83. Das chemische Verhalten des Ethens
Additionsreaktionen
Wenn man Bromdämpfe mit Ethen vermischt wie in Versuch 1, dann tritt allmählich eine Verminderung der Braunfärbung ein, die schließlich im weiteren Verlauf ganz verschwindet. An der Zylinderwand bilden sich als Reaktionsprodukt ölige, flüssige und eigenartig riechende Tröpfchen. Diese stammen von der Reaktion des Broms mit dem Ethen, dessen Doppelbindung nämlich nicht eine Verstärkung der Einfachbindung zwischen zwei Kohlenstoffatomen ist, sondern vielmehr eine sehr reaktionsfähige Stelle im Molekül darstellt. Diese Stelle besteht also aus der stabilen Einfachbindung, wie man sie von den Alkanen - nämlich als reaktionsträge - her kennt und einer andersartigen, zusätzlichen, sehr reaktionsfreudigen Bindung.
Hier greifen die Bromteilchen an und lagern sich an die beiden Kohlenstoffatome an. Diese chemische Reaktion nennt man Addition. Wie die folgende Formel zeigt, dient diese Reaktion als Nachweis für ungesättigte Verbindungen:
$\quad \mathrm { {\overset {\Large H \qquad \qquad} {\overset { \diagdown \qquad } {\underset {\Large H \qquad \qquad} {\underset { \diagup \qquad } C}}}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! = \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\overset { \qquad \qquad \Large H} {\overset {\qquad \diagup } {\underset {\qquad \qquad \Large H } {\underset {\qquad \diagdown }C }}}} + Br_2 \ \longrightarrow \ \underbrace {H \ – \ {\overset {\Large Br} {\overset | {\underset {\Large H} {\underset |{C}}}}} \; – \ {\overset {\Large H} {\overset | {\underset {\Large Br} {\underset |{C}}}}}\ – \ H }_{1,2-Dibromethan}} $
Das 1,2-Dibromethan schlägt sich Reaktionsprodukt in Form von öligen Tropfen an der Zylinderwand nieder, weshalb man die Alkene früher auch Ölbildner oder Olefine nannte. Andere Alkylhalogenide kann man durch die Addition von Halogenwasserstoff erhalten.
Durch Addition von Wasserstoff - man nennt diesen Vorgang Hydrierung - erhält man die entsprechenden Alkane:
$ \mathrm { {\overset {\Large H \qquad \qquad} {\overset { \diagdown \qquad } {\underset {\Large H \qquad \qquad} {\underset { \diagup \qquad } C}}}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! = \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\overset { \qquad \qquad \Large H} {\overset {\qquad \diagup } {\underset {\qquad \qquad \Large H } {\underset {\qquad \diagdown }C }}}} + H_2 \ \longrightarrow \ \underbrace { H \ – \ {\overset {\Large H} {\overset | {\underset {\Large H} {\underset |{C}}}}} \; – \ {\overset {\Large H} {\overset | {\underset {\Large H} {\underset |{C}}}}}\ – \ H}_{Ethan} } $
Die chemische Addition (v. lat.: addere = dazugeben) ist eine der typischen Reaktionen in der organischen Chemie. Dabei werden also mindestens zwei Moleküle zu einem vereinigt, wobei eine oder mehrere Mehrfachbindungen aufgespaltet werden. Es handelt sich also allgemein um die Anlagerung von Atomen oder Atomgruppen an ungesättigte Verbindungen.
Substitution
In der Chemie bezeichnet die Substitution (spätlateinisch substituere: ersetzen) eine chemische Reaktion, bei der Atomeoder Atomgruppen in einem Molekül durch ein anderes Atom oder eine andere funktionelle Gruppe ersetzt werden. Substitutionsreaktionen laufen bei höheren Temperaturen ab als Additionsreaktionen. Beispielsweise entsteht das für die Kunststoffindustrie bedeutende Vinylchlorid, wenn man das Ethen mit Chlor substituiert:
$ \mathrm { {\overset {\Large H \qquad \qquad} {\overset { \diagdown \qquad } {\underset {\Large H \qquad \qquad} {\underset { \diagup \qquad } C}}}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! = \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\overset { \qquad \qquad \Large H} {\overset {\qquad \diagup } {\underset {\qquad \qquad \Large H } {\underset {\qquad \diagdown }C }}}} \!\!\! + Cl_2 \longrightarrow \underbrace {{\overset {\Large H \qquad \qquad} {\overset { \diagdown \qquad } {\underset {\Large H \qquad \qquad} {\underset { \diagup \qquad } C}}}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! = \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\overset { \qquad \qquad \Large H} {\overset {\qquad \diagup } {\underset {\qquad \qquad \Large H } {\underset {\qquad \diagdown }C }}}}}_{Vinylchlorid, Monochlorethen} \!\!\!\!\!\!\! + HCl } $
Oxidation
Ethen brennt mit leuchtender, leicht rußender Flamme. Ein Gemisch aus Ethen und Luft ist bei einem Ethen-Anteil von 3-34% explosiv. Man kann Ethen mit dem Sauerstoff der Luft an Silberkatalysatoren gezielt oxidieren:
$ \mathrm { {\overset {\Large H \qquad \qquad} {\overset { \diagdown \qquad } {\underset {\Large H \qquad \qquad} {\underset { \diagup \qquad } C}}}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! = \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\overset { \qquad \qquad \Large H} {\overset {\qquad \diagup } {\underset {\qquad \qquad \Large H } {\underset {\qquad \diagdown }C }}}} + \frac {1}{2}O_2 \ \longrightarrow \; \underbrace {{\overset {\Large H \qquad \qquad} {\overset { \diagdown \qquad } {\underset {\Large H \qquad \qquad} {\underset { \diagup \qquad } C \ }}}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\underset {\Large O} {\underset { \diagdown \quad \diagup} —}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\overset { \qquad \qquad \Large H} {\overset {\qquad \diagup } {\underset {\qquad \qquad \Large H } {\underset {\qquad \diagdown }C }}}}}_{Ethylenoxid} } $
Das so entstehende Ethylenoxid ist eine hochwertige Chemikalie, die zu einem Großteil für die Produktion von Ethylenglycol eingesetzt wird, welches ein weit verbreitetes Kühl- und Frostschutzmittel für Fahrzeuge ist. Ethylenoxidgas tötet Bakterien, Schimmel und Pilze ab, daher kann es zur Sterilisation von hitzeempfindlichen Substanzen verwendet werden.
