Rosalind Franklin

Rosalind Franklin

Rosalind Elsie Franklin (* 25. Juli 1920 in London; † 16. April 1958 ebenda) war eine Biochemikerin und Spezialistin für die Röntgenstrukturanalyse von kristallisierten Makromolekülen. Als Wissenschaftlerin leistete sie weitreichende Forschungsarbeiten zur Struktur von Kohlen und Koks als Brennstoff sowie von Viren. Ihre wichtigsten Forschungsergebnisse waren Röntgenbeugungsdiagramme der DNA und deren mathematische Analyse; sie trugen wesentlich zur Aufklärung der Doppelhelixstruktur der DNA bei. Ihr gemeinsam mit ihrem Doktoranden Gosling im April 1953 zu diesem Thema veröffentlichter Forschungsartikel erschien parallel zum Artikel von James Watson und Francis Crick zur Struktur der DNA und bestätigte deren theoretisches Modell.

Leben

Familie und frühe Jahre

Rosalind Franklin entstammte einer angesehenen jüdischen Familie Englands. Ihr Großonkel Sir Herbert Samuel war zum Zeitpunkt ihrer Geburt gerade zum Hochkommissar von Palästina ernannt worden, ihr Vater Ellis Franklin ein angesehener Bankier und ihre Mutter Muriel entstammte einer Familie von Intellektuellen und Akademikern. Beide Elternteile legten Wert auf eine sehr sorgfältige Schulausbildung und Allgemeinbildung ihrer fünf Kinder, von denen Rosalind das zweitälteste war. Ihr Bruder David wurde 1919 geboren, ihre jüngeren Brüder Colin 1923 und Roland 1926. Ihre Schwester Jennifer kam 1929 zur Welt, als Rosalind neun Jahre alt war.[1] Die Franklins unternahmen zahlreiche Reisen mit ihren Kindern und reisten dabei – für damalige Zeit eher ungewöhnlich – auch viel ins Ausland. Ihre Tochter Rosalind genoss diese Reisen und zeigte darüber hinaus schon als Sechsjährige ein lebhaftes Interesse an Naturwissenschaften. In einem Brief schilderte Rosalinds Tante Mamie Bentwich, wie Ellis Franklins Familie den Urlaub verbrachte, und hielt über die Sechsjährige fest: „Rosalind ist erschreckend schlau – aus reinem Vergnügen verbringt sie ihre ganze Zeit mit Arithmetik & ihre Rechnungen stimmen immer.“

Die Schulen, die Ellis und Muriel Franklin für ihre Tochter aussuchten, unterstützten diese Neigung. Zwei Jahre verbrachte Rosalind in einem Mädcheninternat an der Kanalküste und begeisterte sich vor allem für den naturwissenschaftlichen Unterricht. Ab Januar 1932 besuchte sie die St.-Paul's-Mädchenschule, deren Philosophie es war, jedes Mädchen auf einen beruflichen Werdegang vorzubereiten, und die Wert darauf legte, dass die Mädchen sich Ziele jenseits der Ehe setzten. Die Schule zeichnete sich vor allem durch hervorragenden naturwissenschaftlichen Unterricht aus. Im Bericht zum Kontrollbesuch, den der Immatrikulations- und Schulaufsichtsrat der Londoner Universität der Schule 1935 abhielt, wurden neben dem hervorragenden naturwissenschaftlichen Gebäudekomplex auch die Qualifikationen der Lehrerinnen für Physik, Chemie und Biologie hervorgehoben sowie der gründliche und nachhaltige Mathematikunterricht gelobt.

Ihre Biografin Brenda Maddox vermutet, dass die naturwissenschaftliche Ausbildung, die Rosalind Franklin an der St.-Paul's-Mädchenschule erfahren hatte, ihr wissenschaftliches Vorgehen wesentlich prägte. Naturwissenschaft galt „als eine intellektuelle Anstrengung, die eher Sauberkeit, Gründlichkeit und Ausdauer als Aufregung und Wagemut verlangt“.

Studienjahre

Studium in Cambridge

Im Frühjahr 1938 bestand die noch Siebzehnjährige die Zulassungsprüfungen an der Universität Cambridge. In der Chemieprüfung schnitt sie als Beste ab und wurde deshalb mit einem Stipendium ausgezeichnet, das einen großen Teil der Universitätsgebühren abdeckte. Ihr Vater veranlasste jedoch, dass das Geld einem der Studenten zur Verfügung gestellt wurde, die aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach England geflohen waren.

In Cambridge boten ihr beide Frauencolleges, Girton und Newnham, einen Studienplatz an. Rosalind Franklin entschied sich für Newnham und begann im Oktober 1938 ein Studium der Naturwissenschaften, das sie 1941 abschloss. Sie verbrachte ihre Zeit abseits des geselligen College-Lebens. Entspannung suchte sie im Sport; sie spielte Squash und Tennis, unternahm lange Radtouren und ruderte.

Während ihres Studiums spezialisierte sie sich zunehmend auf die Kristallographie und die physikalische Chemie, die sich mit Struktureigenschaften und dem Verhalten von Atomen und Molekülen befasst. In physikalischer Chemie schloss sie als Beste ab, worauf man ihr mit einem College-Stipendium ermöglichte, in einem vierten Jahr in Cambridge zu forschen.

