Materialgleichungen der Elektrodynamik

Materialgleichungen der Elektrodynamik

Die Materialgleichungen beschreiben die Auswirkungen äußerer elektromagnetischer Felder auf Materie im Rahmen der Theorie der Elektrodynamik. Sie bestehen für ruhende Medien aus den Gleichungen

SI-Einheiten cgs-Einheiten
D=ε0E+P D=E+4πP
H=1μ0BM H=B4πM

die die mikroskopischen mit den makroskopischen Maxwell-Gleichungen verknüpfen, und den unten aufgeführten Materialabhängigkeiten für die Polarisation P und Magnetisierung M, die in einer häufig anzutreffenden genäherten Form und einer allgemeineren Form ausgedrückt werden können.

Die elektrische Flussdichte D und die magnetische Feldstärke H sind nur Hilfsfelder, die eingeführt wurden, um die Struktur der Maxwellgleichungen des Vakuums auch in Materie aufrechterhalten zu können. Die physikalisch relevanten Messgrößen sind die elektrische Feldstärke E und die magnetische Flussdichte B.

Herleitung und Erläuterung

Die Materialgleichungen entstehen aus den mikroskopischen Maxwell-Gleichungen durch folgenden Ansatz:

  1. Ladungen werden als Summe von freien und elektrisch induzierten Ladungen (Polarisationsladungen) betrachtet. Polarisationsladungen sind Quellen des Polarisationsfeldes. (Magnetisch induzierte Ladungen treten nicht auf.)
  2. Ströme werden als Summe von freien und elektrisch bzw. magnetisch induzierten Strömen betrachtet. Änderungen des Polarisationsfeldes oder Wirbel im Magnetisierungsfeld bewirken induzierte Ströme.

Die folgenden makroskopischen Maxwellgleichungen enthalten nur gemittelte Größen, d. h. lokal können die Größen davon abweichen. Eine makroskopische Messung bedeutet immer eine Mittelung sowohl über den Ort als auch über die Zeit (mikroskopische Fluktuationen werden geglättet). Diese experimentelle Unzulänglichkeit rechtfertigt den Ansatz nur gemittelte Größen zu verwenden. Im Folgenden wird von den mikroskopischen Gleichungen ausgegangen und dann auf die makroskopischen Gleichungen geschlossen, ohne die Mittelungsprozesse explizit anzugeben. Eine mögliche Mittelung sieht wie folgt aus (räumliche Mittelung):

u(r,t)=1VVu(r+r,t)d3r

u(r,t) sei die mikroskopische Größe (kann Skalar, wie Ladungsdichte, oder Vektor, wie elektrisches Feld, sein). Man integriert die Größe über ein Raumvolumen V um r, das mikroskopisch groß, makroskopisch aber klein ist. Ein Volumen von (1/10 mm)3 enthält eine riesige Zahl von Teilchen (Größenordnung 1016 Teilchen). Bei solch großen Teilchenzahlen werden bei der rein räumlichen Mittelung auch die zeitlichen Fluktuationen geglättet.

Man beachte, dass die makroskopischen Maxwellgleichungen nicht lorentzkovariant formulierbar sind, da sie nur in dem Inertialsystem gelten, in dem die Materie im Mittel ruht.

Aus den Maxwellschen Gleichungen gelten das Induktionsgesetz und das magnetische Monopolverbot unverändert in Materie weiter (hier mit gemittelten Feldern):

×E=tB und B=0

Gaußsches Gesetz: Elektrische Flussdichte

Materie besteht meist aus mehr oder weniger beweglichen, elektrisch geladenen Teilchen (Ladungen). Diese können z. B. die negativ geladenen Elektronen der Atomhülle und die positiv geladenen Kerne der Materie bildenden Atome sein. Ein elektrisches Feld E bewirkt auf diese eine elektrische Kraft, welche die jeweils entgegengesetzten Ladungen aus ihren Gleichgewichtspositionen gegeneinander verschiebt. Das Material wird dadurch polarisiert (es entstehen Dipol- und höhere Momente) und erzeugt so seinerseits ein elektrisches Feld, das sich mit dem äußeren überlagert. Die Quellen des resultierenden E-Feldes sind die freien Ladungen (auch Überschussladungen genannt, wie zum Beispiel die quasi-freien Leitungselektronen eines metallischen Leiters, erzeugen das externe elektrische Feld) und die gebundenen Ladungen (auch Polarisationsladungen). Die Gesamtladungsdichte ist also ρ=ρfrei+ρP.

