Clifford-Algebra
Die Clifford-Algebra (nach William Kingdon Clifford) ist ein mathematisches Konstrukt, das in der Differentialgeometrie sowie in der Quantenphysik Anwendung findet. Sie dient der Definition der Spin-Gruppe und ihren Darstellungen, der Konstruktion von Spinorfeldern/-bündeln, die wiederum zur Beschreibung von Elektronen und anderen Elementarteilchen wichtig sind, sowie zur Bestimmung von Invarianten auf Mannigfaltigkeiten.
Die Frage nach komplexen Einheiten
Vorbetrachtung
Es gibt in der Mathematik Zahlensysteme (Divisionsalgebra mit 1) mit komplexen Einheiten, genauer die komplexen Zahlen, die Quaternionen und Oktaven. In diesen können jeweils 1, 3 oder 7 Elemente
erfüllt, wobei
Die Elemente
Diese Struktur ist, bis auf die genannten Beispiele, kein Zahlensystem, sondern kann nur als Algebra realisiert werden, in welcher die
und
und sonst keine algebraische Beziehung der Erzeugenden gilt.
Bis hierher haben wir formale Rechenregeln aufgestellt, wissen aber noch nichts über die Existenz, Eindeutigkeit und Struktur einer solchen Algebra. Dieses Problem ist sofort gelöst, wenn man die Clifford-Algebra als Teil einer reellen Matrixalgebra darstellen kann.
Allgemeinere Betrachtung
Im mathematischen Teil werden die Rechenregeln durch eine universelle Eigenschaft ergänzt und die Clifford-Algebra aus einer Tensoralgebra konstruiert. Es sei vorerst nur angemerkt, dass die Erzeugenden
, wobei
und .
Die Erzeugenden bilden dann eine Orthonormalbasis auf
Ein solches Paar aus reellem Vektorraum und darauf definierter quadratischer Funktion
Beispiele
- Die komplexen Zahlen
können als einfachste Clifford-Algebra mit einem einzigen Erzeugenden verstanden werden. Der Vektorraum ist eindimensional von erzeugt, die Algebra als Vektorraum zweidimensional von erzeugt, die quadratische Funktion ist das Quadrat des Arguments. Die reelle Algebra ist die der 2x2-Matrizen
.
- Die Quaternionen ergeben sich aus der Clifford-Algebra
. Die Erzeugenden haben ein nichttriviales Produkt , aus den definierenden Eigenschaften des Produkts ergibt sich, dass es mit dem Produkt der Quaternionen übereinstimmt. Der Vektorraum ist reell zweidimensional, die Algebra reell vierdimensional. Eine Matrixdarstellung ist die Teilalgebra der komplexen 2x2-Matrizen
,
- durch Einsetzen der reellen 2x2-Matrizen der komplexen Zahlen a und b ergibt sich eine Teilalgebra der reellen 4x4-Matrizen.
, die Algebra der binären Zahlen, hat ein Erzeugendes mit Quadrat 1. Daher können Elemente der reell 2-dimensionalen Algebra in zwei Summanden aufgespaltet werden , von denen der erste unter Multiplikation mit sein Vorzeichen behält und der zweite sein Vorzeichen ändert. In der Multiplikation zweier Elemente multiplizieren sich diese Summanden separat, wie in der Multiplikation zweier Diagonalmatrizen. Die Algebra ist also isomorph zur direkten Summe zweier Kopien von , .
Definition
Mit
Die Clifford-Algebra von dem quadratischen Raum
für
Alternative Definitionen
Die Clifford-Algebra ist ein aus mathematischer Sicht natürliches Konstrukt zu einem Vektorraum mit darauf definierter quadratischer Form, denn sie kann als initiales Objekt einer Kategorie charakterisiert werden.
Als initiales Objekt
Man betrachte die Kategorie aller assoziativen
für alle aus
beziehungsweise die äquivalente Aussage
für alle
Ein initiales Objekt einer Kategorie ist dadurch ausgezeichnet, dass es zu jedem anderen Objekt der Kategorie genau einen Morphismus gibt. Wenn es mehrere initiale Objekte gibt, dann sind diese isomorph. Jedes initiale Objekt
Es sei im Folgenden
Konstruktion in der Tensoralgebra
In der Tensoralgebra
Spezielle Clifford-Algebren
- Falls
ein n-dimensionaler Vektorraum mit Standardskalarprodukt ist, so wird die Clifford-Algebra auch mit bezeichnet. Die Erzeugenden sind dann die kanonischen Basisvektoren , die quadratische Form die Quadratsumme der Koordinaten.
