Andrussow-Verfahren

Andrussow-Verfahren

Datei:1931.01.31 23 Andrussow Pilot Plant Herne Germany.jpg
Spätjahr 1930, halbtechnische Anlage für Versuche nach dem Andrussow-Verfahren in Herne, betrieben von Leonid Andrussow.
Diagramm aus 1931 mit dem Andrussow-Verfahren

Das Andrussow-Verfahren ist ein Verfahren zur industriellen Herstellung von Blausäure (HCN) aus Methan, Ammoniak und Sauerstoff und ist nach seinem Erfinder, Leonid Andrussow, benannt.[1][2]

Thermodynamik

Die Reaktion

$ \mathrm {CH_{4}\ +\ NH_{3}\ +\ 1,5\ O_{2}\longrightarrow \ HCN\ +\ 3\ H_{2}O,\ \Delta _{R}\ =\ -483\ kJ/mol} $[3]

ist stark exotherm und setzt sich zusammen aus der stark endothermen Bildungsreaktion von Blausäure

$ \mathrm {CH_{4}\ +\ NH_{3}\longrightarrow \ HCN\ +\ 3\ H_{2},\ \Delta _{R}\ =\ +251\ kJ/mol} $

und der stark exothermen Bildung von Wasser durch Oxidation von Wasserstoff, die die Energie für die vorige Reaktion liefert:

$ \mathrm {H_{2}\ +\ 0,5\ O_{2}\longrightarrow \ H_{2}O,\ \Delta _{R}\ =\ -241,83\ kJ/mol} $

Als hauptsächliche Nebenreaktion tritt die Zersetzung von Ammoniak auf, die schwach endotherm ist:

$ \mathrm {NH_{3}\longrightarrow \ N_{2}\ +\ 3\ H_{2},\ \Delta _{R}\ =\ +46\ kJ/mol} $

Eine niedrige Temperatur bevorzugt demzufolge die Ammoniakzersetzungsreaktion. Aus diesem Grund wird im Verfahren eine möglichst hohe Temperatur um 1100 °C gewählt, um die gewünschte HCN-Bildungsreaktion zu begünstigen.[4]

Reaktionsmechanismus

Grabow et al.[4] postulierten folgenden Reaktionsmechanismus für die Bildungsreaktion von Blausäure. Hierbei bedeuten x,y = 0,1, oder 2. X* steht für eine auf dem Katalysator adsorbierte Spezies und * für eine Leerstelle auf der Katalysatoroberfläche:

$ \mathrm {CH_{4}(g)+\ 2*\longrightarrow \ CH_{3}*\ +\ H*} $
$ \mathrm {CH_{3}*+\ *\longrightarrow \ CH_{2}*\ +\ H*} $
$ \mathrm {CH_{2}*+\ *\longrightarrow \ CH*\ +\ H*} $
$ \mathrm {CH*+\ *\longrightarrow \ C*\ +\ H*} $
$ \mathrm {NH_{3}(g)+\ 2*\longrightarrow \ NH_{2}*\ +\ H*} $
$ \mathrm {NH_{2}*+\ *\longrightarrow \ NH*\ +\ H*} $
$ \mathrm {NH*+\ *\longrightarrow \ N*\ +\ H*} $
$ \mathrm {CH_{x}*+\ NH_{y}*\longrightarrow \ CH_{x}NH_{y}*\ +\ *} $
$ \mathrm {CH_{x}NH_{y}*+\ (x+y-1)*\longrightarrow \ HCN*\ +\ (x+y-1)H*} $
$ \mathrm {HCN*\longrightarrow \ HCN(g)\ +\ *} $
$ \mathrm {2H*\longrightarrow \ H_{2}(g)\ +\ 2*} $
$ \mathrm {2N*\longrightarrow \ N_{2}(g)\ +\ 2*} $

In diesem Reaktionsschema ist die Zersetzung von CH4 schnell, so dass die aktive Platinoberfläche einen hohen Bedeckungsgrad an Kohlenstoff aufweist. Die Zersetzung von NH3 wird durch Kohlenstoff auf der Oberfläche behindert und ist dadurch langsam. In der Folge wird die Geschwindigkeit der Bildung von N2 und HCN durch die Zersetzung von NH3 limitiert.

Katalysator

Der Katalysator besteht aus Netzen aus Platin, welches mit Rhodium dotiert wird. Platin ist dabei die eigentliche aktive Komponente, während Rhodium für Langzeitstabilität sorgt.[4] Der Katalysator erreicht seine optimale Aktivität nur nach einer längeren Aktivierungsperiode unter Reaktionsbedingungen. Während dieser Periode wird die Katalysatoroberfläche durch Verrauhung erhöht.

Verfahrensaufbau

Flüssiges Ammoniak wird zunächst verdampft und anschließend mit dem gasförmigen Methan- und dem Luft-Zulauf gemischt. Das Gemisch wird vorgewärmt und anschließend in den Reaktor geleitet, wo ein Teil des Methans mit Sauerstoff verbrennt und Wärme frei wird, während die Bildung von Blausäure aus Methan und Ammoniak Wärme verbraucht. Die Verweilzeit ist nur sehr kurz. Das heiße Gas aus dem Reaktor wird sofort durch einen Wärmetauscher zum Abkühlen geleitet, in dem Dampf zur Energierückgewinnung erzeugt wird. Das abgekühlte Gas wird dann in eine Säurewäsche gefahren, in der überschüssiger Ammoniak abgetrennt wird. Nach der Ammoniakabtrennung wird die Blausäure durch Wäsche mit kaltem, leicht saurem Wasser abgetrennt. Die im Wasser gelöste Blausäure wird danach durch Rektifikation vom Wasser getrennt.

Anwendung

Blausäure wird heutzutage großtechnisch zum überwiegenden Teil nach dem Andrussow-Verfahren hergestellt und hauptsächlich als Vorprodukt für die Herstellung von Polyamid 66 (Nylon) und von Polymethylmethacrylat (Plexiglas) eingesetzt.

Daneben wird HCN nach dem BMA-Verfahren der Degussa und nach dem Formamid-Spaltverfahren der BASF hergestellt.

Literatur

  • Manfred Baerns, Arno Behr, Axel Brehm, Jürgen Gmehling, Hanns Hofmann, Ulfert Onken: Technische Chemie Lehrbuch. 480 Abbildungen, 190 Tabellen. Wiley VCH Verlag GmbH September 2006 - gebunden - XXIV733

Einzelnachweise

  1. Leonid Andrussow: Über die schnell verlaufenden katalytischen Prozesse in strömenden Gasen und die Ammoniak-Oxydation (V). In: Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. 60, Nr. 8, 1927, S. 2005-2018. doi:10.1002/cber.19270600857.
  2. L. Andrussow: Über die katalytische Oxydation von Ammoniak-Methan-Gemischen zu Blausäure (The catalytic oxidation of ammonia-methane-mixtures to hydrogen cyanide). In: Angew. Chem.. 48, Nr. 37, 1935, S. 593-595. doi:10.1002/ange.19350483702.
  3. Vorlesung "Überführung chemischer Prozesse aus dem Labor- in den Produktionsmaßstab", Uni Frankfurt.
  4. 4,0 4,1 4,2 Grabow, L.C., Studt, F., Abild-Pedersen, F., Petzold, V., Kleis, J., Bilgaard, Th., Norskov, J.K.; Descriptor-Based Analysis Applied to HCN Synthesis from NH3 and CH4, Angew. Chem. Int. Ed., 2011, 50, 4601-4605 Online Zugriff