=0 $ E-Felder entstehen durch Änderungen des magn. Flusses, d. h. durch Änderung des B-Feldes oder der Geometrie
Gaußsches Gesetz für Magnetfelder $ {\mbox{div}}\,{\boldsymbol {B}}=0 $ B-Felder sind Quellfrei; es gibt keine magnetischen Monopole.
Ampèresches Gesetz $ {\mbox{rot}}\,{\boldsymbol {H}}={\boldsymbol {j}}_{l}+{\frac {\partial {\boldsymbol {D}}}{\partial t}} $ H-Felder entstehen durch Änderungen des D-Feldes (Leiter- und Verschiebungsströme)

Die unterschiedlichen Vorzeichen von D- und E-Feldern bei Metamaterialien kommen durch geschickte Anordnungen und Prozesse zustande, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Änderungen des magnetischen Flusses ein E-Feld erzeugen, das in die dem D-Feld entgegengesetzte Richtung zeigt.

Analog kommen die unterschiedlichen Vorzeichen von B- und H-Feldern dadurch zustande, dass die Änderungen des elektrischen Feldes bei Metamaterialien einen magnetischen Fluss (und damit ein B-Feld) erzeugen, das in die dem H-Feld entgegengesetzte Richtung zeigt.

Der Wellenvektor, die elektrische und die magnetische Feldstärke formen bei Metamaterialien ein linkshändiges Dreibein – daher auch die Bezeichnung linkshändiges Material.

Eigenschaften (Theorie und Praxis)

1968 wurde vom sowjetischen Physiker Wiktor Wesselago theoretisch vorhergesagt, dass ein hypothetisches Material mit negativer Brechzahl Backward Waves (deutsch: rücklaufende Wellen) bedingt und welche Auswirkungen das hat.[1] Backward Waves, bei denen Phasen- und Gruppengeschwindigkeit (Energieflussrichtung, Poynting-Vektor) antiparallel laufen, sind durch Henry Cabourn Pocklington seit 1905 bekannt und wurden lange in Oszillatoren und Verstärkern benutzt. Wesselago zeigte nun, dass die Linkshändigkeit der Metamaterialien zu inverser Tscherenkow-Strahlung, inversem Dopplereffekt und inversem Snellius'schen Brechungsgesetz führt. Das inverse Snellius'sche Gesetz führt bei gekrümmten Flächen zu einer Vertauschung von konvergenter und divergenter Strahlführung, d. h., konkave Linsen aus Metamaterialien bündeln, konvexe Linsen streuen.

Zusätzlich wurde von Ilya V. Shadrivov gezeigt, dass die Strahlverschiebung beim Goos-Hänchen-Effekt mit Metamaterialien ebenfalls das Vorzeichen wechselt.

Metamaterialien können einen repulsiven (abstoßenden) Casimir-Effekt bewirken.[2][3]

Herstellung

In der Natur kommen Materialien mit negativer Permittivität und gleichzeitig negativer Permeabilität nicht vor bzw. wurden bisher nicht gefunden, d. h., sie müssen synthetisiert werden. Die Synthetisierung muss nicht zwingend periodisch erfolgen, das erleichtert jedoch die Berechnung und wird daher von allen Gruppen angewandt.

Es gibt bei der Herstellung Ansätze, die Resonanz ausnutzen (resonante Ansätze) und solche, die das nicht tun (nichtresonante Ansätze). Der im folgenden beschriebene resonante Split-Ring-Ansatz war 2007 überwiegend bei Mitgliedern der Physik-Community zu finden. Der nichtresonante, leitungsbasierte Ansatz ist eher in der Elektrotechnik anzutreffen, beginnt jedoch auch in der Physik Fuß zu fassen.

Resonante Ansätze

Split-Ring/Wire-Grid

Beim Split-Ring/Wire-Grid-Ansatz (s. Abb. oben) führt das Drahtgitter (wire grid) zu negativer Permittivität, da sich in Metallen unterhalb der Plasmonresonanz Elektronen wie ein Plasma verhalten (Drude-Modell). Ein Resonator, meistens als (Doppel-)Ring mit Spalt ausgeführt (split ring), führt zu einem magnetischen Dipolmoment und zu einer negativen effektiven Permeabilität, jedoch nur in einem sehr engen Frequenzbereich. Das Resonatordesign ist so zu wählen, dass sich im gewünschten Frequenzbereich eine negative Brechzahl ergibt.

