Fampridin

Fampridin

Strukturformel
Struktur von Fampridin
Allgemeines
Freiname Fampridin
Andere Namen
  • Pyridin-4-amin (IUPAC)
  • 4-Aminopyridin
  • γ-Aminopyridin
  • p-Aminopyridin
  • 4-Pyridylamin
  • Dalfampridine (USAN)
  • 4-AP
Summenformel C5H6N2
CAS-Nummer 504-24-5
PubChem 1727
ATC-Code

N07XX07

Arzneistoffangaben
Wirkmechanismus

Kaliumkanal-Blocker

Verschreibungspflichtig: ja
Eigenschaften
Molare Masse 94,12 g·mol−1
Dichte

1,26 g·cm−3[1]

Schmelzpunkt

158 °C[1]

Siedepunkt

274 °C[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung [2]
06 – Giftig oder sehr giftig

Gefahr

H- und P-Sätze H: 300-315-319-335
P: 261-​264-​301+310-​305+351+338 [2]
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [3][2]

T+
Sehr giftig

N
Umwelt-
gefährlich
R- und S-Sätze R: 28-36/37/38-51/53
S: 26-36/37/39-45-60-61
LD50
  • 6,5 mg·kg−1 (Ratte i.p.)[4]
  • 21 mg·kg−1 (Ratte p.o.)[4]
  • 7 mg·kg−1 (Maus i.p.)[4]
  • 19 mg·kg−1 (Maus p.o.)[4]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
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Fampridin ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der reversiblen Kaliumkanal-Blocker, der u. a. zur Verbesserung der Gehfähigkeit bei Multipler Sklerose eingesetzt wird. Chemisch ist der Stoff den Aminopyridinen zuzuordnen.

Klinische Angaben

Anwendungsgebiete (Indikationen)

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG ist der Meinung, dass die bisherigen Studien ungeeignet sind um einen Zusatznutzen Fampridins nachzuweisen. In der Stellungnahme der IQWiG vom 24. April 2012 zu Fampridin heißt es „Damit gibt es auch keine Patientengruppe, für die sich ein therapeutisch bedeutsamer Zusatznutzen ableiten lässt.“ [5]

Multiple Sklerose

Fampridin ist in der Europäischen Union zur Verbesserung der Gehfähigkeit bei erwachsenen MS-Patienten mit Gehbehinderung zugelassen. Nach Abzug der Ansprechrate unter Placebo profitierten in den Zulassungsstudien etwa 30% der mit Fampridin behandelten Patienten von einer verbesserten Gehfähigkeit: ca. 20% der Patienten konnten eine bestimmte Gehstrecke 10 bis 20% schneller zurücklegen und für ca. 10% der Patienten verbesserte sich die Gehgeschwindigkeit um 20% und mehr. Die Patienten in diesen Studien wurden maximal 14 Wochen mit Fampridin behandelt.[6][7]

Momentan liegen kaum Langzeitdaten für die Anwendung von Fampridin vor.[8] Kontrollierte Erfahrungen zu einer Anwendung über 14 Wochen hinaus stehen nicht zur Verfügung.

In der Schweiz sind bislang keine Fampridin-haltigen Arzneimittel zugelassen. Fampridin kann jedoch nach Verschreibung durch einen Arzt in Apotheken zu Rezepturarzneimitteln verarbeitet werden.[9]

Weitere mögliche Anwendungsgebiete

Der reversible Kaliumkanalblocker wurde auch zur Behandlung von Fatigue bei Patienten mit Multipler Sklerose sowie zur Behandlung von Rückenmarksverletzungen oder Nystagmus untersucht. Eine Bewertung auf Grundlage der bisherigen Studien ist noch nicht möglich.[10]

Gegenanzeigen (Kontraindikationen)

Zu den Gegenanzeigen zählen Überempfindlichkeit gegen Fampridin, Krampfleiden, chronisches Nierenversagen oder eine gleichzeitige Behandlung mit Hemmstoffen des organischen Kationentransporters 2 (OTC2), z. B. Cimetidin.

Unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen)

Fampridin ist ein Wirkstoff mit einer engen therapeutischen Breite. Zu den Nebenwirkungen gehören Parästhesien, Harnwegsinfekte, Schlaflosigkeit, Schwindel, Kopfschmerz, Übelkeit, Asthenie, Rückenschmerzen, Gleichgewichtsstörungen sowie in seltenen Fällen auch Krampfanfälle und Vorhofflimmern.[11][12][13]

Sonstige Informationen

Verwendung außerhalb der Humanmedizin

Als industrielles Zwischenprodukt

Fampridin wird u. a. zur Herstellung von 4-Halogenpyridinen oder des Wirkstoffs Pinacidil verwendet.

Landwirtschaft

In einigen Ländern dient die Substanz auch als Avizid (Vogelgift);[14] sie fällt jedoch in der EU unter das allgemeine Verbot der Avizide.[15]

Tiermedizin

Fampridin wird bei Haus- und Nutztieren in Kombination mit Yohimbin als Aufwachbeschleuniger nach einer Xylazin- und Ketamin-Narkose (»Hellabrunner Mischung«) eingesetzt.[16]

Geschichtliches

Fampridin wurde erstmal 1902 durch den Karlsruher Chemiker Rudolf Camps synthetisiert.[17] Der internationale Freiname (INN) Fampridin wurde 1995 erteilt.[18] Abweichend davon wurde 2010 in den USA der Freiname Dalfampridine (USAN) eingeführt.[19]

2010 erhielt der Hersteller Acorda eine Zulassung für ein Fampridin-haltiges Retard-Arzneimittel zur unterstützenden Behandlung der Multiplen Sklerose.[20] Ein entsprechender Antrag für die EU wurde jedoch zunächst aufgrund eines ungenügenden Nutzen-Risiko-Verhältnisses Anfang 2011 abgewiesen.[21] Nach Widerspruch erhielt Acordas Lizenznehmer Biogen Mitte 2011 eine Zulassung unter der Auflage, weitere Studien durchzuführen.[22][23][24] Eine Entscheidung der Schweizer Behörde steht noch aus.

