Birkenpech

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Im Eintopfverfahren hergestelltes Birkenpech, bestehend aus Teer und veraschter Rinde.

Birkenpech ist ein Pech und damit ein schwarzes, teerartiges Destillat, das aus der Rinde von Birken durch Destillation gewonnen und seit der Vorzeit als vielseitiger Klebstoff verwendet wurde. Eine Vorstufe bei der Destillation von Birkenpech ist Birkenteer.

Auch zum Abdichten von Kanus und Schiffen wurde es genutzt.

Archäologische Belege aus der Steinzeit

Bereits in den 1960er Jahren wurden bei Ausgrabungen am Fundplatz Königsaue bei Aschersleben/Sachsen-Anhalt zwei in die mittlere Altsteinzeit datierende Pechstücke entdeckt. Das geologische Alter der Fundschichten wurde mit mindestens 80.000 Jahren angegeben. Zwei Beschleunigerdaten aus Oxford für das Pech lieferten stattdessen Werte von 43.800+/-2100 BP und 48.400+/-3700 BP.[1][2][3] Auf Feuersteingeräten eines mittelpaläolithischen Fundplatzes bei Inden-Altdorf im Rheinischen Braunkohlengebiet, der in die Eem-Warmzeit vor etwa 120.000 Jahren datiert, wurden in 14 Fällen organische Reste identifiziert. Mittels Rasterelektronenmikroskopie sowie energiedispersiver Röntgenspektroskopie (EDX) erfolgte die Bestimmung der Residuen als Birkenpech, die vor allem mit der Ähnlichkeit der EDX-Spektren mit Resten auf mesolithischen Artefakten begründet wurde.[4][5][6] Mit derselben Methode wurden ca. 30.000 Jahre alte Stichel aus der Aurignacien-Fundstelle Les Vachons in Frankreich als mit Birkenpech geschäftete Projektilspitzen identifiziert.[7] Pawlik und Thissen nennen hier im EDX-Spektrum die Elemente Kohlenstoff, Kalium und Calcium, wobei die letzten beiden Elemente von der Feuereinwirkung bei einer Verschwelung herrühren sollen.[6] Andere Bearbeiter verweisen auf die technische Unmöglichkeit, leichte Kohlenwasserstoffverbindungen anhand von EDX-Spektren einem speziellen Klebstoff zuzuordnen.[8]

Der mit Abstand älteste Beleg für Birkenpechherstellung und -verwendung stammt aus Campitello in Italien (oberes Arnotal). Es handelt sich um Steinartefakte mit anhaftendem Birkenpech, die in das (MIS) 7 (Marine Isotope Stage), d. h. rund 220.000 Jahre vor heute datiert werden.[9]

Birkenpech wurde an zahlreichen Lager- und Siedlungsplätzen der Mittelsteinzeit (etwa 9600 bis 5500/4500 v. Chr.) und Jungsteinzeit (etwa 5500 bis 2200 v. Chr.) gefunden. Hier kann beim Auffinden von Schäftungsresten in der Größenordnung einiger Milligramm eine Analyse mittels Gaschromatographie erfolgen, wobei der Betulin-Nachweis die eindeutige Materialzuordnung als Birkenpech erlaubt.[8] Trotz der zweifelhaften Beweise aus dem Paläolithikum kann Birkenpech also dennoch als der erste systematisch hergestellte Kunststoff der Menschheit bezeichnet werden.

Der steinzeitliche Mann vom Hauslabjoch, auch Ötzi genannt, der 3340 v. Chr. auf dem Similaun starb und in der Neuzeit als Gletschermumie aufgefunden wurde, befestigte die Spitzen aus Feuerstein auf den Schäften seiner Pfeile aus dem Holz des Wolligen Schneeballs mittels Pflanzenfasern und Birkenpech.

Herstellung von Birkenpech

Moderne Versuchsanordnung zur Birkenpechherstellung im Eintopfverfahren.

Chemische Untersuchungen und Experimente haben gezeigt, dass Birkenpech durch einen Verschwelungsprozess, genauer durch eine sogenannte trockene Destillation (Pyrolyse) hergestellt worden sein muss.[10][11][12][13][14]

Bei den Experimenten unter Laborbedingungen wurde der Rohstoff Birkenrinde in einem luftdicht abgeschlossen Behälter (Glasretorte) auf eine relativ konstante Temperatur zwischen 340 und 400 °C erhitzt. Dabei verschwelt die Birkenrinde nahezu vollständig zuerst zu Birkenteer und schließlich zu Birkenpech.

Herstellung von Birkenpech ohne Verwendung eines keramischen Gefäßes

Versuche haben gezeigt, dass innerhalb einer Feuerstelle – zufällig oder gewollt – ohne die Hilfe eines keramischen Gefäßes kleinere Mengen an brauchbarem Birkenpech entstehen können. Auch akeramische steinzeitliche Kulturen konnten so ausreichende Mengen von Birkenpech herstellen.

