Cahn-Ingold-Prelog-Konvention

Erweiterte Suche

Beispiel für die Anwendung der CIP-Konvention: die Substituenten werden nach ihrer Priorität geordnet, der Substituent niedrigster Priorität wird unter die Bildebene gedreht, die Richtung der Kreisbewegung an den Substituenten entlang definiert die absolute Konfiguration.

Die Cahn-Ingold-Prelog-Konvention (kurz: CIP-Konvention oder (RS)-System) dient zur eindeutigen Beschreibung der räumlichen Anordnung der unterschiedlichen Substituenten an Atomen oder an Doppelbindungen. Die CIP-Konvention wurde 1966 von Robert Sidney Cahn, Christopher Kelk Ingold und dem Schweizer Nobelpreisträger Vladimir Prelog vorgeschlagen[1] und 1982 von Vladimir Prelog und Günter Helmchen überarbeitet.[2]

Zweck der CIP-Nomenklatur ist:

  • die Bestimmung der absoluten Konfiguration [(R)- oder (S)-Deskriptor] der Substituenten am Stereozentrum eines Moleküls mit Chiralitätszentren
  • die Bestimmung der geometrischen Anordnung [(E)- oder (Z)-Notation] – auch (E)- oder (Z)-Deskriptor – der Substituenten an der Doppelbindung eines cis-trans-Isomers
  • die Bestimmung der Anordnung [(RA)- oder (SA)-Deskriptor] an kumulierten Doppelbindungen. (siehe Allene)

Komplexe Moleküle mit mehreren Stereozentren und/oder mehreren Doppelbindungen mit cis-trans-Isomerie können in ihrem geometrischen Aufbau eindeutig durch dem systematischen IUPAC-Namen vorangestellte CIP-Deskriptoren benannt werden.

Vorgehensweise bei der Bestimmung der Stereodeskriptoren an Chiralitätszentren und Pseudochiralitätszentren

Identifizierung der Chiralitätszentren

Zuerst werden die Chiralitätszentren des Moleküls identifiziert. Ein Chiralitätszentrum ist ein Atom, das vier verschiedene Substituenten trägt. An den meisten Molekülen finden sich Stereozentren an Kohlenstoffatomen. Sie können aber auch an Stickstoff-, Schwefel-, Silicium- oder Phosphoratomen auftreten. Als Substituenten zählen Atome, Atomgruppen oder freie Elektronenpaare. Man markiert die Stereozentren in der Strukturformel durch Sternchen. Jedes Chiralitätszentrum wird einzeln betrachtet.

Priorisierung der Substituenten

Es werden die Substituenten am Chiralitätszentrum betrachtet. Ziel ist es, den 4 verschiedenen Substituenten die Prioritäten 1 bis 4 zuzuordnen.

1. Die Substituenten, die direkt am Chiralitätszentrum gebunden sind (man bezeichnet diese als Substituenten der ersten Sphäre) werden nach ihrer Ordnungszahl geordnet. Freie Elektronenpaare erhalten die fiktive Ordnungszahl 0. Die Prioritäten werden von hoher Ordnungszahl nach niedriger Ordnungszahl vergeben (Priorität 1: höchste Ordnungszahl, Priorität 2: zweithöchste Ordnungszahl etc.).


2. Sind zwei oder mehr Substituenten identisch, werden deren Substituenten durch eine Liste aller in der zweiten Sphäre an sie gebundenen Substituenten ersetzt, wieder in Reihenfolge der Ordnungszahl. Die Listen werden miteinander verglichen, wobei der erste unterschiedliche Substituent den Ausschlag gibt. Wieder werden die Prioritäten an die Substituenten der Sphäre 1 entsprechend der Ordnungszahl (diesmal des ersten unterschiedlichen Substituenten) vergeben.


3. Sind die Listen der Substituenten in der zweiten Sphäre identisch, werden die einzelnen Substituenten in dieser Sphäre durch eine Liste derer in der dritten Sphäre ersetzt, in Reihenfolge ihrer Ordnungszahlen. Es wird wieder entsprechend Punkt 2. vorgegangen.


