Elastizitätstheorie

Elastizitätstheorie

Das Teilgebiet der Physik, das sich mit elastischen Verformungen befasst, wird Elastizitätstheorie genannt.

Spannungen und Deformationen

Bezeichnung der Normal- und Schubspannungen an einem 3-dimensionalen Materialvolumen

Mechanische Spannungen sind flächenbezogene Kräfte. Es sind Normalspannungen (σ) und Schubspannungen (τ) zu unterscheiden. Normalspannungen wirken senkrecht auf Ebenen, Schubspannungen wirken in der Ebene. Diese verschiedenen Spannungen werden im Spannungstensor zusammengefasst:

σ=[σ11τ12τ13τ21σ22τ23τ31τ32σ33]

Entsprechend werden die Deformationen im Verzerrungstensor zusammengefasst:

ε=[ε11γ12γ13γ21ε22γ23γ31γ32ε33]

An einem einfachen Radiergummi kann man erkennen, dass ein Ziehen entlang der x-Achse nicht nur eine Deformation in x-Richtung verursacht, sondern den Radiergummi auch seitlich dünner werden lässt (Querkontraktion), d. h., σ11 hängt auch linear mit den seitlichen Verschiebungen ε22 und ε33 zusammen. Will man nun das Hookesche Gesetz, dass kleine Auslenkungen lineare Rückstellkräfte bewirken (σ=Cε), im allgemeinen Fall schreiben, so erkennt man, dass es sich bei C eigentlich um einen Tensor vierter Stufe (mit 3×3×3×3=81 Komponenten) handelt und das Hooksche Gesetz als

σij=k=13l=13Cijklεkl

bzw. mit der Einsteinschen Summenkonvention als

σij=Cijklεkl

geschrieben werden müsste. Das lässt sich durch die Voigtsche Notation jedoch vereinfachen: sowohl σ als auch ε sind symmetrisch und haben also nur jeweils 6 unabhängige Komponenten, die man jeweils in einem Spaltenvektor zusammenfassen kann. Dadurch vereinfacht sich das Hookesche Gesetz zu:

[σ1σ2σ3τ23τ13τ12]=[C11C12C13C14C15C16C21C22C23C24C25C26C31C32C33C34C35C36C41C42C43C44C45C46C51C52C53C54C55C56C61C62C63C64C65C66][ε1ε2ε32γ232γ132γ12]

Der Elastizitätstensor C hat sich dadurch auf 36 Komponenten vereinfacht; da er darüber hinaus symmetrisch ist, hat er im allgemeinen Fall 21 Komponenten. Je nach Material und dessen Symmetrieeigenschaften können diese Komponenten weiter vereinfacht werden, wie unten deutlich wird.

Spezielle Elastizitätsgesetze

Vollständige Anisotropie

Hauptartikel: Anisotropie

Die vollständige (trikline) Anisotropie ist die allgemeinste Form eines Elastizitätsgesetzes. Sie zeichnet sich für den Ingenieur durch die folgenden Eigenschaften aus:

  • keine Symmetrieebenen im Material
  • 21 unabhängige Elastizitätskonstanten beschreiben das Gesetz
  • Elastizitätsmodul ist richtungsabhängig
  • alle Kopplungen vorhanden
  • Steifigkeitsmatrix ist voll besetzt

Viele Faser-Kunststoff-Verbundwerkstoffe sind anisotrop, unidirektionale Schicht außerhalb ihrer Hauptachsen. Ingenieure versuchen die aus vollständiger Anisotropie resultierenden Effekte zu nutzen.

Monokline Anisotropie

Die monokline Anisotropie hat für Konstruktionswerkstoffe wenig Bedeutung. Folgende Eigenschaften zeichnen die monokline Anisotropie aus:

  • 1 Symmetrieebene im Material
  • 13 unabhängige Elastizitätskonstanten beschreiben das Gesetz
  • Elastizitätsmodul ist richtungsabhängig
  • Kopplungen vorhanden

Rhombische Anisotropie (Orthotropie)

Hauptartikel: Orthotropie

Viele Konstruktionswerkstoffe sind orthotrop, z. B. technisches Holz, Gewebe, viele Faser-Kunststoff-Verbunde, Walzbleche mit Textur, usw. Die Orthotropie darf nicht mit der Anisotropie verwechselt werden. Der bloße richtungsabhängige Elastizitätsmodul ist noch kein Hinweis auf die Anisotropie. Die Orthotropie ist ein Sonderfall eines vollständig anisotropen Elastizitätsgesetzes. Die Orthotropie zeichnet sich durch die folgenden Eigenschaften aus:

  • 3 Symmetrieebenen im Material
  • 9 unabhängige Elastizitätskonstanten beschreiben das Gesetz
  • Elastizitätsmodul ist richtungsabhängig
  • keine Dehnungs-Schiebungs-Kopplung vorhanden

Orthotrope Werkstoffe machen also keine Schubverzerrung, wenn sie gedehnt werden. Dies macht sie für den Konstrukteur leicht handhabbar. Daher wird in der Faserverbundtechnik gezielt mit orthotropen Schichten wie dem ausgeglichenen Winkelverbund gearbeitet. Schichtholz wird so aufgebaut, dass es orthotrope Eigenschaften besitzt.