Weibliche Studenten, weibliche Dozenten

Rosalind Franklin studierte während einer Zeit, in der die akademische Ausbildung einer Frau noch lange keine Selbstverständlichkeit war. Brenda Maddox beschrieb in ihrer Franklin-Biografie die Situation, in der sich Rosalind Franklin befand, folgendermaßen:

„In Cambridge waren seit 1860 Frauen zugelassen, Juden seit 1871; aber anders als in Oxford, wo man Frauen seit 1921 einen akademischen Titel gewährte, wurden Frauen hier nicht als „Universitätsangehörige“ akzeptiert. Auch betrachtete man Frauen nicht als vollwertige Studenten, sondern lediglich als „Schülerinnen der Colleges von Girton und Newnham“. Sie hatten nur nominell Anspruch auf einen Titel. Der „Titten-Titel“ war ein gelungener Scherz. Studentinnen war der Zugang zu den Vorlesungen der Männer gestattet, aber man erwartete von ihnen zumindest bis in die frühen dreißiger Jahre, dass sie in den vorderen Reihen beieinander saßen … Die Dozentinnen und die Prinzipalin von Newnham durften nicht an wichtigen Universitätszeremonien teilnehmen. Vielmehr erwartete man von ihnen, dass sie bei traditionellen Feierlichkeiten, wenn die Männer ihre scharlachroten Akademikerroben und die schwarzen, samtenen Doktorhüte trugen, mit Hut und Handschuhen bei den Ehefrauen des Lehrkörpers saßen.“

Weibliche Wissenschaftler fanden insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern nur sehr schwer Anerkennung. Erst 1945 wurden die ersten Wissenschaftlerinnen in die britische Royal Society aufgenommen. 1944 war das Jahr, in dem Otto Hahn mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, Lise Meitner jedoch, wie in den Folgejahren, übergangen wurde.

Die widerstrebende Aufnahme von Frauen in die Reihen der Wissenschaftler erlebte Rosalind Franklin nicht nur als Studentin. Während ihrer gesamten Forschungszeit litt sie an der zögernden Akzeptanz von Forscherinnen in ihrem Fachgebiet. Insbesondere während ihrer Forschungszeit am King's College in London schien ihr Geschlecht zur mangelnden Akzeptanz seitens ihrer Kollegen beizutragen.

Forschung über Kohle – Rosalind Franklins Beitrag zur britischen Kriegsanstrengung

Die Franklins und der Krieg

Als britische Juden hatte die Familie Franklin die Entwicklungen im nationalsozialistischen Deutschland aufmerksam verfolgt. Besonders Rosalinds Vater engagierte sich stark, als ab 1938 der Strom jüdischer Flüchtlinge zunahm. Ellis Franklin reduzierte seine Arbeitszeit bei seiner Bank und leitete die „Bürgschaftsabteilung“ des deutsch-jüdischen Flüchtlingskomitees; gemeinsam mit seiner Schwester Mamie Bentwich gründete er außerdem eine Organisation, die sich um die Unterbringung jener deutsch-jüdischen Kinder kümmerte, die in England eintrafen. Zwei davon wurden 1938 in die Franklin-Familie aufgenommen. Im Januar 1945 wurde Ellis Franklin dafür mit dem Verdienstorden des British Empire ausgezeichnet.

Rosalind selbst war zutiefst davon betroffen, wie gleichgültig ihre Kommilitonen in Cambridge auf das Pogrom an deutschen Juden in der sogenannten „Kristallnacht“ am 9. November 1938 reagierten. Mit ihrem Vater war sie sich darüber einig, dass Hitler gegenüber entschiedener Widerstand zu leisten war. Uneinigkeit bestand lediglich darin, worin ihr Beitrag über das Sammeln von Spendengeldern und ehrenamtlicher Arbeit für die Flüchtlingsorganisationen hinaus bestehen sollte. Aus Sicht ihres Vaters stellte sie ihr Studium über alles, während ihre Brüder für ihr Heimatland ihr Leben riskierten. In einem Brief vom 1. Juni 1942 schrieb sie ihm:

„… ich weiß nicht, wieso du auf die Idee kommst, ich hätte mich darüber „beschwert“, die Promotion für die Kriegsarbeit aufgeben zu müssen. Als ich mich vor einem Jahr in der Forschung beworben habe, wurde ich gefragt, ob ich Kriegsarbeit leisten wollte, und ich hatte Ja gesagt. Man hatte mich glauben lassen, dass das erste Problem, mit dem ich mich zu befassen hätte, Kriegsarbeit sei … ich [habe] bei mehreren Anlässen, entgegen dem Rat meiner Vorgesetzten, ausdrücklich betont, dass ich lieber jetzt Kriegsarbeit leisten und erst später promovieren möchte.“

Arbeit bei der British Coal Utilisation Research Association

Die Gelegenheit zu kriegswichtiger Arbeit bot sich ihr, als 1942 an der neu eingerichteten „British Coal Utilisation Research Association“ eine Belegschaft aus frisch graduierten Physikern zusammengestellt wurde. Rosalind Franklin begann als „Assistant Research Officer“ die physikalisch-chemischen Eigenschaften von Kohle zu untersuchen. Ziel dieser als kriegswichtig eingestuften Untersuchungen war es, Kohle effizienter zu nutzen. Parallel dazu arbeitete sie als Luftschutzwartin, die die Verdunkelungen überprüfte.

Ihre Untersuchungen waren auch Gegenstand ihrer Promotionsarbeit; ihren Doktortitel in physikalischer Chemie erhielt sie 1945. Die Zusammenfassung ihrer Forschungsergebnisse erschien 1946 in der britischen Zeitschrift Transactions of the Faraday Society unter dem Titel Thermische Ausdehnung von Kohlen und carbonisierten Kohlen.

Die französischen Jahre

Nachdem sie nach dem Abschluss dieser Arbeiten keine weiteren interessanten Forschungsprojekte erhielt, ging sie 1947 nach Paris, um dort am „Laboratoire Central des Services Chimiques de L'Etat“ zu arbeiten und entwickelte sich dort zur Spezialistin für die Kristallstrukturanalyse. Die Stelle erhielt sie auf Vermittlung der französisch-jüdischen Physikerin Adrienne Weill, die während der Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten in Cambridge gearbeitet hatte und aus dieser Zeit Rosalind Franklin gut kannte.

