Endlager Morsleben

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Eingang des Endlagers für radioaktive Abfälle Morsleben

Das Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben (ERAM) wurde 1971 im ehemaligen Kali- und Steinsalzbergwerk Bartensleben (Landkreis Börde, Sachsen-Anhalt) eingerichtet. Heute wird die Schachtanlage von der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE) im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz betrieben.

Geschichte

Kalibergbau

Schacht Bartensleben 1957

Der Salzbergbau in dieser Region begann vor über einhundert Jahren. Das Abteufen des ersten Kalischachtes – Schacht Marie – begann 1897. Der Schacht Bartensleben wurde von 1910 bis 1912 abgeteuft. Das Grubengebäude der Schachtanlage Bartensleben ist mit der ehemals selbständigen Schachtanlage Marie an mehreren Stellen untertägig verbunden.

→ Hauptartikel Kali- und Steinsalzwerk Bartensleben

Waffenproduktion und KZ

Von Februar 1944 bis April 1945 mussten im Morslebener Salzstock Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge (ab August 1944: 2.500 deutsche, sowjetische, polnische und französische weibliche KZ-Häftlinge des KZ Ravensbrück) aus dem KZ Beendorf, einem Außenlager des KZ Neuengamme, arbeiten. Sie wurden in den unterirdischen Stollen in mehr als 400 Metern Tiefe zur Produktion von Bauteilen für das Strahlflugzeug Me 262 sowie der Raketen V1 und V2 gezwungen. Die unterirdischen Schächte „Marie“ bei Beendorf und „Bartensleben“ bei Morsleben erhielten damals die Decknamen „Bulldogge“ und „Iltis“.[1]

→ Hauptartikel U-Verlagerung Bulldogge

Endlager für radioaktive Abfälle

Nach Einstellung der Salzförderung wurde das Salzbergwerk Bartensleben von der damaligen DDR-Regierung als Endlager für radioaktive Abfälle ausgewählt.

Ferner wurden in der Schachtanlage Marie unter Tage Hühner gehalten (den Tieren konnte durch geschicktes An- und Abschalten des Lichtes ein um etwa eine Stunde kürzerer Tag vorgetäuscht werden, wodurch diese schneller wuchsen) und Härtereialtsalze zwischengelagert, die Mitte der 1990er Jahre wieder ausgelagert wurden.

Historische Lore im Salzstock Morsleben in ca. 375 m Teufe

Genehmigungen in der DDR

1965 begann die Staatliche Zentrale für Strahlenschutz (SZS) der DDR (später: Staatliches Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS)) mit der Suche nach einem zentralen Endlagerstandort für alle Arten radioaktiver Abfälle der Republik. Im Verlauf des Auswahlverfahrens wurden zehn Standorte berücksichtigt. Drei davon kamen in die nähere Auswahl, darunter die Schächte „Bartensleben“ (Morsleben) und „Marie“ (Beendorf). Die Entscheidung für Morsleben als Standort des späteren „Zentralen Endlager Grube Bartensleben“ (ZEGB) fiel 1965. Wichtige Kriterien waren neben dem Endlagermedium Salz die Größe der verfügbaren Hohlräume und die baldige Nutzbarkeit des Bergwerks. Die Standort-Genehmigung wurde 1972/73 erteilt.

Die erste Teilgenehmigung für die rückholbare Einlagerung von 500 Kubikmetern radioaktiver Abfälle aus dem überfüllten zentralen Zwischenlager der DDR in Lohmen bei Dresden wurde 1971/72 ausgesprochen. Diese Einlagerungen begannen aufgrund ökonomischer Abwägungen noch vor den Umbau-Maßnahmen (Errichtungs-Genehmigung 1974) des Salzbergwerks zum Endlager. In den Folgejahren wurden kleinere Mengen radioaktiver Stoffe eingelagert, obwohl erst 1978/79 die Inbetriebnahme-Genehmigung erteilt wurde.

Die befristete Zustimmung zum Dauerbetrieb wurde am 20. Juni 1981 erteilt und am 22. April 1986 unbefristet ausgesprochen. Eine Stilllegungs-Genehmigung, in deren Rahmen erst der Nachweis der Langzeitsicherheit zu erbringen war, wurde nicht mehr erteilt. Ende der 1980er Jahre liefen die Vorbereitungen für eine weitere Genehmigungsphase, die auch die Einlagerung hochradioaktiver Stoffe ermöglichen sollte. Auch diese Genehmigung kam im Zuge der Vereinigung von DDR und BRD nicht mehr zustande.

