Landgang (Biologie)

Landgang (Biologie)

Lebendsbild von Tiktaalik roseae

Als Landgang bezeichnet man die allmähliche Anpassung von aquatischen Lebewesen an eine terrestrische Lebensweise, also den Prozess der Landbesiedelung durch zuvor ausschließlich an ein Leben im Wasser angepasste Organismen. Dieser Vorgang hat sich wiederholt und unabhängig voneinander zugetragen, so zum Beispiel bei Einzellern, Pilzen, Pflanzen, Wirbellosen und Wirbeltieren.

Pflanzen

Rekonstruktion von Rhynia

Durch fossile Belege relativ gut dokumentiert ist der Landgang der Pflanzen, der von den meisten Forschern heute auf die Zeit vor 480 bis 460 Millionen Jahren – ins frühe Ordovizium – datiert wird. Das Aufkommen von Landpflanzen entzog der Atmosphäre Kohlendioxid, ein Prozess, der durch von Pflanzen verursachte Verwitterungsprozesse des Bodens noch verstärkt wurde. Eine im Ordovizium nachweisbare, merkliche Abkühlung das Klimas wurde 2012 von einer Forschergruppe als Folge des veränderten Kohlenstoffzyklus nach der Landbesiedelung interpretiert.[1]

Als eine der frühesten, allerdings bereits gut an das Landleben angepassten Landpflanzen gilt Rhynia gwynne-vaughanii, die vor rund 400 Millionen Jahren im Devon lebte.

Gregory J. Retallack von der University of Oregon, ein Experte für Paläoböden,[2] argumentierte 2013 in Nature, zumindest einige Arten der rund 600 Millionen Jahre alten Ediacara-Fauna seien Teile einer frühen Land-Flora gewesen, mit einer Wuchsform, die vergleichbar gewesen sei mit jener der heute lebenden Flechten oder mit Kolonien von Mikroorganismen.[3]

Einem Autorenteam der Pennsylvania State University zufolge könnten Grünalgen sowie mit Schlauchpilzen vergesellschaftete Cyanobakterien (also früheste Vorformen der heutigen Flechten) bereits wesentlich früher das Land besiedelt haben: Mit Hilfe molekularbiologischer Schätzungen („molekulare Uhr“) errechneten sie für die Landpflanzen eine Erstbesiedelung vor 700 Millionen Jahren (Cryogenium) und für Grünalgen und Pilze vor einer Milliarde Jahren (Stenium/Tonium).[4] Für diese anhand von Protein-Sequenzen berechneten Schätzungen gibt es allerdings bislang kaum fossile Belege; publiziert wurden 2011 jedoch zumindest Hinweise auf eukaryote Organismen, die seinerzeit „in Süßwasser oder an der Erdoberfläche“ lebten.[5]

Wirbeltiere

Möglicher Formenwandel beim Landgang (von unten nach oben):
Eusthenopteron, Panderichthys, Tiktaalik, Acanthostega, Ichthyostega, Pederpes)

Durch Fossilien gut abgesichert ist hingegen der Landgang der Wirbeltiere (Tetrapoden) während des Devon,[6][7][8] also der evolutionäre Übergang von süßwasserlebenden Knochenfischen zu den Vorformen der heutigen Amphibien. Hier kann der Formenwandel (die Phylogenese) u. a. von Tieren ähnlich Gogonasus über Arten, die Eusthenopteron, Panderichthys, Elginerpeton, Metaxygnathus, Tiktaalik und Ventastega ähnelten, zu den frühen Tetrapoden Acanthostega und Ichthyostega anhand gut erhaltener Fundstücke als sehr plausibel gelten.[9] Unklar ist aber bisher, in welchem Abschnitt des Devons dieser Landgang erfolgte; die ältesten Fossilien sind nämlich rund 18 Millionen Jahre jünger als die ältesten, einem tetrapoden Lebewesen zugeschriebenen fossilen Fußspuren, die auf ein Alter von 397 Millionen Jahre datiert wurden.[10] Als Epoche des Landgangs der Tetrapoden wurde im Jahr 2010 in Nature die Zeitspanne vor 416 bis 359 Millionen Jahren benannt.[11] Möglicherweise war die Landbesiedelung durch Wirbeltiere die mittelbare Folge eines Massenaussterbens vor 360 Millionen Jahre: Die überlebenden Arten besiedelten neue Biotope, darunter auch das Festland.[12]

