Äquivalenz von Masse und Energie
Die Äquivalenz von Masse und Energie (oder kurz: E=mc²) ist die Erkenntnis der relativistischen Physik, dass Masse und Energie nicht unabhängig sind; vielmehr besitzt jedes physikalische System mit der Masse
Dabei ist
Durch den großen Faktor
Überblick und Beispiele
Dass die Äquivalenz von Masse und Energie in der klassischen Physik wie im Alltag unbemerkt blieb, lässt sich aus der Größe des Faktors
Die an der Masse ablesbare Ruheenergie übersteigt die kinetische Energie in alltäglichen Situationen um viele Größenordnungen. Zwar ließe die in Wärme umgewandelte kinetische Energie eine Raumkapsel bei der Rückkehr verglühen, wenn sie nicht durch den sog. „Hitzeschild“ abgeschirmt würde; dabei ist aber diese sehr hohe kinetische Energie nur ein winziger Bruchteil (etwa 1/2 Milliardstel) der Ruheenergie:
Ein Wasserstoff-Atom hat gegenüber einem freien Elektron und einem freien Proton nur ca. 1/70 000 000 weniger Masse. Für Atomkerne ist der Beitrag jedoch recht groß: Beispielsweise rund 0,8 % bei C12.
Bekannte Beispiele für die Äquivalenz von Masse und Energie sind:
- Vernichtungsstrahlung: Ein Teilchenpaar Elektron-Positron, das zusammen eine Masse von ca. 2·10-30kg besitzt, kann sich in masselose Strahlung auflösen: zwei Gammaquanten von je 511 keV Energie. Die Masse oder Ruhenergie
des Systems vor der Vernichtung und die Energie der Strahlung nachher sind identisch. - Kernspaltung: Ein Atomkern des Elements Uran kann in mehrere Bruchstücke zerplatzen, deren Massen zusammen ca. 0,1 % leichter sind als der Urankern. Die dabei freigesetzte Energie entspricht nach
genau der Abnahme der Masse und kann (bei Spaltung einer entsprechenden Stoffmenge) u. a. als Explosion (Atombombe) oder Wärmequelle (Kernkraftwerk) in Erscheinung treten. - Die Sonne verliert allein durch das von ihr abgestrahlte Licht in jeder Sekunde rund 4 Millionen Tonnen Masse. Verglichen mit der gesamten Masse der Sonne von rund
ist dieser Anteil jedoch weitgehend vernachlässigbar. Auch nach mehreren Milliarden Jahren hat die Sonne weit weniger als ein Promille an Masse durch Strahlung verloren.
Einordnung
Die moderne Physik formuliert die Begriffe Masse und Energie mithilfe der Energie-Impuls-Beziehung der speziellen Relativitätstheorie:
Demnach hat jedes abgeschlossene physikalische System eine Gesamtenergie
Im Schwerpunktsystem (
Von einem anderen Bezugssystem aus betrachtet hat dasselbe System andere Werte für die vier Komponenten, die man durch Umrechnung mit der Lorentztransformation erhält. Bewegt sich das System beispielsweise mit Geschwindigkeit
.
Dabei bleibt die Norm des Vierervektors
Wenn man die Gleichung
Das „nullte“ Glied dieser Reihe ist wieder die Ruheenergie eines Körpers der Masse
Bei sehr großen Geschwindigkeiten können die höheren Glieder nicht mehr vernachlässigt werden. Sie repräsentieren dann das überproportionale Anwachsen der kinetischen Energie für relativistische Geschwindigkeiten.
Gravitation
Einstein erweiterte 1907 seine Überlegungen auch auf die Gravitation.[3] Das Äquivalenzprinzip, also die Gleichheit von träger und schwerer Masse, führte ihn zur Schlussfolgerung, dass eine Zunahme der Ruheenergie eines Systems auch eine Zunahme der schweren Masse zur Folge hat. Bei der Weiterführung dieses Gedankens im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie ergab sich, dass der Energie-Impuls-Tensor als Quelle des Gravitationsfeldes anzusehen ist.