- Ist der Raum
ein Minkowski-Raum der Signatur mit Dimension , das heißt die quadratische Form ist gegeben durch
- so wird die Clifford-Algebra auch mit
bezeichnet.
- Zu jeder reellen Clifford-Algebra kann auch die komplexifizierte Algebra
definiert werden, hier sind alle nicht ausgearteten Bilinearformen zueinander isomorph.
Eigenschaften
Dimension
Sei
Graduierung
Die Abbildung
erfüllt ebenfalls die definierende Identität
und einen ungeraden Teil
Diese Zerlegung erzeugt eine
Filtrierte Algebra
Da die Clifford-Algebra als Quotient aus der Tensoralgebra aufgefasst werden kann und die Tensoralgebra eine natürliche Filtrierung besitzt, kann auch für die Clifford-Algebra eine Filtrierung erklärt werden. Die Abbildung
Beziehung zur Graßmann-Algebra
Die Graßmann-Algebra
Es kann umgekehrt jede Clifford-Algebra
.
Die Dimension der Algebra bleibt dabei erhalten, sie ist
Diese Beziehung ist unter anderem für die Quantisierung supersymmetrischer Feldtheorien wichtig.
Beziehung zur orthogonalen Gruppe
Sei
Ist
Die Pin-Gruppe
Umgekehrt lässt sich jede orthogonale Abbildung in ein Produkt aus Spiegelungen zerlegen, siehe Householdertransformation beziehungsweise QR-Zerlegung. Die Zerlegung ist nicht eindeutig, aber die Clifford-Produkte der Einheitsvektoren der Spiegelmatrizen unterscheiden sich höchstens im Vorzeichen.
Zunächst wird die Pin-Gruppe als Menge aller Produkte von Einheitsvektoren definiert:
Diese Menge ist ein Untermonoid des multiplikativen Monoids der Clifford-Algebra und wird zur Gruppe durch die Existenz eines Inversen:
.
Jedoch gilt, dass jedem Element aus
entspricht, deren Unabhängigkeit von der gewählten Faktorisierung aus der Eindeutigkeit des Inversen folgt. Weiter ist bekannt, dass
Die Spin-Gruppe
Physikalisch und geometrisch bedeutsam ist aber eine Untergruppe der Pin-Gruppe, die Spin-Gruppe
der Produkte mit gerader Anzahl von Faktoren (aus der spielerischen Neudeutung der Spin-Gruppe als „spezielle Pin-Gruppe“ ergab sich der Begriff „Pin“-Gruppe). Von dieser ist bekannt, dass sie ebenfalls eine zweifache Überlagerung der speziellen orthogonalen Gruppe
Die komplexe Clifford-Algebra
Sei
Diese Definition ist unabhängig vom komplexifizierten Skalarprodukt, denn auf
Darstellungen
Eine Darstellung einer Algebra ist eine Einbettung dieser in die Algebra der Endomorphismen eines Vektorraums, also (nach Basiswahl) in eine Matrixalgebra. Dabei können die Matrizen reelle, komplexe oder quaternionische Einträge haben.
Es lässt sich zeigen, dass jede Clifford-Algebra zu einer Matrixalgebra oder der direkten Summe zweier Matrix-Algebren über den reellen Zahlen
Reelle Clifford-Algebra
Die Zuordnung und Dimension der reellen Clifford-Algebren tabelliert sich wie folgt:
p−q mod 8 | ω2 | Cl(p,q,R) (p+q = 2m) |
p−q mod 8 | ω2 | Cl(p,q,R) (p+q = 2m + 1) |
0 | + | R(2m) | 1 | − | C(2m) |
2 | − | H(2m−1) | 3 | + | H(2m−1) ⊕ H(2m−1) |
4 | + | H(2m−1) | 5 | − | C(2m) |
6 | − | R(2m) | 7 | + | R(2m) ⊕ R(2m) |
Dabei gelten die folgenden allgemeinen Isomorphien:
Komplexe Clifford-Algebra
Die Darstellung der komplexen Clifford-Algebra ist einfacher als die der reellen. Es gilt nämlich
In diesem Zusammenhang gilt die Isomorphie
die auch essentiell für den Beweis der Darstellung ist. Ist
Niedrigdimensionale Beispiele
Die Dimension von
- hat den Generator
mit . Es gibt also eine komplex eindimensionale Darstellung, welche auf die imaginäre Einheit i abbildet, und die entsprechende reell zweidimensionale.