Das Labor, das eine staatliche Forschungseinrichtung war, stand unter Leitung von Jacques Mering, der ebenso wie seine wenig mehr als zwanzig Mitarbeiter Rosalind Franklins Fähigkeit zu komplexer experimenteller Arbeit zu schätzen wusste. Unter Merings Anleitung lernte sie, Röntgenstrahlung zur Analyse der inneren Struktur von Holzkohle und Kohle einzusetzen. Für Rosalind Franklin war nicht nur die Arbeit sehr befriedigend, sie fühlte sich unter ihren Arbeitskollegen auch sehr wohl. Sie selbst war für eine kleine Gruppe von Mitarbeitern zuständig, die Röntgenbeugungsanalysen bei Kohlenstoffen einsetzten. Ihre Arbeit dokumentierte sie in zahlreichen Aufsätzen, die in Fachzeitschriften wie der Acta Crystallographica oder den Transactions der Faraday Society erschienen. Am Ende ihrer Jahre in Paris war sie auf ihrem Fachgebiet eine international anerkannte Wissenschaftlerin.

Frankreich litt in der Zeit, in der Franklin dort lebte, noch unter den wirtschaftlichen Beschränkungen der Nachkriegszeit, in der alltägliche Dinge rationiert waren. Franklin improvisierte, indem sie sich Lebensmittel aus England zusenden ließ oder beispielsweise ihrer Mutter ihre exakten Maße für einen Unterrock zusandte, da in England die dafür verwendete Fallschirmseide einfacher erhältlich war als in Frankreich. Trotz dieser erschwerten Lebensbedingungen lassen ihre Briefe, die sie an ihre Familie richtete, darauf schließen, dass die Jahre in Frankreich zu ihren glücklichsten gehörten. Trotzdem drängte vor allem ihre Familie sie, wieder nach England zurückzukehren.

King’s College

Unklare Aufgabenverteilung

Molekül der DNA; Rosalind Franklins Arbeit trug wesentlich zur Entschlüsselung der DNA-Struktur bei

1950 kehrte sie nach London zurück, um unter Leitung von John Turton Randall am Londoner King's College weiterzuforschen. Ein dreijähriges Stipendium des „Turner-und-Newall-Komitees“ finanzierte ihre Forschungsarbeiten. Sie selbst war bis zum letzten Moment unentschlossen, ob sie dieses Stipendium annehmen solle oder ob sie nicht in dem französischen Laboratorium, in dem sie so viel Spaß an der Arbeit gefunden hatte, bleiben solle.

Zu den Eigenarten John Randalls, unter dessen Leitung das Laboratorium am King’s College stand, gehörte es, die Aufgabengebiete der Mitarbeiter nicht klar abzugrenzen. Er schrieb Rosalind Franklin kurz vor dem Antritt ihrer Forschungen dort:

„Das bedeutet, dass auf dem Gebiet der experimentellen Röntgenoptik nur Sie und Goslind [Franklins Doktorand] arbeiten werden, wobei Ihnen zeitweilig Frau Heller, eine Absolventin der Syracuse [University], als Assistentin zur Seite stehen wird. Gosling hat in Zusammenarbeit mit Wilkins gefunden, dass Fasern der Desoxyribonukleinsäure – das Material schickte Professor Signer aus Bern – bemerkenswert gute Röntgendiagramme liefern.“

Zumindest Maurice Wilkins, der immerhin stellvertretender Leiter des Laboratoriums war, wurde über diese Entscheidung nicht informiert. Wilkins nahm zunächst an, dass Franklin seine Assistentin sei und nicht eine ihm weitgehend gleichgestellte Kollegin. Doch auch nachdem dieses Missverständnis aufgeklärt war, hatte Wilkins Mühe, Franklin zu akzeptieren, und bald redeten die beiden kaum noch miteinander. Erst im Herbst 1951 sorgte Randall in einem klärenden Dreiergespräch mit Wilkins und Franklin dafür, dass die Aufgabengebiete zwischen den zwei Wissenschaftlern klar getrennt wurden. Franklin sollte mit der DNA von Signer arbeiten und ein anderes Teilgebiet als Wilkins untersuchen. Die unklare Aufgabentrennung zwischen Franklin und Wilkins setzte sich in der Literatur über die DNA-Entschlüsselung fort. Häufig wird nur Wilkins genannt, gelegentlich Rosalind Franklin als seine Assistentin bezeichnet. Wilkins hatte im Laboratorium sicher eine höher geordnete Stellung; seine Assistentin war Franklin deswegen nicht. In diesem Zusammenhang sind die Worte über Rosalind Franklin zu verstehen, die der später für die Entschlüsselung der DNA mit dem Nobelpreis ausgezeichnete James Watson in seinem Buch „Die Doppelhelix“ über sie schrieb:

„Maurice [Wilkins] war in der Technik der Röntgenstrahlendiffraktion ein Anfänger. Er brauchte fachmännische Unterstützung und hatte gehofft, Rosy [Rosalind Franklin], eine erfahrene Kristallographin, könne den Gang seiner Forschungen beschleunigen. Aber Rosy sah die Situation auf völlig andere Weise. Sie behauptete, dass man ihr die DNS als ihre eigene Aufgabe zugewiesen habe, und dachte nicht daran, sich als Maurices Assistentin zu betrachten … Eines war klar: Rosy mußte gehen oder an ihren richtigen Platz verwiesen werden.“

Franklins Arbeitssituation am King's College

Franklin fühlte sich nicht nur deswegen am King's College nicht wohl. An diesem traditionellen College waren Wissenschaftlerinnen nicht als ebenbürtige Kollegen akzeptiert. So waren Frauen zum Beispiel von einem der Speisesäle ausgeschlossen. Darüber hinaus wusste der überwiegende Teil ihrer Kollegen die von ihr bisher geleistete Forschungsarbeit nicht zu würdigen. Von John Randall und dem theoretischen Chemiker Charles Coulson abgesehen, war ihre Forschungsarbeit an Kohle und Kohlenstoffen für ihre übrigen Kollegen vollkommen uninteressant und die von ihr dort geleistete wissenschaftliche Arbeit nicht einschätzbar.

