Magnon

Magnon

Illustration eines ferromagnetischen Magnons in der halbklassischen Sicht als Spinwelle.

Als Magnon bzw. Magnon-Quasiteilchen bezeichnet man einen kollektiven Anregungszustand eines magnetischen Systems mit Eigenschaften eines bosonischen sog. Quasiteilchens. Dieser Anregungszustand entspricht in Festkörpern der quantisierten Form einer magnetischen Spinwelle, analog zu den sog. Phononen als quantisierten Schallwellen.

Grundaussagen

Voraussetzung für die Existenz der Magnonen ist das Vorhandensein einer magnetischen Ordnung, also einer Kopplung zwischen den magnetischen Momenten der Gitteratome, welche zu bevorzugten Ausrichtungen der Momente zueinander führt, z. B. parallel bei Ferro- oder antiparallel bei Antiferromagneten. Die Energie für wellenartige Anregungen der geordneten Momente ist wie bei den elastischen Gitterschwingungen gequantelt. Dort spricht man von Phononen. Hier dagegen wählt man aus naheliegenden Gründen für die kleinstmögliche Anregung die zu den Phonon analoge Bezeichnung Magnon. Dieses Magnon besteht in der üblichen halbklassischen Interpretation (siehe die Abbildung) aus einer Kette sich in bestimmter Weise kohärent drehender Spins, da die Energie dadurch geringer wird. Im Grundzustand zeigen etwa alle Spins parallel nach oben (Zustand $ |\psi {_{G}}\rangle $ $ =|\uparrow ,\uparrow ,...\rangle \,, $ während er beim quantenmechanischen Magnonzustand, der zu diesem Grunzustand passt, an einer einzigen Stelle (mit einer gewissen korrelierten Wahrscheinlichkeit, die dem obigen halbklassischen Bild entspricht), nach unten zeigt, $ |\psi _{\vec {k}}\rangle ={\frac {1}{\sqrt {N}}}\sum _{j=1}^{N}\,e^{i{\vec {k}}\cdot {\vec {r}}_{j}}\,|...\uparrow ,\uparrow ,...,\uparrow ,{\stackrel {j}{\downarrow }},\uparrow ,\uparrow ,...\rangle \,. $ Dabei ist $ {\vec {k}} $ $ \,\,{\hat {=}}(2\pi /\lambda ) $ der Wellenvektor des Magnons (i.W. die reziproke Wellenlänge λ). Ferner ist $ {\vec {r}}_{j} $ der Ortsvektor des Teilchens j, für welches der Spin invertiert wird; e ist die Eulersche Zahl und i die imaginäre Einheit im Raum der komplexen Zahlen. Dies entspricht der Anwendung eines sog. Magnon-Erzeugungsoperators Mk+ auf den Grundzustand, |ψk〉=Mk+G〉; der Vektorpfeil über k wurde hier der Einfachheit halber weggelassen. Für die atomare Spinquantenzahl wurde S=1/2 angenommen.

Der Spin des Magnons ist dagegen immer 1 - nicht nur, falls es sich um Ferromagneten und um Atome mit halbzahligem Spins handelt -, weil der Gesamtspin des Systems (in Einheiten der Planck'schen Konstante) durch das „fortgetragene Magnon“ von NS auf NS-1 vermindert wird (N ist die Gesamtzahl der Teilchen). Die Magnonen sind daher Bosonenanregungen (ganzzahliger Spin!) (man redet auch von Bose-Quasiteilchen).[1]

  • Bei Ferromagneten ergibt sich im einfachen Modell über die Austauschkopplung $ J $ wechselwirkender Spins (Betrag $ S $, Gitterkonstante $ a $) eine (für kleine k) „quadratische“ Dispersionsrelation (Beziehung zwischen Frequenz und Wellenlänge) für große Wellenlängen (kleine $ k $), nämlich:
$ \hbar \omega =2JSa^{2}k^{2}=Dk^{2}+...\,. $

Die Abhängigkeit von der Wellenzahl k ist also (hier in der Näherung kleiner k) quadratisch, wie bei „echten“ massiven Teilchen im ganzen nichtrelativistischen Bereich (z. B. bei den Neutronen), obwohl Magnonen wie andere bosonische Quasiteilchen ( etwa die Phononen ) keine Masse haben. Im Allgemeinen ist aber auf jeden Fall die Dispersionsrelation richtungsabhängig (anisotrop).

Das lässt sich gut durch inelastische Neutronenstreuung (die Neutronen wechselwirken mit den Spins der Elektronen und Kerne und messen so die Verteilung der magnetischen Momente der Elektronen) beobachten. Zuerst gelang so Brockhouse 1957 der Nachweis von Magnonen[2]. Für D ergibt sich z. B. nach Shirane u. a. ein Wert von 281 meV Å2 bei Eisen[3]. Auch in Spinwellenresonanz-Experimenten in dünnen Schichten lassen sich Magnon-Anregungen durch hochfrequente magnetische Wechselfelder beobachten[4].

Magnonen wurden zuerst durch Felix Bloch als theoretisches Konzept eingeführt[5]. Er leitete eine Temperaturabhängigkeit der relativen Magnetisierung mit einem Exponenten 3/2 ab, was ebenfalls experimentell bestätigt wurde. Durch die wärmebedingte Erzeugung von Magnonen wird die Magnetisierung abgebaut.