- Der Generator ist
mit . Jedes Element der Algebra kann in zwei Summanden und aufgespaltet werden. Da gilt, erhält sich diese Aufspaltung unter Produktbildung. Die Clifford-Algebra ist also isomorph zum mit gliedweisem Produkt, wobei dem Element entspricht und dem Einselement. Diese direkte Summe zweier Algebren kann auch als Algebra der 2x2-Diagonalmatrizen realisiert werden.
- hat die Generatoren
und und deren Produkt k=ij mit den Relationen .- Man rechnet nach, dass dies zur Algebra der Quaternionen isomorph ist.
- hat die Generatoren
und , , und . Man überzeugt sich, dass die Generatoren folgenden reellen 2x2-Matrizen entsprechen: - somit alle reellen Matrizen erreicht werden.
- hat die Generatoren
und mit Quadrat 1, deren Produkt hat das Quadrat , somit ist diese Algebra isomorph zur vorhergehenden.
Quantenphysikalisch bedeutsame Beispiele
- Cl(3,0)≅Cl(2,0)⊗Cl(0,1)≅
(Biquaternionen)
- hat die Generatoren
, und mit den Relationen , , , .
- Sowohl reelle als auch komplexe Darstellungen zerfallen als V=V+⊕V-, wobei V+ Nullraum des Projektors (1-ω)/2, V- Nullraum des Projektors (1+ω)/2 mit ω:=e1e2e3 ist. Es gilt ekω=ωek, so dass beide Untervektorräume voneinander unabhängige Unterdarstellungen erzeugen.
- Eine rein negative Darstellung, d.h. mit V+={0}, ist direkt zur Quaternionen-Algebra isomorph,
- e1↦i, e2↦j und e3↦k,
- eine rein positive ist konjugiert isomporph,
- e1↦-i, e2↦-j und e3↦-k.
- In beiden Fällen gilt das zu
gesagte.
- Cl(2,1)≅Cl(1,1)⊗Cl(1,0)≅M2(ℂ)
- Cl(1,2)≅Cl(1,1)⊗Cl(0,1)≅M2(ℝ)⊕M2(ℝ)
- Cl(0,3)≅Cl(0,2)⊗Cl(1,0)≅
- Cl(4,0)≅Cl(2,0)⊗Cl(0,2)≅M2(ℍ)
- Der gerade Teil dieser Algebra, der die Spin4-Gruppe enthält, ist zu
isomorph. Er wird erzeugt von , es ist z. B. .
- Cl(3,1)≅Cl(1,1)⊗Cl(2,0)≅M2(ℍ)
- Cl0(3,1)≅Cl(3,0)≅
oder - Cl0(3,1)≅Cl(2,1)≅M2(ℂ)
- Cl(1,3)≅Cl(1,1)⊗Cl(0,2)≅M4(ℝ)
- Cl0(1,3)≅Cl(0,3)≅
oder - Cl0(1,3)≅Cl(1,2)≅M2(ℝ)⊕M2(ℝ)
Literatur
- Bartel L. van der Waerden: Algebra I. Springer-Verlag, 9. Aufl. 1991, ISBN 3-540-56799-2.
- Bartel L. van der Waerden: A history of Algebra. Springer-Verlag, 1985, ISBN 3-540-13610-X.
- H.B. Lawson, M. Michelsohn: Spin Geometry. Princeton University Press, 1989, ISBN 978-0691085425.
Weblinks
- Majorana-Spinoren und allgemeine Darstellungstheorie (PDF-Datei; 239 kB)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Nicole Berline, Ezra Getzler, Michèle Vergne: Heat kernels and Dirac operators (= Grundlehren der mathematischen Wissenschaften 298). Berlin u. a. Springer 1992, ISBN 0-387-53340-0, S. 100.
- ↑ H. B. Lawson, M. Michelsohn: Spin Geometry. Princeton University Press, 1989, ISBN 978-0691085425, S. 9–10.