Lidocain

Lidocain

Strukturformel
Struktur von Lidocain
Allgemeines
Freiname Lidocain
Andere Namen
  • IUPAC: 2-Diethylamino-N-(2,6-dimethylphenyl)acetamid
  • Latein: Lidocainum
Summenformel C14H22N2O
CAS-Nummer 137-58-6
PubChem 3676
ATC-Code
DrugBank APRD00479
Kurzbeschreibung

Weißes bis fast weißes, kristallines Pulver[1]

Arzneistoffangaben
Wirkstoffklasse
Wirkmechanismus

Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle[2]

Verschreibungspflichtig: teilweise
Eigenschaften
Molare Masse 234,34 g·mol−1
Schmelzpunkt

68,5 °C [3]

pKs-Wert

8,01 [3]

Löslichkeit

schlecht in Wasser (4,1 g·l−1)[3]

Sicherheitshinweise
Bitte die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [4]
07 – Achtung

Achtung

H- und P-Sätze H: 302
P: keine P-Sätze [4]
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [5][4]

Xn
Gesundheits-
schädlich
R- und S-Sätze R: 22
S: 22-26-36
LD50
  • 317 mg·kg−1 (Ratte p.o.) [3]
  • 102 mg·kg−1 (Maus i.p.) [3]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
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Lidocain (Handelsnamen beispielsweise Xylocain) ist ein Lokalanästhetikum vom Typ der Amide, das auch als Klasse Ib-Antiarrhythmikum eingesetzt wird.

Geschichte

Lidocain war das erste Amino-Amidlokalanästhetikum und wurde durch die schwedischen Chemiker Nils Löfgren (1913-1967) und Bengt Lundqvist im Jahre 1943[6] synthetisiert. Sie verkauften die Patentrechte des Lidocains an den schwedischen Pharmakonzern Astra AB.

Darstellung

Lidocain wird in mehreren Synthesestufen aus 2,6-Xylidin dargestellt.

Synthese von Lidocain aus 2,6-Xylidin

Anwendung

Lidocain wird in der Human- und Veterinärmedizin in Form seines Hydrochloridsalzes als gut und schnell wirksames örtliches Betäubungsmittel häufig eingesetzt (Lokalanästhesie).

Hierzu wird Lidocain entweder in das Gewebe eingespritzt (Infiltrationsanästhesie), um so ein kleineres Areal zu betäuben, wie es für die Naht einer Platzwunde oder ähnliche kleinere Eingriffe notwendig ist. Alternativ wird es in den Bereich eines Nervs gespritzt, um so dessen Versorgungsgebiet zu betäuben (Leitungsanästhesie).

Das Medikament sollte ein bis drei Minuten einwirken, dann ist eine ausreichende Lokalanästhesie gegeben. Die Wirkdauer ist dosisabhängig und beträgt ein bis drei Stunden.

Da Lidocain gut über die Schleimhaut aufgenommen wird, gibt es diesen Wirkstoff in Form von Sprays oder Salben für die Oberflächenanästhesie (EMLA-Applikation - Lidocain und Prilocain im Verhältnis 1:1). Ferner gibt es Lidocain-haltige Gleitmittel zur Erleichterung der endotrachealen Intubation.

Lidocain wird in Form der Injektionslösung von Zahnärzten zur örtlichen Betäubung eingesetzt und hat deshalb vor allem im süddeutschen und Schweizer Sprachraum den Spitznamen „Zahnarzt-Kokain“.

Lidocain ist für die parenterale Anwendung, bis auf wenige Ausnahmen, verschreibungspflichtig, ebenso für die Anwendung am Auge und am äußeren Gehörgang. Für die subkutane bzw. intramuskuläre Regionalanästhesie in der Geburtshilfe (Durchführung von Dammschnitten, Naht von Dammschnitten und -rissen) darf Lidocain in Deutschland in beschränkter Dosis und in Konzentrationen bis 1 % ohne ärztliche Verschreibung an Hebammen und Entbindungspfleger abgegeben werden.