Handelsnamen

Der Handelsname für das Fertigarzneimittel in der EU ist Fampyra und in den USA Ampyra. Als Vogelgift wird es unter dem Warenzeichen Avitrol vertrieben.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Eintrag zu 4-Aminopyridin in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 16. März 2009 (JavaScript erforderlich).
  2. 2,0 2,1 2,2 Datenblatt 4-Aminopyridine bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 31. März 2011.
  3. Seit 1. Dezember 2012 ist für Stoffe ausschließlich die GHS-Gefahrstoffkennzeichnung zulässig. Bis zum 1. Juni 2015 dürfen noch die R-Sätze dieses Stoffes für die Einstufung von Zubereitungen herangezogen werden, anschließend ist die EU-Gefahrstoffkennzeichnung von rein historischem Interesse.
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 Fampridin bei ChemIDplus.
  5. https://www.iqwig.de/download/A12-06_Fampridin_Kurzfassung_Nutzenbewertung%20%C2%A735a%20SGB%20V.pdf
  6. Goodman AD, Brown TR, Krupp LB et al: Sustained-release oral fampridine in multiple sclerosis: a randomised, double-blind, controlled trial. Lancet. 2009; 373:732–738, PMID 19249634.
  7. Goodman AD, Brown TR, Edwards KR et al. A phase 3 trial of extended release oral dalfampridine in multiple sclerosis. Ann Neurol. 2010; 68:494–502, PMID 20976768.
  8. Polman CH, Bertelsmann FW, van Loenen AC, Koetsier JC. 4-aminopyridine in the treatment of patients with multiple sclerosis. Long-term efficacy and safety. Arch Neurol. 1994; 51:292-296, PMID 8129642.
  9. Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände: Neues Rezeptur-Formularium. Rezepturhinweise: 3,4-Diaminopyridin und 4-Aminopyridin. Govi, Eschborn 2009.
  10. Koch HJ: 4-Aminopyridin und 3,4-Diaminopryridin: Pharmakologie, Pharmakokinetik und therapeutischer Einsatz. Eur J Ger 2004; 6:200-204.
  11. Pickett T, Enns R: Atypical presentation of 4-aminopyridine overdose. Ann Emer Med. 1996;27:382–385, PMID 8599505.
  12. Johnson N, Morgan M: An unusual case of 4-aminopyridine toxicity. J Emer Med. 2006; 30:175–177, PMID 16567254.
  13. Acorda Therapeutics Inc. Ampyra™ (dalfampridine) Extended Release Tablets for oral use. Prescribing Information 01/2010. Zugegriffen am 2. Februar 2011.
  14. US Environmental Protection Agency (27. September 2007): Reregistration Eligibility Decision for 4-aminopyridine. EPA 738-R-07-013. Zugegriffen am 2. Februar 2011.
  15. Cornelie Jäger (24. Juni 2006): Avizide und Taubenpille. Arzneimittel- und chemikalienrechtliche Aspekte. Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum Baden-Württemberg. Zugegriffen am 2. Februar 2011.
  16. Wolfgang Löscher, Fritz Rupert Ungemach, Reinhard Kroker: Pharmakotherapie bei Haus- und Nutztieren. Thieme, Stuttgart 2006, S. 101, ISBN 978-3-8304-4160-1.
  17. Camps R: Ueber einige Harnstoffe, Thioharnstoffe und Urethane des Pyridins. Arch Pharm. 1902; 240:345-365.
  18. WHO: Recommended International Nonproprietary Names for Pharmaceutical Substances. INN List 35. WHO Drug Information. 1995; 9:174.
  19. US Adopted Names Council: Statement on a Nonproprietary Name Adopted by the USAN Council. Zugegriffen am 2. Februar 2011.
  20. US Food and Drug Administration (22. Januar 2010): FDA Approves Ampyra to Improve Walking in Adults with Multiple Sclerosis. Abgerufen am 26. Januar 2010.
  21. Europäische Arzneimittelagentur (20. Januar 2011): Refusal of the marketing authorisation for Fampyra (fampridine). Zugegriffen am 30. Januar 2011.
  22. Europäische Arzneimittelagentur (EMA): Fampyra : EPAR - Summary for the public Zugegriffen am 1. Dezember 2011.
  23. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ): "Neue Arzneimittel" Fampyra® Zur Verbesserung der Gehfähigkeit von erwachsenen Patienten mit Multipler Sklerose (MS) mit Gehbehinderung (EDSS 4–7). Zugegriffen am 1. Dezember 2011.
  24. Businesswire (25. Juli 2011): Biogen Idec erhält bedingte Marktzulassung für FAMPYRA® in der Europäischen Union zur Verbesserung der Gehfähigkeit erwachsener Multiple-Sklerose-Patienten Abgerufen am 26. Juli 2011.
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