Brodifacoum

Brodifacoum

Strukturformel
Struktur von Brodifacoum
Struktur ohne Stereochemie
Allgemeines
Name Brodifacoum
Andere Namen

3-(3-(4′-Brom-1,1′-biphenyl-4-yl)- 1,2,3,4-tetrahydro-1-naphthyl- 4-hydroxycumarin

Summenformel C31H23BrO3
CAS-Nummer 56073-10-0
PubChem 41736
Kurzbeschreibung

nahezu weißer Feststoff[1]

Eigenschaften
Molare Masse 523,4 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Dichte

1,42 g·cm−3 (25 °C) [2]

Schmelzpunkt

228–230 °C (Isomerengemisch)[2]

Löslichkeit

unlöslich in Wasser (0,24 mg·l−1)[2]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) [3]
06 – Giftig oder sehr giftig 08 – Gesundheitsgefährdend 09 – Umweltgefährlich

Gefahr

H- und P-Sätze H: 310-300-372-410
P: 273-​314-​501 [4]
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [5] aus EU-Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP) [3]
Sehr giftig Umweltgefährlich
Sehr giftig Umwelt-
gefährlich
(T+) (N)
R- und S-Sätze R: 27/28-48/24/25-50/53
S: (1/2)-36/37-45-60-61
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.
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Brodifacoum ist eine künstlich hergestellte, hochgiftige chemische Verbindung aus der Gruppe der Hydroxycumarin-Derivate. Es handelt sich um ein creme- bis beigefarbenes lipophiles, in Wasser praktisch unlösliches, geruchloses Pulver. Brodifacoum wird als Rodentizid (Nagetiergift) eingesetzt.

Synthese

Eine kommerzielle Herstellung verläuft über eine siebenstufige Synthesesequenz.[6][7] Im ersten Schritt wird Phenylessigsäurechlorid mit 4-Brombiphenyl in einer Friedel-Crafts-Acylierung umgesetzt. Das resultierende Keton wird zunächst mittels Natriumborhydrid zum Alkohol reduziert, der dann durch Phosphortribromid zur Bromverbindung nucleophil substituiert wird. Der vierte Syntheseschritt enthält eine Verknüpfung mit dem Natriumsalz des Malonsäurediethylesters, deren Produkt in Gegenwart von Polyphosphorsäure zu einem 3,4-Dihydro-2H-naphthalen-1-on-Zwischenprodukt zyklisiert wird. Eine zweite Reduktion mittels Natriumborhydrid ergibt ein 1,2,3,4-Tetrahydronaphthalen-1-ol-Derivat, das im letzten Syntheseschritt mit 4-Hydroxychromen-2-on zur Zielverbindung umgesetzt wird. Die Synthesesequenz ergibt ein Isomerengemisch.

Brodifacoum synthesis 01.svg

Eine Synthese reiner Enantiomere ist wegen der geringen Wirksamkeitsunterschiede der Stereoisomere kommerziell unattraktiv. Laborsynthesen der einzelnen Isomere verlaufen unter Einsatz stereoisomerer Edukte und Zwischenprodukte.[8][9]

Chemische Eigenschaften

Stereochemie

Brodifacoum ist eine chirale Verbindung, die zwei asymmetrisch substituierte Kohlenstoffatome enthält. Es ergeben sich somit vier Stereoisomere, wobei die (1S,3S)- und (1R,3R)-Isomere sowie die (1S,3R)- und (1R,3S)-Isomere entsprechende Enantiomerenpaare bilden. Die Schmelzpunkte betragen für das (1R,3S)- ,(1S,3R)-Isomerenpaar 227 °C bzw. für das (1R,3R)-, (1S,3S)-Isomerenpaar 224 °C.[8][10]

Brodifacoum stereochemistry.svg

Das Racemat aus (1S,3S)- und (1R,3R)-Form ist diastereomer zu dem Racemat aus (1S,3S)- und (1R,3R)-Form. Die (racemischen) Diastereomere können anhand ihrer 1H- und 13C-NMR-Spektren unterschieden werden.[11] Brodifacoum liegt kommerziell als Gemisch von vier stereoisomeren Molekülen vor, die sich in ihren physiologischen Wirkungen unterscheiden. Auch bestimmte physikalische und chemische Eigenschaften der vier Stereoisomere sind unterschiedlich.

