Atommülllager Gorleben

Atommülllager Gorleben

Blick auf das Transportbehälterlager Gorleben („Castor-Zwischenlager“) für hochradioaktiven Atommüll (Halle links)
Transport hoch radioaktiven Atommülls von La Hague nach Gorleben, 2008
Teile der Gebäude des Erkundungsbergwerks am Salzstock Gorleben-Rambow

Unter der Bezeichnung Atommülllager Gorleben werden verschiedene Einrichtungen zur Zwischenlagerung, Weiterbehandlung und möglichen Endlagerung radioaktiven Abfalls auf dem Gebiet der ostniedersächsischen Gemeinde Gorleben, Landkreis Lüchow-Dannenberg, zusammengefasst. Hierzu gehört das Transportbehälterlager Gorleben (das Ziel der umstrittenen Atommüll-Transporte aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague) und das ebenfalls umstrittene Erkundungsbergwerk im Salzstock Gorleben, dessen Eignung zur Endlagerung seit langem geprüft wird.

Übersicht

Zurzeit gibt es etwa zwei Kilometer südlich des Dorfes Gorleben vier Anlagen:

  • das Transportbehälterlager Gorleben als Zwischenlager für Behälter (unter anderem die deutschen Castoren und die französischen TN 85) mit abgebrannten Brennelementen und verglasten hochradioaktiven Abfällen. Diese oberirdische Betonhalle – nicht das Bergwerk – ist das Ziel der meist jährlich stattfindenden Atommülltransporte vom nordfranzösischen La Hague, wo diese Abfälle deutscher Kernkraftwerke aufgearbeitet wurden.[1]
  • das Abfalllager Gorleben als Zwischenlager für schwach wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle, die aus dem Betrieb deutscher Kernkraftwerke sowie aus Forschung und Industrie stammen,
  • die Pilot-Konditionierungsanlage Gorleben,
  • das Erkundungsbergwerk Gorleben, ein mögliches Endlager für radioaktive Abfälle.

Das Transportbehälterlager, das Abfalllager und die Pilot-Konditionierungsanlage werden betrieben von der Brennelementlager Gorleben GmbH, einer Tochtergesellschaft der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS), die wiederum mehrheitlich im Besitz der Energiekonzerne E.ON, RWE und Vattenfall Europe ist. Der Betreiber des Erkundungsbergwerks ist die DBE mbH, die zu 75 % der GNS und zu 25 % der bundeseigenen Energiewerke Nord GmbH gehört.

Geplant waren in der Region zeitweise noch weitere Projekte der Kernenergiewirtschaft:

  • ein Nukleares Entsorgungszentrum,
  • eine Wiederaufarbeitungsanlage für Kernbrennstoffe bei Dragahn in der Gemeinde Karwitz westlich von Dannenberg und
  • ein Kernkraftwerk bei Langendorf an der Elbe.[2][3]

Die Planungen wurden verworfen, unter anderem weil sie politisch nicht durchsetzbar waren.

Endlagerprojekt Gorleben

Ein Salzstock im Untergrund bei Gorleben war bzw. ist als Endlager für alle Arten von radioaktiven Abfällen vorgesehen. Die Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern für Abfallstoffe mbH (DBE mbH) betreibt hier ein sogenanntes Erkundungsbergwerk, das möglicherweise in Zukunft als Endlager für hochradioaktiven Atommüll dienen soll. Die Eignung ist allerdings stark umstritten und derzeit ungeklärt.

Die Standortentscheidung war im Jahr 1977 unter der SPD-Bundesregierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt und der CDU-Landesregierung von Ministerpräsident Ernst Albrecht gefallen und im innerdeutschen Kalten Krieg maßgeblich nach politischen Kriterien erfolgt – insbesondere in Hinblick auf die allgemein dünne Besiedlung der Gegend im damaligen Zonenrandgebiet zur DDR und wegen der Nähe zu Morsleben und dem dort im Aufbau befindlichen Endlager Morsleben.[4]

Protest

Gedenkstein in Hannover, aufgestellt beim Gorleben-Treck 1979 der „100.000“ in die Landeshauptstadt
Das gelbe „X“ ist das allgegenwärtige Widerstandssymbol im Wendland
Ausdrucksformen des Protestes...
...der Bevölkerung in Lüchow-Dannenberg...
...entlang der Castor-Transportstrecke...
...und anderswo im Wendland...
...gesehen im Herbst 2010