Welche Veränderungen im Erbgut zum Beispiel den „Umbau“ von Flossen in Füße ermöglichten, ist weitgehend ungeklärt; jedoch scheinen Gene aus der Gruppe der 5'Hoxd-Gruppe – insbesondere Hoxd13 – daran beteiligt gewesen zu sein.[13][14]

Gliederfüßer

Verschiedene Unterstämme der Gliederfüßer haben wohl mehrmals evolutionär parallel den „Schritt“ vom Wasser zum Land vollzogen, sowohl von marinen wie von süßwasserbewohnenden Formen aus (siehe auch analoge Entwicklungen). Dabei mag der feuchte Ufergrund für grabend-wühlende Formen ein geeignetes Übergangsfeld dargestellt haben.[15]

Literatur

  • Gregory J. Retallack: Woodland Hypothesis for Devonian Tetrapod Evolution. In: The Journal of Geology, Band 119, Nr. 3, 2011, S. 235–258, doi:10.1086/659144, Volltext (PDF)

Siehe auch

  • Stammesgeschichte der Pflanzen
  • Telomtheorie
  • Palichnologie

Einzelnachweise

  1. Timothy M. Lenton et al.: First plants cooled the Ordovician. In: Nature Geoscience. Band 5, 2012, S. 86–89, doi:10.1038/ngeo1390
  2. L. Paul Knauth: Not all at sea. In: Shuhai Xiao, L. Paul Knauth: Forum Palaeontology: Fossils come in to land. In: Nature. Band 493, Nr. 7430, 2013, S. 28–29, doi:10.1038/nature11765
  3. Gregory J. Retallack: Ediacaran life on land. In: Nature. Band 493, Nr. 7430, 2013, S. 89–92, doi:10.1038/nature11777
  4. Daniel S. Heckmann et al.: Molecular Evidence of the Early Colonization of Land by Fungi and Plants. In: Science. Band 293, Nr. 5532, 2001, S. 1129–1133, doi:10.1126/science.1061457
  5. Paul K. Strother et al.: Earth’s earliest non-marine eukaryotes. In: Nature. Band 473, 2011, S. 505–509, doi:10.1038/nature09943
  6. Till Biskup: Stammesgeschichte der Wirbeltiere I: Fische und Amphibien. Dump vom 11. Dezember 2012, PDF
  7. Universum Bremen: Mythen und Evolution. Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer mit Arbeitsmaterialien. Dump vom 11. Dezember 2012, PDF
  8. Matthias Glaubrecht: Wie Amphibien einst ans Land gingen. In: Die Welt vom 27. Juni 1997, Dump vom 11. Dezember 2012
  9. Donald Prothero: What missing link? Reports of huge gaps in the fossil record have been greatly exaggerated. In: New Scientist. Nr. 2645 vom 1. März 2008, S. 35–41. ISSN 0262-4079, Kurzfassung, doi:10.1016/S0262-4079(08)60548-5
  10. Grzegorz Niedźwiedzki et al.: Tetrapod trackways from the early Middle Devonian period of Poland. In: Nature. Band 463, 2010, S. 43–48, doi:10.1038/nature08623
  11. Philippe Janvier, Gaël Clément: Palaeontology: Muddy tetrapod origins. In: Nature. Band 463, 2010, S. 40–41, doi:10.1038/463040a
  12. Lauren Cole Sallan, Michael I. Coates: End-Devonian extinction and a bottleneck in the early evolution of modern jawed vertebrates. In: PNAS. Band 107, Nr. 22, 2010, S. 10131–10135, doi:10.1073/pnas.0914000107
  13. Renata Freitas et al.: Hoxd13 Contribution to the Evolution of Vertebrate Appendages. In: Developmental Cell. Band 23, Nr. 6, 2012, S. 1219–1229, doi:10.1016/j.devcel.2012.10.015
  14. From Fish to Human: Research Reveals How Fins Became Legs. (mit einer Abbildung aus Freitas et al., Hoxd13 Contribution to the Evolution of Vertebrate Appendages.)
  15. M. G. Villani et al.: Adaptive strategies of edaphic arthropods. In: Annual Review of Entomology. Band 44, 1999, S. 233–256 doi:10.1146/annurev.ento.44.1.233