Bezug zu Gorleben

Die Entscheidung des damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht (CDU), für den Standort eines bundesdeutschen Endlagers für radioaktive Abfälle bei Gorleben war eine offenbar politische Entscheidung im innerdeutschen Kalten Krieg. Da das DDR-Endlager Morsleben direkt an der niedersächsischen Grenze lag, glaubte man mit gleicher Münze mit dem Standort Gorleben zurückzahlen zu müssen. So erinnert sich der mit der Vorbereitung der Entscheidungen befasste Geologe Gerd Lüttig, der damals Vizepräsident des Niedersächsischen Amts für Bodenforschung war. [2] Das Motiv Albrechts für die Standortwahl war, so Lüttig, "die Ostzonalen richtig zu ärgern."[3]

Betrieb im vereinigten Deutschland

Die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) ignorierte in den 1990er Jahren Expertenwarnungen in Zusammenhang mit dem unsicheren Atommülllager Morsleben in Sachsen-Anhalt. Schon vor der Wiedervereinigung bezweifelten mehrere Gutachter die Standsicherheit der früheren Salzgrube.[4] Auch Mitarbeiter des Bundesamtes für Strahlenschutz und die Regierung von Sachsen-Anhalt hielten die Anlage schon in den 1990er Jahren nicht für geeignet, dauerhaft Atommüll zu lagern.

Merkel habe aber in einem Schreiben vom 8. Juni 1995 an das Landesumweltministerium versichert, es gebe „kein Sicherheitsdefizit“ und sich eine weitere Einmischung von Landesseite verbeten. Laut Spiegel soll Merkel am 9. September 1997 trotz Bedenken des Landes angeordnet haben, dass Atommüll-Fässer bis zu 1100 Kilogramm in die Grube eingebracht werden durften. Dem Bericht zufolge ließ Merkel erklären, sie habe sich „bei der Bewertung auf die Erkenntnisse der fachlich zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums und des Bundesamtes für Strahlenschutz gestützt“.

1998 versuchte die damalige Umweltministerin Angela Merkel eine Novelle des Atomgesetzes, die das DDR-Recht für das Endlager Morsleben bis 2005 hätte gelten lassen, um "die Grube aus "Kostengesichtspunkten" möglichst lange auf Basis des alten Rechts zu betreiben". Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg gab einer Klage des BUND gegen dieses Gesetz statt.[5]

Situation heute

Seit dem Stopp der Atommülllagerung in Morsleben 1998 wird das Lager aufwendig stabilisiert, weil es inzwischen als stark einsturzgefährdet gilt. Die Kosten für die Schließung der Grube werden auf 2,2 Milliarden Euro geschätzt.[4]

Einlagerungen

In der ersten Einlagerungsperiode von 1971 bis Februar 1991 wurden ca. 14.432 Kubikmeter schwach- bzw. mittelradioaktiver Abfall und 6.227 umschlossene Strahlenquellen mit einer Gesamtaktivität von etwa 290 TBq eingelagert. Der Müll stammte vorwiegend aus den Kernkraftwerken Greifswald und Rheinsberg sowie aus dem Rossendorfer Forschungsreaktor. Den Rest stellten vor allem Strahlenquellen und radioaktive Präparate aus der Radionuklid-Anwendung in Forschung, Medizin und Industrie dar. Die Abfälle setzen sich zu 40 % aus festen Abfällen, insbesondere Mischabfälle und verfestigte Verdampferkonzentrate, und zu fast 60 % aus flüssigen Stoffen, im Wesentlichen auch Verdampferkonzentrate, zusammen.

Im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung wurde das Endlager von der Bundesrepublik Deutschland übernommen. Die Zuständigkeit für den Weiterbetrieb wurde auf das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) übertragen. Die bis zu diesem Zeitpunkt unbefristete Genehmigung wurde im Einigungsvertrag auf den 30. Juni 2000 befristet. Die Nutzung des Endlagers wurde vor allem von Gerald Hennenhöfer vorangetrieben, dem damaligen Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz des Bundesumweltministeriums.[6] Im Zeitraum von 1994 bis 1998 wurden ungefähr 22.320 m³ radioaktiver Abfälle mit einer Gesamtaktivität von 0,08 TBq in Alphastrahlern und 91 TBq in Beta- und Gammastrahlern in Morsleben eingelagert. Der Müll stammte nun aus dem gesamten Bundesgebiet. Rund 88 % machten hierbei die Betriebsabfälle aus den stillgelegten AKW der DDR in Rheinsberg und Lubmin aus. 3 % des Abfalls stammt aus den Landessammelstellen und weitere 9 % von Forschungseinrichtungen und sonstigen ablieferungspflichtigen Stellen. Auch hier handelte es sich vor allem um Mischabfälle, Verdampferkonzentrate, Harze, hochdruckverpresste Abfälle und umschlossene Strahlenquellen.

