Zyklon B

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Dieser Artikel behandelt das von den Nationalsozialisten zum Massenmord eingesetzte Schädlingsbekämpfungsmittel. Zu anderen Bedeutungen siehe Zyklon B (Begriffsklärung).
Substrat: „Erco-Würfel“
Blechdose: Zyklon B

Zyklon B war die Bezeichnung für ein Schädlingsbekämpfungsmittel mit dem Wirkstoff Blausäure (chemisch Cyanwasserstoff, Summenformel HCN). Zwischen 1942 und 1944 wurde es im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau in großem Umfang zum Massenmord benutzt; teilweise wurden auch in einigen anderen Konzentrationslagern Häftlinge damit ermordet. Die Bezeichnung für das Gift ist zu einem der Synonyme für die Technik und Systematik des Holocaust geworden.

Produkt

Zyklon B bestand aus Zellstoffscheiben, die wie kleine Bierdeckel aussahen, oder Pellets (erbsengroße gipshaltige sogenannte Erco-Würfel) als Trägermaterial, das mit Blausäure sowie dem Riechstoff Bromessigsäureethylester (als Warnfaktor) getränkt war und aus dem die Blausäure langsam und kontrolliert austrat. Vor 1938 wurde die Blausäure für eine sicherere Handhabung auch in Kieselgur gebunden, Phosgen und ähnliche brom- oder chlorhaltige Derivate der Ameisensäure sowie als Warnkomponente Chlorgas zugesetzt.[1] Die Warnstoffe wurden als bereits in geringster Konzentration wahrnehmbare Komponente, als sogenannter Reizstoff zur Verhinderung von Unfällen zugefügt.[2] Als Stabilisatoren wurden Oxalsäure und Methylchlorformiat zugegeben; die Haltbarkeit wurde für die Dauer von drei Monaten nach Auslieferung garantiert. In der Praxis konnte Zyklon B wesentlich länger gelagert werden, wenn die Dosen vor Feuchtigkeit und Durchrosten geschützt wurden.[3] Um dem Überdruck von 0,25 bis 1 Bar innerhalb der Dosen widerstehen zu können, waren diese aus 0,4 mm starkem Blech gefertigt und druckfest bis mindestens 6 Bar. Die verschlossenen Dosen wurden im Werk geprüft und dazu auf 60 °C erhitzt.

Ausgeliefert wurde Zyklon B in luftdichten Blechdosen in den Größen 200 g, 500 g, 1000 g, 1200 g und 1500 g. Das Produkt wurde als Verkaufsmarke Zyklon ohne zusätzlichen Buchstaben auf dem Etikett vertrieben. Die Zusatzbezeichnungen A, B und C dienten fabrikintern als Kennzeichnung für unterschiedliche Verfahren, Reizstoffzusätze und Zusammensetzungen. Zyklon C enthielt den Zusatzstoff Chlorpikrin, der Uniformknöpfe, Metallschnallen usw. angriff und daher zur Entwesung von Kleidern ungeeignet war. Eine Sonderform war das Präparat ohne jeden Warnstoff; dies war auf dem Etikett mit der Bezeichnung „Vorsicht, ohne Warnstoff“ vermerkt. Es wurde zur Behandlung von Lebensmitteln und anderen anfälligen Stoffen eingesetzt. Formulare und Rechnungen, die die von der Vertriebsfirma Testa beauftragten Fachleute für von ihnen ausgeführte Begasungen ausstellten, enthielten zeitweilig Spalten mit fortlaufenden Buchstaben C, D, E und F, durch die offiziell eine bestimmte Konzentrationsangabe im Begasungsbericht dokumentiert wurde.[4]

Zyklon B wurde entwickelt, um den Umgang mit Blausäure sicher zu machen. Das Zellgift Blausäure ist wegen seines niedrigen Siedepunktes von 25,7 °C insbesondere in flüssiger Form gefährlich zu handhaben. Auch bei Raumtemperatur hat Blausäure einen hohen Dampfdruck und ist dementsprechend leicht flüchtig. Des Weiteren bildet Blausäure mit Luft in Konzentrationen über 5,6 % explosionsfähige Gemische. Durch die langsamere Ausgasung wird beim Einsatz von Zyklon B der schlagartige Aufbau hoher (explosionsgefährlicher) Konzentrationen weitgehend verhindert. Für die Schädlingsbekämpfung in Schiffen und Silos sind deutlich geringere Konzentrationen ausreichend, in der Praxis verwendet man Konzentrationen von ca. 0,03 %.[5] Problemlos transportierbar ist Zyklon B durch die Bindung an ein Substrat (Erco-Würfel, Discoids), die Stabilisierung durch chemische Zusätze und durch die Verpackung.

Beim Einsatz von Zyklon B sind Unfälle extrem selten. Unfälle wie Explosionen und Vergiftungen mit Blausäure gehen oft auf andere Produkte wie z. B. Zyankali, flüssige Blausäure oder Chemieunfälle zurück. Beim Einsatz von Zyklon B bei der Wehrmacht und bei der bestimmungsgemäßen Verwendung zur Sachentwesung in den Konzentrationslagern ist nur ein Unfall bekannt. Da in dieser Zeit mehrere hundert Tonnen Zyklon B verwendet wurden, war es für die Anwender offensichtlich sehr sicher in der Handhabung.