Durch geeignete Synthesestrategien („Asymmetrische Synthese[8]) oder Trennverfahren (Racematspaltung[12]) lassen sich die einzelnen Stereoisomere gezielt rein herstellen oder isolieren.

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Wirkung

Für Vögel und Säugetiere wie auch den Menschen ist Brodifacoum sehr giftig, für Fische ist es noch toxischer. Die Aufnahme kann sowohl über den Verdauungstrakt (oral) als auch über die Haut oder die Atemwege geschehen.

Aufgrund der Strukturähnlichkeit von Cumarinen zu Vitamin K1 bewirken diese eine kompetitive Hemmung von Enzymen, die bei der Bildung des Gerinnungsfaktors Prothrombin des Blutes beteiligt sind. Somit heben sie indirekt die natürliche Gerinnungsfähigkeit des Blutes auf (indirektes Antikoagulans) und schädigt Blutgefäße (Leber). Dadurch tritt Blutflüssigkeit durch Schleimhäute, Körperhöhlen und innere Organe aus, was ein Verbluten des Opfers bewirkt. Entsprechend sind die allgemein für Antikoagulantien typischen Vergiftungssymptome Haut- und Schleimhautblutungen und in schweren Fällen Blut im Stuhl und Urin. Nach der Aufnahme einer tödlichen Dosis tritt der Tod nicht sofort, sondern erst nach vier bis fünf Tagen (bei Ratten) durch Entkräftung infolge des Blut- und Flüssigkeitsverlustes (Dehydratation) ein.

Giftigkeit

Bei verschiedenen Säugetieren wurden für das Isomerengemisch folgende mittlere letale Konzentrationen (LD50) ermittelt[1]:

  • Ratten (oral): 0,27–0,3 mg/kg Körpergewicht
  • Mäuse (oral): 0,4 mg/kg Körpergewicht
  • Kaninchen (oral): 0,3 mg/kg Körpergewicht
  • Meerschweinchen (oral): 0,28 mg/kg Körpergewicht
  • Katzen (oral): 0,25 mg/kg Körpergewicht
  • Hunde (oral): 0,25 mg/kg Körpergewicht

LD50-Werte für verschiedene Vögel liegen zwischen etwa 1 mg/kg Körpergewicht und 20 mg/kg Körpergewicht.[13]

LC50 bei Fischen:

  • Forelle (dem Stoff über 96 Stunden ausgesetzt): 0,051 mg/Liter.[14]

Die erlaubte Tagesdosis für den Menschen liegt bei 0,00004 mg/kg/j.

Für die einzelnen Stereoisomeren wurden an der Maus die folgenden LD50-Werte bestimmt:[8]

  • (1R,3R)-Isomer: 0,5–0,8 mg·kg−1
  • (1S,3S)-Isomer: 0,4–0,9 mg·kg−1
  • (1S,3R)-Isomer: 0,4–0,9 mg·kg−1
  • (1R,3S)-Isomer: 0,5–0,8 mg·kg−1

Die Wirksamkeit der verschiedenen Stereoisomere kann somit als gleich angesehen werden.

Gegenmaßnahmen

Phyllochinon (Vitamin K1) wirkt - intramuskulär oder oral verabreicht - bei Cumarinen als Antidot.

Als Sofortmaßnahme bei oraler Aufnahme: Herbeiführen von Erbrechen. Eventuell kann Bluttransfusion erforderlich sein, um dem Blutverlust entgegenzuwirken.