ε0E=ρfrei+ρP

Man führt die Polarisation P als Dipoldichte (mittleres elektrisches Dipolmoment pro Volumen) ein, deren Quellen die Polarisationsladungen sind. Die Summe über Polarisationsladungen eines Körpers ergibt Null, deswegen auch neutraler Anteil. Lokal ist jedoch die Ladungsverteilung von Null verschieden, insbesondere an der Oberfläche des Körpers (Oberflächenladungsdichte):

ρP=P

Die Polarisation bewirkt ein zusätzliches inneres elektrisches Feld EP=P/ε0, das sich mit dem äußeren, von den freien Ladungen erzeugten, Feld Efrei überlagert: E=Efrei+EP. Man beschränkt sich im Folgenden auf das äußere Feld: Efrei=EEP=E+P/ε0.

Die makroskopische Maxwellgleichung erhält als Quellen nur noch die freien Ladungen:

(ε0E+P)D=ρfreiD=ρfrei

Aus der Überlagerung von elektrischem Feld und Polarisationsfeld entsteht das dielektrische Verschiebungsfeld oder elektrische Flussdichte D:

D=ε0E+P

Durchflutungsgesetz: Magnetische Feldstärke

Elektronen, Atomkerne und die aus diesen zusammengesetzten Atome und Moleküle tragen jeweils magnetische Momente, vergleichbar atomar kleiner Magneten (Klassische Veranschaulichung mit Bohrschen Atommodell: Atomelektronen bewegen sich auf stationären Kreisbahnen um den Kern. Dieser Kreisstrom erzeugt ein magnetisches Moment senkrecht zur Bahnebene.) Die Orientierungen der Momente sind ohne äußeres Feld statistisch verteilt und kompensieren sich im Mittel. Sie können aber durch eine äußere magnetische Induktion ausgerichtet werden, wodurch ein zusätzliches inneres Feld entsteht, das sich mit dem äußeren überlagert: Das Material magnetisiert.

Ein äußeres Magnetfeld (genauer: magnetische Flussdichte) B erzeugt also neben freien Strömen Jfrei aus nicht gebundenen Ladungsträgern, wie zum Beispiel den quasi-freien Leitungselektronen eines metallischen Leiters, auch Magnetisierungsströme gebundener Ladungsträger JM. Diese wiederum erzeugen das makroskopische Magnetisierungsfeld M, das ein mittleres magnetisches Dipolmoment pro Volumen darstellt:

JM=×M

Ferner existieren sogenannte Polarisationsströme, die von einer sich zeitlich ändernden elektrischen Polarisation P herrühren (elektrisch induzierter Strom):

JP=Pt

Die Gesamtstromdichte Jsetzt sich also aus drei Komponenten zusammen, die alle gemeinsam mit dem äußeren Magnetfeld gekoppelt sind:

J=Jfrei+JM+JP

Das Durchflutungsgesetz lautet damit zunächst:

1μ0×B=Jfrei+JM+JP+ε0Et

Dies ergibt die makroskopische Maxwellgleichung:

×(1μ0BM)H=Jfrei+t(ε0E+P)D×H=Jfrei+tD

Aus der Überlagerung von äußerem Magnetfeld und Magnetisierungsfeld entsteht das magnetische Feld H, auch magnetische Feldstärke genannt:

H=1μ0BM

Stromdichte und Leitfähigkeit

Ein elektrisches Feld treibt in elektrischen Leitern einen Fluss der freien Ladungsträger, den elektrischen Strom, an. Die Stromdichte J wird durch die elektrische Leitfähigkeit σ bestimmt.

