Morbus Pompe

Morbus Pompe

Klassifikation nach ICD-10
E74.0 Glykogenspeicherkrankheit
ICD-10 online (WHO-Version 2013)

Der Morbus Pompe, auch als Pompe'sche Krankheit oder als Saure-Maltase-Mangel bezeichnet, gehört zur Gruppe der Glykogenspeicherkrankheiten und wird als Typ II klassifiziert (siehe auch lysosomale Speicherkrankheit). Die seltene (1:40.000 bis 1:150.000 Geburten), erblich bedingte Stoffwechselkrankheit macht sich überwiegend in der Muskulatur bemerkbar und wird daher auch zu den Myopathien gezählt. In Deutschland sind gegenwärtig rund 100 bis 200 Menschen diagnostiziert, weltweit geht man von 5.000-10.000 Betroffenen aus.

Geschichte

Die Krankheit ist nach dem niederländischen Pathologen Joannes Cassianus Pompe (1901-1945) benannt, der 1932 erstmals die Symptome beschrieb.[1] Die Krankheit wurde 1954 von G.T. Cori als Glykogenspeicherkrankheit Typ II klassifiziert.[2] 1963 entdeckte H.G. Hers das Fehlen der lysosomalen α-Glucosidase als Ursache der Krankheit.[3] Die Erwachsenenform wurde erstmals 1969 von A.G. Engel beschrieben.[4] Bereits 1973 wurde ein Therapieversuch mit alpha-Glucosidase durchgeführt, die damals aus der Plazenta gewonnen wurde.[5]

Klinik und Verlauf

Die Erkrankung kann in allen Lebensaltern auftreten. Bei Säuglingen (infantiler Morbus Pompe) endet sie in der Regel im ersten Lebensjahr tödlich durch Herzversagen im Rahmen einer hypertrophen Kardiomegalie. Erste Symptome treten bei der infantilen Form mit etwa zwei Monaten auf, die Diagnose wird durchschnittlich mit fünf Monaten gestellt und der Tod tritt mit circa neun Monaten ein.

Der Verlauf bei jugendlichen (juveniler) und erwachsenen Patienten (adulter Morbus Pompe oder »late-onset«) ist uneinheitlich und nicht vorhersehbar. Beobachtete Symptome sind fortschreitende Muskelschwäche besonders der Atemmuskulatur (Zwerchfellschwäche) und rumpfnaher Skelettmuskulatur (Oberarm, Becken/Oberschenkel). Hierbei können sowohl milde als auch schwere Verläufe mit Notwendigkeit von Beatmung und Verlust der selbständigen Fortbewegung vorkommen. Es gibt ein kontinuierliches Krankheitsspektrum; definierte Krankheitsstadien gibt es nicht. Im Durchschnitt treten erste Beschwerden bei der adulten Form um das 28. Lebensjahr auf (laut anderer Berichte um das 36. Lebensjahr) und äußern sich in Schwierigkeiten beim Sport und beim Laufen. Die Diagnose wird durchschnittlich mit 36 Jahren gestellt, Notwendigkeit eines Rollstuhls mit 46 Jahren, Atemunterstützung mit 49 Jahren. Ein Zusammenhang zwischen respiratorischer und motorischer Funktion besteht nicht; sie sind von der Krankheitsdauer, nicht vom Alter abhängig. Ein früher Krankheitsbeginn deutet auf einen schlechteren Verlauf hin. Häufig wird Erschöpfung berichtet, zu Schmerzen gibt es widersprüchliche Daten. Die geistige Leistungsfähigkeit ist nicht beeinträchtigt. Der Tod tritt meist durch Atemversagen oder andere Lungenprobleme wie Pneumonie ein. Tod durch Ruptur eines zerebralen Aneurysmas wird gehäuft beschrieben; Ursache könnte eine Gefäßwandschwäche durch Glykogenablagerungen sein.