Ein Beispiel ist der Gravitationskollaps. Wenn im Innern eines Sterns die nukleare Wärmeerzeugung erlischt, konzentriert sich seine Materie auf so kleinem Raum, dass bei ausreichend großer Gesamtmasse das immer stärker werdende Gravitationsfeld selber durch seine Feldenergie zur weiteren Anziehung und Kontraktion beiträgt. Die Folge ist ein Schwarzes Loch.
Relativistische Masse
In älteren Lehrbüchern wird die Äquivalenzformel
Gemäß dieser Schreibweise sind Energie und (relativistische) Masse unter allen Umständen äquivalent. Diese Interpretation der Masse ist aber fragwürdig (siehe den Abschnitt zur sog. relativistischen Masse), und Einstein selbst lehnte sie ab[4]. In vielen modernen Lehrbüchern wird daher das Konzept der relativistischen Masse als unzweckmäßig zurückgewiesen. Stattdessen solle die Äquivalenzbeziehung ausschließlich im Zusammenhang mit der Ruheenergie
Geschichte
Der Zusammenhang zwischen Masse, Energie, und Lichtgeschwindigkeit wurde bereits ab 1880 von unterschiedlichen Autoren im Rahmen von Maxwells Elektrodynamik bedacht.[6][7][8][9][10] Joseph John Thomson (1881), George Searle (1897), Wilhelm Wien (1900), Max Abraham (1902) und Hendrik Lorentz (1904) erschlossen, dass die elektromagnetische Energie dem Körper eine „elektromagnetische Masse" hinzufügt gemäß der Formel (in moderner Notation)
.
Zu derselben Formel gelangte Friedrich Hasenöhrl (1904/5) durch Betrachtung der elektromagnetischen Hohlraumstrahlung eines Körpers, wobei er auch die Abhängigkeit der Masse von der Temperatur feststellte. Henri Poincaré (1900) hingegen folgerte aus Betrachtungen zum Reaktionsprinzip, dass elektromagnetische Energie einer „fiktiven“ Masse von
entspricht. Die elektromagnetische Masse wurde häufig auch als „scheinbare“ Masse bezeichnet, da man diese vorerst von der „wahren“, mechanischen Masse Newtons unterschied.
Aber erst Albert Einstein (1905) war es dann, der die gesamte Ruheenergie durch[1]
mit der gesamten Masse in eine Beziehung setzte, die in eine umfassende Theorie, die spezielle Relativitätstheorie, eingebettet war. Dabei ergab sich, dass alle vorhergehenden Spekulationen über die elektromagnetische Natur der Masse in eine falsche Richtung wiesen, denn in der speziellen Relativitätstheorie gilt ausnahmslos die Äquivalenz von Masse und Ruheenergie, unabhängig davon, ob die Masse elektromagnetischen Ursprungs ist oder nicht. Wichtige Beiträge leisteten u. a. auch Max Planck (1907), der thermodynamische Überlegungen und das Prinzip der kleinsten Wirkung einbrachte; und Max von Laue (1911), der unter Weiterentwicklung von Hermann Minkowskis elegantem Raumzeitformalismus die Äquivalenz besonders klar darstellen konnte. [11] [12]
Diese Äquivalenz wurde ursprünglich auch „Trägheit der Energie“ genannt, da man jeder Form von Energie eine träge Masse
Die quantitative Übereinstimmung von Kernmassenunterschieden und Bindungsenergien konnte ab den 1930er Jahren gemessen werden.[13][14] Heute ist die Gültigkeit der Äquivalenz von Masse und Energie experimentell mit einer Genauigkeit von etwa einem Zehnmillonstel bestätigt:[15]
Einsteins Herleitung
Einstein kam 1905[1] durch das folgende Gedankenexperiment auf den Zusammenhang von Masse und Energie. Ein ähnliches Gedankenexperiment hatte Poincaré 1900 entwickelt, aber nicht befriedigend klären können.[10]
Um die folgenden Überlegungen einfach zu halten, benutzen wir als Längeneinheit die Strecke, die Licht in einer Sekunde zurücklegt, und nennen diese Länge eine Sekunde.