4. Punkt 3. wird solange in der jeweils nächsten Sphäre wiederholt, bis eine Unterscheidung getroffen ist.[3]


5. Ist selbst bei Betrachtung der letzten Sphäre (dem Molekülende, oder bei Cyclen dem Ausgangsatom (s.u.)) keine Unterscheidung möglich, müssen weitere Unterscheidungskriterien in folgender Reihenfolge untersucht werden: [4]


5.1. Sind im Molekül Isotope vorhanden, so hat an erster unterschiedlicher Stelle das schwerere Isotop höhere Priorität.


5.2. Sind im Molekül unterschiedlich konfigurierte Doppelbindungen vorhanden, so hat an erster unterschiedlicher Stelle das Z-Isomer höhere Priorität als das E-Isomer.


5.3. Gleiche Deskriptorenpaare in den substituierenden Atomgruppen haben Priorität vor unterschiedlichen (beispielsweise SS vor RS).


5.4. Handelt es sich um ein Pseudochiralitätszentrum, so haben R-konfigurierte Atomgruppen Priorität vor S-konfigurierten.

Bestimmung des Deskriptors

Der Substituent mit der niedrigsten Priorität 4 wird unter die Bildebene gestellt. Anschließend zählt man kreisförmig um das aktive Zentrum vom Substituenten mit der Priorität 1 bis zur Priorität 3. Läuft diese Kreisbewegung rechtsherum, also im Uhrzeigersinn, so liegt eine (R)-Konfiguration vor, läuft sie linksherum (gegen den Uhrzeigersinn), so liegt eine (S)-Konfiguration vor. (R) ist die Abkürzung von lateinisch rectus (rechts) und (S) von lateinisch sinister (links).

Besonderheiten

Doppelbindungen und konjugierte Systeme

Doppel- und Dreifachbindungen werden so behandelt, als ob das jeweilige Atom bzw. die jeweilige Gruppe doppelt bzw. dreifach vorhanden wäre (Duplikatatome). Duplikatatome besitzen konventionsgemäß keine Substituenten in der nächsten Sphäre.[5] Dabei ist zu beachten, dass Doppelbindungen zwischen Heteroatomen mit wenigstens einem Element ab der dritten Periode konventionsgemäß als Einfachbindungen betrachtet werden (beispielsweise wird P=O als P-O interpretiert).[6]. In konjugierten Systemen (wie Aromaten) wird anstelle des Duplikatatoms ein fiktives Duplikatatom, dessen Ordnungszahl dem Mittelwert der Ordnungszahlen der Atome entspricht, zu denen in mesomeren Grenzstrukturen Doppelbindungen gezeichnet werden können verwendet. .[7]

(Carbo-)Cyclen

An Chiralitätszentren an Carbocyclen wird jeder Zweig des Rings in allen Sphären betrachtet, bis der Ausgangspunkt erreicht wird, dieser wird nur noch als Duplikatatom berücksichtigt. .[8]



Einige Beispiele für die Priorität der Substituenten sind hier in abfallender Priorität dargestellt:

-I > -Cl > -S-CH3 > -SH > -F > -O-CH3 > -OH > -N3 > -N (CH3)2 > -NH-C6H5 > -NH2 > -COOH > -CON2H >
> -CONH2 > -CHO > -CH2OH > -CD3 > -CD2H > -CDH2 > -CH3 > -D > -H > freies Elektronenpaar
Beispiele von Prioritäten

Die CIP-Regeln können auch zur eindeutigen Bestimmung der Konfiguration von Molekülen mit Chiralitätsachsen, Chiralitätsebenen oder helikalen Strukturen verwendet werden. Wenn ein Molekül mehrere Chiralitätszentren aufweist, so wird jedes einzelne gemäß den oben genannten Regeln charakterisiert und im systematischen Namen aufgeführt.

Software zur Bestimmung der absoluten Konfiguration

Eine Reihe von kommerziellen Softwarepaketen unterstützt die Bestimmung der Konfiguration von organisch-chemischen Molekülen. Unter anderem wird dies durch die chemischen Zeichenprogramme ChemDraw oder Symyx Draw von Symyx unterstützt.

Zusammenhang mit dem Drehwert α

Aus dem Uhrzeigersinn, der sich beim Abzählen der Prioritäten der Substituenten zur Festlegung der Konfiguration (R oder S) ergibt, kann nicht automatisch auf den Drehwinkel α oder die Drehrichtung [(+) oder (–)] der Polarisationsebene des linear polarisierten Lichts geschlossen werden. Beispiele:

  • (S)-Alanin hat einen Drehwinkel α von + 13,0° (c=2 in 5 N Salzsäure)[9]
  • (R)-Cystein hat einen Drehwinkel α von + 7,9° (c=2 in 5 N Salzsäure)[9]

Moleküle mit mehreren stereogenen Zentren

Wenn ein Molekül mehrere stereogene Zentren enthält, wird die Konfiguration jedes einzelnen stereogenen Zentrums angegeben und die Positionsnummer im Molekül dem Stereodeskriptor [(R) oder (S)] vorangestellt. Wenn alle Stereozentren gleiche Konfiguration aufweisen, stellt man dem Namen der Verbindung entweder „(all-R)-“ oder „(all-S)-“ voran.

