Bethe-Formel

Bethe-Formel

(Weitergeleitet von Bethe-Bloch-Formel)

Die Bethe-Formel bzw. Bethe-Bloch-Formel gibt den Energieverlust pro Weglängeneinheit an, den schnelle geladene schwere Teilchen (z. B. Protonen, Alphateilchen, Atomionen) beim Durchgang durch Materie aufgrund von Ionisation erleiden. Neben der Geschwindigkeit und der Ladung der Projektilteilchen ist auch das Bremsvermögen des Targetmaterials relevant. Die nicht-relativistische Formel wurde von Hans Bethe 1930 aufgestellt; die unten gezeigte relativistische Version stellte Bethe 1932 auf.[1]

Die Bethe-Bloch-Formel gilt nicht für Elektronen[2]. Zum einen ist für diese der Energieverlust durch Ionisation wegen ihrer Ununterscheidbarkeit mit den Hüllenelektronen des Materials anders. Zum anderen kommt bei Elektronen aufgrund ihrer geringen Masse ein bedeutender Energieverlust durch Bremsstrahlung hinzu. Der Energieverlust von Elektronen kann stattdessen mit Hilfe der Berger-Seltzer-Formel beschrieben werden[3].

Die Formel

Bewegen sich schnelle geladene Teilchen durch Materie, so wechselwirken sie mit den Hüllenelektronen der Atome des Materials. Diese Wechselwirkung führt zur Anregung oder zur Ionisation der Atome. Dadurch erleidet das durchquerende Teilchen einen Energieverlust, welcher durch die unten angegebene Formel näherungsweise angegeben wird. Die relativistische Form der Formel lautet:

$ -{\frac {\mathrm {d} E}{\mathrm {d} x}}={\frac {4\pi nz^{2}}{m_{\rm {e}}c^{2}\beta ^{2}}}\cdot \left({\frac {e^{2}}{4\pi \epsilon _{0}}}\right)^{2}\cdot \left[\ln \left({\frac {2m_{\rm {e}}c^{2}\beta ^{2}}{I\cdot (1-\beta ^{2})}}\right)-\beta ^{2}\right] $ (1)

wobei

$ \beta $ = $ v/c $
$ v $ = Geschwindigkeit des Teilchens
$ E $ = Energie des Teilchens
$ x $ = Weglänge
$ c $ = Lichtgeschwindigkeit
$ z $ = Ladungszahl des Teilchens ($ z\cdot e $ = Ladung des Teilchens)
$ e $ = Elementarladung
$ n $ = Elektronendichte des Materials
$ m_{\rm {e}} $ = Ruhemasse des Elektrons
$ I $ = mittleres Anregungspotential des Materials (s.u.)
Bremsvermögen von Aluminium für Protonen als Funktion der Energie des Protons, mit Bethe-Formel ohne (rot) bzw. mit Korrekturen (blau)

Die Elektronendichte $ n $ lässt sich dabei mit $ n={\frac {Z\cdot \rho }{A\cdot u}} $ berechnen. Dabei ist $ \rho $ die Dichte des durchdrungenen Materials, Z und A Ordnungs- bzw. Atommassenzahl des Materials und $ u $ die atomare Masseneinheit.

Im Bild rechts bedeuten die kleinen Kreise Messergebnisse, die von verschiedenen Arbeitsgruppen aus Messungen gewonnen wurden[4]; die rote Kurve stellt die Bethe-Formel dar. Offenbar ist die Übereinstimmung von Bethes Theorie mit den Experimenten oberhalb von 0.5 MeV sehr gut, besonders wenn die Korrekturen (s.u.) hinzugefügt werden (blaue Kurve).

Für kleine Energien, d. h. für kleine Teilchengeschwindigkeiten $ (\beta \ll 1) $, reduziert sich die Bethe-Formel auf

$ -{\frac {\mathrm {d} E}{\mathrm {d} x}}={\frac {4\pi nz^{2}}{m_{e}v^{2}}}\cdot \left({\frac {e^{2}}{4\pi \varepsilon _{0}}}\right)^{2}\cdot \left[\ln \left({\frac {2m_{e}v^{2}}{I}}\right)\right]. $

Für kleine Energien fällt laut Bethe-Formel der Energieverlust bei steigender Energie etwa mit $ 1/v^{2} $ ab und erreicht ein Minimum bei etwa $ E=3m_{T}c^{2} $, wobei $ m_{T} $ die Masse des Teilchens ist (also z. B. für Protonen etwa bei 3 GeV, was im Bild nicht mehr sichtbar ist). Im stark relativistischen Bereich $ (\beta \approx 1) $ steigt der Energieverlust wieder logarithmisch an. Da für viele in der Teilchenphysik relevante Strahlungsteilchen und Absorbermaterialien der Energieverlust in der Nähe des Minimums in etwa den gleichen Wert hat, werden Teilchen mit einer Energie in der Nähe des Minimums häufig zusammengefasst und als MIPs (Minimum Ionizing Particles, dt. minimal ionisierende Teilchen) bezeichnet. Als Faustformel für den spezifischen Energieverlust der MIPs gilt:

$ -{\frac {1}{\rho }}{\frac {\mathrm {d} E}{\mathrm {d} x}}\approx 2{\frac {\mathrm {MeV} }{\mathrm {g} \;\mathrm {cm} ^{-2}}} $[5].