In solchen Maßeinheiten ist die Lichtgeschwindigkeit eine Sekunde pro Sekunde,
Aus der Elektrodynamik war bekannt, dass ein Lichtpuls nicht nur Energie
Wenn nun ein ruhender Körper mit Energie
Aus der Sicht eines in Richtung eines der beiden Photonen bewegten Beobachters bewegt sich der Körper vor und nach dem Abstrahlen der Photonen mit einer Geschwindigkeit
(die Summe von Ruheenergie und kinetischer Energie) und einen Impuls
Das Photon, das der Beobachter mit dem Körper auf sich zukommen sieht, sieht er blauverschoben mit einer um den Dopplerfaktor
Das Photon in Gegenrichtung ist für ihn rotverschoben und hat eine um den Dopplerfaktor
Dabei bezeichnet
die Energie des Körpers nach dem Abstrahlen. Die erste Zeile dieser Gleichung, die Energie-Erhaltung, besagt, wenn wir Terme vernachlässigen, die quadratisch in der Geschwindigkeit sind,
dass sich die Ruheenergie des Körpers beim Abstrahlen um
Da sich (bis auf die einfachheitshalber weggelassenen Faktoren
So schön Einsteins Gedankenexperiment ist, die Folgerung ist nicht zwingend: Kein stabiles Teilchen, kein Elektron, Proton oder Neutron, kann in Ruhe Photonen abstrahlen. Das ist physikalisch nur möglich, wenn man auf das Teilchen die dazu erforderliche Energie und den erforderlichen Impuls überträgt.
Es gibt aber auch einen logischen Einwand. Einsteins Überlegung zeigt nur, dass die Differenzen von Masse und Energie bis auf den Faktor
Dass der Zusatzterm (der letzte Term in der vorigen Gleichung) verschwindet, und wie die Energie und der Impuls von der Geschwindigkeit abhängen, ergibt sich aus ihrem Transformationsverhalten (siehe Viererimpuls).
E = mc² und die Atombombe
Bei ionisierender Strahlung hatten Antoine Becquerel, Marie und Pierre Curie und Ernest Rutherford ab 1897 beobachtet, dass Kernreaktionen millionenfach energiereicher sind als chemische Reaktionen. Als Energiequelle wurde von Rutherford und Frederick Soddy (1903) ein in den Körpern befindliches, enormes Reservoir an latenter Energie vermutet, welches auch in normaler Materie vorhanden sein müsse. Rutherford (1904) spekulierte, dass man vielleicht eines Tages den Zerfall radioaktiver Elemente kontrollieren und aus einer geringen Menge Materie eine enorme Energiemenge freisetzen könnte.
[16][17] Mit Einsteins Gleichung
Allerdings besagt die Gleichung nicht, wie man die Spaltung schwerer Atomkerne in Gang setzt. Entscheidend war die Beobachtung der induzierten Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Straßmann und dass die dabei freiwerdenden Neutronen eine Kettenreaktion in angereichertem Uran auslösen können. Anders als populärwissenschaftliche Berichte behaupten[18], spielte daher der Zusammenhang von Ruheenergie und Masse bei der Entwicklung der Atombombe („Manhattan-Projekt“) in den USA ab 1942 keine besondere Rolle.[19] Albert Einstein beeinflusste die Entwicklung der Atombombe weniger durch seine physikalischen Erkenntnisse, sondern allenfalls politisch, nämlich durch seinen Brief an Präsident Roosevelt, in dem er für die Entwicklung der Atombombe durch die Amerikaner eintrat.
Trivia
- 1980 erschien das Lied "E=mc²" von Giorgio Moroder.
- 1985 erschien das Lied "E=mc²" von Big Audio Dynamite auf dem Album "This Is Big Audio Dynamite".
- 2008 erschien das Album "E=mc²" von Mariah Carey.
- 2008 erschien das Lied "E=mc²" von Ayreon auf dem Album "01011001".
Siehe auch
- Tests der relativistischen Energie-Impuls-Beziehung
- Photonenwaage
Weblinks
- Norbert Dragon, Geometrie der Relativitätstheorie
- Francisco Fernflores: The Equivalence of Mass and Energy. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy
- Cornelius C. Noack, Was ist eigentlich eine 'Ruhemasse'?