Nutzung

Brodifacoum ist das bislang potenteste verfügbare Rodentizid („Rattengift“) und findet als solches weit verbreitete Anwendung zur Vergiftung von Nagetieren, hauptsächlich Ratten und Mäusen, aber auch Kaninchen und Opossums, wobei besonders für Raubtiere wie z.B. Katzen die Gefahr von Sekundärvergiftungen durch vergiftete Tierleichen besteht: Schon der Verzehr eines einzigen vergifteten Tieres kann tödlich sein.

Brodifacoum kommt als Wirkstoff in Fraßködern mit einem Gewichtsanteil von 0,005 % zum Einsatz[15] und wirkt als sogenanntes Antikoagulans der zweiten Generation („Super-Warfarin“) schon in Einmaldosis tödlich, tötet also auch Tiere mit einer Resistenz gegen Antikoagulantien der ersten Generation (namentlich Warfarin).

Der verzögerte Tod der Tiere bei diesen Mitteln ist dabei eine erwünschte Eigenschaft: Da keine Vorwarnung von Artgenossen stattfindet, sind sie damit auch bei sozial intelligenten Tieren wie z.B. Ratten effektiv, die bei sofort wirksamen Substanzen aufgrund ihrer sozialen Intelligenz schnell von ihren Artgenossen lernen, das ausgelegte Gift zu meiden. Die langsame Schwächung der Tiere bewirkt außerdem, dass sie kaum mehr Nahrung aufnehmen und schließlich mit praktisch leerem Magendarmtrakt sterben, was zur Folge hat, dass die Kadaver bei der Zersetzung weniger Gestank entwickeln. Eine Legende dagegen ist es, dass so vergiftete Nager auf der Suche nach Wasser menschliche Behausungen verlassen und im Freien sterben würden.

Zulassung

Als Biozidprodukt

Gemäß europäischer Gesetzgebung (Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten) [16] und mit Beschluss vom 9. Februar 2010 [17] liegt ein Entscheid vor, den Wirkstoff Brodifacoum in die entsprechende Liste (Anhang I/IA der Richtlinie 98/8/EG) für die Produktart 14 (Rodentizide) aufzunehmen. Die Abgabe von Biozidprodukte, die den Wirkstoff Brodifacoum enthalten, ist somit in der EU (die Schweiz hat diese Bestimmung übernommen) weiterhin erlaubt. Diese Bewilligung wurde jedoch an gewisse Auflagen geknüpft:

  • Die nominale Konzentration des Wirkstoffs in den Produkten darf 50 mg/kg nicht übersteigen und es dürfen nur gebrauchsfertige Produkte zugelassen werden. Die Produkte dürfen nicht als Haftgift verwendet werden.
  • Zur Risikominderung gegenüber Menschen, Nicht-Zieltieren und Umwelt sind geeignete Maßnahmen umzusetzen. So die Beschränkung auf die Anwendung durch Fachpersonal, die Festlegung einer Packungshöchstgröße und die Verpflichtung zur Verwendung zugriffsgesicherter, stabiler Köderboxen.
  • Die Bewilligung wird vorerst befristet bis 31. Januar 2017, eine Verlängerung dieser Frist ist an eine erneute Risikobeurteilung geknüpft.

Als Pflanzenschutzmittel

Gemäß europäischer Gesetzgebung (Richtlinie 91/414/EWG vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln) [18] und mit Beschluss vom 21. Juni 2007 der EU-Kommission [19] wurde entschieden, den Wirkstoff Brodifacoum nicht in den Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG (Positivliste der in Pflanzenschutzmitteln zulässigen Wirkstoffe) aufzunehmen. Die Abgabe von Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Brodifacoum ist in der EU seit 2011 nicht mehr erlaubt.

In der Schweiz ist der Wirkstoff Brodifacoum gemäss Änderung der Pflanzenschutzverordnung [20] ab 15. Mai 2012 nicht mehr zugelassen.

