Linear-elastische Bruchmechanik

Linear-elastische Bruchmechanik

Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. Hilf mit, ihn zu verbessern, und entferne anschließend diese Markierung.

Risse in einem Bauteil führen zu einer starken Überhöhung der Spannung in der Nähe der Rissfront. Theoretisch wird diese entsprechend dem Konzept der linear elastischen Bruchmechanik [LEBM] (Englisch: linear elastic fracture mechanics) an der Rissspitze sogar unendlich groß. Dies hieße aber nach den Regeln der klassischen Festigkeitslehre, dass selbst kleinste Risse zu einem Versagen des kompletten Bauteils führen würden. Aus diesem Grund wird eine andere Beanspruchungsgröße, der Spannungsintensitätsfaktor eingeführt. Dieser wird dann mit Werkstoffkennwerten, wie etwa der Risszähigkeit verglichen, um ein Aussage treffen zu können, ob es zu einem Bruch des Bauteils kommt, der Riss wächst oder es zu einem Rissstillstand kommt.

Annahmen

In realen Bauteilen kommt es auf Grund der Fließgrenze des Materials zu einem Abbau der Spannungen in Form der Ausbildung einer plastischen Zone an der Rissspitze. Solange diese Zone allerdings sehr klein ist gegenüber der Zone der Spannungsüberhöhung, kann mit den Annahmen der linear elastischen Bruchmechanik gearbeitet werden. Grenzwerte, bis wann mit diesen Vereinfachungen gearbeitet werden kann, liefern die entsprechenden ASTM-Normen.

Spannungsintensitätsfaktoren

Der Spannungsintensitätsfaktor beschreibt die Spannungsverteilung rund um die Rissspitze. K1 kann für gängige Geometrien (Probekörper, Bauteile) mittels Näherungsformeln oder FEM-Simulationen berechnet werden und sieht im allgemeinen wie folgt aus:

$ K_{1}=\sigma \cdot {\sqrt {\pi \cdot a}}\ \cdot Y_{1} $

wobei Spannung für die globale Spannung, a für die Risslänge und Y für eine von der Bauteilgeometrie bzw. Probekörpergeometrie abhängige Korrekturfunktion steht.

Arten der Rissbeanspruchung

Man unterscheidet in der Bruchmechanik zwischen drei grundlegenden Beanspruchungsarten (Moden), durch die ein Riss beansprucht werden kann:

  1. Mode I: Fasst alle Beanspruchungen zusammen, die ein Öffnen der Rissflanken bewirken. Dies sind in der Regel alle Belastungen, die normal zur Rissfront wirken. Beispiele hierfür wären ein unter Zug- oder Biegebelastung stehendes Bauteil, bei dem der Riss senkrecht zur Normalspannung verläuft.
  2. Mode II: Fasst alle Beanspruchungen zusammen, die eine entgegengesetzte Verschiebung der Rissflanken in Rissausbreitungsrichtung hervorrufen, meist durch eine Schubbelastung hervorgerufen.
  3. Mode III: Fasst alle Beanspruchungen zusammen, die eine Verschiebung der Rissflanken quer zur Rissausbreitungsrichtung bewirken. Diese Beanspruchungsart taucht z. B. in Wellen auf, die unter Torsionsbeanspruchung stehen und bei denen ein Riss senkrecht zur Wellenachse verläuft.

Treten alle drei Moden zusammen an einer Rissfront auf, spricht man von einer sogenannten Mixed-Mode-Beanspruchung. Mixed-Mode-Beanspruchungen können einerseits durch eine mehrachsige äußere Belastung des Bauteils hervorgerufen werden. Es kann sich aber auch bei einer einachsigen Belastung ein Mixed-Mode-Zustand an der Rissfront einstellen. Dies ist der Fall, wenn die Rissfront unter einem beliebigen, nicht orthogonalen Winkel zur Achse der Hauptnormalspannung steht.

Spannungsverteilung an der Rissspitze

Unter reiner Mode-I-Belastung gilt für die Spannungsverteilung an der Rissspitze, unter Verwendung von Polarkoordinaten $ r $ und $ \varphi $: $ \sigma _{x}={\frac {K_{I}}{\sqrt {2\pi \cdot r}}}\cdot \cos {\frac {\varphi }{2}}\cdot \left(1-\sin {\frac {\varphi }{2}}\cdot \sin {\frac {3\varphi }{2}}\right) $
$ \sigma _{y}={\frac {K_{I}}{\sqrt {2\pi \cdot r}}}\cdot \cos {\frac {\varphi }{2}}\cdot \left(1+\sin {\frac {\varphi }{2}}\cdot \sin {\frac {3\varphi }{2}}\right) $
$ \tau _{xy}={\frac {K_{I}}{\sqrt {2\pi \cdot r}}}\cdot \sin {\frac {\varphi }{2}}\cdot \cos {\frac {\varphi }{2}}\cdot \cos {\frac {3\varphi }{2}} $

Bruchkriterium

Nach dem K-Konzept tritt bei reiner Mode-I-Belastung instabiles Risswachstum ein, wenn die Beanspruchungsgröße, also im Bereich der LEBM, der Spannungsintensitätsfaktor KI einen kritischen Werkstoffkennwert, hier die kritische Risszähigkeit KIc, erreicht:

$ K_{I}=K_{Ic} $

Die Risszähigkeit wird für jeden Werkstoff anhand von speziellen bruchmechanischen Proben, meist CT-Proben bestimmt. Dadurch hat man dann die Möglichkeit, das Risswachstumsverhalten eines Werkstoffes mithilfe eines Probekörpers zu charakterisieren und dann auf das Bauteil zu übertragen. Dies ist möglich, da davon ausgegangen wird, dass bei gleich großem K1, unabhängig von der Bauteil- beziehungsweise Probekörpergeometrie, der Riss immer mit derselben Geschwindigkeit wächst. Überschreitet das am Bauteil anliegende K1 die kritische Risszähigkeit K1c eines Werkstoffs, so kommt es zu einem katastrophalen Versagen und das Bauteil bricht schlagartig.

Die LEBM gilt nur für spröde Werkstoffe. Versagt ein Werkstoff mindestens teilweise duktil, so muss ein Konzept der Fließbruchmechanik angewandt werden. Diese Konzepte können in der Regel auch Sprödbrüche beschreiben, sind jedoch meist erheblich aufwändiger als das simple K1-Konzept.

Auswertung

Üblicherweise erfolgt die Darstellung des Risswachstumsverhaltens durch Auftragung der Risswachstumsgeschwindigkeit, da/dN (Rissfortschritt pro Lastwechsel), über dem zyklischen Spannungsintensitätsfaktor, ΔK1, in einem doppelt-logarithmischen Diagramm. Meist sind dabei drei charakteristische Bereiche zu erkennen, die für Werkstoffvergleiche genutzt werden können (besseres Werkstoffverhalten liegt vor, wenn die Kurve nach rechts bzw. nach unten verschoben ist):

Literatur

  • H.A. Richard, M. Sander: Ermüdungsrisse: Erkennen, sicher beurteilen, vermeiden. 1.Aufl., Vieweg + Teubner, Wiesbaden, 2009, ISBN 978-3-8348-0292-7

Siehe auch