Materialabhängigkeiten

Allgemeine Form

Die Polarisation und Magnetisierung hängt von der mikroskopischen Struktur des Materials ab. Für eine genaue Betrachtung müsste man die Quantenmechanik bzw. Quantenstatistik heranziehen. In der Elektrodynamik verwendet man eher phänomenologische Ansätze, die mit dem Experiment abgestimmt werden.

Im Allgemeinen sind Polarisation und Magnetisierung Funktionale der Felder, bei leitfähigen Materialien auch die Stromdichte:

P(r,t)=P[E(r,t)],M(r,t)=M[B(r,t)],J(r,t)=J[E(r,t)]

dabei muss aus Kausalitätsgründen stets tt gelten.

Die Materialabhängigkeit der Polarisation P wird durch die elektrische Suszeptibilität χ^e beschrieben:

P(r,t)=ε0d3rtdtχ^e(r,r,t,t;E)E(r,t)

Analog zum elektrischen Fall wird die Materialabhängigkeit der Magnetisierung M durch die magnetische Suszeptibilität ζ^m beschrieben:

M(r,t)=1μ0d3rtdtζ^m(r,r,t,t;B)B(r,t)

Die Größe ζ^m entspricht nicht ganz der Definition der magnetischen Suszeptibilität χ^m, wie sie insbesondere außerhalb der Physik üblich ist. Die hier gegebene Definition ist für den allgemeinen Fall jedoch physikalisch sinnvoller; in der genäherten, vereinfachten Darstellung fallen beide Definitionen zusammen (siehe unten).

Für Materialien, die elektrischen Strom leiten, gilt das verallgemeinerte ohmsche Gesetz mit der elektrischen Leitfähigkeit σ^:

J(r,t)=d3rtdtσ^(r,r,t,t;E)E(r,t)

Unter Zeitumkehrung sind P und E gerade, aber M, B und J ungerade. Polarisation und Magnetisierung sind also mit Zeitumkehr verträglich und beschreiben somit umkehrbare Prozesse. Das ohmsche Gesetz ist nicht invariant unter Zeitumkehr und beschreibt somit irreversible Prozesse: Die Feldenergie des elektrischen Feldes geht über in Bewegungsenergie der Ladungen, die teilweise durch Stöße auf das Material als Joulesche Wärme übertragen wird. Dies führt zu einer Erhöhung der Entropie des Materials und diese ist nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik nicht umkehrbar.

Diese allgemeinen Materialabhängigkeiten sind für nichtlineare, anisotrope sowie räumlich und zeitlich inhomogene Medien gültig.

  • Nichtlineares Verhalten des Mediums bedeutet die Abhängigkeit der Suszeptibilitäten von den Feldern E bzw. B, siehe auch Nichtlineare Optik
  • Ist das Medium anisotrop, müssen die Suszeptibilitäten als Tensoren aufgefasst werden (zum Beispiel in Kristallen).
  • Hängt die Reaktion des Mediums nicht nur vom Beobachtungszeitpunkt t, sondern auch von der Geschichte des Materials ab, also einem vorherigen Zeitpunkt t, so handelt es sich um zeitliche Inhomogenität (siehe auch Hysterese).
  • Räumliche Inhomogenität bedeutet, dass die Reaktion des Mediums nicht überall gleich ist, sondern sich von Punkt zu Punkt ändern kann (zum Beispiel Material mit weissschen Bezirken (Magnetismus), Schichtstrukturen, strenggenommen aber jedes räumlich begrenzte Material).
  • Zeitliche Abhängigkeit führt zur Dispersion.

Vereinfachte Form

In vielen Anwendungsfällen lassen sich aber Näherungen für diese komplexen Zusammenhänge rechtfertigen, und man findet oft die folgende vereinfachte Darstellung für lineare, räumlich und zeitlich homogene Medien:

D=εE
H=1μB
J=σE

Die letzte Gleichung stellt das ohmsche Gesetz mit der elektrischen Leitfähigkeit σ dar.