Siehe auch

Der Stoff ist eng verwandt mit dem für gleiche Zwecke genutzten, etwas weniger giftigen Bromadiolon.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Datenblatt zu Brodifacoum
  2. 2,0 2,1 2,2 Eintrag zu Brodifacoum in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 21. Mai 2008 (JavaScript erforderlich).
  3. 3,0 3,1 Eintrag aus der CLP-Verordnung zu CAS-Nr. 56073-10-0 in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA (JavaScript erforderlich)
  4. Datenblatt Brodifacoum bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 14. März 2011.
  5. Seit 1. Dezember 2012 ist für Stoffe ausschließlich die GHS-Gefahrstoffkennzeichnung zulässig. Bis zum 1. Juni 2015 dürfen noch die R-Sätze dieses Stoffes für die Einstufung von Zubereitungen herangezogen werden, anschließend ist die EU-Gefahrstoffkennzeichnung von rein historischem Interesse.
  6. Shadbolt, R.S.; Woodward, D.R.; Birchwood, P.J.: Synthesis of Some Tetrahydronaphthyl- and Flavanyl-coumarins in J. Chem. Soc. Perkin Trans. I, 1976, 1190–1195, doi:10.1039/A607269K.
  7. Hadler, R.T.; Shadbolt, R.S.: Ger. Patent 2424806, 1975; US Patent 3957824, 1976; US Patent 4035505, 1977.
  8. 8,0 8,1 8,2 8,3 van Heerden, P.S.; Bezuidenhoudt, B.C.B.; Ferreira, D.: Efficient Asymetric Synthesis of the Four Diastereomers of Diphenacoum and Brodifacoum in Tetrahedron 53 (1997) 6045–6056, doi:10.1016/S0040-4020(97)00254-8.
  9. Jung, J.-C.; Park, O.-S..: Synthesic Approaches and Biological Activities of 4-Hydroxycoumarin Derivatives in Molecules 14 (2009) 4790-4803, doi:10.3390/molecules14114790.
  10. van Heerden, P.S.; Bezuidenhoudt, B.C.B.; Ferreira, D.: Improved synthesis for the rodenticides, diphenacoum and brodifacoum in J. Chem. Soc., Perkin Trans. 1, 1997, 1141–1146, doi:10.1039/A607269K.
  11. Cort, J.R.; Cho, H.: 1H and 13C NMR chemical shift assignments and conformational analysis for the two diastereomers of the vitamin K epoxide reductase inhibitor brodifacoum in Magn. Reson. Chem. 47 (2009) 897-901, doi:10.1002/mrc.2475.
  12. V. V. Shkarenda and P. V. Kuznetsov: Current state of the liquid column chromatography of coumarins in Chemistry of Natural Compounds 29 (1993) 137–150, doi:10.1007/BF00630102.
  13. Health and Safety Guide: Brodifacoum.
  14. Sicherheitsdatenblatt AMB-Vertriebs GmbH.
  15. Römpp CD 2006, Georg Thieme Verlag 2006.
  16. EU:Richtlinie 98/8/EG vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 123/1 vom 24. April 1998.
  17. EU:Richtlinie 20/10/EU vom 9. Februar 2010 - Beschluss zur Änderung der Richtlinie 98/8/EG zwecks Aufnahme von Brodifacoum in Anhang I Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 37/44 vom 10. Februar 2010.
  18. EU:Richtlinie 91/414/EWG vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln ABl. L 230 vom 19. August 1991, S. 1.
  19. EU:Entscheid vom 21. Juni 2007 (2007/442/EG) über die Nichtaufnahme bestimmter Wirkstoffe in Anhang I und Widerruf der Zulassungen für Pflanzenschutzmittel Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 166/16 vom 28.Juni 2007.
  20. CH: Änderung Pflanzenschutzmittelverordnung SR 916.161 – Änderung vom 21. April 2011.