Voigtsche Notation

Voigtsche Notation

Die Voigtsche Notation, benannt nach dem Physiker Woldemar Voigt, ist eine abkürzende Schreibweise für Tensoren. Ausgehend von der Indexnotation von Tensoren werden dabei jeweils 2 Indizes nach einer bestimmten Vorschrift zu einem Index "zusammengezogen".

Beispiel: Die Komponenten eines symmetrischen Tensors zweiter Stufe (z. B. Spannungstensor) werden normalerweise als 3x3-Matrix mit 9 Komponenten dargestellt. Der Tensor hat wegen seiner Symmetrie aber nur 6 Bestimmungsstücke zuzüglich 3 Gleichungen, die die Symmetrie beschreiben. Definiert man nun eine "Zusammenziehung" wie folgt

σij=[σ11σ12σ13σ22σ23symσ33][σ11σ22σ33σ23σ13σ12]=:[σ1vσ2vσ3vσ4vσ5vσ6v]=σαv

dann lässt sich der Tensor auf diese Art als "Vektor" σv schreiben. Diese "Vektor"-Schreibweise ist die Voigtsche Notation des Tensors.

Voigtsche Notation für Tensoren 4. Stufe

Wenn die Komponenten eines Tensors 4. Stufe im vorderen und im hinteren Indexpaar jeweils symmetrisch sind, lässt sich das vordere und das hintere Indexpaar mit derselben Index-"Zusammenziehung" behandeln wie bei einem Tensor 2. Stufe. Die 81 (3x3 x 3x3) Komponenten lassen sich dann in einer 6x6-Matrix anordnen. Der Index, der aus dem vorderen Indexpaar entstanden ist, wird dabei der erste Index der 6x6-Matrix.

Cijkl[C1111C1122C1133C1123C1113C1112C2211C2222C2233C2223C2213C2212C3311C3322C3333C3323C3313C3312C2311C2322C2333C2323C2313C2312C1311C1322C1333C1323C1313C1312C1211C1222C1233C1223C1213C1212]=:[C11vC12vC13vC14vC15vC16vC21vC22vC23vC24vC25vC26vC31vC32vC33vC34vC35vC36vC41vC42vC43vC44vC45vC46vC51vC52vC53vC54vC55vC56vC61vC62vC63vC64vC65vC66v]=Cαβv

Voigtsche Notation in der Elastizitätstheorie

Voigtsche Notation des Verzerrungstensors

Für den Verzerrungstensor wird üblicherweise eine etwas andere "Zusammenziehung" verwendet, nämlich

εij=[ε11ε12ε13ε22ε23symε33][ε11ε22ε332ε232ε132ε12]=:[ε1vε2vε3vε4vε5vε6v]=εαv

Der Zusätzliche Faktor 2 bei den letzten 3 Komponenten sorgt dafür, dass das Skalarprodukt aus Spannung in Dehnung in der Voigtsche Notation gleich dem inneren Tensorprodukt in der Tensorschreibweise ist. Diese Produkt hat wegen des Zusammenhangs mit der elastisch gespeicherten Energie F eine besondere Bedeutung.

σvεv=σ:ε=2F

Dieser einfache Zusammenhang für das Skalarprodukt gilt allerdings nur für Spannung mal Dehnung, nicht für andere Skalarprodukte wie das Quadrat der Spannung oder der Dehnung, und damit auch nicht für die übliche Norm.

Materialgesetz

Das Materialgesetz in der linearen Elastizitätstheorie ist eine lineare Abbildung zwischen Dehnung und Spannung. In der Tensorschreibweise ist dies ein Tensor 4. Stufe, der die Tensoren 2. Stufe verknüpft.

σij=Cijklεkl

Hierbei wird die Einsteinsche Summenkonvention verwendet. Eine dieser 9 Gleichungen lautet beispielsweise

σ23=C23klεkl=C2311ε11+C2312ε12+C2313ε13+C2321ε21+C2322ε22+C2323ε23+C2331ε31+C2332ε32+C2333ε33

In der Voigtschen Notation ist die entsprechende Abbildung eine 6x6 Matrix.

σαv=Cαβvεβv[σ1vσ2vσ3vσ4vσ5vσ6v]=[C11vC12vC13vC14vC15vC16vC21vC22vC23vC24vC25vC26vC31vC32vC33vC34vC35vC36vC41vC42vC43vC44vC45vC46vC51vC52vC53vC54vC55vC56vC61vC62vC63vC64vC65vC66v][ε1vε2vε3vε4vε5vε6v]

Aus der Forderung der Äquivalenz der beiden Schreibweisen ergibt sich der Zusammenhang für die Komponenten:

[C1111C1122C1133C1123C1113C1112C2211C2222C2233C2223C2213C2212C3311C3322C3333C3323C3313C3312C2311C2322C2333C2323C2313C2312C1311C1322C1333C1323C1313C1312C1211C1222C1233C1223C1213C1212]=[C11vC12vC13vC14vC15vC16vC21vC22vC23vC24vC25vC26vC31vC32vC33vC34vC35vC36vC41vC42vC43vC44vC45vC46vC51vC52vC53vC54vC55vC56vC61vC62vC63vC64vC65vC66v]=Cαβv

Für die Schreibweise mit 4 Indices wird Symmetrie in den ersten und letzten beiden Indices vorausgesetzt, also Cijkl=Cijlk=Cjikl. Dies ist wegen der Symmetrie der Tensoren für Dehnung und Spannung ohne Einschränkung der Allgemeinheit möglich und üblich. Wegen der Existenz eines Potentials ist Cv symmetrisch und für die Tensorschreibweise gilt äquivalent, dass Cijkl=Cklij, ist.