Hersteller

Informations- und Mahnpunkt Zyklon B an der ehemaligen Zucker-Raffinerie in Dessau

Die Erfindung des Verfahrens zur Absorption von Blausäure in Kieselgur ermöglichte es, ein effizientes und handhabungssicheres Schädlingsbekämpfungsmittel herzustellen. Dieses Verfahren wurde am 20. Juni 1922 von der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH (kurz Degesch) unter der Nummer DE 438818 zum Patent angemeldet und am 27. Dezember 1926 vom Reichspatentamt erteilt. Als Erfinder wurde Walter Heerdt angegeben.[6]

Der Wirkstoff wurde von den Dessauer Werken für Zucker-Raffinerie GmbH und ab 1935 auch bei der Kaliwerke AG im tschechischen Kolín im Auftrag der Degesch hergestellt, einer Tochtergesellschaft der Degussa, des I.G. Farben-Konzerns und von Th. Goldschmidt. Zyklon B wurde über die Handelsunternehmen Tesch & Stabenow (Testa) und Heerdt Lingler (HeLi) vertrieben.

Die Geschäftsberichte der Degesch weisen für den Zeitraum von 1938 bis 1943 jährliche Produktionsmengen zwischen 160 Tonnen und 411 Tonnen aus.[7] Für Rüstungsaufträge wurde 1943 der Preis je kg auf 4,55 Reichsmark gesenkt.[8] Die Dessauer Werke wurden im März 1944 bombardiert und dabei schwer beschädigt, so dass die gesamte Jahresproduktion auf 231 Tonnen sank. Am 7. März 1945 wurden die Dessauer Werke und das Lager bei Luftangriffen völlig zerstört.

In der DDR wurde von 1952 bis 1969 Zyklon B als Entwesungsmittel durch die VEB Gärungschemie Dessau, den Nachfolgebetrieb der Dessauer Werke für Zucker-Raffinerie GmbH, weiter hergestellt und unter dem Namen Cyanol vertrieben. Neben dem Standort der ehemaligen Produktionsanlage wurde an der Brauereibrücke in Dessau-Roßlau am 27. Januar 2005 anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslager Auschwitz ein Informations- und Mahnpunkt eröffnet.[9] Nach 1969 wurde Zyklon B in Schwedt hergestellt.

In der Bundesrepublik wurde es nach 1945 unter dem Namen Cyanosil und Zedesa Blausäure im Inland und unter dem Namen Zyklon im Ausland vertrieben. Hersteller war die Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH, die Detia Freyberg GmbH und die Desinsekta GmbH.[10] Die Produktion von Zyklon B wurde unter geändertem Markennamen als Uragan D2 auch in Tschechien (Lučební závody Draslovka, a. s.[11], Kolín) fortgeführt.

Verwendung in der Industrie

Zyklon B wurde hauptsächlich für die Durchgasung von Schiffen, Kühlhäusern und Getreidemühlen sowie die Entwesung von Massenunterkünften und die Entlausung von Bekleidung eingesetzt. Nach 1939 stieg der Bedarf durch den Einsatz bei der Wehrmacht und in Lagerunterkünften von Zwangs- und Fremdarbeitern steil an.

Verwendung in Konzentrationslagern

Im KZ Auschwitz-Birkenau wurde Zyklon B vom Frühjahr 1942 an verwendet, um Lagerinsassen massenhaft in Gaskammern zu ermorden. Erste Versuche dazu hatten schon Ende 1941 im KZ Auschwitz I (Stammlager) stattgefunden. Es wird „nicht ausgeschlossen“, dass unabhängig davon schon Ende 1939 im Fort VII in Posen Zyklon B zur Ermordung verwendet wurde.[12]

In weitaus geringerem Maße wurde Zyklon B auch in den Lagern KZ Majdanek, KZ Mauthausen, KZ Sachsenhausen, KZ Ravensbrück, KZ Stutthof und KZ Neuengamme zu Tötungszwecken benutzt. In den meisten Vernichtungslagern wurden Motorabgase, manchmal auch reines Kohlenstoffmonoxid verwendet.

Zyklon B-Etikett

Im KZ Dachau wurde zwar eine Gaskammer zur Vergasung von Menschen durch Zyklon B errichtet, jedoch nicht in Gebrauch genommen.