Diese Anordnung zeigt das bei Resonanzerscheinungen übliche Problem, dass geringe Verluste mit (sehr) geringer Bandbreite einhergehen und dass andererseits Strukturen, die durch Dämpfung auf größere Bandbreiten hin entworfen sind, hohe Verluste bewirken, bei denen der Transmissionskoeffizient sinkt. Da metallische Verluste mit der Frequenz steigen, sind derartige Metamaterialstrukturen im optischen Frequenzbereich schwerlich noch von Absorbern zu unterscheiden.

Dielektrische Kugeln

Der Ansatz über dielektrische Kugeln unterschiedlichen Durchmessers in einem NaCl-Gitter hat den Vorteil, dass als nichtmetallische Struktur auch der optische Frequenzbereich erschlossen werden könnte. Die theoretische Arbeit zu diesem Ansatz zeigt jedoch, dass nur sehr geringe Bandbreiten zu erwarten sind und entsprechend extreme Anforderungen an die Toleranzen der Fertigungstechnologie gestellt würden.

Nichtresonante Ansätze

Möglicher Ausweg aus der Bandbreiten-/Dämpfungsproblematik, zumindest im Mikrowellenbereich, sind nichtresonante Konzepte, die auf inversen Leitungsstrukturen basieren. Diese bandpassartigen Strukturen bieten gleichzeitig hohe Bandbreite und geringe Verluste – solange Strukturen entworfen werden können, die sich wie diskrete Serien- und Parallelresonatoren verhalten. Aufgrund der Ableitung aus der Leitungstheorie waren erste derartige Metamaterialien eindimensional und erreg(t)en die Kontroverse, ob es sinnvoll ist, von Metamaterialien oder von angewandter Filtertheorie zu sprechen. Verallgemeinerungen auf (isotrope) 2D/3D-Anordnungen wurden theoretisch vorgestellt, einige auch experimentell nachgewiesen.

Mögliche Anwendungen

Die von Wesselago analysierten planen Linsen sind aufgrund der fehlenden optischen Achse potenziell vorteilhaft, die von John Pendry vorgeführte Auflösungsverbesserung führte zu besonders großer Aufmerksamkeit in Physik und Elektrotechnik.[4] Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass eine punktförmige Lichtquelle ein punktförmiges Abbild hat, d. h. im Gegensatz zur üblichen Linse wird das evaneszente Wellenvektorspektrum der Quelle durch die plane Metamaterial-Linse resonant verstärkt und dann im Bild 'rekonstruiert'. Das ist nicht mit endlicher Auflösung bei üblichen Linsen aufgrund endlicher Eingangspupille zu verwechseln, Beugungsbegrenzung ist als Vergleichskriterium nicht heranziehbar, denn Pendrys Linse ist unendlich groß.

Des Weiteren wurde 2006 in Science theoretisch und experimentell ein Konzept vorgestellt, wie mit Hilfe einer Metamaterial-Umhüllung eine Tarnkappenwirkung erzielt werden kann.[5][6] Dieses Konzept basiert nicht auf negativen Brechzahlen, sondern auf einer kontinuierlichen, anisotropen Variation der Brechzahl zwischen 0 und 1 (Gradientenoptik) und ist somit Lüneburg-Linsen nicht gänzlich unähnlich. 2010 wurde eine Lösung für Ultraschallwellen vorgestellt, die schon in einem sehr breiten Frequenzbereich wirksam ist.[7][8]

Als potenzielle Anwendung könnte man jedes bisher bestehende Abbildungssystem nennen, und auch Pendrys Tarnkappe ließe sich als spezielles metamaterial-basiertes Abbildungssystem klassifizieren. Bei allen Szenarien ist jedoch zu beachten, dass endliche Zellgröße, Verluste, endliche Abmessungen der Linse und Dispersion die Auflösung begrenzen und zu Aberrationen führen.

