Gibbs-Energie

Gibbs-Energie

Die Gibbs-Energie G, benannt nach dem US-amerikanischen Physiker Josiah Willard Gibbs, ist ein thermodynamisches Potential mit den natürlichen unabhängigen Variablen Temperatur T, Druck p und Stoffmenge n oder alternativ Teilchenzahl N. Im deutschen Sprachraum wird die Gibbs-Energie meist als Freie Enthalpie bezeichnet; gebräuchlich sind auch Gibbssche freie Energie oder Gibbs-Potential. Diese Bezeichnungen sollen in der Chemie jedoch nach einer Empfehlung der IUPAC nicht mehr verwendet werden.[1]

Definition

Die Gibbs-Energie ist definiert durch

G(T;p;N)=U(S;V;N)+pVTS.

Da

H(S;p;N)=U(S;V;N)+pV

ist, gilt

G(T;p;N)=H(S;p;N)TS

mit der inneren Energie U, dem Volumen V, der Entropie S sowie der Enthalpie H.

Häufig arbeitet man mit dem totalen Differential

dG(T;p;N)=dU(S;V;N)+d(pV)d(TS)=TdSpdV+μdN+pdV+VdpTdSSdT=μdN+VdpSdT.

Ist die Teilchenzahl N konstant, so wird daraus die freie molare Enthalpie:

dG(T;p;N)N=konst.=VdpSdT.

Wird die Abhängigkeit von der Teilchenzahl hinzugenommen, so ergibt sich im Gleichgewicht der differentielle Ausdruck der freien Enthalpie für einen Reinstoff:

dG(T;p;N)=SdT+Vdp+μdN.

und für ein Stoffgemisch

dG(T;p;Ni)=SdT+Vdp+iμidNi.

mit dem chemischen Potential µi. Diese Gleichung ist maßgeblich für chemische Reaktionen, da diese sehr häufig an ein Druck- und Temperatur-Reservoir gekoppelt sind.

Die Einheit der Gibbs-Energie ist Joule.

Anwendung der Gibbs-Energie in der Chemie

Chemische Reaktionen gehorchen den Gesetzen der Thermodynamik. Die Thermodynamik beschreibt Beziehungen zwischen verschiedenen Energieformen und beantwortet die Frage, ob, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang eine Umsetzung der beteiligten Stoffe abläuft. Hier ist das entscheidende Kriterium die Gibbs-Energie G. Für ihre Änderung ΔG während einer Reaktion gilt

  • ΔG<0: exergone Reaktion, die unter den gegebenen Bedingungen (Konzentrationen) freiwillig abläuft;
  • ΔG=0: Gleichgewichtssituation, keine Reaktion;
  • ΔG>0: endergone Reaktion, deren Ablauf in der angegebenen Richtung Energiezufuhr erfordern würde.

Für die Änderung der Gibbs-Energie gilt nun:

ΔG=ΔG+RTlniaiνi

Darin ist

  • a die Aktivität des entsprechenden Reaktanten,
  • R die universelle Gaskonstante = 8,314472(15) J mol-1 K-1
  • T die absolute Temperatur in K (Kelvin)
  • ΔG die Änderung der Gibbs-Energie beim Ablauf der Reaktion unter Standardbedingungen, die freie Standardenthalpie, also eine reaktionsspezifische Konstante (Vorsicht! ΔGΔG; vgl. Standardzustand.)

Es gilt die Gleichheit ΔG=ΔG, wenn alle Edukte und Produkte die Aktivität 1 besitzen und somit lniaiνi gleich Null wird. Aufgrund des Vorzeichens kann aus ΔG also die (hypothetische) Reaktionsrichtung bei a=1 für alle Reaktionspartner abgelesen werden (Teil der sogenannten „Standardbedingungen“). In der Biochemie wird das ΔG verwendet, um die Gibbs-Energie bei Standardbedingungen mit der Abweichung von physiologischem pH 7 (statt pH 0) zu kennzeichnen (siehe unten).

Die Gleichgewichtseinstellung der Reaktion folgt dem Kriterium minimaler Gibbs-Energie. Im Gleichgewicht ändert sich G definitionsgemäß nicht mehr, d. h. es gilt ΔG=0, woraus folgt:

ΔG=RTlniaiνi=RTlnK

Hierbei ist K die Thermodynamische Gleichgewichtskonstante.

Auf der anderen Seite ist ΔG mit den Aktivitäten der Reaktionspartner veränderlich. ΔG ist derjenige Wert, welcher die Reaktionsrichtung bestimmt: Nur bei negativem ΔG liegt die Reaktionsrichtung auf der Produktseite. Eine durch positives ΔG gekennzeichnete Reaktion kann durchaus in der geschriebenen Richtung ablaufen, sofern die Ausgangsaktivitäten ein negatives ΔG gewährleisten.

Interessiert nur die Temperaturabhängigkeit einer chemischen Reaktion, so wird oft vereinfacht die Gleichung

ΔG=ΔHTΔS

benutzt. Diese Gleichung erlaubt allerdings nur eine Aussage darüber, ob eine chemische Reaktion in der gegebenen Richtung freiwillig ablaufen kann. Mitunter sind Reaktionen sogar selbst unter Katalysatoreinfluss gehemmt (beispielsweise die Ammoniakbildung aus Wasserstoff und Stickstoff). Aussagen über die Reaktionsgeschwindigkeit sind somit nicht möglich.