Noch ein weiterer Punkt trug zu Franklins Unwohlsein bei: Am King's College arbeitete nicht gerade die intellektuelle Elite Englands, und Rosalind Franklin hob sich in der Art, wie sie sich gab und bezogen auf ihre Interessengebiete deutlich von ihren Kollegen ab. Ein jahrelanger Freund, der Physiker Simon Altmann, beschrieb in einem Interview mit Franklins Biografin Maddox die Situation folgendermaßen:

„Wohlbelesen in zwei Sprachen war sie [Rosalind Franklin] ein zivilisiertes, intellektuelles Leben sowie Gespräche über Malerei, Lyrik, Theater und Existenzialismus gewohnt … Jetzt umgaben sie Menschen, die noch nie von Sartre gehört hatten, die hauptsächlich den „Evening Standard“ lasen und denen die Sorte Mädchen gefiel, die sich auf Fachbereichsparties betranken, von Schoß zu Schoß weitergereicht wurden und sich den BH öffnen ließen.“

Die DNA-Forschung am King's College

Den Wissenschaftlern am King's College stand eine besonders reine DNA-Probe zur Verfügung, die in ihrer Konsistenz an Rübenkraut erinnerte. Mit einem Glasstab konnte man daraus eine kaum wahrnehmbare Faser von DNA herausziehen. Entzog man dieser Faser Wasser, zeigte ihre Struktur geordnete, sich wiederholende, quasikristalline Eigenschaften. Rosalind Franklin entwickelte Methoden, wie man der A-Form-DNA wieder Wasser hinzufügen konnte. Mit Hilfe ihrer Röntgendiagramme konnte Franklin zeigen, dass sich nach der Wasseraufnahme die Struktur der DNA geändert hatte. Franklin fand dadurch heraus, dass DNA-Moleküle in zwei Formen, A und B, vorkommen, die sich durch ihren Wassergehalt unterscheiden. Sie entwickelte ein Verfahren, die zwei Formen in Reinform zu erhalten, und so gelang es ihr, Röntgenbilder von höchster Qualität aufzunehmen. Ihre Bilder waren die besten bisher erzielten Aufnahmen der DNA. Mit Hilfe dieser Bilder stellte sie fest, dass die Zucker- und Phosphatanteile der DNA auf der Außenseite des Moleküls liegen und dass DNA die Form einer Helix hat. Nach ihren Untersuchungen musste die DNA entweder aus zwei, drei oder vier Spiralketten bestehen.

Die Jagd nach der Entschlüsselung der DNA

Die Entschlüsselung der DNA und die Entdeckung der Doppelhelix lag Anfang der 1950er Jahre „in der Luft“. Ende der 1940er Jahre war nachgewiesen worden, dass die DNA aus langen unverzweigten Kettenmolekülen bestand. Oswald Theodore Avery hatte außerdem 1944 nachgewiesen, dass bei Bakterien zumindest teilweise die DNA der Träger der genetischen Information ist. Zu ähnlichen Schlüssen war 1952 Alfred D. Hershey gemeinsam mit seiner Assistentin Martha Chase gelangt.

Zahlreiche Wissenschaftler unternahmen daher Anstrengungen, die Struktur der DNA zu entschlüsseln. Zu den Personen, denen man am ehesten die Entschlüsselung zutraute, zählte Linus Pauling, der bereits weitreichende Forschungen zu Proteinen vorgenommen hatte. Er hatte schon 1951 für diese sein Modell der Alpha-Helix-Struktur vorgestellt. Pauling veröffentlichte zu Anfang des Jahres 1953 ein fehlerhaftes DNA-Modell, bei dem er drei DNA-Fäden unterstellte (Franklin schrieb ihm unmittelbar nach der Veröffentlichung und begründete mit ihren Analysen, warum sein Modell nicht stimmen konnte). Zwei zu dem Zeitpunkt noch unbekannte junge Chemiker an der Universität Cambridge, James Watson und Francis Crick – Letzterer hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal seine Promotion abgeschlossen –, sahen in diesem Gebiet eine Möglichkeit, sich wissenschaftlichen Ruhm zu erwerben. Ihnen war jedoch klar, dass sie sehr rasch zu Ergebnissen kommen mussten und eine schnelle Veröffentlichung notwendig sein würde, wollten sie einem Durchbruch von Pauling zuvorkommen. Beide standen in engem Austausch mit Maurice Wilkins vom King's College.

Während Franklin eine faktenbezogene Herangehensweise bevorzugte, lag die Stärke von Crick und Watson in der Entwicklung von Theorien. Unter Einbezug der Informationen, die sie aus einem Vortrag von Franklin am Kings College gewonnen hatten, hatten Crick und Watson im Jahre 1952 ein Modell entwickelt, das aus drei Spiralketten bestand. Sie luden deshalb Franklin und Wilkins Ende 1952 nach Cambridge ein, um ihnen ihr Modell der DNA vorzustellen. Für Franklin war der Ausflug Zeitverschwendung; sie wies ihren Kollegen nach, dass ihr Modell völlig unzulänglich war, und reiste verärgert wieder aus Cambridge ab. Sie verweigerte sich außerdem einer Zusammenarbeit mit diesen Kollegen, weil sie eine Modellaufstellung noch für verfrüht hielt.

