120. Saccharose - unser Haushaltszucker
Süße Geschichte
Die älteste Süßigkeit, die sich der Mensch zunutze machte, ist sicherlich Honig. Doch auch die ältesten Zuckerrohr-Funde sind mehr als 10.000 Jahre alt und stammen aus Polynesien. Im ostasiatischen Raum wurde Zuckerrohr bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. angebaut.
Vor 2.300 Jahren stellte man in Indien aus gepresstem Zuckerrohrsaft eine bräunliche Masse her und in Persien und Arabien war man vor 1.300 Jahren in der Lage, braune Rohzuckerkristalle mit Hilfe von grinnenden, eiweißhaltigen Stoffen (Milch und Blut) zu weißem Zucker umzukristallisieren.
Im 17. Jahrhundert gelangte Rohrzucker auf Handelsschiffen nach Europa und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelang es dem Chemiker Andreas Sigismund Marggraf den Zuckergehalt der Runkelrübe nachzuweisen. Die heute bekannte Zuckerrübe entstand gegen Mitte des 18. Jahrhunderts durch Züchtung aus der Runkelrübe, wobei gezielt auf einen hohen Zuckergehalt geachtet wurde.
Aufbau und Eigenschaften der Saccharose
Wie man im alltäglichen Sprachgebrauch mit der Bezeichnung »Salz« in der Regel das Speisesalz meint, so meint man mit »Zucker« für gewöhnlich den Haushaltszucker, also die chemische Verbindung Saccharose. Je nach dem woraus dieser Zucker gewonnen wurde, nennt man ihn auch Rübenzucker oder Rohrzucker. Wie die Tabelle in Kapitel 119 zeigt, handelt es sich bei der Saccharose um ein Disaccharid, das durch Kondensation von Glucose und Fructose entstanden ist.
Saccharose ist in Wasser sehr gut löslich. Die Löslichkeit ist, wie bei den meisten Feststoffen, temperaturabhängig:
Temperatur in °C |
g Saccharose in g Wasser |
---|---|
20 | 1,97 |
50 | 2,59 |
55 | 2,73 |
60 | 2,89 |
65 | 3,06 |
70 | 3,25 |
75 | 3,46 |
80 | 3,69 |
85 | 3,94 |
90 | 4,20 |
100 | 4,87 [1] |
Bei 20 °C erhält man eine 66 %ige Lösung, bei 100 °C dagegen eine 84 %ige gesättigte Lösung, die beim Abkühlen jedoch keine Kristalle mehr ausscheidet („gehinderte Kristallisation“). Die Lösung schmeckt sehr süß, viel süßer als Glucoselösung.
Der negative Verlauf der Fehling-Probe unterscheidet die Saccharose von Glucose (Traubenzucker) und Fructose (Fruchtzucker), was so zu erklären ist: Saccharose bildet sich aus Glucose und Fructose, wobei sich Letztere gerade über jene funktionellen Gruppen verbinden, die sonst bei beiden einen positiven Verlauf der Fehling-Probe bewirken (Aldehydgruppe).
Diese Bindung wird durch die Katalyse von Wasserstoff-Ionen unter Aufnahme von Wasser gelöst (Hydrolyse). Rohrzucker geht in ein Gemisch aus Traubenzucker und Fruchtzucker über. Da beide Zucker auf Fehlingsche Lösung positiv reagieren, wird das Kupfersulfat (CuSO4) der Fehling-Lösung auch von Rohrzucker - nach dem Kochen mit Salzsäure - reduziert (Kapitel 118).
$ \mathrm {
C_{12}H_{22}O_{11} + H_2O \
\overset {\lbrack H^+ \rbrack}{\large \leftrightharpoons} \
C_6H_{12}O_6 + C_6H_{12}O_6
}$
Saccharose + Wasser $ \leftrightharpoons$ Glucose + Fructose
Gewinnung und Bedeutung der Saccharose
Die Produktion von Saccharose übersteigt die aller organischen Verbindungen zusammen. Hauptquellen sind das Zuckerrohr, das in den Tropen angebaut wird, und die Zuckerrübe, die in den gemäßigten Breiten gedeiht.
