Quantenradierer

Quantenradierer

Unter einem Quantenradierer versteht man eine experimentelle Anordnung, die bei Interferenz-Versuchen mit Quantenobjekten das Ergebnis fundamental verändern kann und aufschlussreiche Einblicke in einige Besonderheiten der Quantenphysik gibt. Während die Verfügbarkeit der „Welcher-Weg“-Information das Zustandekommen eines Interferenzmusters ausschließt, kann ein Quantenradierer diese Information wieder löschen, wodurch dann doch ein Interferenzmuster beobachtet werden kann. Der Begriff Radierer soll den Umstand beschreiben, dass durch nachträgliche Vernichtung einer Information eine scheinbar erfolgte Veränderung am Quantenobjekt vollständig rückgängig gemacht wird.

Bemerkenswert am Quantenradierer ist beispielsweise die Tatsache, dass sich seine Anwesenheit nichtlokal (also sozusagen überall gleichzeitig) auf das gesamte System auswirkt. Letztlich zeigt er, dass es sinnlos ist, ohne Messung über eine physikalische Realität zu sprechen.

Da der Quantenradierer relativ einfach aufgebaut ist, wird er zunehmend in Physik-Schulbüchern und Lehrplänen angesprochen.[1][2]

Welle–Teilchen–Dualismus und „Welcher–Weg“–Information

Doppelspalt mit Interferenzmuster
Doppelspalt ohne Interferenzmuster

Quantenobjekte haben stets nicht nur Wellen-, sondern auch Teilchencharakter (Welle-Teilchen-Dualismus). Lassen sich bei einem Versuch ähnlich dem Doppelspaltexperiment die Wege einzelner Quanten unterscheiden, so benimmt das Licht sich teilchenartig (keine Interferenz); sind die Wege ununterscheidbar, so offenbart es seinen Wellencharakter (Interferenzstreifen)[3]. Ein „Welcher-Weg“-Detektor, mit dessen Hilfe man den Weg eines Quantenobjekts bestimmen kann, legt dieses auf den Teilchenaspekt des Quantenobjekts fest, man beobachtet also aufgrund des Vorliegens der „Welcher-Weg“-Information statt Interferenzstreifen eine Häufungsverteilung um einen einzelnen Punkt.[4]

Dieses Phänomen wird in der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik durch den sogenannten Kollaps der Wellenfunktion erklärt. Während sich das System beim Auftreten des Interferenzmusters in einem Zustand befindet, bei dem sich die beiden möglichen Wege überlagern, führt eine Messung des tatsächlichen Weges (eben der „Welcher-Weg“-Information) dazu, dass auch nur noch dieser „benutzt“ wird (also kein Interferenzmuster auftritt).

Wenn also Photonen oder Elektronen eine entsprechende Anordnung durchlaufen, beispielsweise eine Doppelspaltanordnung, hängt das Interferenzmuster davon ab, ob man herausfinden kann, welchen Weg (durch Spalt 1 oder Spalt 2) das Quantenobjekt nahm. Dies gilt auch, wenn der Weg des Quantenobjekts nicht schon beim Passieren der Spalte, sondern erst später festgestellt wird (verzögerter Messprozess). Nur wenn der Weg objektiv unbestimmt ist in dem Sinne, dass eine Gewinnung der „Welcher-Weg“-Information nie erfolgte, ergibt sich hinter dem Doppelspalt ein Interferenzbild.

Prinzip eines Polarisationsfilters

Ein typisches Beispiel für die Gewinnung der „Welcher-Weg“-Information sind unterschiedlich (senkrecht zueinander) ausgerichtete Polarisatoren bei den zwei Spalten. Eine Messung der Polarisation des durchkommenden Quantenteilchens liefert die „Welcher-Weg“-Information, daher zerstören solche Polarisatoren die Interferenz – und das auch dann, wenn das aufgrund niedriger Intensitäten (wie beim Experiment von Taylor) nach klassischer Physik nicht verständlich ist. Als Quantenradierer dient in diesem Beispiel ein zusätzlich vor dem Schirm angebrachter weiterer Polarisator, der diese Information wieder zunichtemacht (das geschieht, wenn seine Polarisationsrichtung jeweils 45° zu den beiden Spalt-Polarisatoren ausgerichtet ist).

