Materialgleichungen der Elektrodynamik
Die Materialgleichungen beschreiben die Auswirkungen äußerer elektromagnetischer Felder auf Materie im Rahmen der Theorie der Elektrodynamik. Sie bestehen für ruhende Medien aus den Gleichungen
SI-Einheiten | cgs-Einheiten |
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die die mikroskopischen mit den makroskopischen Maxwell-Gleichungen verknüpfen, und den unten aufgeführten Materialabhängigkeiten für die Polarisation
Die elektrische Flussdichte
Herleitung und Erläuterung
Die Materialgleichungen entstehen aus den mikroskopischen Maxwell-Gleichungen durch folgenden Ansatz:
- Ladungen werden als Summe von freien und elektrisch induzierten Ladungen (Polarisationsladungen) betrachtet. Polarisationsladungen sind Quellen des Polarisationsfeldes. (Magnetisch induzierte Ladungen treten nicht auf.)
- Ströme werden als Summe von freien und elektrisch bzw. magnetisch induzierten Strömen betrachtet. Änderungen des Polarisationsfeldes oder Wirbel im Magnetisierungsfeld bewirken induzierte Ströme.
Die folgenden makroskopischen Maxwellgleichungen enthalten nur gemittelte Größen, d. h. lokal können die Größen davon abweichen. Eine makroskopische Messung bedeutet immer eine Mittelung sowohl über den Ort als auch über die Zeit (mikroskopische Fluktuationen werden geglättet). Diese experimentelle Unzulänglichkeit rechtfertigt den Ansatz nur gemittelte Größen zu verwenden. Im Folgenden wird von den mikroskopischen Gleichungen ausgegangen und dann auf die makroskopischen Gleichungen geschlossen, ohne die Mittelungsprozesse explizit anzugeben. Eine mögliche Mittelung sieht wie folgt aus (räumliche Mittelung):
Man beachte, dass die makroskopischen Maxwellgleichungen nicht lorentzkovariant formulierbar sind, da sie nur in dem Inertialsystem gelten, in dem die Materie im Mittel ruht.
Aus den Maxwellschen Gleichungen gelten das Induktionsgesetz und das magnetische Monopolverbot unverändert in Materie weiter (hier mit gemittelten Feldern):
und
Gaußsches Gesetz: Elektrische Flussdichte
Materie besteht meist aus mehr oder weniger beweglichen, elektrisch geladenen Teilchen (Ladungen). Diese können z. B. die negativ geladenen Elektronen der Atomhülle und die positiv geladenen Kerne der Materie bildenden Atome sein.
Ein elektrisches Feld
Man führt die Polarisation
Die Polarisation bewirkt ein zusätzliches inneres elektrisches Feld
Die makroskopische Maxwellgleichung erhält als Quellen nur noch die freien Ladungen:
Aus der Überlagerung von elektrischem Feld und Polarisationsfeld entsteht das dielektrische Verschiebungsfeld oder elektrische Flussdichte
Durchflutungsgesetz: Magnetische Feldstärke
Elektronen, Atomkerne und die aus diesen zusammengesetzten Atome und Moleküle tragen jeweils magnetische Momente, vergleichbar atomar kleiner Magneten (Klassische Veranschaulichung mit Bohrschen Atommodell: Atomelektronen bewegen sich auf stationären Kreisbahnen um den Kern. Dieser Kreisstrom erzeugt ein magnetisches Moment senkrecht zur Bahnebene.) Die Orientierungen der Momente sind ohne äußeres Feld statistisch verteilt und kompensieren sich im Mittel. Sie können aber durch eine äußere magnetische Induktion ausgerichtet werden, wodurch ein zusätzliches inneres Feld entsteht, das sich mit dem äußeren überlagert: Das Material magnetisiert.
Ein äußeres Magnetfeld (genauer: magnetische Flussdichte)
Ferner existieren sogenannte Polarisationsströme, die von einer sich zeitlich ändernden elektrischen Polarisation
Die Gesamtstromdichte
Das Durchflutungsgesetz lautet damit zunächst:
Dies ergibt die makroskopische Maxwellgleichung:
Aus der Überlagerung von äußerem Magnetfeld und Magnetisierungsfeld entsteht das magnetische Feld
Stromdichte und Leitfähigkeit
Ein elektrisches Feld treibt in elektrischen Leitern einen Fluss der freien Ladungsträger, den elektrischen Strom, an. Die Stromdichte
Materialabhängigkeiten
Allgemeine Form
Die Polarisation und Magnetisierung hängt von der mikroskopischen Struktur des Materials ab. Für eine genaue Betrachtung müsste man die Quantenmechanik bzw. Quantenstatistik heranziehen. In der Elektrodynamik verwendet man eher phänomenologische Ansätze, die mit dem Experiment abgestimmt werden.