Literatur

Review-Artikel:

  •  S. Anantha Ramakrishna: Physics of negative refractive index materials. In: Reports on Progress in Physics. 68, Nr. 2, 2005, S. 449–521, doi:10.1088/0034-4885/68/2/R06.
  •  Vladimir M. Shalaev: Optical negative-index metamaterials. In: Nat Photon. 1, Nr. 1, 2007, S. 41–48, doi:10.1038/nphoton.2006.49.
  •  Victor Veselago, Leonid Braginsky, Valery Shklover, Christian Hafner: Negative Refractive Index Materials. In: Journal of Computational and Theoretical Nanoscience. 3, Nr. 2, 2006, S. 1–30, doi:10.1166/jctn.2006.002.

Monographien:

  •  Christophe Caloz, Tatsuo Itoh: Electromagnetic Metamaterials. Transmission Line Theory and Microwave Applications. Wiley & Sons, Hoboken NJ 2005, ISBN 0471669857.
  •  G. V. Eleftheriades, K. G. Balmain: Negative Refraction Metamaterials. Fundamental Principles and Applications. Wiley & Sons, Hoboken NJ 2005, ISBN 0471601462.
  •  Nader Engheta, Richard W. Ziolkowski: Electromagnetic Metamaterials. Physics and Engineering Aspects, Physics and Engineering Explorations. Wiley & Sons, Hoboken, NJ 2006, ISBN 0471761028.
  •  Stefan A. Maier: Plasmonics - fundamentals and applications. Springer, New York 2007, ISBN 0-387-33150-6.
  •  Andrey K. Sarychev, Vladimir M. Shalaev: Electrodynamics of metamaterials. World Scientific, Singapore 2007, ISBN 9789810242459.
  •  Sergei Tretyakov: Analytical Modeling in Applied Electromagnetics. Artech House, Boston 2003, ISBN 1580533671.
  •  Ralf B. Wehrspohn: Nanophotonic materials - photonic crystals, plasmonics and metamaterials. Wiley-VCH, Weinheim 2008, ISBN 978-3-527-40858-0.

Weblinks

 Commons: Metamaterial – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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Einzelnachweise

  1.  Victor G. Veselago: The electrodynamics of substances with simultaneously negative values of e and µ. In: Soviet physics. Uspekhi (Sov. Phys. Usp). 10, Nr. 4, 1968, S. 509-514, doi:10.1070/PU1968v010n04ABEH003699.
  2. Metamaterials could reduce friction in nanomachines. physorg.com, 7. Dezember 2009, abgerufen am 5. Oktober 2010.
  3.  R. Zhao, J. Zhou, Th. Koschny, E. N. Economou, C. M. Soukoulis: Repulsive Casimir Force in Chiral Metamaterials. In: Physical Review Letters. 103, Nr. 10, 2009, S. 103602, doi:10.1103/PhysRevLett.103.103602.
  4.  J. B. Pendry: Negative Refraction Makes a Perfect Lens. In: Physical Review Letters. 85, Nr. 18, 30. September 2000, S. 3966, doi:10.1103/PhysRevLett.85.3966.
  5.  J. B. Pendry, D. Schurig, D. R. Smith: Controlling Electromagnetic Fields. In: Science. 312, Nr. 5781, 23. Mai 2006, S. 1780-1782, doi:10.1126/science.1125907.
  6.  D. Schurig, J. J. Mock, B. J. Justice, S. A. Cummer, J. B. Pendry, A. F. Starr, D. R. Smith: Metamaterial Electromagnetic Cloak at Microwave Frequencies. In: Science. 314, Nr. 5801, 10. Oktober 2006, S. 977-980, doi:10.1126/science.1133628.
  7.  Shu Zhang, Chunguang Xia, Nicholas Fang: Broadband Acoustic Cloak for Ultrasound Waves. In: arXiv Optics (physics.optics). 2010, arXiv:1009.3310.
  8. Markus Becker: Tarnkappe macht Objekte für Ultraschall unsichtbar. Spiegel Online, 7. Januar 2011

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