Doppelbindungen: (E)- oder (Z)-Notation

(EZ)-Nomenklatur bei Alkenen. Die CIP-Priorität der vier Substituenten ist
a > b und c > d.
(E)-Alkene V.1.svg
(Z)-Alkene V.1.svg

Für Alkene und ähnliche Doppelbindungen in Molekülen, wendet man den gleichen Prozess der Festlegung der CIP-Prioritäten für alle Substituenten an der Doppelbindung an. Dann wird geprüft, wie die beiden Substituenten mit der höchsten CIP-Priorität relativ zueinander an den beiden Atomen der Doppelbindung stehen. Wenn die beiden Substituenten mit der höchsten CIP-Priorität auf der gleichen Seite (= ekliptisch angeordnet) an den beiden benachbarten Atomen der Doppelbindung stehen, wird diesem Stereoisomer der CIP-Deskriptor (Z) von Zusammen zugeordnet. Stehen hingegen die beiden Substituenten mit der höchsten CIP-Priorität relativ zueinander an an den beiden Atomen der Doppelbindung auf entgegengesetzter Seite (= anti-periplanar)[10] wird diesem Stereoisomer der CIP-Deskriptor (E) von Entgegen zugeteilt.

Oft – aber nicht immer! – sind cis-Isomere zugleich (Z)-Isomere und trans-Isomere zugleich (E)-Isomere. Im Falle disubstituierter Alkene ist stets das cis-Isomer als (Z)-Isomer und das trans-Isomer als (E)-Isomer zu klassifizieren.[11]

Software zur Bestimmung des (E)- oder (Z)-Deskriptors

Eine Reihe von kommerziellen Softwarepaketen unterstützt die Bestimmung des (E)- oder (Z)-Deskriptors von Alkenen und anderen Stoffgruppen mit ähnlichen Doppelbindungen, z. B. das chemische Zeichenprogramm ChemDraw.

Einzelnachweise

  1. R. S. Cahn, C. K. Ingold & V. Prelog (1966): Spezifikation der molekularen Chiralität. In: Angew. Chem. Bd. 78, S. 413–447. Abstract
  2. V. Prelog & G. Helmchen (1982): Grundlagen des CIP-Systems und Vorschläge für eine Revision. In: Angew. Chem. Bd. 94, S. 614-631. Abstract
  3. Karl-Heinz Hellwich: S.31 Stereochemie - Grundbegriffe, Springer-Verlag, 2007, ISBN 978-3-540-71707-2.
  4. Karl-Heinz Hellwich: S.32 Stereochemie - Grundbegriffe, Springer-Verlag, 2007, ISBN 978-3-540-71707-2.
  5. Karl-Heinz Hellwich: S.31 Stereochemie - Grundbegriffe, Springer-Verlag, 2007, ISBN 978-3-540-71707-2.
  6. Karl-Heinz Hellwich: Stereochemie - Grundbegriffe, Springer-Verlag, 2002, ISBN 3-540-42347-8.
  7. Karl-Heinz Hellwich: S.31 Stereochemie - Grundbegriffe, Springer-Verlag, 2007, ISBN 978-3-540-71707-2.
  8. Karl-Heinz Hellwich: S.32 Stereochemie - Grundbegriffe, Springer-Verlag, 2007, ISBN 978-3-540-71707-2.
  9. 9,0 9,1 Hans-Dieter Jakubke, Hans Jeschkeit: Aminosäuren, Peptide, Proteine, Verlag Chemie, Weinheim, S. 30, 1982, ISBN 3-527-25892-2.
  10. Albert Gossauer: Struktur und Reaktivität der Biomoleküle, Verlag Helvetica Chimica Acta, Zürich, 2006, S. 102, ISBN 978-3-906390-29-1.
  11. Jonathan Clayden, Nick Greeves, Stuart Warren, Peter Wothers: Organic Chemistry, Oxford University Press, 2001, S. 487, ISBN 978-0-19-850346-0.

Weblinks

Siehe auch

cosmos-indirekt.de: News der letzten Tage