Magnetumformung
Die Magnetumformung ist ein elektrodynamisches Hochenergieumformungsverfahren zur Kaltumformung flacher (z. B. Bleche) und zylindrischer Halbzeuge (z. B. Rohre, Profile) aus elektrisch leitfähigen Materialien mittels gepulster Magnetfelder.
Das Werkstück wird dabei innerhalb oder in der Nähe einer Spule positioniert und durch die Krafteinwirkung eines gepulsten Magnetfeldes von sehr hoher Intensität berührungslos umgeformt, das heißt ohne mechanischen Kontakt zu einem Werkzeug.[1]
Magnetumformen kann teilweise herkömmliche Technologien des Tiefziehens, Walzens, Lötens, Schweißens und Klebens in Hinblick auf Produktionskosten und Produktqualität ersetzen. Darüber hinaus bietet das Magnetumformen die Möglichkeit, Produktionsmethoden zu entwickeln, die unter Einsatz herkömmlicher Mittel nicht denkbar sind.
Geschichte
Die elektrodynamischen Erkenntnisse, auf denen das Verfahren beruht, wurden schon 1873 von James Clerk Maxwell in seiner berühmten Abhandlung „A Treatise of Electricity and Magnetism“[2] dargelegt. Aber erst nachdem es Plasmaphysikern in den 1960er-Jahren gelungen war heiße, hochleitfähige Plasmen von mehreren Millionen Kelvin ohne Kontakt zu materiellen Wänden magnetisch zu komprimieren, wurden Anlagen zur schnellen magnetischen Umformung von Metallen gebaut und eingesetzt.
In der Folge verlor das magnetische Umformen im Vergleich zu konkurrierenden mechanischen Verfahren zumindest im westlichen Europa vorübergehend an Bedeutung. Gründe dafür sind wohl im Wesentlichen darin zu suchen, dass einerseits immer bessere mechanische Verfahren zum Fügen und Umformen entwickelt wurden und andererseits Arbeitsspulen und Energiespeicher für Magnetumformanlagen zunächst teuer und nicht langlebig genug waren.
In den 1980er Jahren wurde die Technik des Magnetumformens insbesondere in den USA und der UdSSR weiterentwickelt und industriereif gemacht. Seitdem wird das Verfahren in weiten Bereichen der Industrie wie der Automobil-, Luftfahrt-, Elektro-, Kernkraft- und Küchengeräteindustrie erfolgreich eingesetzt.
Vor- und Nachteile
Das Magnetumformen hat folgende Vorteile:
- Der Impuls ist sehr genau dosierbar. Das ermöglicht das Aufpressen von Metallen auf Glas, Kunststoffe, Verbundstoffe oder Metalle bei hoher Wiederholgenauigkeit.
- Magnetfelder und magnetische Kräfte wirken ungehindert durch Materialien wie Glas, Keramik und Kunststoff hindurch. Daher lässt sich das Magnetumformen auch unter Vakuum, einer Schutzgasatmosphäre oder unter Reinstraumbedingungen anwenden.
- Magnetumformanlagen benötigen keinen mechanischen Kontakt zum Werkstück. Daher treten weder Oberflächenverunreinigungen noch Werkzeugabdrücke auf.
- Prozesszeit von < 0,1 s
Nachteile sind:
- Voraussetzung ist ein gut leitfähiges Material
- die hohen Magnetfelder können elektronische Ausrüstung stören oder beschädigen
- die Spule muss sehr fest sein und ist daher teuer - ihre Zerstörung ist ein Gefahrenpotenzial
- die Eignung muss in technologischen Voruntersuchungen erbracht werden
Physikalische Grundlagen
Das Magnetumformverfahren beruht auf der physikalischen Tatsache, dass ein zeitlich veränderliches Magnetfeld in benachbarten elektrisch leitenden Körpern Wirbelströme induziert. Auf diese Ströme übt das Magnetfeld Kräfte aus, deren Stärke vom räumlichen Gradienten der magnetischen Flussdichte und von der Größe der induzierten Ströme abhängt. Der leitende Körper (Blech, Rohr) erfährt eine hin zu geringeren Flussdichten gerichtete Kraft.
Für die Magnetumformung geeignete Magnetfelder werden erzeugt, indem geladene Kondensatoren im Verlauf von einigen zehn Mikrosekunden über eine an die Werkstückgeometrie angepasste Spule entladen werden, wodurch im Bereich der Werkstückoberfläche ein sehr hoher Magnetfeld-Impuls entsteht. Es fließt in der Folge im Werkstück ein Strom, der gegenläufig zum Spulenstrom gerichtet ist. Die magnetischen Kräfte versuchen, die Spule zu expandieren und das Werkstück hin zu niedrigeren Feldern zu bewegen.
Die Stärke der induzierten Ströme und damit die Kraftwirkung auf das Werkstück hängt entscheidend von der elektrischen Leitfähigkeit des verwendeten Werkstoffes ab. Bei guter Leitfähigkeit, wie zum Beispiel von Kupfer, Aluminium und Messing, wirken auf die Oberfläche des Werkstücks Drücke von einigen tausend Megapascal.
Dieser Druck herrscht nur wenige Mikrosekunden, nämlich für die Dauer der Entladung der Kondensatoren. In dieser Zeit nimmt das Werkstück die benötigte Umformenergie in Form eines Impulses auf. Nach der kurzen Beschleunigungsphase bewegt sich das Material insbesondere bei geringer Masse sehr schnell. Die Geschwindigkeiten erreichen Werte bis zu 300 m/s. In der Folge werden die im Werkstück auftretenden Spannungen so hoch, dass ein Fließen im Sinne der Umformtechnik eintritt. Beim Schweißen trifft das Material mit solch hohen Geschwindigkeiten auf den Fügepartner und entwickelt lokale Vermischungsvorgänge, die es erlauben, auch nicht schmelzschweißbare Materialpaarungen zu verschweißen. Da auf die Spule gleichermaßen Kräfte wirken, sind die mechanischen Festigkeitsanforderungen an die Spulenkonstruktion sehr hoch.
