Azide

Azide

Als Azide bezeichnet man die Salze und organischen Verbindungen der Stickstoffwasserstoffsäure. Sie gehören zu den Pseudohalogeniden. Alle Azide sind sehr giftig. Die Salze hemmen irreversibel das Enzym Cytochrom-c-Oxidase der Atmungskette in Zellen.

Schwermetallazide sind hochexplosiv, die Azide der Alkali- und Erdalkalimetalle hingegen verpuffen nur bei starker Hitzeeinwirkung, nachdem sie bereits geschmolzen sind.

Die bedeutendsten ionischen Azide sind Natriumazid und Bleiazid.

Anorganische Azide

Natriumazid

Natriumazid ist eine farblose, in Wasser lösliche Verbindung. Das Natriumazid wird stark verdünnt als Konservierungsmittel verwendet, zum Beispiel bei der Verarbeitung von leicht verderblichen Substanzen wie Insulin, und als Ausgangsstoff, zur Herstellung weiterer Azide und der freien Stickstoffwasserstoffsäure. Außerdem wird es in der Iod-Azid-Reaktion zum Nachweis von zweiwertigem Schwefel in Sulfiden und Thioethern eingesetzt. Weiterhin wird es in „Airbags“ zum Füllen des Sackes verwendet. Die Zersetzung kann durch Erwärmen oder einen elektrischen Impuls (bei Airbags) ausgelöst werden und verläuft nach der folgenden stöchiometrischen Gleichung:

$ \mathrm {2\ NaN_{3\ (s)}\longrightarrow 2\ Na+3\ N_{2\ (g)}} $
Allgemeine Formel dreier mesomerer Grenzstrukturen eines organischen Azides mit der blau markierten funktionellen Gruppe des Azides. R ist ein Organyl-Rest (Alkyl-Rest, Aryl-Rest, Alkylaryl-Rest, Acyl-Rest etc.).

Bleiazid

Bleiazid ist in kaltem Wasser unlöslich und gegen Wärme und Feuchtigkeit beständig. Beim langsamen Abkühlen aus heißen, wässrigen Lösungen entstehen lange Kristalle, die schon bei Zerbrechen unter Wasser detonieren. Deshalb wird bei der technischen Herstellung durch Zugabe von wenig Dextrin und Rühren die Bildung größerer Kristalle strikt vermieden. Sein Detonationspunkt liegt bei 350 °C. Hergestellt wird es durch eine Fällung von Natriumazid mit einer wasserlöslichen Bleisalz-Verbindung wie Bleiacetat. Bleiazid wird, in Mischung mit Bleitrinitroresorcinat, als Initialzünder verwendet. Letzteres dient zur Erhöhung der Funkenempfindlichkeit, da der Detonationspunkt des Azides hoch ist.

Silberazid

Silberazid ist im Gegensatz zu Bleiazid bei Lichteinwirkung deutlich instabiler und verfärbt sich in Analogie zur klassischen Photographie unter Verwendung von Silberhalogeniden schnell tiefviolett. Für Demonstrationsversuche ist es besser geeignet als Bleiazid, da es auch in heißem Wasser völlig unlöslich ist und sich immer in feinsten Kristallen abscheidet. Die Schlagempfindlichkeit ist nicht größer als beim Bleiazid. Durch den hohen Preis ist aber die Anwendungsmöglichkeit als technisch verwendeter Initialzünder sehr eingeschränkt.

Kupferazid

Kupferazid ist extrem brisant und explodiert oft schon bei Berührung. Es findet daher keine technische Anwendung und ist auch als Initialzünder ungeeignet.

Siliciumtetraazid

Siliciumtetraazid ist eine thermisch instabile, kovalente Silicium-Stickstoff-Verbindung mit einem Stickstoffgehalt von 85,7 %. Die hochenergetische, kristalline Substanz neigt schon ab 0 °C zu einer spontanen explosiven Zersetzung.[1] Eine weitere Koordination zur sechsfach koordinierten Struktur wie in Hexaazidosilicaten [Si(N3)6]2−[2] oder in Addukten mit zweiwertigen Liganden Si(N3)4L2[3] führt zu relativ stabilen, kristallinen Feststoffen, die bei Raumtemperatur normal gehandhabt werden können.

Organische Azide

Es gibt viele organische Verbindungen mit einer Azidogruppe (–N3), die somit als organische Azide bezeichnet werden. Methylazid ist der einfachste Vertreter der organischen Azide. Das vierfach substituierte Methanderivat Tetraazidomethan ist eine thermisch instabile Flüssigkeit mit einem Stickstoffgehalt von 93,3 %. Die hochenergetische, zu einer spontanen explosiven Zersetzung neigende Substanz wurde erstmals 2006 hergestellt.[4] Bekannt ist der Arzneistoff Azidothymidin (AZT). Carbonsäureazide [R-CO-N3] finden Anwendung in der Curtius-Umlagerung, in der sie zu Isocyanaten umgelagert werden. Eine andere wichtige Reaktion der Azide stellt die 1,3-dipolare Cycloaddition (Huisgen-Reaktion) dar.[5] Bekannt seit den 60-er Jahren, gewinnt sie in den letzten Dekade zunehmend an Bedeutung als sogenannte bioorthogonale Reaktion.[6][7]

Literatur

  • S. Bräse, C. Gil, K. Knepper, V. Zimmermann: Organische Azide - explodierende Vielfalt bei einer einzigartigen Substanzklasse. In: Angew. Chem. Bd. 117, S. 5320–5374. doi:10.1002/ange.200400657

Einzelnachweise

  1. Wilberg, E.; Michaud, H.: Z. Naturforsch. B 9 (1954) S. 500.
  2. Filippou, A.C.; Portius, P.; Schnakenburg, G.: The Hexaazidosilicate(IV) Ion: Synthesis, Properties, and Molecular Structure in J. Am. Chem. Soc. 124 (2002) S. 12396–12397, doi:10.1021/ja0273187.
  3. Portius, P.; Filippou, A.C.; Schnakenburg, G.; Davis, M.; Wehrstedt, K.-D.: Neutrale Lewis-Basen-Addukte des Siliciumtetraazids in Angew. Chem. 122 (2010) S. 8185–8189, doi:10.1002/ange.201001826.
  4. K. Banert, Y.-H. Joo, T. Rüffer, B. Walfort, H. Lang: Die aufregende Chemie des Tetraazidomethans in Angew. Chem. 119 (2007) 1187–1190, doi:10.1002/ange.200603960.
  5. R. Huisgen, R. Grashey, J. Sauer in Chemistry of Alkenes, Interscience, New York, 1964, 806-877.
  6. D. Amantini, F. Fringuelli, O. Piermatti, F. Pizzo, E. Zunino, L. Vaccaro: in J. Org. Chem. 70 (2005) 6526-6529.
  7. V. V. Rostovtsev, L. G. Green, V. V. Fokin, K. B. Sharpless: Angew. Chem. 114 (2002) 2708-2711.