Insgesamt wurden bis zur Beendigung des Einlagerungsbetriebs im Jahr 1998 (einschließlich des Zeitraums vor der Wiedervereinigung) mindestens 36.753 m³ niedrig- und mittelradioaktiver Abfälle in Morsleben eingelagert. Dazu kommen mindestens 6.621 (in anderen Quellen sind 6.892 angegeben) umschlossene Strahlenquellen. Die Gesamt-Strahlungsaktivität wird mit etwa 380 TBq angegeben.

Füllort im Schacht Morsleben in ca. 375 m Tiefe

Stilllegung

Der am 13. Oktober 1992 beim Umweltministerium des Landes Sachsen-Anhalt eingereichte Antrag auf Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens nach § 9 b AtG für den Weiterbetrieb über den 30. Juni 2000 hinaus wurde am 9. Mai 1997 auf die Stilllegung des Endlagers Morsleben beschränkt.

Am 17. April 2001 verzichtete das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) gegenüber der Planfeststellungsbehörde unwiderruflich auf die Ausnutzung derjenigen Regelungen der Dauerbetriebsgenehmigung, die eine Annahme weiterer radioaktiver Abfälle und deren Einlagerung im Endlager Morsleben gestatten.

Im September 2005 reichte das BfS die Auslegungsunterlagen, wie den Plan zur Stilllegung des ERAM und die Unterlagen zur Umweltverträglichkeitsprüfung bei der zuständigen Behörde des Landes Sachsen-Anhalt, dem Landwirtschafts- und Umweltministerium des Landes, ein. Die Öffentlichkeitsbeteiligung hierzu begann im Oktober 2009 und endete am 21. Dezember 2009. Ca. 12.000 Einwendungen, meist Sammeleinwendungen, wurden bis zu diesem Tag eingereicht. Am 13. Oktober 2011 beginnt die mündliche Erörterung der Einwendungen.[7]

Mit einem Planfeststellungsbeschluss ist 2014 zu rechnen, und bis dahin wird das Bergwerk im Offenhaltungsbetrieb geführt.

Kritik

Morsleben-Kritiker werfen dem Bundesamt für Strahlenschutz eine Verzögerungstaktik vor, da die Stilllegung seit Jahren nicht vorankommt. Anfang 2004 forderten die im Morsleben-Netzwerk zusammengeschlossenen Umweltschutzorganisationen die Veröffentlichung von Zwischenstandsberichten zu den aktuellen Stilllegungskonzepten des Bundesamtes. Dieses lehnte jedoch ab. Im Mai 2005 lehnte das BfS weitere Auskünfte zum ERAM und Befahrungsanträge für ein kritisches Forschungsprojekt ab, wodurch manche die unterstellte fragwürdige Morsleben-Politik des BfS bestätigt sehen.

Literatur

  • Falk Beyer: Die (DDR-)Geschichte des Atommüll-Endlagers Morsleben. Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2005. Erschienen als Nummer 36 der Publikations-Reihe "Sachbeiträge". (Gelistet im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek)
  •  Merkels Altlast. In: Der Spiegel. Nr. 43, 2008, S. 46–48 (20. Oktober 2008, online).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de
  2. Endlager Gorleben aus Expertensicht nur zweite Wahl, Interview des Deutschen Depeschendienstes mit dem Geologen Gert Lüttig, Abgerufen am 1. November 2009
  3. Anselm Tiggemann, Gorleben als Entsorgungs- und Endlagerstandort. Der niedersaechsische Auswahl- und Entscheidungsprozess (Hannover, 2010), 79.
  4. 4,0 4,1  Merkels Altlast. In: Der Spiegel. Nr. 43, 2008, S. 46–48 (20. Oktober 2008, online).
  5.  Fröhlingsdorf, Michael: Merkels Müll. In: Der Spiegel. Nr. 44, 2011 (18. März 2012, online).
  6. Atom-Lobbyist wird Chef der Abteilung für Reaktorsicherheit - Röttgen bekennt Farbe taz vom 2. Dezember 2009
  7. Pressemitteilung des Umweltministeriums von Sachsen-Anhalt zum Erörterungstermin


52.22392911.102167Koordinaten:

52° 13′ 26″ N, 11° 6′ 8″ O

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