Frühere Deutung, weshalb die Interferenz verschwindet

Im Ringen um die angemessene Interpretation der Quantenmechanik waren sich Niels Bohr und Werner Heisenberg einig darin[5], dass ein solches Verschwinden von Interferenzstreifen durch die Störung des Quantenobjekts beim Messen des Weges erfolgt. Misst man z.B. im Gedankenexperiment von Niels Bohr den Impuls des Schirmes, in dem sich die Spaltlöcher befinden, mit genügender Genauigkeit, um (im Teilchenbild) Rückschlüsse auf den Weg des Photons zu nehmen, so erzeugt das nach Bohr über die Heisenbergsche Unschärferelation eine Ortsunschärfe, die das Interferenzbild „verschmiert“ und somit zerstört. Die Kohärenz der beiden Teilwellen wird als Folge der Messung unwiederbringlich zerstört, damit wird ihre Interferenz verhindert. Bis in die 1990er Jahre hinein vertraten einige Theoretiker, etwa Pippa Storey (damals an der Universität Auckland, Neuseeland), diese Interpretation des Messvorgangs als eine irreversible Störung des Objekts. Diese pochten somit auf die Unmöglichkeit von Quantenradierern.[6]

Experimentelle Realisierung

Leonard Mandel u. a. variierten 1991 den Doppelspalt-Aufbau dahin gehend, dass sie mittels geeigneter Kristalle die Information bestimmen können, welchen Weg das Photon nahm. Sobald man diese Information erheben kann, verschwindet das Interferenzmuster. Das Interferenzmuster entsteht wieder, wenn man die „Welcher-Weg-Information“ (z. B. mit einem halbdurchlässigen Spiegel) löscht, bevor das Photon den Schirm erreicht.[7][8]

Eine Forschergruppe um Anton Zeilinger demonstrierte 1994 in einer Apparatur, in der ein doppelbrechender Kristall durch Laserbestrahlung zur Emission von vertikal polarisierten Photonenpaaren angeregt wurde, einen Analysator, der nur Licht mit einer unter 45 Grad geneigten Polarisationsebene durchließ, als Quantenradierer.[9]

Aufbauend auf ein Experiment von Marlan Scully, B. G. Englert und Herbert Walther (1991) [10] wurde im Jahr 2000 von Stephen Patrick Walborn auch ein verzögerter Quantenradierer vorgestellt.[11]

Folgerungen aus der Existenz von Quantenradierern

Der Quantenradierer zeigt, dass sich in der Quantenphysik die Spuren eines Beobachtungsvorgangs völlig beseitigen lassen. Man muss nur dafür sorgen, dass die dabei gewonnene Information noch innerhalb des Systems – das heißt, bevor sie zu einem äußeren Beobachter gelangt – spurlos gelöscht wird. Das erscheint dann paradox, wenn man (irregeleitet durch die Alltagserfahrung mit makroskopischen Objekten) glaubt, dass die Erhebung der „Welcher-Weg-Information“ das Quantenobjekt augenblicklich verändert, ihm im obigen Beispiel etwa eine bestimmte Polarisation „mitgibt“. Das Ausbleiben der Interferenz erscheint dann als kausales Ergebnis dieser Änderung, ein Aufheben dieser Veränderung ist nicht denkbar. Aus Experimenten wie dem Quantenradierer muss man aber zwingend schließen, dass die physikalische Realität ohne Messung nicht existiert, das heißt die Polarisation manifestiert sich erst dann, wenn sie gemessen wird, nicht durch den Polarisator.

Auf die Alltagsebene übertragen wäre das analog zu einem Färbemittel, das die Haare eines Menschen grün färbt, aber erst wirkt, wenn der erste Beobachter tatsächlich hingesehen hat – vorher lässt sich der Effekt der Farbe folgenlos ungeschehen machen.

Quellen

  • Michael Springer: Welle oder Teilchen - ein Test mit dem Quantenradierer. In: Spektrum der Wissenschaft. 1/1996, Spektrum der Wissenschaft Akademischer Verlag, 1996.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gymnasialer Lehrplan Baden-Württemberg
  2. Physik - Gymnasiale Oberstufe. Duden Paetec, 2005, ISBN 978-3-89818-311-4.
  3. Siehe z.B. Richard Feynman Lectures on Physics
  4. Herbert Walther, B.-G. Englert, Marlan Scully: Komplementarität und Welle Teilchen Dualismus. In: Spektrum der Wissenschaft. 2, Spektrum der Wissenschaft Akademischer Verlag, 1995, S. 50ff.
  5. Michael Springer: Welle oder Teilchen - ein Test mit dem Quantenradierer. In: Spektrum der Wissenschaft. 1, Spektrum der Wissenschaft Akademischer Verlag, 1996.
  6. "Nature", Band 367, Seiten 626 bis 628, 17. Februar 1994
  7. National Academy of Sciences: Biographical Memoirs V.87 Leonard Mandel. 2006, ISBN 978-0-309-09579-2.
  8. A.G. Zajonc, L.J. Wang, X.Y. Zou & L. Mandel: Quantenradierer. In: Nature 353. Nature publishing group, 1991 (Originaltitel: Quantum eraser), S. 507-508.
  9. "Physical Review Letters", Band 75, Heft 17, Seiten 3034 bis 3037, DOI: 10.1103/PhysRevLett.75.3034
  10. M. Scully, B. G. Englert und H. Walther: In: Nature. Band 351, 1991, S. 111
  11. Publikation in PHYSICAL REVIEW A, VOLUME 65, 033818, DOI: 10.1103/PhysRevA.65.033818