Seit 2007 ist Lidocain in verschiedenen europäischen Ländern in Form eines transdermalen Pflasters mit 5 % w/w Lidocain erhältlich, das unter dem Handelsnamen Versatis zur Behandlung neuropathischer Schmerzen nach Herpes-Zoster-Infektion zugelassen ist.[7]

Lidocain wirkt stabilisierend auf den Herzrhythmus. Als Klasse Ib-Antiarrhythmikum unterdrückt es Herzrhythmusstörungen, die ihren Ursprung in den Herzkammern haben (ventrikuläre Extrasystolen/Tachykardie). Der früher häufige Gebrauch als Notfallmedikament ist heute sehr stark zurückgegangen, da Lidocain seinerseits Herzrhythmusstörungen erzeugen und die Kontraktionskraft des Herzens einschränken kann (= negativ inotrope Wirkung).

In Form von Salben, Sprays oder Cremes steht Lidocain Männern zur Unterdrückung eines vorzeitigen Samenergusses zur Verfügung. Die lidocainhaltigen „Langzeitsalben“ beziehungsweise „Verzögerungscremes“ oder „Verzögerungs-Sprühlösungen“ sind rezeptfrei erhältlich und werden bei zurückgezogener Vorhaut dünn auf die Eichel aufgetragen.

Je nach Dosierung setzt Lidocain häufig erst nach 30 Minuten die Empfindungsfähigkeit der Eichel herab und kann über 60 Minuten anhalten.

Auch als Wirkstoff einer Zahnungshilfe für Säuglinge wird Lidocain verwendet.

Wirkprinzip

Lidocain blockiert spannungsabhängige Natrium-Kanäle in den Zellmembranen der Nervenzelle. Wenn sensible Rezeptoren auf der Haut die Empfindung von Druck, Schmerz, Wärme, Kälte etc. an das Gehirn weiterleiten sollen, wird die Erregungsweiterleitung über die Nervenzellen blockiert, da kein Natrium in die Nervenzelle einströmen kann und so die Entstehung eines Aktionspotentials erschwert wird. Lidocain wirkt bei Injektion unter die Haut oder bei Auftragung als Salbe nur an den sich dort befindlichen Nervenzellen. Dünne Nervenfasern werden früher in ihrer Weiterleitung blockiert als dicke. Daraus ergibt sich folgende Reihenfolge des Funktionsausfalls: Schmerz – Temperatur – Berührung – Druck – und zuletzt Efferenzen. Efferenzen sind Fasern, die vom ZNS kommen und zum Beispiel Muskeln innervieren. Dadurch fällt die Motorik (Muskelbewegung) an dieser Stelle aus.

Unerwünschte Wirkungen

Wie alle Lokalanästhetika kann Lidocain die typischen Nebenwirkungen erzeugen; dazu gehören Wirkungen im Bereich des zentralen Nervensystems (wie z. B. Unruhe, Krampfanfälle u. a.), des Herzens (Rhythmusstörungen), Blutdruckabfall und allergische Reaktionen.

Anwendung als Antiarrhythmikum

Lidocain verlangsamt die Erregungsausbreitung im Herzmuskel zwischen His-Bündel und Purkinje-Fasern und wird vorwiegend bei tachykarden Herzrhythmusstörungen angewendet. Es ist ein Antiarrhythmikum der Klasse Ib (Natriumkanalblocker).

Wirkprinzip am Herzen

Lidocain verlangsamt den steilen Anstieg des Aktionspotentials der Herzmuskelzelle, welcher durch den raschen Einstrom von Natrium in die Herzmuskelzelle erfolgt. Wie an Nervenzellen auch, hemmt Lidocain die Natriumkanäle am Herzmuskel, und der Einstrom des Natriums in die Herzmuskelzelle bei einer Erregung verlangsamt sich.

Die Bindung des Lidocain an einen Natriumkanal und dessen Beeinflussung ist nur dann möglich, wenn der Natriumkanal im geöffneten oder inaktivierten Zustand ist - also während oder am Ende einer Herzaktion. Wenn der Natriumkanal geschlossen ist, d. h. in der Ruhephase, dissoziiert das Lidocain allmählich vom Natriumkanal ab. Während dieser Periode zwischen zwei Aktionspotentialen nimmt die hemmende Wirkung des Lidocains daher konstant ab. Dadurch ist die hemmende Wirkung des Lidocains von der Herzfrequenz abhängig (use-dependence block).