Besonderheiten
Treiber
Auch schlechte Leiter wie etwa Rohre aus rostfreiem Stahl sind mit diesem Verfahren umformbar, indem das Stahlrohr mit einem Treiber aus gut leitendem Material umgeben wird – häufig genügen wenige Windungen Aluminiumfolie. Die magnetischen Kräfte wirken hier nicht direkt auf den Stahl sondern auf den Treiber, mit dessen Hilfe das Rohr umgeformt wird.
Der Impuls beziehungsweise die eingebrachte mechanische Energie lassen sich über die Höhe der Kondensatorladung exakt einstellen.
Feldformer
Für den effektiven Einsatz der magnetischen Kräfte beim Umformen muss der Abstand von der Spule zum Werkstück möglichst klein sein. Um bei verschiedenen Werkstückabmessungen dennoch dieselbe Spule benutzen zu können, werden Feldformer eingesetzt, die es ermöglichen, die elektromagnetische Krafteinwirkung auf bestimmte Bereiche des Werkstücks zu konzentrieren.
Der Feldformer aus gut leitendem Material muss längs zur Spulenachse wenigstens einmal geschlitzt sein, damit auf seiner Innenwand ein Strom fließen kann. Dabei ist zu beachten, dass ein Stoßstrom, der auf der Feldformeroberfläche durch Induktion erzeugt wird, aufgrund des Skineffekts in den zu betrachtenden kurzen Zeiten nicht in das Metallinnere eindringen kann.
Bild 2 zeigt eine Anordnung mit einem zweifach geschlitzten Feldformer und eine Darstellung der Richtungen der in Spule, Feldformer und Werkstück fließenden Ströme. Der auf der Innenwand des Feldformers fließende Strom konzentriert sich auf den Innenwandbereich, der nahe am Werkstück ist. Dementsprechend herrscht in diesem Bereich ein besonders hoher magnetischer Druck, durch den das Werkstück umgeformt wird.
Spulenformen und -anordnungen
Man unterscheidet beim Magnetumformen drei Grundformen: Kompression, Expansion und Flachumformung.
- Kompression
Die am häufigsten angewandte Magnetumformung ist die Kompression. Hierbei wird als Arbeitsspule eine Zylinderspule benutzt, die das Werkstück umfasst. Die Kräfte auf das Werkstück sind radial nach innen gerichtet und drücken es zusammen oder pressen es auf einen inneren Kern. Dies zeigt Bild 3.
In Bild 4 ist die Anwendung der Kompression beim Aufpressen eines rohrförmigen Werkstücks auf eine Gelenkgabel einer Kardanwelle dargestellt. Der Einsatz eines Feldformers gewährleistet magnetische Kräfte, die groß genug sind, um das Wandmaterial des Rohres in die Vertiefungen des Kreuzgelenkelementes zu treiben.
Da bei der magnetischen Kompression ein hoher Grad an Rotationssymmetrie der auftretenden Kräfte erreicht werden kann, ist sie in der Regel mechanischen Verfahren bei der Aufpressung von Metallrohren auf Keramik, Glas oder spröden Kunststoff überlegen.
- Expansion
Bei der Expansion werden rohrförmige Werkstücke aufgeweitet oder in eine das Rohr umschließende Form hineingedrückt. Die Arbeitsspule für die Erzeugung des für diese Umformung geeigneten Magnetfeldes ist in diesem Fall eine Zylinderspule, die in das rohrförmige Werkstück eingeführt wird. Die ist in Bild 5 dargestellt. Die auf das Rohr wirkenden Kräfte sind radial nach außen gerichtet.
- Flachumformung
Bild 6 zeigt eine Anordnung für die Flachumformung. Das Magnetfeld wird in der Nähe eines Bleches erzeugt, das auf einer Matrize liegt. Die elektromagnetischen Kräfte treiben das Blech in die Vertiefung der Matrize. Das Magnetfeld ersetzt hier den herkömmlichen mechanischen Stempel. Die zur Erzeugung des Magnetfeldes benutzte Flachspule hat in diesem Beispiel die Form einer Uhrfeder (archimedische Spirale). Sie wird parallel zum Werkstück über diesem angebracht.
Die drei beschriebenen Grundtypen des magnetischen Umformens können zum Umformen, Verbinden und Fügen, jedoch bei Einsatz geeigneter Werkzeuge auch zum Trennen benutzt werden. Dies verdeutlicht Bild 7 am Beispiel einer Flachspule. An den vorgesehenen Stellen wird das Werkstückmaterial in die Aussparungen der Unterlage getrieben und vom Werkstück getrennt. Analog dazu können Rohre mit beliebig geformten Löchern versehen oder geschnitten werden.
Literatur
- K. G. Günther, H. Schenk: Magnetumformen. In: Günter Spur, Theodor Stöferle (Hrsg.): Handbuch der Fertigungstechnik. Hanser Verlag, 1985, ISBN 9783446139473, S. 1342–1356 (eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
Weblinks
- Magnetimpulsschweißen und -krimpen bei der Schweißtechnischen Lehr- und Versuchsanstalt in München
- Magnetumformung bei Jugend forscht