C1=[1E1ν21E2ν31E3000ν12E11E2ν32E3000ν13E1ν23E21E30000001G230000001G310000001G21]

Anmerkung: Die Matrix C und damit auch ihr Inverses sind symmetrisch. Im Allgemeinen nicht symmetrisch sind hingegen die in der Darstellung verwendeten Konstanten νij, für die ν12=E1E2ν21, ν13=E1E3ν31 und ν23=E2E3ν32 gilt.

Transversale Isotropie

Hauptartikel: Transversale Isotropie

Die transversale Isotropie zeichnet sich dadurch aus, dass das Elastizitätsgesetz um eine Achse gedreht werden kann, ohne dass es sich ändert. Es ist also gegenüber der Drehung invariant. Ein Beispiel für ein transversal isotropes Material ist ein Rundholz oder eine unidirektionale Schicht. Die elastischen Eigenschaften des Rundholzes ändern sich nicht, wenn man es um seine Längsachse dreht. Dennoch besitzt das Holz unterschiedliche Moduln längs und quer zur Faser. Die transversale Isotropie wird durch die folgenden Eigenschaften charakterisiert:

  • 3 Symmetrieebenen im Material
  • 5 unabhängige Elastizitätskonstanten beschreiben das Gesetz, eine mögliche Auswahl ist E1, E2, ν12, ν23 und G12[1]
    • Denn es gilt ν32=ν23 und die übrigen Größen in der Matrix ergeben sich aus der Beziehung E1ν12=E2ν21.
  • Elastizitätsmodul ist richtungsabhängig, zwei Moduln sind identisch
  • keine Dehnungs-Schiebungs-Kopplung vorhanden

Die transversale Isotropie ist ein Sonderfall der allgemeinen Orthotropie.

C1=[1E1ν12E2ν13E2000ν21E11E2ν23E2000ν31E1ν32E21E20000002(1+ν23)E20000001G310000001G21]

Isotropie

Das isotrope Gesetz ist das bekannteste und wichtigste Elastizitätsgesetz. Mit ihm können nahezu alle Metalle und unverstärkte Kunststoffe beschrieben werden. Auch kurzfaserverstärkte Kunststoffe können isotrop sein, wenn man die Verstärkungsfasern statistisch verteilt (siehe: Faser-Matrix-Halbzeuge). Das isotrope Elastizitätsgesetz zeichnet sich für den Konstrukteur hauptsächlich durch die Invarianz gegenüber der Drehung aus. In einer Konstruktion ist es also unerheblich, wie der isotrope Werkstoff orientiert wird. Gewalzte metallische Bleche können eine schwache Anisotropie aufweisen.

  • unendlich viele Symmetrieebenen im Material
  • 2 unabhängige Elastizitätskonstanten beschreiben das Gesetz
  • Elastizitätsmodul ist nicht richtungsabhängig, zwei Moduln sind identisch
  • keine Schiebungs-Dehnung-Kopplung vorhanden
C1=[1EνEνE000νE1EνE000νEνE1E0000002(1+ν)E0000002(1+ν)E0000002(1+ν)E]

Kopplungen

Die unterschiedlichen Elastizitätsgesetze zeichnen sich durch ihre Kopplungen aus. Eine Kopplung bezeichnet den Effekt, dass das Material mit einer Verformung außerhalb der Wirkrichtung der Belastung reagiert.

Dehnungs-Querdehnungs-Kopplung

Dehnungs-Querdehnungs-Kopplung

Dies ist die bekannteste Kopplung. Sie wird auch als Querkontraktionskopplung bezeichnet. Die Kopplung bewirkt, dass sich der Werkstoff bei Zug einschnürt, bzw. bei Druck verbreitert. Ingenieure haben gelernt mit der Dehnungskopplung umzugehen und wenden sie gezielt an, z. B. beim Nieten. Praktisch alle Konstruktionswerkstoffe besitzen diese Kopplung.

  • verantwortliche Terme: a13,13,ij

Dehnungs-Schiebungs-Kopplung

Dehnungs-Schiebungs-Kopplung

Besonders bei anisotropen Werkstoffen tritt diese Kopplung auf. Orthotrope Werkstoffe besitzen sie nicht. Die Dehnungs-Schiebungs-Kopplung erzeugt eine Schiebung bei einer Dehnung des Materials. Umgangssprachlich wird dies auch als Verzug bezeichnet. Mit Hilfe der klassischen Laminattheorie kann untersucht werden, ob ein Werkstoff eine Dehnungs-Schiebungs-Kopplung besitzt.

  • verantwortliche Terme: a13,46 sowie a46,13

Schiebungs-Schiebungs-Kopplung

Die Schiebungs-Schiebungs-Kopplung tritt nur bei anisotropen Werkstoffen auf. Eine Schiebung in der Ebene erzeugt hier auch eine Schiebung aus der Ebene heraus.

  • verantwortliche Terme: a46,46,ij

Einzelnachweise

  1. Helmut Schürmann: Konstruieren mit Faser-Kunststoff-Verbunden. 2. Ausgabe. Springer 2008, ISBN 978-3540721895, Seite 183.