Jean-Claude Pressac recherchierte von 1979 bis 1985 detailliert die Verwendung von Zyklon B im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dabei stellte er fest:

  • Zyklon B wurde von der Wehrmacht und in den Konzentrationslagern in erheblichen Mengen zur Vernichtung ("Entwesung") von Kleiderläusen benötigt.
  • Der weitaus größte Teil des Zyklon B, das nach Auschwitz gelangte, wurde tatsächlich auch dort bestimmungsgemäß zur Entwesung eingesetzt, um Läuse als Überträger von Seuchen abzutöten.
  • Eine prozentual geringe Menge des gelieferten Zyklon B reichte jedoch aus, um den Massenmord an Menschen durchzuführen: Auf warmblütige Lebewesen wirkt Blausäure schon in geringer Dosis tödlich (1/22 der Dosis für Wirbellose). Im Prozess gegen den Geschäftsführer der Degesch wurde berechnet, dass vier Kilogramm Zyklon B zur Vergasung von eintausend Menschen ausreichten.[13]

Durch kriegsbedingten Mangel wurde der Anteil des Warn- und Reizstoffes im Zyklon B herabgesetzt; ab Juni 1944 entfiel der Zusatz gänzlich.[14] Bereits ab Juni 1943 gab es Lieferungen von Zyklon B ohne Warnstoff nach Auschwitz. Laut Urteilsbegründung im Prozess gegen den Geschäftsführer der Degesch/HeLi gilt es als erwiesen, dass diese Sonderform dort zur Tötung von Menschen Verwendung fand.[15]

Strafrechtliche Verfolgung

Bei der Beschaffung im Konzentrationslager Auschwitz war SS-Obersturmführer Robert Mulka tätig, der auch Opfer in die Gaskammern führte und unter anderem deswegen beim Frankfurter Auschwitz-Prozess verurteilt wurde. Auch die Verantwortlichen der Lieferfirmen Degesch/HeLi und Testa standen vor Gericht. Bruno Tesch und sein Geschäftsführer wurden von der britischen Militärjustiz im Testa-Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet. Gerhard Peters von der Degesch wurde zunächst zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, nach teilweiser Verbüßung jedoch im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen.

Literatur

  • Gerhard Peters: Blausäure zur Schädlingsbekämpfung. Verlag Ferdinand Enke, Stuttgart 1933.
  • Jean-Claude Pressac: Auschwitz. Technique and operation of the Gas Chambers. (Beate Klarsfeld Foundation) New York 1989 – online.
  • Jean-Claude Pressac: Die Krematorien von Auschwitz: Die Technik des Massenmordes. Piper Verlag, Neuauflage München 1995, ISBN 3-492-12193-4.
  • Jürgen Kalthoff, Martin Werner: Die Händler des Zyklon B. Tesch & Stabenow. Eine Firmengeschichte zwischen Hamburg und Auschwitz. Hamburg 1998, ISBN 3-87975-713-5.
  • Jörg Friedrich: Die kalte Amnestie. NS-Täter in der Bundesrepublik. Fischer TB 4308; Frankfurt/Main 1984, ISBN 3-596-24308-4.

Weblinks

 Commons: Zyklon B – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. G. Fromme: Centralblatt für das gesamte Forstwesen, 1929, Forstliche Bundesversuchsanstalt Mariabrunn, S. 3, V.55–56.
  2. J. Meyer: Der Gaskampf und die chemischen Kampfstoffe, 1926, S. 399.
  3. Jürgen Kalthoff, Martin Werner: Die Händler des Zyklon B. Tesch & Stabenow. Eine Firmengeschichte zwischen Hamburg und Auschwitz. Hamburg 1998, ISBN 3-87975-713-5, S. 127.
  4. So bei Kalthoff/Werner: Die Händler des Zyklon B. Tesch & Stabenow. Eine Firmengeschichte zwischen Hamburg und Auschwitz. Hamburg 1998, ISBN 3-87975-713-5, S. 241. Abweichend davon Raul Hilberg: Die Vernichtung der europäischen Juden Bd. 2, Frankfurt Fischer Verlag, 1994, S. 952.
  5. Ergebnisse der Forschungsgruppe Zyklon B / Dessau
  6. Patent DE438818: Verfahren zur Schädlingsbekämpfung. Angemeldet am 20. Juni 1922, veröffentlicht am 27. Dezember 1926, Anmelder: Degesch, Erfinder: Walter Heerdt.
  7. Kalthoff/Werner: Die Händler des Zyklon B. Tesch & Stabenow. Eine Firmengeschichte zwischen Hamburg und Auschwitz. Hamburg 1998, ISBN 3-87975-713-5, S. 120, 126, 151, 218.
  8. Kalthoff/Werner: Die Händler des Zyklon B. Tesch & Stabenow. Eine Firmengeschichte zwischen Hamburg und Auschwitz. Hamburg 1998, ISBN 3-87975-713-5, S. 124.
  9. Holger Beisitzer: Zyklon-B.info
  10. Bundesinstitut BgVV (2000) Zugriff am 7. März 2007
  11. Website des Herstellers Lučební závody Draslovka a. s.
  12. Michael Alberti: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939-1945. Wiesbaden 2006, ISBN 3-447-05167-1, S. 326.
  13. Jörg Friedrich: Die kalte Amnestie. Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-596-24308-4, S. 207.
  14. Kalthoff/Werner: Die Händler des Zyklon B. S. 180.
  15. Justiz und NS-Verbrechen, Nr. 415: Die Urteile gegen die Lieferanten des Zyklon-B

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