Bei noch höheren Energien müssen auch die Teilchenreaktionen berücksichtigt werden, die aufgrund der hohen kinetischen Energie des Strahlungsteilchens zu Sekundärteilchen führen. Der Energieverlust kann daher noch weiter ansteigen, hängt dann aber teilweise wieder vom Material ab.

Bei kleinen Energien ist die Bethe-Formel nur dann gültig, wenn diese so hoch sind, dass das ionisierende und auch selbst geladene und ionisierte Teilchen keinerlei Hüllenelektronen mehr mit sich führt. Wenn das ionisierende Teilchen noch Elektronen mit sich führt, wird die effektive Teilchenladung dadurch reduziert, und das Bremsvermögen ist kleiner. Auch wenn das atomare Teilchen vollständig ionisiert ist, ist die Bethe-Formel jedoch nur eine Näherungsgleichung, so dass für eine höhere Genauigkeit noch Korrekturen notwendig sind (s.u.).

Das mittlere Anregungspotential

Im Gültigkeitsbereich der Bethe-Formel (1) wird das durchdrungene Material durch eine einzige Konstante, das mittlere Anregungspotential $ I $, beschrieben.

Felix Bloch hat 1933 gezeigt, dass das mittlere Anregungspotential der Atome im Mittel etwa

$ I=(10eV)\cdot Z $ (2)

beträgt, wo $ Z $ die Ordnungszahl der Atome des Materials bedeutet. Setzt man diese Größe in Formel (1) oben ein, so führt das zu einer Gleichung, die oft als Bethe-Bloch-Gleichung bezeichnet wird. Da es aber genauere Tabellen von $ I $ als Funktion von $ Z $ gibt (z. B. im ICRU Report 49 der International Commission on Radiation Units and Measurements, „Stopping Powers and Ranges for Protons and Alpha Particles“, 1993), erhält man durch Verwendung einer solchen Tabelle bessere Resultate als mit Formel (2).

Das mittlere Anregungspotential $ I $ von Elementen, dividiert durch die Ordnungszahl Z, aufgetragen über der Ordnungszahl

Im Bild links ist das mittlere Anregungspotential der verschiedenen Elemente gezeigt, das die Information über das jeweilige Atom enthält. Die Daten stammen aus dem ICRU Report 49. Den Spitzen und Tälern in der Darstellung („Z2-Oszillationen“, wobei Z2 = Z die Ordnungszahl des Materials bedeutet) entsprechen niedrigere bzw. höhere Werte des Bremsvermögens; diese Oszillationen beruhen auf der Schalenstruktur der Elemente. Wie das Bild zeigt, gilt Formel (2) nur näherungsweise.

Korrekturen zur Bethe-Formel

Die Bethe-Formel wurde von Bethe mit Hilfe der quantenmechanischen Störungstheorie abgeleitet, das Ergebnis ist daher dem Quadrat der Ladung $ z $ proportional. Eine bessere Beschreibung erhält man, wenn man auch Abweichungen berücksichtigt, die höheren Potenzen von $ z $ entsprechen, und zwar den Barkas-Andersen-Effekt (proportional $ z^{3} $; nach Walter H. Barkas und Hans Henrik Andersen) und die Bloch-Korrektur (proportional $ z^{4} $; nach Felix Bloch). Außerdem ist es notwendig, die Bewegung der Hüllenelektronen im Atom des Materials zu berücksichtigen („Schalenkorrektur“).

Diese Korrekturen sind beispielsweise in den Programmen PSTAR und ASTAR des National Institute of Standards and Technology (NIST), die das Bremsvermögen für Protonen bzw. Alphateilchen berechnen, eingebaut.[6] Die Korrekturen sind groß bei niedrigen Energien und werden immer kleiner, je größer die Energie wird.

Zusätzlich kommt bei sehr hohen Energien noch Fermis Dichtekorrektur[7] hinzu.

Literatur

  • P. Sigmund: Particle Penetration and Radiation Effects, General Aspects and Stopping of Swift Point Charges (= Springer Series in Solid State Sciences. Vol. 151). Springer, Berlin/Heidelberg 2006, ISBN 978-3-540-72622-7.
  • H. Bethe: Zur Theorie des Durchgangs schneller Korpuskularstrahlen durch Materie. In: Annalen der Physik. 397, Nr. 3, 1930, S. 325–400, doi:10.1002/andp.19303970303 (Ursprüngliche Publikation von Bethe).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. P. Sigmund: Particle Penetration and Radiation Effects, General Aspects and Stopping of Swift Point Charges (= Springer Series in Solid State Sciences. Vol. 151). Springer, Berlin/Heidelberg 2006, ISBN 978-3-540-72622-7.
  2. H. A. Bethe, J. Ashkin: Passage of radiation through matter. In: E. Segré (Hrsg.): Experimental Nuclear Physics. Vol. 1, Part II, New York 1953, S. 253.
  3. http://geant4.web.cern.ch/geant4/G4UsersDocuments/UsersGuides/PhysicsReferenceManual/html/node41.html
  4. Bildquelle www.exphys.uni-linz.ac.at/Stopping/
  5. Claude Amsler: Kern- und Teilchenphysik. vdf Hochschulverlag AG, 2007, ISBN 9783825228859, S. 116 (eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  6. PSTAR and ASTAR Databases for Protons and Helium Ions
  7. ICRU Report 49, International Commission on Radiation Units and Measurements, Bethesda, MD, USA (1993)