Emetikum

Emetikum

Ein Emetikum (von griechisch εμετικόν [φάρμακον], emetikón [phármakon] mit lateinischer Endung, wörtlich „das brechreizende Medikament“, Plural Emetika) oder Vomitivum (aus lateinisch vomitus, „das Erbrechen“, Plural Vomitiva) ist eine Substanz, die reflektorisch oder direkt zentralnervös Erbrechen bewirkt. In kleinen Dosen dienen diese auch als Expektoranzien. Emetika werden auch allgemein als Brechmittel bezeichnet. Da beim Erbrechen der Mageninhalt entgegen der Richtung der normalen Peristaltik transportiert wird, wird gelegentlich auch die Bezeichnung Antiperistaltikum (Plural Antiperistaltika) verwendet.

Folgende Brechmittel sind in der heutigen Medizin gebräuchlich:

  • Ipecacuanha-Sirup (auch: Ipecac-Sirup) löst mit bis zu 30 Minuten starker Verzögerung das Erbrechen durch Reizung der verantwortlichen Nervenfasern des Parasympathikus aus.
  • Apomorphin, ein dem Morphin verwandtes Medikament, das auf die Dopamin-Rezeptoren des Brechzentrums des Gehirns wirkt und ein Erbrechen auslöst.
  • Kupfersulfat, ein Salz, das die Magenschleimhaut reizt und innerhalb von 5 Minuten ein starkes Erbrechen herbeiführt.

Anwendung bei medizinischer Indikation

Giftstoffe und Medikamente, die z. B. unabsichtlich verabreicht oder suizidal eingenommen wurden, können durch ein Emetikum wieder aus dem Magen der Patienten entfernt werden. Diese Maßnahme ist schneller und unproblematischer als eine Magenspülung (Magenentleerung mittels Magensonde). Allerdings darf es nicht nach Aufnahme gewebegängiger oder ätzender Flüssigkeiten angewendet werden, da dann eine zusätzliche Schädigung der Speiseröhre oder Mundhöhle nicht vermieden werden kann. In solchen Fällen ist stets einer Magensonde der Vorzug zu geben.

Die Verabreichung von Brechmitteln gehört auch zu den traditionellen Methoden der Ayurvedischen Medizin.

Medizingeschichte

Das absichtliche Herbeiführen des Erbrechens wurde in der mittelalterlichen Medizin ebenso wie andere ausleitende Verfahren häufiger angewandt. In der Neuzeit wurden vor allem bei Verdacht auf Vergiftung als Brechmittel unter anderem die Wurzel der Kermesbeere, Mitragynin-Alkaloide, aus der Gruppe der Indolalkaloide das wirksamste Emetikum Vomicin (Namensgebung), Brechwurzel, Brechweinstein (Kaliumantimonyltartrat), Ammoniumcarbonat, Alaun, Kupfervitriol, Zinkvitriol und Apomorphin aus der Gruppe der Aporphin-Alkaloide, verwendet. Man hielt Erbrechen jedoch auch für wirksam bei Katarrhen, „fieberhafter Aufregung“ und „Wahnsinn“ sowie bei Erstickungsgefahr durch ein Objekt in der Speiseröhre. In diesem Fall wurde Brechweinstein unter die Haut gespritzt.[1][2]

Obwohl die wissenschaftliche Psychiatrie im 19. Jahrhundert den Brechmitteln zunehmend kritischer gegenüberstand, wurden sie in der Praxis noch häufig verwendet.[3]

Wirkungsmechanismus

Über die Rezeptoren für Dopamin (D2), Histamin (H1), Acetylcholin (M) und Serotonin (5-HT3) werden die emetischen Reize im Wesentlichen vermittelt. 5-HT3-Rezeptoren finden sich auf postsynaptischen Neuronen endokriner Zellen, auf endokrinen Drüsen des Magens, im Nervus vagus und an vielen Stellen des Zentralnervensystems, insbesondere in der Area postrema. In den enterochromaffinen Zellen des Magen-Darm-Traktes wird der größte Anteil des Serotonins gebildet. Serotonin hat des Weiteren eine wichtige Funktion bei der Reizübertragung in den intramuralen Plexus (Plexus myentericus und Plexus submucosus) des Darms. Beispielsweise führt eine Dehnung der Darmwand, die Verabreichung zytotoxischer Substanzen (Chemotherapie) oder eine Strahlentherapie zur Ausschüttung von Serotonin. Dieses wirkt dann als Neurotransmitter bzw. lokales Hormon. Über afferente Bahnen des Nervus vagus wird letztlich das Brechzentrum in der Formatio reticularis erregt.[4].

Anwendung bei strafprozessualen Maßnahmen

Besteht der Verdacht, dass jemand verschluckte Betäubungsmittel im Magen transportiert (Body Packing), so kann eine Magenentleerung mittels eines Emetikums die Ermittlungen beschleunigen. Wegen der damit verbundenen Gefahren ist die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme allerdings zweifelhaft.

Risiken

Im Zusammenhang mit Brechmitteleinsätzen sind wiederholt Todesfälle beschrieben worden. Brechmittel können insbesondere beim Mallory-Weiss-Syndrom, bei schweren Magenschädigungen durch Karzinome und bei anderen Vorschädigungen im Speisetrakt gefährlich wirken. Unabhängig von Vorerkrankungen ist bei jedem Erbrechen eine Aspiration (Einatmen des Speisebreis), die Reizung des Nervus vagus und ein Bolustod möglich. Bei den bisher bekannten Todesfällen war nicht allein das Brechmittel todesursächlich, sondern bestehende Vorschädigungen führten zu tödlichen Komplikationen.