- Wikibooks: Ruhemasse und relativistische Masse
- E=mc² – Eine Formel und ihre Geschichte. Allgemeinzugängliche Erklärung der Formel mit Grafiken
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Einstein, Albert: Ist die Trägheit eines Körpers von seinem Energieinhalt abhängig?. In: Annalen der Physik. 323, Nr. 13, 1905, S. 639–643.
- ↑ D. Mermin: It's About Time: Understanding Einstein's Relativity, Princeton University Press, 2005, S. 160 ff. (google books).
- ↑ Einstein, Albert: Über das Relativitätsprinzip und die aus demselben gezogenen Folgerungen. In: Jahrbuch der Radioaktivität und Elektronik. 4, 1908, S. 411–462.
- ↑ „Es ist nicht gut, von der Masse
eines bewegten Körpers zu sprechen, da für keine klare Definition gegeben werden kann. Man beschränkt sich besser auf die ‚Ruhe-Masse‘ . Daneben kann man ja den Ausdruck von momentum und Energie geben, wenn man das Trägheitsverhalten rasch bewegter Körper angeben will.“ Albert Einstein, zitiert in Okun, Physics Today, 43, 32(1989); gefunden in: Tipler, Llewellyn: "Moderne Physik", Oldenbourg 2003, ISBN 3-486-25564-9) - ↑ Edwin F. Taylor, John Archibald Wheeler: Spacetime Physics: Introduction to Special Relativity. New York: W. H. Freeman 1992, ISBN 0-7167-2327-1
- ↑ Whittaker, E. T.: 2. Edition: A History of the theories of aether and electricity, vol. 1: The classical theories / vol. 2: The modern theories 1900-1926. Nelson, London 1951-1953.
- ↑ Jannsen, M., Mecklenburg, M.: From classical to relativistic mechanics: Electromagnetic models of the electron. In: V. F. Hendricks, et.al. (Hrsg.): Interactions: Mathematics, Physics and Philosophy. Springer, Dordrecht 2007, S. 65–134.
- ↑ Born, Max: Die Relativitätstheorie Einsteins. Springer, Berlin-Heidelberg-New York 1964/2003, ISBN 3-540-00470-x.
- ↑ Jammer, Max: Der Begriff der Masse in der Physik, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1964, englisches Original: Concepts of Mass in Classical and Modern Physics. Cambridge (Mass): Harvard U.P., 1961 New York: Harper, 1964 New York: Dover, 1997. ISBN 0-486-29998-8
- ↑ 10,0 10,1 Darrigol, O.: The Genesis of the theory of relativity. In: Séminaire Poincaré. 1, 2005, S. 1-22.
- ↑ Planck, Max: Zur Dynamik bewegter Systeme. In: Sitzungsberichte der Königlich-Preussischen Akademie der Wissenschaften, Berlin. Erster Halbband, Nr. 29, 1907, S. 542-570.
- ↑ Laue, Max von: Das Relativitätsprinzip. Braunschweig: Vieweg 1911
- ↑ R. Stuewer, Mass-Energy and the Neutron in the Early Thirties, in Einstein in Context: A Special Issue of Science in Context, Science in Context, Vol 6 (1993), S. 195 ff. Auszug in Google-books
- ↑ K. T. Bainbridge, The Equivalence of Mass and Energy, Phys. Rev. 44 (1933), S. 123 - 123.
- ↑ S. Rainville et al., A direct test of E=mc², Nature 438 (2005), S. 1096-1097. Abstract
- ↑ Ernest Rutherford: Radioactivity, S. 336-338, Cambridge: University Press 1904
- ↑ Werner Heisenberg: Physics And Philosophy: The Revolution In Modern Science, S. 118-119, New York: Harper & Brothers 1958
- ↑ Titelbild von Time Magazine Juli 1946
- ↑ Markus Pössel, Albert-Einstein-Institut: Von E=mc² zur Atombombe und Ist das Ganze die Summe seiner Teile?