Ursache

Ursache ist ein genetischer Defekt des Enzyms α-1,4-Glucosidase (Saure Maltase), der entweder in einem völligen Fehlen oder einer verminderten Aktivität resultiert. In der Muskulatur unterbleibt dadurch der Abbau des Glykogen, einer Speicherform des Zuckers zu Glucose. Das Glykogen lagert sich in den Muskelzellen in den Lysosomen ab und zerstört diese und dann die Muskelzelle. Die Restaktiviät des Enzyms ist umgekehrt mit der Erkrankungsschwere korreliert. Beim infantilen Typ findet sich meist nur eine Enzymaktivität von <1 %, beim juvenilen Typ zwischen 1 und 10 % und beim adulten Typ bis zu 40 %.

Die Stoffwechselerkrankung wird autosomal-rezessiv vererbt, beide Geschlechter sind gleich häufig betroffen. Das Gen liegt auf Chromosom 17, Region q25.2-q25.3 und hat eine Länge von 28 kbp. Die Genetik der Erkrankung ist heterogen; bisher sind über 150 verschiedene Mutationen beschrieben worden[6], Betroffene sind compound-heterozygot[7]. Bei der infantilen Form liegen meist zwei schwere Mutationen und somit ein kompletter Enzymdefekt vor. Hier wurde in Geschwisteruntersuchungen eine hohe Übereinstimmung zwischen Genotyp und Erkrankungsverlauf gesehen.[8] Dagegen besteht bei der Erwachsenenform kein Zusammenhang zwischen dem Genotyp und dem Phänotyp.

Diagnostik

Die Diagnose wird durch eine Muskelbiopsie gestellt. Histologisch ist hier in der PAS-Färbung eine massive Glykogeneinlagerung in den Muskelfasern nachweisbar. Die Diagnose kann durch eine Messung der Enzymaktivität der sauren Maltase oder durch molekulargenetische Untersuchungen weiter erhärtet werden. Im Blut ist häufig (über 90 %) die CK sowie CKMB, LDH, GOT und GPT erhöht, im Urin das Glc4. Ein Test aus einem getrockeneten Blutstropfen ist in der Entwicklung, bisher jedoch nicht ausreichend zuverlässig. Es müssen zahlreiche Differentialdiagnosen ausgeschlossen werden.

Behandlung

Eine Heilung ist noch nicht möglich. Empfohlene palliative Therapieformen reichen von Diätempfehlungen über Atem- und Krankengymnastik und letztendlich auch Beatmung und künstliche Ernährung. Es gibt Hinweise auf einen Nutzen einer Kombination aus Ausdauertraining und proteinreicher Ernährung.[9]

Seit Frühjahr 2006 kann das fehlende Enzym als rekombinantes Protein aus CHO-Zellen künstlich zugeführt werden (Alglucosidase alfa, Handelsname: Myozyme). Das Medikament wird alle 14 Tage als Infusion verabreicht. Während bei Säuglingen gerade bei früher Gabe erstaunliche Erfolge gesehen wurden (Verbesserung von Entwicklung und Überleben), gibt es für ältere Kinder unterschiedliche Erfahrungen und für die mildere Erwachsenen-Form keinen überzeugenden Nachweis der Wirksamkeit.[10][11]

Diese Therapie ist mit jährlichen Medikamentenkosten zwischen 50.000 EUR (Säuglinge) und 500.000 EUR (Erwachsene) extrem teuer und ist lebenslang notwendig. Aus Experimenten mit Mäusen gibt es Hinweise, dass diese Enzymersatztherapie (ERT) das Glykogen aus schnellen Typ-II-Muskelfasern schlechter entfernt als aus langsamen Typ-I-Muskelfasern und Herzmuskelfasern.[12] Die Bedeutung dessen für die ERT beim Menschen ist noch unklar; es fällt jedoch auf, dass unter ERT sich Herzmuskelschäden gut bessern, während das Ansprechen der Skelettmuskeln variabel ist.[13] Das Medikament kann die Blut-Hirn-Schranke nicht überschreiten, also Erkrankungsprozesse im Gehirn nicht beeinflussen. Im Vergleich zu anderen Erkrankungen, die mit ERT behandelt werden können, braucht man beim Morbus Pompe sehr hohe Dosen des Enzyms.