Im Allgemeinen sind Polarisation und Magnetisierung Funktionale der Felder, bei leitfähigen Materialien auch die Stromdichte:
dabei muss aus Kausalitätsgründen stets
Die Materialabhängigkeit der Polarisation
Analog zum elektrischen Fall wird die Materialabhängigkeit der Magnetisierung
Die Größe
Für Materialien, die elektrischen Strom leiten, gilt das verallgemeinerte ohmsche Gesetz mit der elektrischen Leitfähigkeit
Unter Zeitumkehrung sind
Diese allgemeinen Materialabhängigkeiten sind für nichtlineare, anisotrope sowie räumlich und zeitlich inhomogene Medien gültig.
- Nichtlineares Verhalten des Mediums bedeutet die Abhängigkeit der Suszeptibilitäten von den Feldern
bzw. , siehe auch Nichtlineare Optik - Ist das Medium anisotrop, müssen die Suszeptibilitäten als Tensoren aufgefasst werden (zum Beispiel in Kristallen).
- Hängt die Reaktion des Mediums nicht nur vom Beobachtungszeitpunkt
, sondern auch von der Geschichte des Materials ab, also einem vorherigen Zeitpunkt , so handelt es sich um zeitliche Inhomogenität (siehe auch Hysterese). - Räumliche Inhomogenität bedeutet, dass die Reaktion des Mediums nicht überall gleich ist, sondern sich von Punkt zu Punkt ändern kann (zum Beispiel Material mit weissschen Bezirken (Magnetismus), Schichtstrukturen, strenggenommen aber jedes räumlich begrenzte Material).
- Zeitliche Abhängigkeit führt zur Dispersion.
Vereinfachte Form
In vielen Anwendungsfällen lassen sich aber Näherungen für diese komplexen Zusammenhänge rechtfertigen, und man findet oft die folgende vereinfachte Darstellung für lineare, räumlich und zeitlich homogene Medien:
Die letzte Gleichung stellt das ohmsche Gesetz mit der elektrischen Leitfähigkeit
In aller Regel lässt sich aber zumindest die zeitliche Abhängigkeit (Frequenz-Dispersion) nicht vernachlässigen, so dass die Größen
Erläuterung
Die Materialabhängigkeit der Polarisation
ergibt eingesetzt:
ist die Permittivität und ist die Permittivitätszahl.
Analog zum elektrischen Fall wird die Materialabhängigkeit der Magnetisierung
ergibt eingesetzt:
Aus historischen Gründen findet man jedoch häufiger
ist die Permeabilität und Permeabilitätszahl.
Beide Gleichungen sind mit
Materialgleichungen in bewegten Medien
Liegt eine konstante Relativbewegung zwischen einem Beobachter und dem umgebenden, linearen, isotropen und homogenen Medium vor, mit den Stoffkonstanten μ′=μ′r⋅μ0 und ε′=ε′r⋅ε0, müssen die Materialgleichungen erweitert werden um der Konstantheit der Vakuumlichtgeschwindigkeit c0 zwischen verschiedenen Inertialsystemen Rechnung zu tragen. Im Gegensatz zu den Maxwellschen Gleichungen sind die Materialgleichungen nicht invariant gegenüber der Lorentz-Transformation. Die gestrichenen Stoffkonstanten beziehen sich dabei auf das bewegte System, aus Sicht des ruhenden Beobachters.
Die beteiligten Feldgrößen werden in zwei Komponenten aufgespalten: Sei
Für die Normalkomponenten ergeben sich kompliziertere Ausdrücke:
mit den Abkürzungen:
, ,
und der Brechzahl n:
Zu beachten ist, dass bei bewegten Medien, selbst bei isotropen Medien, die Vektoren
Referenzen
- John David Jackson: Klassische Elektrodynamik. 4., überarb. Aufl. Auflage. de Gruyter, Berlin 2006, ISBN 9783110189704.
- Peter Halevi: Spatial dispersion in solids and plasmas. North-Holland, Amsterdam 1992, ISBN 978-0444874054.
- Klaus Kark: Antennen und Strahlungsfelder, Elektromagnetische Wellen auf Leitungen, im Freiraum und ihre Abstrahlung. 2. Auflage. Vieweg, 2006, ISBN 978-3-8348-0216-3.