Am 30. Januar 1953 gewährte Wilkins ohne eine Erlaubnis dafür zu haben Watson und Crick Zugang zu Franklins Beugungsaufnahme Nr. 51 mit einer B-Konfiguration der DNA, die insbesondere für Watson der optische Beweis dafür war, dass die DNA eine Helix war. Watson schreibt zu diesem Vorgang in seinem Buch Die Doppelhelix:

„Ich erfuhr zu meiner Überraschung, dass er [Maurice Wilkins] mit Hilfe seines Assistenten Wilson in aller Ruhe einen Teil von Rosys und Goslings röntgenographischen Arbeiten kopiert hatte. So bedurfte er keiner langen Zeitspanne, um seine eigenen Forschungen ganz in Schwung zu bringen.“

Während Wilkins und Franklin aufgrund dieser Aufnahme noch kein detailliertes Strukturmodell vorschlagen wollten, war dies für Watson einer der entscheidenden Momente in der Entschlüsselung der DNA, die er in Die Doppelhelix folgendermaßen beschrieb:

„In dem Augenblick, als ich das Bild sah, klappte mir der Unterkiefer herunter, und mein Puls flatterte. Das Schema war unvergleichlich viel einfacher als alle, die man bis dahin erhalten hatte … [Maurice Wilkins gab jedoch zu bedenken,] das eigentliche Problem sei noch immer das Fehlen einer Strukturhypothese, die gestatte, die Basen auf regelmäßige Weise auf der Innenseite der Spirale anzuordnen. Das setzte natürlich voraus, dass Rosy [Rosalind Franklin] recht hatte, wenn sie die Basen im Zentrum und das Skelett außen haben wollte! Obwohl Maurice mir versicherte, er sei jetzt völlig von der Richtigkeit ihrer Behauptungen überzeugt, blieb ich skeptisch, denn Francis [Crick] und ich konnten ihren Beweis noch immer nicht recht verstehen.“

Kurz darauf fiel Watson und Crick durch Max Perutz ein noch nicht publizierter Forschungsbericht von Rosalind Franklin in die Hände, der ihre Beobachtungen der Veränderung der DNA-Struktur von der A-Form zur B-Form detailliert beschrieb. Der vertrauliche Bericht war einem Komitee des Medical Research Council, dem Perutz angehörte, zur Begutachtung übergeben worden, keinesfalls zur Weitergabe an andere Wissenschaftler. Jedenfalls zogen Watson und Crick daraus den Schluss, dass es sich hier um eine Doppelhelix handeln musste, wobei Watson zunächst Modelle mit parallelen Strängen baute, bei der sich gleiche Basen paarweise verbanden (also Adenin mit Adenin, Cytosin mit Cytosin, etc.). Allerdings war schon am 6. März 1953 eine Publikation von Franklin und Gosling bei der Fachzeitschrift Acta Crystallographica eingegangen, in der die DNA korrekt als Doppelstrang beschrieben wurde, wobei die Phosphatgruppen außen lagen und die Basen innen durch Wasserstoffbrücken verbunden waren.[2] Ein großes Problem bei der Erstellung der DNA-Modelle waren die damals in den meisten Lehrbüchern dargestellten Enolformen von Guanin und Thymin. Tatsächlich gab der amerikanische Kristallograph Jerry Donohue den entscheidenden Hinweis, dass in Wirklichkeit die Ketoformen vorliegen sollten, woraus sich andere Kombinationen von Wasserstoffbrücken ergeben konnten, z. B. war dann die Paarung von Adenin mit Thymin in zwei antiparallelen Strängen eher möglich. Watson und Crick erstellten das entsprechende Modell der Doppelhelix dann am 7. März, wobei ihre Leistung in der richtigen und vollständigen Interpretation von Franklins Untersuchungen liegt, für die sie neben weiterführenden Arbeiten 1962 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.

Im April 1953 erschienen in der wissenschaftlichen Zeitschrift Nature drei Artikel zur Struktur der DNA: Im ersten stellten Watson und Crick ihr Modell vor – und gestanden in ihrem knapp einseitigen Artikel ein:

„We have also been stimulated by a knowledge of the general nature of the unpublished experimental results and ideas of Dr. M. H. F. Wilkins, Dr. R. E. Franklin and their co-workers at King's College, London.“

In den nächsten darauf folgenden Artikeln veröffentlichen Wilkins, Franklin und deren Mitarbeiter ihre experimentellen Daten, die das Doppelhelix-Modell von Watson und Crick bestätigten. Die Veröffentlichung der zwei Artikel von Wissenschaftlern des King's College parallel zu dem von Watson und Crick war dem Eingreifen von John Randall zu verdanken, der damit sicherstellen wollte, dass auf diese Weise sein Labor wenigstens die Anerkennung für die geleistete experimentelle Arbeit erhielt, wenn auch die Ehre für die Aufstellung des Modells an Wissenschaftler von Cambridge ging.

Zunächst insistierten Watson und Crick, dass sie die Daten von Franklins röntgenspektografischen Befunden aus ihrem unveröffentlichten Forschungsbericht nicht kannten. Watson veröffentlichte jedoch 1968 sein Buch Die Doppelhelix, in dem er seine Erinnerungen an dieses Projekt beschreibt und wo er auch eingesteht, ihre Daten gesehen zu haben, ohne dass irgendjemand am King's College davon wusste (Zitat aus Watsons Buch „Die Doppelhelix“: „Ich wußte von ihren Unterlagen mehr, als sie dachte“). Crick, der später gut mit Franklin befreundet war, bestätigte, dass die Entwicklung des Modells ohne Franklins Daten nicht zustande gekommen wäre.

Die letzten Jahre am Birkbeck College

Franklin wechselte 1953 zum Birkbeck College. Am King's College ließ man sie unter der Bedingung gehen, nicht mehr an der DNA zu arbeiten. Franklin leitete am Birkbeck College ein Team von Wissenschaftlern und veröffentlichte zahlreiche Artikel zur Struktur des Tabakmosaikvirus. Verglichen zum King's College war das Laboratorium dort wesentlich schlechter ausgestattet, aber sie fühlte sich in der dortigen Arbeitsatmosphäre sehr wohl. John Desmond Bernal, unter dessen Leitung das dortige Laboratorium stand, schätzte Franklin als hervorragende Wissenschaftlerin. Mit ihrer nicht unkomplizierten Art eckte sie zwar auch im Birkbeck-College an; sie arbeitete jedoch mit einem Team, das mit ihren Eigenarten gut zurechtkam. Insbesondere mit ihrem Mitarbeiter Aaron Klug, der 1982 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde, verband sie eine intensive kollegiale Zusammenarbeit, die umfangreiche Ergebnisse im Rahmen der Pflanzenvirenforschung erbrachte. Sie konnte dort unter anderem nachweisen, dass das Tabakmosaikvirus nicht kompakt, sondern röhrenförmig als Helix kristallisiert.