In aller Regel lässt sich aber zumindest die zeitliche Abhängigkeit (Frequenz-Dispersion) nicht vernachlässigen, so dass die Größen ε,μ,σ i.A. Funktionen der Frequenz der entsprechenden elektromagnetischen Felder sind. Ferner haben diese Größen in nicht-isotropen Medien Tensorcharakter.

Erläuterung

Die Materialabhängigkeit der Polarisation P wird durch die elektrische Suszeptibilität χe beschrieben. In der linearen, homogenen Näherung entfällt dabei das Integral, und der Zusammenhang vereinfacht sich zu einer Multiplikation:

P=ε0χeE ergibt eingesetzt:
D=ε0E+P=ε0(1+χe)εrE=ε0εrεE=εE
ε=ε0εr ist die Permittivität und εr=1+χe ist die Permittivitätszahl.

Analog zum elektrischen Fall wird die Materialabhängigkeit der Magnetisierung M durch die magnetische Suszeptibilität ζm beschrieben. Wieder vereinfacht sich der Zusammenhang in der Näherung:

M=1μ0ζmB ergibt eingesetzt:
H=1μ0BM=1μ0(1ζm)1/μrB=1μ0μrB=1μB

Aus historischen Gründen findet man jedoch häufiger

B=μ0(H+M)=μ0(1+χm)μrH=μ0μrμH=μH
μ=μ0μr ist die Permeabilität und μr=1+χm Permeabilitätszahl.

Beide Gleichungen sind mit χm=ζm1ζm äquivalent. Die zweite Form lässt sich nur in dieser Näherung aufstellen.

Materialgleichungen in bewegten Medien

Liegt eine konstante Relativbewegung zwischen einem Beobachter und dem umgebenden, linearen, isotropen und homogenen Medium vor, mit den Stoffkonstanten μ′=μ′r⋅μ0 und ε′=ε′r⋅ε0, müssen die Materialgleichungen erweitert werden um der Konstantheit der Vakuumlichtgeschwindigkeit c0 zwischen verschiedenen Inertialsystemen Rechnung zu tragen. Im Gegensatz zu den Maxwellschen Gleichungen sind die Materialgleichungen nicht invariant gegenüber der Lorentz-Transformation. Die gestrichenen Stoffkonstanten beziehen sich dabei auf das bewegte System, aus Sicht des ruhenden Beobachters.

Die beteiligten Feldgrößen werden in zwei Komponenten aufgespalten: Sei F eine allgemeine Feldgröße, so bezeichnet F jene Feldkomponente, welche normal zu dem Geschwindigkeitsvektor v steht. F beschreibt jenen Anteil, welcher parallel zum Geschwindigkeitsvektor v steht. Damit ergibt sich für die Feldkomponenten parallel zur Bewegung:

D=εE
H=1μB

Für die Normalkomponenten ergeben sich kompliziertere Ausdrücke:

D=εγn2((n2β2)E+(n21)v×B)
H=γ2μ((1n2β2)B+(n21)v×Ec02)

mit den Abkürzungen:

β=vc0,
γ=1β2,

und der Brechzahl n:

n=c0με

Zu beachten ist, dass bei bewegten Medien, selbst bei isotropen Medien, die Vektoren D und E sowie H und B nicht mehr parallel zueinander stehen. Als Sonderfall, bei n=1 als auch bei dem Betrag der relativen Geschwindigkeit von v=0, verschwinden die zusätzlichen Terme aus obigen Gleichungen, und es ergeben sich die in der Einleitung dargestellten Beziehungen.

Referenzen

  • John David Jackson: Klassische Elektrodynamik. 4., überarb. Aufl. Auflage. de Gruyter, Berlin 2006, ISBN 9783110189704.
  • Peter Halevi: Spatial dispersion in solids and plasmas. North-Holland, Amsterdam 1992, ISBN 978-0444874054.
  • Klaus Kark: Antennen und Strahlungsfelder, Elektromagnetische Wellen auf Leitungen, im Freiraum und ihre Abstrahlung. 2. Auflage. Vieweg, 2006, ISBN 978-3-8348-0216-3.