Die Saccharose ist als Substanz direkt in diesen Anbaufrüchten enthalten und wird durch Herauslösen, -kochen oder -pressen in wässriger Lösung extrahiert und beim weiteren Einkochen als Kristalle ausgefällt. Je nach gewünschtem Reinheitsgrad wird der Zucker wiederholt umgefällt und gereinigt. Angelieferte Zuckerrüben müssen in den Zuckerfabriken möglichst schnell verarbeitet werden, da bei der Lagerung ihr Zuckergehalt infolge Atmung (Kapitel 123) laufend sinkt.
Ein großer Teil der Saccharose dient der Verwendung in Nahrungsmitteln. Bei der Verdauung von Saccharose muß zunächst die Glucose-Fructose-Bindung aufgespalten werden, was mit Hilfe eines Enzyms recht einfach geschieht. Nun können Glucose und Fructose schnell ins Blut übergehen. Chemisch gesehen entspricht dieser Vorgang der in Versuch 3 durchgeführten Säurespaltung von Saccharose.
Karamell
Bei etwa 135 °C beginnt Saccharose zu schmelzen, ohne sich jedoch sofort zu verfärben. Die entstehende Masse (Karamell) wird in Konditoreien für glasierte Früchte, Spinnzucker und Zuckerdekorationen verwendet. Das eigentliche Karamellisieren, das Farbe und Geschmack verändert, setzt bei Temperaturen um 150 °C ein, für goldbraunen Karamell sind Temperaturen von 180 bis 200 °C notwendig. Erkalteter Karamell ist durchscheinend und von glasartiger, hart-brüchiger Konsistenz.
Gesundheit
Bis es im 18. Jahrhundert gelang, Zucker aus Rüben herzustellen, lag der Pro-Kopf-Verbrauch mit rund 2,5 kg pro Jahr noch recht niedrig. Heute verbraucht jeder von uns pro Jahr etwa das 15-fache. Damit ist Zucker ähnlich wie Fett vom einstigen Luxusgut zum Massenprodukt geworden, das übermäßig verzehrt wird. Bei erhöhtem Konsum des leeren Energieträgers Zucker werden nährstoffreiche Lebensmittel verdrängt, da durch zuckerhaltige Produkte der Kalorienbedarf sehr schnell gedeckt ist.
In der Mundhöhle haben es Bakterien (z.B. Streptococcus mutans) in den durch Zucker verursachten Zahnbelägen (Plaques) recht einfach, Säuren wie die Milchsäure zu produzieren. Dadurch fällt der pH-Wert auf einen kritischen Wert unter 5,5 und wenn die säurehaltigen Plaques nicht regelmäßig von der Zahnoberfläche entfernt werden, können sie das Calciumphosphat des Zahnschmelzes angreifen. Dadurch entsteht Karies, deren Behandlung jährlich rund 5 Milliarden Euro verschlingt.
Hoher Zuckerkonsum, vor allem wenn es sich um „freien“ Zucker z.B. aus süßen Getränken handelt, kann zu Übergewicht und damit zu einem erhöhten Krankheitsrisiko fürDiabetes mellitus führen. Ein primärer Zusammenhang zwischen erhöhter Zuckeraufnahme und Diabetes Typ II besteht nach aktuellem Forschungsstand jedoch nicht.
Industrielle Bedeutung
Saccharose selbst hat in der Industrie nur eine geringe Bedeutung, jedoch liefern Zuckerpflanzen mit dem Zucker einen nachwachsenden Rohstoff, der beispielsweise für Fermentationszwecke stofflich genutzt werden kann oder der Energiebereitstellung durch Vergärung zu Bioethanol dient. Nebenprodukte der Zuckerherstellung, wie z. B. die Bagasse aus Zuckerrohr, können durch Verbrennung energetisch genutzt werden. Andere Anteile, z. B. Melasse aus der Zuckerrübenverarbeitung, enthalten Zucker und andere Nährstoffe, so dass eine Nutzung als Viehfutter erfolgt.
Eine weitere, bisher wenig verbreitete Nutzungsmöglichkeit ist die Erzeugung von Biogas aus Zuckerpflanzen. Insbesondere die Zuckerrübe wird derzeit auf ihre Eignung als Substrat für Biogasanlagen überprüft.