Den fragwürdigen Zugriff auf ihre Daten durch Wilkins, Crick und Watson scheint Rosalind Franklin zumindest Francis Crick nicht übel genommen zu haben. Der beruflich bedingte Briefverkehr mit Francis Crick aus den Jahren 1956/1957 war freundlich im Ton. James Watson unterstützte sie, als sie ein Stipendium für Aaron Klug zu erhalten versuchte. Sie schien mit dem Wechsel vom King's College zum Birkbeck College mit der DNA-Forschung abgeschlossen zu haben. Da sie 1954 aufgrund ihrer Kohleforschung unter anderem zu einer Vortragsreise in die USA eingeladen war, der sich 1956 eine zweite anschloss, mangelte es ihr sicherlich auch nicht an Anerkennung durch ihre Wissenschaftskollegen. Ähnliche Anerkennung erhielt sie für ihre Virenforschung.

Im Herbst 1956 wurde bei Rosalind Franklin Eierstockkrebs diagnostiziert. Sie betrieb bis kurz vor ihrem Tod im April 1958 ihre Forschungen weiter. Nachrufe auf sie erschienen sowohl in der Londoner Times, in der Fachzeitschrift Nature als auch in der New York Times. Man nannte sie eine „Vertreterin einer erlesenen Reihe von Pionieren, die die Struktur der Nukleoproteine in Bezug auf Virenkrankheiten und die Genetik beleuchteten“. In der philanthropischen Tradition ihrer wohlhabenden Familie setzte sie als ihren Haupterben Aaron Klug ein, der mit Hilfe dieser finanziellen Unterstützung seine Forschungsarbeit in Großbritannien weiterbetreiben konnte.

Die Privatperson Rosalind Franklin

Rosalind Franklin war eine begeisterte und wagemutige Bergsteigerin und eine leidenschaftliche Reisende; ihre Freunde und Verwandten schilderten sie als vergnügliche, fröhliche und lebendige Gesellschafterin, die gut mit Kindern umgehen konnte.

Besonders während ihrer Zeit in Paris war sie die Anlaufstelle für zahlreiche Freunde und Verwandte, die sie mit Hingabe französisch bekochte. Mit ihren französischen Kollegen traf sie sich zum Tanzen, oder man unternahm gemeinsam Badeausflüge. Dies ist deswegen festzuhalten, weil ihr Bild lange Zeit von James Watsons Buch Die Doppelhelix geprägt war, der sie als Blaustrumpf karikierte. Zutreffend ist jedoch auch, dass sie insbesondere in ihrer Arbeitsumgebung temperamentvoll, schroff und ungeduldig war.

Ihr Verhältnis gegenüber Männern war eher distanziert – möglicherweise auch deswegen, weil sie wissenschaftliche Karriere und eine Ehe und Kinder für miteinander unvereinbar hielt. Einiges deutet darauf hin, dass sie Jacques Mering sehr mochte. Mering jedoch war nicht nur verheiratet, sondern hatte mit einer der französischen Kolleginnen von Franklin ein sehr langwährendes Verhältnis. Franklin scheint akzeptiert zu haben, dass Mering emotional anderweitig gebunden war. Unmittelbar bevor bei ihr Krebs diagnostiziert wurde, scheint eine engere Bindung an den amerikanischen Wissenschaftler Don Casper begonnen zu haben, mit dem sie am Birkbeck-College kurze Zeit zusammenarbeitete.

Rosalind Franklin und der Nobelpreis

Es gilt heute als akzeptiert, dass Franklins Arbeit eine wesentliche Grundlage für die Bestimmung der DNA-Struktur lieferte und es ohne ihre Röntgenbeugungsdiagramme und ihre diesbezüglichen Analysen wesentlich länger bis zur Entdeckung gedauert hätte. Unbestritten ist auch, dass es die Leistung von Watson und Crick war, aus ihrer Arbeit die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ihr langjähriger Mitarbeiter, der spätere Nobelpreisträger Aaron Klug, konnte anhand ihrer Notizbücher zeigen, dass sie am 23. Februar den Beweis erbracht hatte, dass sowohl die A- wie auch die B-Form der DNA zweikettige Helices waren. Ihr fehlte lediglich noch die Erkenntnis, dass die Basenpaare der DNA den genetischen Code trugen. Diese Schlussfolgerung zogen am 28. Februar 1953 Watson und Crick, nachdem sie – wie Watson später in „The Double Helix“ schilderte – ohne Franklins Wissen Zugang zu einem Teil ihrer Röntgenbeugungsdaten gehabt hatten.

Den Nobelpreis – der nur an noch lebende Personen verliehen wird – erhielten 1962 Watson, Crick und Wilkins „für die Entdeckung der Molekularstruktur der Nukleinsäuren und ihre Bedeutung für die Weitergabe von Information in Lebewesen“. Bezeichnenderweise erwähnten Watson[3] und Crick[4] in ihren Nobelpreisreden die nur vier Jahre zuvor verstorbene Rosalind Franklin und die Schlüsselrolle ihrer Daten bei der Aufklärung der DNA-Struktur mit keinem Wort.

Aaron Klug, der zuletzt mit ihr zusammengearbeitet hatte, erinnerte 1982 in seiner Nobelpreisrede an Rosalind Franklin.[5] Er verwies darauf, wie sehr sie sein Vorbild gewesen sei und betonte gleichzeitig seine Überzeugung, dass sie gleichfalls mit dieser größten wissenschaftlichen Auszeichnung bedacht worden wäre, hätte sie nur lange genug gelebt.