Es sei folgende allgemeine chemische Reaktion gegeben:

aA+bB+cC+dD+

Dabei sind a, b, c, d die stöchiometrischen Faktoren und A, B, C, D sind die chemischen Verbindungen oder Elemente.

Aus dieser allgemeinen chemischen Reaktion lässt sich bei Kenntnis der freien Bildungsenthalpien im Standardzustand von Verbindungen (werden mit (Gf0) angegeben – im unteren Beispiel zur Unterscheidung jedoch mit (Ga0), (Gb0) – und beziehen sich immer auf 1 mol der entsprechenden Verbindung) die freie Enthalpie (ΔGr0) einer chemischen Umsetzung berechnen.

Für die Berechnung gilt:

(I)ΔGr0=cGc0+dGd0+aGa0bGb0+

Eine chemische Reaktion ist – wie oben beschrieben – nur möglich, wenn ΔGr0<0 ist.

Zur Untersuchung von speziellen thermodynamischen Problemstellungen kann die freie Enthalpie der Gibbs-Gleichung differenziert und anschließend integriert werden. Folgende thermodynamische Problemstellungen sind besonders wichtig:

Die Druckabhängigkeit bei der Reaktion von idealen Gasen:

(II)ΔGr=cGc0+dGd0+aGa0bGb0++RTln(pc)(pd)(pa)(pb)

(pc , pd, pa , pb sind die Partialdrucke des jeweiligen Gases.)

Analoges gilt für Lösungen:

(III)ΔGr=cGc0+dGd0+aGa0bGb0++RTln(K)

(K entspricht dem obigen Term wobei die Partialdrucke jedoch durch die Aktivitäten ausgetauscht werden müssen. K ist hier die thermodynamische Gleichgewichtskonstante und dimensionslos)

Falls sich die Reaktion im Gleichgewicht – d. h. ΔGr=0 – befindet, erhält man das oben beschriebene Massenwirkungsgesetz:

(IV)ΔGr0=RTln(K)

Die Temperaturabhängigkeit der Gibbs-Gleichung ergibt nach Bildung des Differentials und Integration die sogenannte van ’t Hoffsche Gleichung. Sie lässt sich auch ungefähr anhand der RGT-Regel abschätzen.

In der Elektrochemie (s. Elektrochemische Spannungsreihe) kann die geleistete Nutzarbeit einer freiwilligen Umwandlung von chemischen Stoffen (z. B. einer Brennstoffzelle) über die Beziehung:

(V)ΔGr=nFΔE

(n: Mol Elektronen, F: Faradaykonstante: 96485,3399(24) As/mol, ΔE: Zellspannung, Einheit: Volt) bestimmt werden.

Verwendung in der Biochemie

Hier ist die freie Standardenthalpie definiert durch ΔG=RTlnKeq mit R als Gaskonstante, T als absolute Temperatur und Keq als Gleichgewichtskonstante der Reaktion. Der Strich vor dem Kreis beim G zeigt an, dass die Reaktion unter Standardbedingungen stattfindet (T = 298,15 K = 25 °C, p = 1 atm, Aktivität der Reaktionspartner = 1 mit Ausnahme von Wasser: hier die "Konzentration" 55,5 mol/l), jedoch mit der Abweichung, dass die Wasserstoffionenkonzentration 10-7 mol/L gewählt wird statt der Wasserstoffionenaktivität = 1.

Daraus ergibt sich dann für die tatsächliche Änderung der freien Enthalpie folgende Formel: ΔG=ΔG+RTln[C][D][A][B], wobei der Bruch aus den tatsächlichen Aktivitäten der Reaktionspartner gebildet wird, also meistens nicht der des Gleichgewichts ist und im Lauf der Reaktion nicht gleich bleibt.

Siehe auch

Literatur

  • Lothar Dunsch: Das Portrait: Wilhelm Ostwald. In: Chemie in unserer Zeit, 16. Jahrgang, Dezember 1982, S. 186–196. Verlag Chemie.
  • Wolfgang U. Eckart und Christoph Gradmann: Hermann Helmholtz und die Wissenschaft im 19. Jahrhundert. In: Spektrum der Wissenschaften, Dezember 1994, S. 100–109.
  • Ulrich Nickel, Lehrbuch der Thermodynamik. Eine verständliche Einführung. 2. Auflage. PhysChem, 2011, ISBN 978-3-937744-06-3
  • Hans Rudolf Christen: Grundlagen der allgemeinen und anorganischen Chemie. 5. Auflage, 1977, S. 291–313 Verlag Sauerländer AG.
  • Handbook of Chemistry and Physics, CRC-Press, Florida 1981.

Einzelnachweise

  1. Eintrag: Gibbs energy (function). In: IUPAC Compendium of Chemical Terminology (the “Gold Book”). doi:10.1351/goldbook.G02629 (Version: 2.3).

Weblinks