Weitergehende theoretische Behandlung erfuhren Spinwellen in Ferromagneten durch Theodore Holstein und Henry Primakoff[6] sowie Freeman Dyson[7] in den 1940er und 1950er Jahren, die nach ihnen benannte Bosonen-Transformationen einführten.

  • Im Antiferromagnetismus, wo bekanntlich Magnetisierungen mit entgegengesetzter Ausrichtung auf Untergittern existieren, die sich gegenseitig durchdringen, haben die Magnon-Anregungen eine ganz andere Dispersionsrelation als bei Ferromagneten: Hier hängt die Energie wie bei Phononen nicht quadratisch, sondern linear von der Wellenzahl k ab. Dies hat u.a. konkrete Auswirkungen in der Thermodynamik der Systeme (z. B. indem man in Antiferromagneten nur durch hohe Magnetfelder den Magnonenbeitrag zur spezifischen Wärme vom Beitrag der Phononen abseparieren kann). Ferner impliziert dieser Unterschied, dass im Festkörper - wie angegeben - der Magnonbeitrag zur spezifischen Wärme von Ferromagneten zwar proportional zu T3/2 ist, dass er aber bei Antiferromagneten entsprechend der Debye-Theorie des Phononen-Beitrags zur spezifischen Wärme proportional zu T3 ist (hier ist T die Kelvin-Temperatur).

Da man es bei Ferromagneten mit einer spontan gebrochenen Symmetrie zu tun hat (die Drehsymmetrie ist gebrochen, da eine bestimmte Magnetisierungsrichtung ausgezeichnet ist), kann man Magnonen als die zum Spinzustand zugeordneten Goldstone(quasi)teilchen identifizieren, das heißt Anregungen mit geringer Energie bzw. (nach der Dispersionsrelation) sehr großer Wellenlänge.

1999 wurde erstmals Bose-Einstein-Kondensation in einem Festkörper an Magnonen beobachtet.[8][9] Im Jahre 2006 wurde Bose-Einstein-Kondensation von Magnonen bei Raumtemperatur entdeckt.[10]

Siehe auch

  • Man kann die Magnonen (präziser: das zugrunde liegende Spinwellen-Feld) ohne direkten Bezug auf die Quantenmechanik von vornherein mit einem nichtlinearen klassischen Integro-Differentialgleichungssystem beschreiben, und zwar mit der vektoriellen sog. Landau-Lifschitz-Gleichung.

Literatur

  • Charles Kittel Einführung in die Festkörperphysik. Oldenbourg Verlag.
  • J. Van Kranendonk, J. H. Van Vleck: Spin Waves. In: Reviews of Modern Physics. 30, Nr. 1, 1958, S. 1–23, doi:10.1103/RevModPhys.30.1.
  • F. Keffer: In: S. Flügge (Hrsg.): Handbuch der Physik. Bd. 18, Teil 2, Springer, 1966.

Weblinks

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Die Quasiteilchen sind fast alle bosonisch, beispielsweise Phononen, Magnonen, Polaritonen, Plasmonen. Es gibt aber auch fermionische Quasiteilchen, z. B. die Polaronen.
  2. B. N. Brockhouse: Scattering of Neutrons by Spin Waves in Magnetite. In: Physical Review. 106, Nr. 5, 1957, S. 859–864, doi:10.1103/PhysRev.106.859.
  3. Kittel Einführung in die Festkörperphysik. 5. Auflage 1980, S. 553.
  4. Kittel Excitation of Spin Waves in a Ferromagnet by a Uniform rf Field Physical Review, Physical Review, Bd.110, 1958, S. 1295-1297
  5. F. Bloch: Zur Theorie des Ferromagnetismus. In: Zeitschrift für Physik. 61, Nr. 3–4, 1930, S. 206–219, doi:10.1007/BF01339661.
  6. T. Holstein, H. Primakoff: Field Dependence of the Intrinsic Domain Magnetization of a Ferromagnet. In: Physical Review. 58, Nr. 12, 1940, S. 1098–1113, doi:10.1103/PhysRev.58.1098.
  7. Freeman J. Dyson: General Theory of Spin-Wave Interactions. In: Physical Review. 102, Nr. 5, 1956, S. 1217–1230, doi:10.1103/PhysRev.102.1217.
  8. T. Nikuni, M. Oshikawa, A. Oosawa, H. Tanaka: Bose-Einstein Condensation of Dilute Magnons in TlCuCl3. In: Physical Review Letters. 84, Nr. 25, 2000, S. 5868–5871, doi:10.1103/PhysRevLett.84.5868.
  9. T. Radu, H. Wilhelm, V. Yushankhai, D. Kovrizhin, R. Coldea, Z. Tylczynski, T. Lühmann, F. Steglich: Bose-Einstein Condensation of Magnons in Cs2CuCl4. In: Physical Review Letters. 95, Nr. 12, 2005, S. 127202, doi:10.1103/PhysRevLett.95.127202.
  10. S. O. Demokritov, V. E. Demidov, O. Dzyapko, G. A. Melkov, A. A. Serga, B. Hillebrands, A. N. Slavin: Bose-Einstein condensation of quasi-equilibrium magnons at room temperature under pumping. In: Nature. 443, Nr. 7110, 2006, S. 430–433, doi:10.1038/nature05117.

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