2008 wurde Franklin mit einem Ehren-Horwitz-Preis (Honorary Horwitz Prize) ausgezeichnet.[6]

Die „dark lady“ der DNA

Das Bild, das die Nachwelt von Rosalind Franklin hat, war lange Zeit wesentlich davon geprägt, wie sie James Watson 1969 in seiner Erzählung Die Doppel-Helix beschrieben hatte. Watson gestand zwar schon auf den ersten Seiten seiner Erzählung ein, dass die Entschlüsselung der DNA eine „Angelegenheit von 5 Leuten war“, nämlich – in seiner Reihenfolge – Maurice Wilkins, Rosalind Franklin, Linus Pauling, Francis Crick und Watson selbst. Trotzdem beschrieb er Franklin, die er in seinem Buch stets herablassend mit dem Namen „Rosy“ bezeichnete – einem Kosenamen, den sie zeitlebens strikt abgelehnt hatte –, mit folgenden Worten:

„Sie tat nichts, um ihre weiblichen Eigenschaften zu unterstreichen. Trotz ihrer scharfen Züge war sie nicht unattraktiv, und sie wäre sogar hinreißend gewesen, hätte sie auch nur das geringste Interesse für ihre Kleidung gezeigt. Das tat sie nicht. Nicht einmal einen Lippenstift, dessen Farbe vielleicht mit ihrem glatten schwarzen Haar kontrastiert hätte, benutzte sie, und mit ihren einunddreißig Jahren trug sie so phantasielose Kleider wie nur irgendein blaustrümpfiger englischer Teenager. Insofern konnte man sich Rosy gut als das Produkt einer unbefriedigten Mutter vorstellen, die es für überaus wünschenswert hielt, dass intelligente Mädchen Berufe erlernten, die sie vor der Heirat mit langweiligen Männern bewahrten.“

Rosalind Franklins Vortrag über ihre Untersuchungen, auf dessen Basis das erste, noch fehlerhafte von Crick und Watson gebaute DNA-Modell entstand, wird von Watson mit folgenden Worten kommentiert: „Einen Augenblick überlegte ich, wie sie wohl aussehen würde, wenn sie ihre Brille abnähme und irgendetwas Neues mit ihrem Haar versuchte.“

Watsons Biograf Ernst Peter Fischer registrierte die Differenz zwischen dem Bild, das Rosalind Franklins Biografen von ihr zeichnen und dem, das durch Watsons Erzählung entsteht und entschuldigte dies folgendermaßen:

„Es bleibt unbegreiflich, wie Rosalind Franklin, die von ihren Biografen als intellektuell, idealistisch, lebhaft und erlebnisfähig geschildert wird, in ihrer Zeit und im Zusammenhang mit Wilkins die bedrohliche „dark lady“ werden konnte, die Jim erlebt und dann auch in dieser Form in sein Buch aufgenommen hat. Man sollte ihm nicht vorwerfen, dass er als unerfahrener 20-Jähriger die schwierige Situation nicht meistern konnte, die mit der historischen Zeit – wir befinden uns im Nachkriegsengland – ebenso zu tun hat wie mit dem persönlichen Status. Das Gespräch zwischen Männern und Frauen ist ohnehin nicht leicht.“ „Wie schwer muss es erst zwischen einem unreifen 24-jährigen jungen Mann und einer reifen „dunklen Schönheit“ gewesen sein? Wahrscheinlich hatte Jim [Watson] – wie alle Männer – Angst vor Frauen mit solchen Eigenschaften, erst recht, wenn sie plötzlich in Männerwelten eindrangen.“

Doch trotz solcher Erkenntnisse blieb Rosalind Franklins Bild in der Nachwelt von negativ klingenden Abschnitten in Watsons Erzählung geprägt, obwohl diese mit versöhnlichen und anerkennenden Worten endete:

„1958 starb Rosalind Franklin im Alter von 37 Jahren. Da sich meine ersten (in diesem Buch festgehaltenen) Eindrücke von ihr - sowohl in persönlicher als auch in wissenschaftlicher Hinsicht - weitgehend als falsch erwiesen haben, möchte ich hier etwas über ihre wissenschaftlichen Leistungen sagen. Ihre Röntgenarbeiten im King´s-Laboratorium werden immer mehr als hervorragend anerkannt. Allein die Tatsache, daß sie die A- und die B-Form der DNS unterschied, hätte genügt, um sie berühmt zu machen. Aber noch größer war ihre Leistung, als sie 1952 mit Hilfe von Pattersons Superpositionsmethoden den Nachweis erbrachte, daß sich die Phosphatgruppen an der Außenseite des DNS-Moleküls befinden müssen. Ich hatte inzwischen einen Lehrstuhl in den Staaten und konnte sie darum nicht so oft sehen wie Francis, den sie häufig besuchte, um sich Rat zu holen oder aber, wenn sie etwas besonders Hübsches zuwege gebracht hatte, um sich zu vergewissern, ob er mit ihren Begründungen übereinstimmte. Alle unsere früheren Zänkereien waren längst vergessen und wir beide lernten ihre persönliche Aufrichtigkeit und Großmütigkeit schätzen. Einige Jahre zu spät wurde uns bewußt, was für Kämpfe eine intelligente Frau zu bestehen hat, um von den Wissenschaftlern anerkannt zu werden, die in Frauen oft nur eine Ablenkung vom ernsthaften Denken sehen. Rosalinds Integrität und ihr vorbildlicher Mut wurden allen offenbar, die erlebten, wie sie obwohl sie wußte, daß sie unheilbar krank war, niemals klagte und bis wenige Wochen vor ihrem Tod ihre Arbeit auf einem hohen Niveau fortsetzte.“

Noch in einem erstmals 1997 erschienenen Buch über die Entdeckung der DNA schrieb Paul Strathern über Rosalind Franklin, die er im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen mit dem Vornamen ansprach:

„Rosalind war hochintelligent und sehr attraktiv, auch wenn sie auf Make-up verzichtete und sich ohne jeden Schick kleidete. Doch Großbritannien verharrte während der fünfziger Jahre, was die Beziehungen zwischen den Geschlechtern anlangte, noch in der Steinzeit. Wilkins hatte einfach keine Ahnung, was er in seinem Labor mit einer Frau anfangen sollte.“

Diese vorrangig auf äußerliche Merkmale reduzierte Wahrnehmung einer hervorragenden Wissenschaftlerin trug dazu bei, dass Rosalind Franklin zu einem oft zitierten Beispiel für die Diskriminierung von Frauen in der Wissenschaft wurde (vgl. auch Matilda-Effekt), was letztlich eine stärkere Würdigung ihres Beitrags an der DNA-Entschlüsselung zur Folge hatte. Dass heute ihr Name einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist, lässt sich auch auf ein 1987 von der BBC verfilmtes Porträt zurückzuführen, in dem der Schauspieler Jeff Goldblum James Watson darstellte. Mittlerweile trägt ein Wohngebäude für graduierte Studenten des Newnham College ihren Namen, und im Garten davor steht eine Büste, die an Rosalind Franklin erinnert. In der National Portrait Gallery in London hängt ihr Foto neben dem von Watson, Wilson und Crick. Das King's College weihte im Jahr 2000 ein „Franklin-Wilkins-Gebäude“ ein und ehrte damit gleichzeitig Maurice Wilkins, der dort 53 Jahre tätig war, und Rosalind Franklin, die dort nur wenig mehr als zwei Jahre gearbeitet und sich dabei nie wohlgefühlt hatte.

Rosalind-Franklin-Forschungsstipendium

An der niederländischen Universität Groningen wurde 2002 zur Förderung der Frau in der Naturwissenschaft das auf fünf Jahre angelegte „Rosalind Franklin Fellowship“ (Forschungsstipendium) ins Leben gerufen. Das gut dotierte Stipendium soll dazu beitragen, mehr Professorinnen in den Naturwissenschaften zu etablieren.

Rosalind-Franklin-Universität

2004 änderte die in North Chicago, Lake County (Illinois), gelegene Finch University of Health Sciences ihren Namen in Rosalind Franklin University of Medicine and Science. Das Logo der Universität zeigt Rosalind Franklins Foto 51, das für die Aufklärung der DNA-Struktur entscheidend war.

Rosalind-Franklin-Award

Die Royal Society vergibt seit 2003 den Rosalind Franklin Award zur Förderung von Frauen in Wissenschaft und Technik.

Literatur

Quellen

  1. Jenifer Glynn: My Sister Rosalind Franklin. Oxford University Press, 2012.
  2. The Structure of Sodium Thymonucleate Fibres. I. The Influence of Water Content BY ROSALIND E. FRANKLIN AND R. G. GOSLING, Acta Cryst. (1953) 6, 673-677.
  3. Nobelpreisrede James Watson
  4. Nobelpreisrede Francis Crick
  5. Nobelpreisrede Aaron Klug
  6. Columbia University Medical Center: Past Recipients of the Louisa Gross Horwitz Prize

Die Veröffentlichungen zur DNA im Jahre 1953

  • J.D. Watson, F.H. Crick: Molecular Structure of Nucleic Acids: A Structure for Deoxyribose Nucleic Acid. In: Nature London 171.1953 (25. Apr), 737–738. ISSN 0028-0836
  • M.H. Wilkins, A.R. Stokes, H.R. Wilson: Molecular structure of deoxypentose nucleic acids. in: Nature. London 171.1953 (25.Apr.), 738–740. ISSN 0028-0836
  • R.E. Franklin, R.G. Gosling: Molecular configuration in sodium thymonucleate. in: Nature. London 171.1953 (25.Apr), 740–741. ISSN 0028-0836

Literatur zur Geschichte der DNA-Entschlüsselung

  • James D. Watson: Die Doppel-Helix. Rowohlt, Hamburg 1968, 1993. ISBN 3-499-16803-0 (Zitiert sind S. 27f, S.65, S. 131, S. 134)
  • Ernst Peter Fischer: Am Anfang war die Doppelhelix – James D. Watson und die neue Wissenschaft vom Leben. Ullstein, München 2003. ISBN 3-550-07566-9 (Zitiert sind die S. 159ff.)
  • Aaron Klug: The Discovery of the Double Helix. in: T. Krude (Hrsg.): DNA, Changing Science and Society. University Press, Cambridge 2003. ISBN 0-521-82378-1
  • Paul Strathern: Crick, Watson & die DNA. Fischer, Frankfurt am Main 1998. ISBN 3-596-14112-5 (erstmals in Englisch erschienen 1997, zitiert sind S.52f)
  • Robert Olby: The Path to the Double Helix. The Discovery of DNA. Dover 1994. ISBN 0-486-68117-3

Biografien zu Rosalind Franklin

  • Anne Sayre: Rosalind Franklin and DNA. W. W. Norton & Co., New York 1975.
  • Jenifer Glynn: Rosalind Franklin, 1920–1958. in: E. Shils, C. Blacker (Hrsg.): Cambridge Women – Twelve Portraits. University Press, Cambridge 1995. ISBN 0-521-48287-9
  • Brenda Maddox: Rosalind Franklin. Die Entdeckung der DNA oder der Kampf einer Frau um wissenschaftliche Anerkennung. Campus, Frankfurt am Main 2002. ISBN 3-593-37192-8 (Zitiert sind S. 25, S. 42)
  • Jenifer Glynn: My Sister Rosalind Franklin: A Family Memoir. Oxford University Press, New York 2012. ISBN 978-0-199-69962-9

Weblinks

Dies ist ein als exzellent ausgezeichneter Artikel.
Dieser Artikel wurde am 8. Dezember 2004 in dieser Version in die Liste der exzellenten Artikel aufgenommen.