Vorteile, Nachteile, Warnungen

Vorteile

  • Die Voigt-Notation ist deutlich kompakter als die vollständige Tensornotation.
  • Man erkennt, dass ein lineares Materialgesetz (für das die Symmetrien von C gelten) im allgemeinen 21 unabhängige Werte (Material-Konstanten) enthält. Wenn C noch weitere Bedingungen/Symmetrien erfüllt, reduziert sich die Anzahl der Konstanten weiter.
  • Die Voigtsche Steifigkeitsmatrix lässt sich leicht invertieren.

Nachteile/Warnungen

  • Es sind auch andere "Zusammenziehungsvorschriften" gebräuchlich, z. B. könnte auch sein: ε4v:=1ε12, was auch Auswirkungen auf σv und Cv hätte.
  • σv oder εv sind keine (weder ko- noch kontravariante) Vektoren. Sie transformieren sich bei Koordinatenwechsel also auch nicht wie Vektoren. Dasselbe gilt für Objekte in Voigt-Notation, die mehrere Indizes haben.
  • Würde man z. B. die "Vektoren" in Voigt-Notation als Vektoren auffassen und auf dem zugehörigen Vektorraum Vv eine Norm wie üblich definieren, dann müsste man feststellen, dass im Allgemeinen gilt
σvVvσV3×3
wobei rechts die übliche Norm auf dem Vektorraum der 3x3-Matrizen gemeint ist.
  • In vielen Quellen wird nur eine der zwei Schreibweisen verwendet: Entweder die Voigtsche Notation oder die länglichere Tensornotation, bei der C vier Indizes hat. Autoren, die die Voigtsche Notation verwenden, verzichten teilweise auf die Bezeichnung der Voigtschen Symbole durch ein hochgestelltes v oder durch eine andere Kennzeichnung. Sie verwenden also z. B. das Symbol σ, wenn sie den Voigtschen Spannungsvektor meinen.

Äquivalenz der Schreibweisen

Die Voigtsche Notation ist äquivalent zur ausführlichen Indexnotation für Tensoren. Genauer gesagt gilt

σαv:=εαv:=Cαβv:=σαv=CαβvεβvCαβv=Cβαv}{σij=Cijklεklσij=σjiCijkl=Cjikllässt sich o.B.d.A. fordernF:=12εijCijklεklσmn=FεmnCijkl=Cklijεij=εji

F ist hierbei die Freie Energie, siehe hierzu z. B. doi:10.1007/b93853.

Man kann die Äquivalenz beider Schreibweisen leicht zeigen. z. B. ist

σ23=C2311ε11+C2312ε12+C2313ε13+C2321ε21+C2322ε22+C2323ε23+C2331ε31+C2332ε32+C2333ε33=C2311ε11+(C2312+C2321)ε12+(C2313+C2331)ε13+(C2323+C2332)ε23+C2322ε22+C2333ε33=C2311ε11+2C2312ε12+2C2313ε13+2C2323ε23+C2322ε22+C2333ε33=C2311ε11+C2322ε22+C2333ε33+C23232ε23+C23132ε13+C23122ε12=C2311ε1v+C2322ε2v+C2333ε3v+C2323ε4v+C2313ε5v+C2312ε6v=C1123ε1v+C2223ε2v+C3323ε3v+C2323ε4v+C2313ε5v+C2312ε6v=C14vε1v+C23vε2v+C34vε3v+C44vε4v+C45vε5v+C46vε6v=σ4v

Nachgiebigkeit

Geht man anstelle von C von der Nachgiebigkeit S aus gemäß

εij=Sijklσkl

und fordert man dieselben Symmetrien für S, die zuvor für C gefordert wurden, so gelangt man zu folgender Darstellung der Nachgiebigkeit in Voigtscher Notation

εαv=Sαβvσβv[ε1vε2vε3vε4vε5vε6v]=[S1111S1122S11332S11232S11132S1112S2222S22332S22232S22132S2212S33332S33232S33132S33124S23234S23134S2312sym4S13134S13124S1212][σ1vσ2vσ3vσ4vσ5vσ6v]

Literatur

Woldemar Voigt: Lehrbuch der Kristallphysik : mit Ausschluß d. Kristalloptik. Teubner, Leipzig u.a. 1910.

J. F. Nye: Physical Properties of Crystals: Their Representation by Tensors and Matrices. Oxford University Press, 1985.

I. Müller, P. Strehlow: Rubber and Rubber Balloons, Paradigms of Thermodynamics. In: Lect. Notes Phys.. Nr. 637, 2004, doi:10.1007/b93853.