Orthotropie
Wenn ein Material unabhängig von der Belastungsrichtung jeweils dasselbe Kraft-Verformungs-Verhalten zeigt, spricht man von Isotropie. Den allgemeinen Fall, dass das Kraft-Verformungs-Verhalten von der Belastungsrichtung abhängt, bezeichnet man als Anisotropie. Die Orthotropie (von griechisch ορθός orthos „richtig, korrekt, recht“ und τρόπος tropos „Weg, Richtung, Art und Weise“) ist ein Spezialfall der Anisotropie. Hierbei zeigt das Material in bestimmten Richtungen dasselbe Kraft-Verformungs-Verhalten. Vom Allgemeinen zum Speziellen gelangt man also über Anisotropie-Orthotropie-Isotropie. Jedes isotrope Material ist also auch orthotrop, aber nicht jedes orthotrope ist isotrop.
In diesem Artikel wird ausschließlich die Orthotropie in der Elastizitätstheorie besprochen.
Das Elastizitätsgesetz eines orthotropen Materials lautet in Bezug auf eine Orthonormalbasis entlang der Orthotropieachsen in 3D in Voigtscher Notation:
Und in 2D:
Lineare Elastizitätstheorie und Voigtsche Notation
Der Zusammenhang zwischen Spannungen
Dies gilt unabhängig davon, ob das Material orthotrop ist oder nicht. Es ist der allgemeinste lineare Zusammenhang, den es zwischen 2 Tensoren zweiter Stufe gibt. C bildet 3x3 Komponenten auf 3x3 Komponenten ab. Und hat damit selbst 81 = 3x3 x 3x3 Komponenten. In der linearen Elastizitätstheorie (symm. Spannungstensor, symm. Verzerrungstensor, Potential, siehe Voigtsche Notation) kann man für den Zusammenhang zwischen Spannungen und Verzerrungen auch eine 6x6-Matrix
Im allgemeinen Fall verbleiben also im Materialgesetz 21 unabhängige Materialparameter.
Steifigkeitsmatrix bei Orthotropie
Ein Material heißt orthotrop, wenn eine Orthonormalbasis existiert, so dass das Elastizitätsgesetz dargestellt in Bezug auf diese Basis folgende Form (mit nur 9 Materialparametern) annimmt:
Die Inverse der Steifigkeitsmatrix (die Nachgiebigkeitsmatrix) ist ebenfalls symmetrisch und auch nur an denselben Stellen mit von Null verschiedenen Werten besetzt wie die Steifigkeitsmatrix. Für die Darstellung des Materialgesetzes mit der Nachgiebigkeitsmatrix ist die ganz oben verwendete Darstellung üblich, in der
Gründe für die Besetztheit der Steifigkeitsmatrix
In diesem Abschnitt wird die Frage geklärt, warum die Steifigkeitsmatrix nur an den entsprechenden Stellen besetzt ist. Im Allgemeinen tauchen in einem linearen Materialgesetz 21 unabhängige Materialkonstanten auf (siehe Voigtsche Notation). Im Fall der Orthotropie reduziert sich aber die Zahl der Konstanten auf 9. Warum das so ist, ist nachfolgend dargestellt.
Drehmatrizen bei 180-Grad-Drehungen
Die (linearen) Abbildungen, die 180-Grad-Drehungen um die Orthotropieachsen beschreiben, lassen sich mit Matrizen beschreiben. Wählt man als Bezug eine Basis, deren Basisvektoren sich mit den senkrecht auf einander stehenden Drehachsen decken, dann haben diese orthogonalen Matrizen folgende Gestalt
Diese 3 Matrizen (und zusätzlich die Einheitsmatrix) bilden eine Untergruppe von der Drehgruppe SO(3).
Symmetriebedingung in Indexschreibweise und Voigtscher Notation
Gedanken-Experiment: Ein Teilchen und dessen Umgebung wird einer bestimmten Deformation unterzogen und damit einem bestimmten Verzerrungstensor
Die Änderung der Verzerrungsrichtung kann mit einer Drehmatrix A beschrieben werden. Es gilt
Mithilfe eines linearen Materialgesetzes
Im allgemeinen Fall der Anisotropie gilt zwar nicht
Aber genau dies fordert man für eine für die oben beschriebene Teilmenge von SO(3) im Fall der Orthotropie: Ein Material heißt orthotrop, wenn für die Funktion
In Indexschreibweise
Nun dieselbe Bedingung in Voigtscher Notation: Mit der Definition
gilt
Mit der neuen Definition
ergibt sich
In Voigtscher Notation erhält man also als Symmetriebedingung
Und da dies für beliebige Dehnungen gelten muss, ist die Symmetriebedingung
Spezialfall 180-Grad-Drehungen
Da im Spezialfall der Orthotropie die 3x3-Matrizen Matrizen A nur auf der Hauptdiagonalen besetzt sind, vereinfachen sich die Definitionen von oben zu
Die drei 3x3-Matrizen entsprechen also den drei 6x6-Matrizen
Auswertung der Symmetriebedingungen für den Spezialfall
Die Symmetriebedingung ausgewertet für diese Matrizen ergibt
An den letzten 3 Gleichungen erkennt man, dass C nur folgende Gestalt haben kann
Da diese Voigtsche Steifigkeitsmatrix außerdem symmetrisch ist (siehe Voigtsche Notation), bleibt
Zusammenfassung
- Die Orthotropie in der linearen Elastizitätstheorie lässt sich definieren als ein Spezialfall der Anisotropie, bei dem die Steifigkeits- oder Nachgiebigkeitsmatrix eine besonders einfache Form annimmt (9 Konstanten anstelle von 21 Konstanten im allgemeinen Fall).
- Neben der Orthotropie gibt es noch andere Spezialfälle der Anisotropie, z.B. Transversalisotropie, Isotropie etc. . Hierbei werden dieselben Symmetriebedingungen angegeben. Nur werden dann andere Untergruppen der Drehgruppe (also andere Matrizen A) betrachtet.
- An der Form des elastischen Gesetzes erkennt man, dass die Kopplung zwischen Zug und Schub für Belastung entlang der Orthotropierichtungen entfällt.
Literatur
- J.F. Nye: Physical Properties of Crystals: Their Representation by Tensors and Matrices. Oxford University Press. 1985. ISBN 978-0-19-851165-6.
- H. Altenbach, J. Altenbach, R. Rikards: Einführung in die Mechanik der Laminat- und Sandwichtragwerke. Stuttgart: Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, 1996. ISBN 3-342-00681-1