Bei hoher Herzfrequenz dissoziiert Lidocain nur zu Teilen vom Natriumkanal ab, bis bereits ein neues Aktionspotential kommt. Bei einer langsamen Herzfrequenz hat das Lidocain zwischen zwei Aktionspotentialen genug Zeit um sich vollständig vom Natriumkanal zu dissoziieren. Dadurch wirkt die Verlangsamung des Aktionspotentials bei einer niedrigen Herzfrequenz weniger gut bis überhaupt nicht, während die Wirkung auf die Natriumkanäle bei hohen Herzfrequenzen stark ausgeprägt ist. Dies ist ein entscheidender Vorteil bei der Behandlung von tachykarden Herzrhythmusstörungen mit Lidocain.

Ein anderer Vorteil besteht darin, dass Lidocain fast nur an bereits geschädigten Herzmuskelzellen wirken kann, da diese bereits „vordepolarisiert“ sind und die Ruhephase, in der das Lidocain nicht an den Natriumkanal binden kann, verkürzt ist, obwohl die Zeit zwischen den Aktionspotentialen nicht verkürzt sein muss.

Indikationen und Anwendungsart

Lidocain muss als Antiarrhythmikum intravenös verabreicht werden. Die erste Dosis wird intravenös als „Bolus“ verabreicht, danach sollte Lidocain kontinuierlich in einer Infusion oder durch eine Spritzenpumpe gegeben werden. Indiziert ist es bei ventrikulären Herzrhythmusstörungen aller Art, auch bei Vergiftungen mit Antidepressiva oder Glykosiden und Torsade de pointes-Tachykardie. Vor Eingriffen, die Irritationen am Herzmuskel bewirken (z. B. Ablation oder Koronarangiographie), kann Lidocain präventiv gegeben werden, um das Risiko des Auftretens ventrikulärer Herzrhythmusstörungen zu vermindern.

Bei einem AV-Block Grad II darf Lidocain nicht gegeben werden.

Auch Herzinsuffizienz oder Hypotonie stellen Kontraindikationen dar, da Lidocain wie andere Antiarrhythmika ebenfalls einen negativ inotropen Effekt besitzt.

Handelsnamen

Hier ist nur eine Auswahl aufgeführt.

Monopräparate

Dolocupin (A), Dynexan (D, CH), Kenergon (CH), Licain (D), Lidesthesin (nicht mehr im Handel), LidoPosterine (D), Lignocaine (D), Posterisan akut (D), Sedagul (CH), Solarcaine (CH), Trachsisan (D), Versatis (D), Xylocain (D, A, CH), Xylocitin-loc (D), Xyloneural (CH), zahlreiche Generika (D, CH)

Kombinationspräparate

Anaesthecomp (D), Anginazol (CH), Dentinox (D, A), Doloproct (D), Doxiproct (CH), Emla (A), Faktu akut (D), Fenipic (CH), Instillagel (D, A), Kamistad (D), Lemocin (D, A, CH), Neo-angin (CH), Parodontal (D), Rapydan (A), Sangerol (CH), Wick Sulagil (D)

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Lidocain – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Europäische Arzneibuch-Kommission (Hrsg.): EUROPÄISCHE PHARMAKOPÖE 5. AUSGABE. 5.0–5.8, 2006.
  2. Mutschler, Geisslinger, Kroemer, Schäfer-Korting, Mutschler Arzneimittelwirkungen, 8. Auflage, 2001, ISBN 3-8047-1763-2, S. 267 ff.
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 Lidocain bei ChemIDplus.
  4. 4,0 4,1 4,2 Datenblatt Lidocaine bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 7. April 2011.
  5. Seit 1. Dezember 2012 ist für Stoffe ausschließlich die GHS-Gefahrstoffkennzeichnung zulässig. Bis zum 1. Juni 2015 dürfen noch die R-Sätze dieses Stoffes für die Einstufung von Zubereitungen herangezogen werden, anschließend ist die EU-Gefahrstoffkennzeichnung von rein historischem Interesse.
  6. http://facelifting-face-lift.de/55/Lidocaine
  7. Produktinformation im Arzneimittelinformationssystem (AMIS) des Bundes und der Länder.

Nils Löfgren (1948). Xylocaine: a new synthetic drug.


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