Weitere Therapieansätze wie Gentherapie sind erst in frühen, tierexperimentellen Stadien. Bei Mäusen war der Gentransfer mit einem Adenovirus-Vektor erfolgreich. Die Knochenmarkstransplantation war bisher erfolglos. Ein neuer, aber noch nicht praxisreifer Ansatz ist die Behandlung mit pharmakologischen Chaperonen, also Stoffen, die die Rest-Aktivität der sauren Maltase verstärken.[14]

Betroffene Familien sollten sich genetisch beraten lassen. Es ist ein Wiederholungsrisiko von 25 % bei gesunden Eltern (die Gendefekt-Träger sind) zu befürchten.

Trivia

In dem Film „Ausnahmesituation“ mit Brendan Fraser und Harrison Ford wird die Geschichte einer Familie erzählt, in der zwei Kinder betroffen sind. Der Vater stellt sich der Bedrohung entgegen, indem er mit einem Forscher, der sich seinerseits um eine Lösung des Problems theoretisch erfolgreich auseinandergesetzt hat, eine wackelige Allianz eingeht, um ein Medikament gegen M. Pompe zur Marktreife zu bringen.

In der deutschen Serie In aller Freundschaft wird in der 2012 ausgestrahlten Folge 551 der Fall eines Morbus-Pompe-Kranken geschildert. Der betroffene Patient wird durch den Schauspieler Bernd Herzsprung dargestellt.

Einzelnachweise

  1. Pompe JC. Over idiopathische hypertrophie van het hart. Ned Tijdschr Geneeskd 1932; 76:304-11.
  2. Cori GT. Enzyme und Glykogenstruktur bei der Glykogenspeicherkrankheit. Z Kinderheilkd. 1954; 10:38-42. PMID 13236242
  3. Hers HG. alpha-Glucosidase deficiency in generalized glycogenstorage disease (Pompe's disease). Biochem J. 1963; 86:11-6. PMID 13954110
  4. Engel AG. Acid maltase deficiency of adult life. Trans Am Neurol Assoc. 1969; 94:250-2. PMID 4244774
  5. de Barsy T, Jacquemin P, van Hoof F, Hers HG. Enzyme replacement in Pompe disease: an attempt with purified human acid alpha-glucosidase. Birth Defects Orig Artic Ser. 1973; 9:184-90. PMID 4611528
  6. Liste genetischer Mutationen des Pompe Center
  7. Wokke JH, Ausems MG, van den Boogaard MJ et al. Genotype-phenotype correlation in adult-onset acid maltase deficiency. Ann Neurol. 1995; 38:450-4. PMID 7668832
  8. Smith WE, Sullivan-Saarela JA, Li JS et al. Sibling phenotype concordance in classical infantile Pompe disease. Am J Med Genet A. 2007; 143A:2493-501. PMID 17853454
  9. Slonim AE, Bulone L, Goldberg T et al. Modification of the natural history of adult-onset acid maltase deficiency by nutrition and exercise therapy. Muscle Nerve. 2007; 35:70-7. PMID 17022069
  10. Europäische Arzneimittelagentur (2006). Europäischer Öffentlicher Beurteilungsbericht (EPAR). Myozyme. Zugegriffen am 6. Dezember 2008.
  11. Kishnani PS, Corzo D, Leslie ND, et al.: Early treatment with alglucosidase alpha prolongs long-term survival of infants with Pompe disease. In: Pediatr. Res.. 66, Nr. 3, September 2009, S. 329–35. doi:10.1203/PDR.0b013e3181b24e94. PMID 19542901.
  12. Raben N, Fukuda T, Gilbert AL et al. Replacing acid alpha-glucosidase in Pompe disease: recombinant and transgenic enzymes are equipotent, but neither completely clears glycogen from type II muscle fibers. Mol Ther. 2005; 11:48-56. PMID 15585405
  13. Strothotte S, Strigl-Pill N, Grunert B, et al.: Enzyme replacement therapy with alglucosidase alfa in 44 patients with late-onset glycogen storage disease type 2: 12-month results of an observational clinical trial. In: J. Neurol.. 257, Nr. 1, Januar 2010, S. 91–7. doi:10.1007/s00415-009-5275-3. PMID 19649685.
  14. Parenti G, Zuppaldi A, Gabriela Pittis M et al. Pharmacological enhancement of mutated alpha-glucosidase activity in fibroblasts from patients with Pompe disease. Mol Ther. 2007; 15:508-14. PMID 17213836

Weblinks

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