Verwendung

Birkenpech beziehungsweise Birkenteer ist seit der Steinzeit ein gebräuchlicher Allzweck-Klebstoff. Er wurde vor allem zur Schäftung von Werkzeugen und Waffen verwendet und hat sich in Form von schwarzen Spuren an Geräten wie zum Beispiel Pfeilspitzen, Pfeilschäfte, Messer und weiteren Werkzeugen erhalten. Hierzu wurde das Pech durch Wärme erweicht und so verarbeitbar gemacht. Außerdem wurde damit zerbrochene Keramik geflickt und wahrscheinlich auch Behältnisse aus organischen Materialien (Holz, Rinde oder ähnliches) abgedichtet. Schließlich zeigen Zahnabdrücke auf Birkenteerklumpen, dass Birkenpech gekaut wurde. Belege gibt es zum Beispiel vom mesolithischen Fundplatz Star Carr oder vom Bandkeramischen Brunnen Altscherbitz. Ob dies zur Zahnpflege oder als Genussmittel Kaugummi geschah, ist unbekannt. Eine alternative Erklärung könnte sein, dass Birkenpech auf diese Weise vor der endgültigen Verarbeitung weich gemacht worden ist. Jedoch kann dies bereits durch Erwärmen erzielt werden.

Literatur

  • Jürgen Weiner: Praktische Versuche zur Herstellung und Verwendung von Birkenpech. Archäologisches Korrespondenzblatt 18,4, 1988, S. 329–334
  • Jürgen Weiner: Wo sind die Retorten? Überlegungen zur Herstellung von Birkenpech im Neolithikum. Acta Praehistorica et Archaeologica 23, 1991, S. 15–19
  • Jürgen Weiner: European Pre- and Protohistoric Tar and Pitch: A Contribution to the History of Research 1720-1999. In: Acta Archaeometrica. 1, Coburg 1999, S. 1–109.
  • Jürgen Weiner: Another Word on Pitch. Some Comments on a "Sticky Issue" from Old Europe. Bulletin of Primitive Technology 29, Heft 1, 2005, S. 20–27.
  • Klaus Ruthenberg & Jürgen Weiner: Some "Tarry Substance" from the Wooden Bandkeramik Well of Erkelenz-Kückhoven (Northrhine-Westphalia, FRG). Discovery and Analysis. In: W. Brzesinski & W. Piotrowski (eds.) Proceedings of the First International Symposium on Wood Tar and Pitch, 1997, S. 29–33 (Warszawa).

Einzelnachweise

  1. Judith M. Grünberg, Heribert Graetsch, Ursula Baumer, Johann Koller: Untersuchung der mittelpaläolithischen "Harzreste" von Königsaue, Ldkr. Aschersleben-Staßfurt. In: Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte. 81, 1999, S. 7–38.
  2. Johann Koller, Ursula Baumer, Dietrich Mania: High-Tech in the Middle Palaeolithic: Neandertal-manufactured Pitch Identified. In: European Journal of Archaeology. 4, 2001, S. 385–397.
  3. Judith M. Grünberg: Middle Palaeolithic birch-bark pitch. In: Antiquity. 76, 2002, S. 15–16.
  4. Alfred Pawlik & Jürgen Thissen: Birkenpechgewinnung und Rentierjagd im Indetal. In: Archäologie im Rheinland 2007. 2008, S. 41–44. Theiss Verlag.
  5. Jürgen Thissen & Alfred Pawlik: Steingeräte mit Birkenpechresten. Ältester Klebstoff Mitteleuropas. In: Archäologie in Deutschland Heft 3, 2010, 4.
  6. 6,0 6,1 Alfred Pawlik, Jürgen Thissen: Hafted armatures and multi-component tool design at the Micoquian site of Inden-Altdorf, Germany. Journal of Archaeological Science 38, 2011, S. 1699–1708 doi:10.1016/j.jas.2011.03.001
  7. Robert Dinnis, Alfred Pawlik und Claire Gaillard: Bladelet cores as weapon tips? Hafting residue identification and micro-wear analysis of carinated burins from the late Aurignacian of Les Vachons, France. Journal of Archaeological Science 36, 2009, S. 1922–1934 doi:10.1016/j.jas.2009.04.020
  8. 8,0 8,1 Leif Steguweit: Gebrauchsspuren an Artefakten der Hominidenfundstelle Bilzingsleben (Thüringen). Tübinger Arbeiten zur Urgeschichte 2, VML Verlag, Rahden/Westf 2003, ISBN 3-89646-852-9 (PDF, 49 MB), S. 72–73; 93–98.
  9. Paul Peter Anthony Mazza, Fabio Martini, Benedetto Sala et. al.: A new Palaeolithic discovery: tar-hafted stone tools in a European Mid-Pleistocene bone-bearing bed. In: Journal of Archaeological Science. 33/9, 2006, S. 1310–1318.
  10. Funke, Herbert: Chemisch-analytische Untersuchungen verschiedener archäologischer Funde. Dissertation, 1969, Universität Hamburg.
  11. Kurzweil, Andreas and Todtenhaupt, Dieter: Das Doppeltopf-Verfahren: Eine rekonstruierte mittelalterliche Methode der Holzteergewinnung. In: Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland. Beiheft 4, 1990, S. 472–479.
  12. Rottländer, Rolf C.A.: Untersuchungen an der Kittmasse von geschäfteten Feuersteinklingen. In: H.T. Waterbolk and W. van Zeist (eds.), Niederwil, eine Siedlung der Pfyner Kultur. IV Holzartefakte und Textilien. Academica Helvetica I/IV. Bern, 1991, S. 249–250.
  13. Sandermann, Wilhelm: Untersuchungen vorgeschichtlicher "Gräberharze" und Kitte. In: Technische Beiträge zur Archäologie 2, 1965, S. 58–73.
  14. Jürgen Weiner: Praktische Versuche zur Herstellung und Verwendung von Birkenpech. Archäologisches Korrespondenzblatt 18, 1988, S. 329–334.

Weblinks

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