Weiter wird es für die Herstellung von Polyestern (beispielsweise PET) benötigt. Lediglich etwa 2 % der Weltproduktion wird für die Sterilisation verwendet. Weitere Verwendungsgebiete sind die Herstellung von Lösungsmitteln, waschaktiven Substanzen, Schädlingsbekämpfungsmitteln, Arzneimitteln, Kunststoffen und Kunstfasern.
Polymerisation
Durch ihren ungesättigten Charakter können sich viele Ethen-Moleküle zu einem Groß- oder Makromolekül verbinden. Dabei wird die Doppelbindung aufgebrochen und die Elektronen zum Aufbau neuer Bindungen herangezogen:
$ \mathrm { \dotsb \underbrace {{\overset {\Large H \qquad \qquad} {\overset { \diagdown \qquad } {\underset {\Large H \qquad \qquad} {\underset { \diagup \qquad } C}}}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! = \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\overset { \qquad \qquad \Large H} {\overset {\qquad \diagup } {\underset {\qquad \qquad \Large H } {\underset {\qquad \diagdown }C }}}}}_{Ethen \ = \ Ethylen} \ + \ {\overset {\Large H \qquad \qquad} {\overset { \diagdown \qquad } {\underset {\Large H \qquad \qquad} {\underset { \diagup \qquad } C}}}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! = \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\overset { \qquad \qquad \Large H} {\overset {\qquad \diagup } {\underset {\qquad \qquad \Large H } {\underset {\qquad \diagdown }C }}}}\ + \ {\overset {\Large H \qquad \qquad} {\overset { \diagdown \qquad } {\underset {\Large H \qquad \qquad} {\underset { \diagup \qquad } C}}}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! = \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\overset { \qquad \qquad \Large H} {\overset {\qquad \diagup } {\underset {\qquad \qquad \Large H } {\underset {\qquad \diagdown }C }}}} \ \dotsb \ \longrightarrow \underbrace {\ \dotsb \; {\overset {\Large H} {\overset | {\underset {\Large H} {\underset |{C}}}}} \; – \ {\overset {\Large H} {\overset | {\underset {\Large H} {\underset |{C}}}}} \; – \ {\overset {\Large H} {\overset | {\underset {\Large H} {\underset |{C}}}}} \; – \ {\overset {\Large H} {\overset | {\underset {\Large H} {\underset |{C}}}}} \; – \ {\overset {\Large H} {\overset | {\underset {\Large H} {\underset |{C}}}}} \; – \ {\overset {\Large H} {\overset | {\underset {\Large H} {\underset |{C}}}}} \;\dotsb}_{Polyethen = Polyethylen} } $
Die Polymerisation ist eine chemische Reaktion, bei der gleiche oder unterschiedliche Monomere über ein Kettenwachstum zu Polymeren reagieren, also den Aufbau eines Makromoleküls aus vielen kleinen Grundmolekülen mit Mehrfachbindungen. Bei der Polymerisation des Ethylens brechen die Doppelbindungen auf und es entstehen Radikale, die sich zu einem Makromolekül verbinden:
$ \mathrm { n \ \underbrace {{\overset {\Large H \qquad \qquad} {\overset { \diagdown \qquad } {\underset {\Large H \qquad \qquad} {\underset { \diagup \qquad } C}}}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! = \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\overset { \qquad \qquad \Large H} {\overset {\qquad \diagup } {\underset {\qquad \qquad \Large H } {\underset {\qquad \diagdown }C }}}}}_{Ethylen} \quad \longrightarrow \quad n \quad {\overset {\Large H \qquad \qquad} {\overset { \diagdown \qquad } {\underset {\Large H \qquad \qquad} {\underset { \diagup \qquad } {\cdotp C}}}}} \!\!\!\!\!\!\!\!\!\ – \!\!\!\!\!\!\!\!\!\!\! {\overset { \qquad \qquad \Large H} {\overset {\qquad \diagup } {\underset {\qquad \qquad \Large H } {\underset {\qquad \diagdown }C\!\!\!\!\!\!\cdotp}}}} \ \longrightarrow \ \underbrace {\Biggl[ \cdotp \; {\overset {\Large H} {\overset | {\underset {\Large H} {\underset |{C}}}}} \; – \ {\overset {\Large H} {\overset | {\underset {\Large H} {\underset |{C}}}}} \;\cdotp \Biggr]}_{Polyethylen} \ n } $