Rechtliche Bewertung

Die zwangsweise Verabreichung eines Brechmittels durch eine Magensonde ist in Europa unzulässig. Sie verstößt gegen das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung nach Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Werden die dadurch gewonnenen Erkenntnisse in einem Strafverfahren verwertet, so liegt darin eine Verletzung des Menschenrechts, sich nicht selbst zu beschuldigen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, nemo-tenetur-Prinzip) und damit zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren, was zu einem Beweisverwertungsverbot führen kann.[5] Der früher teilweise in Deutschland zu § 81a StPO vertretene entgegengesetzte Standpunkt, indem das Bundesverfassungsgericht[6] zwar keine Aussage zur rechtlichen Zulässigkeit der Brechmittelverabreichung getroffen hatte, sondern die Verfassungsbeschwerde aus formalen Gründen zurückgewiesen wurde, ist damit überholt.

Ob der erzwungene Brechmitteleinsatz unter den engeren Begriff der Folter im Sinne der UN-Anti-Folter-Konvention fällt, ist ungeklärt. Dagegen spricht, dass es nicht um die Erpressung eines Geständnisses und offiziell auch nicht um „Bestrafung“ geht. Andererseits dient die Maßnahme sehr wohl der Abschreckung.

Auch unabhängig vom dabei eingesetzten Zwang ist die Verabreichung eines Brechmittels als Ermittlungsmaßnahme umstritten. Je nach Schwere des Tatvorwurfs kann diese Maßnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Ferner wird der Verdächtige mittelbar dazu gezwungen, sich selbst zu belasten, wenn man von ihm die Einnahme eines Brechmittels verlangt (auch ohne Zwang). Zumindest muss die Verabreichung des Brechmittels durch einen Arzt erfolgen, der eine mögliche Kontraindikation prüfen muss, wie Bewusstseinsstörungen, alkoholisierter Zustand, akute Krankheitszustände, Erkrankungen in der Magen-Darm-Gegend und im Herz-Kreislauf-System.

Ethisch-politische Erwägungen

Weitere Probleme sind:

  • medizinische Eingriffe ohne Einwilligung des zurechnungsfähigen Patienten sind Körperverletzung; ebenso medizinisch nicht notwendige Eingriffe (die üblicherweise aus dem Magen gewonnenen Drogenpakete sind kleine, hart gepresste und mehrfach eingeschweißte Kokain-Kügelchen oder Crack-Steine, die nur höchst selten undicht werden),
  • die relative Nutzlosigkeit - selten reicht der reine Drogenanteil des sichergestellten Materials für eine längerfristige Haftstrafe aus.

Eine denkbare Alternative wären spezielle „Drogenklos“, welche die vermuteten Betäubungsmittel nach der natürlichen Magen-Darm-Passage aufnehmen können, wie dies z. B. in der Untersuchungshaftanstalt in Hamburg bereits geschieht. Nachteilig sind hierbei die unter Umständen lange Wartezeit, die mit der maximal zulässigen Zeit des Polizeigewahrsams kollidieren kann, und das Risiko des sofortigen Wiederversteckens nach Ausscheidung.

Missbrauch bei Essstörungen

Bei schweren Formen von Bulimie setzen Erkrankte auch Brechmittel ein, um nach einem Essanfall den Magen schnell wieder zu entleeren, ähnlich wie Magersüchtige gelegentlich Abführmittel zum schnellen Abnehmen einnehmen. Beide Medikamentengruppen haben bei wiederholter Anwendung, gerade bei missbräuchlicher, Elektrolytverschiebungen (abnorme Zusammensetzung der Blutsalze) zur Folge und sind damit über mögliche Provokationen von epileptischen Krampfanfällen und Herzrhythmusstörungen potenziell lebensbedrohlich. Der häufige Durchgang der Magensäure durch Speiseröhre, Mund und Nase schädigt bereits nach wenigen Einsätzen die empfindlichen Schleimhäute. Abgesehen von der Zerstörung von Geschmacks- und Geruchssinn kann bei längerem Missbrauch Speiseröhrenkrebs die Folge sein. Brechmittel sind verschreibungspflichtig.

Siehe auch

Antiemetikum, Laxans

Einzelnachweise

  1. Artikel Brechmittel in Meyers Konversationslexikon ca. 1895
  2. Thieme Chemistry (Hrsg.): RÖMPP Online - Version 3.3. Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart 2009.
  3. Hans Bangen: Geschichte der medikamentösen Therapie der Schizophrenie. Berlin 1992. Seite 13-21 Pharmakotherapie am Beginn der modernen Psychiatrie ISBN 3-927408-82-4
  4. Estler, Claus-Jürgen (Hrsg.) in: Pharmakologie und Toxikologie: Lehrbuch für Mediziner, Veterinärmediziner, Pharmazeuten und Naturwissenschaftler, 4. Auflage, Stuttgart, New York 1995, S. 404 f., ISBN 3-7945-1645-1
  5. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 11. Juli 2006 ( Jalloh gegen Deutschland), NJW 2006, 3117.
  6. BVerfG, Beschluss vom 15. September 1999, Az. 2 BvR 2360/95, Volltext.

Literatur

Weblinks

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