Gegen die Planungen für Kernenergiewirtschaftsprojekte im Wendland wurde schon bald nach ihrer Veröffentlichung protestiert. Bei den Landtagswahlen am 4. Juni 1978 in Niedersachsen kandidierte die Grüne Liste Umweltschutz (GLU) mit Martin Mombaur als Spitzenkandidaten symbolisch für die Anti-Atomkraft-Bewegung und erzielte 3,9 Prozent. 1979 zog der Gorleben-Treck mit 500 Traktoren aus dem Wendland in die Landeshauptstadt Hannover, wo sich am 31. März 1979 über 100.000 Menschen zur größten Demonstration in der Geschichte Niedersachsens [5] zusammenfanden. Einige Wochen nach der Demonstration sagte der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht, dass die Wiederaufbereitungsanlage zu dem Zeitpunkt politisch nicht durchsetzbar sei.[5] Die Planungen sind daraufhin eingestellt worden.

Die Probebohrungen für das Endlager wurden ebenfalls von starken Protesten begleitet. So wurde 1980 unter anderem am Bohrloch 1004 ein Hüttendorf, genannt "Republik Freies Wendland" errichtet. Zeitweise besetzten bis zu 5.000 Atomkraftgegner die Umgebung der Bohrlöcher. Das Hüttendorf wurde im Juli 1980 auf Anweisung von Bundeskanzler Helmut Schmidt durch die Polizei geräumt. Der damalige Vorsitzende der Jugendorganisation der SPD (Jusos) und spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärte sich mit den Besetzern solidarisch.

Der Protest gegen die Endlagerpläne hielt seitdem an, getragen vor allem von den lokalen Widerstandsgruppen wie der BI Umweltschutz Lüchow Dannenberg oder der Bäuerlichen Notgemeinschaft.

Geologische Einschätzung

Unabhängig vom Standort stellt schon die grundsätzliche Festlegung auf Steinsalz als Wirtsgestein für ein Endlager einen Bewertungsschritt dar, der mögliche Alternativen wie Ton- oder Granitformationen, die in anderen Staaten für diesen Zweck favorisiert werden, von vorneherein ausklammert.

Konkrete geologische Aufschlussbohrungen, die zum Zweck der Erkundung zwischen 1979 und 1999 durchgeführt wurden, ergaben dann bereits zu Beginn der 1980er-Jahre, dass eine Eignung des Gorleben-Rambower Salzstocks unter anderem wegen eines instabilen Deckgebirges und wegen Grundwasserkontakts anzuzweifeln ist. So liegt die „Gorlebener Rinne“, eine bis zu 320 Meter tiefe eiszeitliche Schmelzwasserrinne aus sandig-kiesigem, grundwasserführendem Material, genau über dem tektonisch nach oben aufgewölbten Hut des Salzstocks.

Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) fordert als Mindestvoraussetzung ein Mehrbarrierensystem für eine mögliche Eignung des Salzstocks als Endlager. Das ursprünglich vermutete Deckgebirge aus mehreren hundert Meter mächtigen oligozänen Tonschichten ist in diesem Bereich so nicht vorhanden und erfüllt diese Voraussetzung nicht. Von unten sind diese Schichten durch den vertikal aufsteigenden Salzstock-Diapir und von oben durch eiszeitliche Abtragungen und Auffüllungen zerstört worden.

Es wurde festgestellt, dass salzführendes Grundwasser sich sowohl seitlich als auch vertikal vom Salzstock in Richtung Oberfläche bewegt, so dass bei Kontakt mit hochradioaktivem Material eine Kontamination der Biosphäre die Folge wäre. Bei Grundwasserkontakt mit dem Steinsalz muss mit Subrosionen, also der Bildung von Hohlräumen durch Salzablaugung gerechnet werden. In der Folge kann es zum Einsturz des Deckgebirges bis hin zur Bildung von Dolinen an der Erdoberfläche kommen. Für solche Vorgänge gibt es zahlreiche Beispiele bei Salzstöcken in ganz Norddeutschland. Dazu zählt auch eine zehn Kilometer lange, tiefe Einbruchrinne über dem nordöstlichen Teil der Gorleben-Rambower Salzstruktur selbst; dort haben sich beispielsweise der 175 Hektar große Rudower See sowie der inzwischen überwiegend vermoorte Rambower See (siehe Rambower Moor) gebildet.[6][7]

Die weitere Erkundung des Standortes als mögliches Endlager, die von Kritikern als verdeckter Ausbau zum Endlagers betrachtet wird, war zwischen dem 1. Oktober 2000 und dem 1. Oktober 2010 ausgesetzt.[8] Diese als Moratorium bezeichnete Unterbrechung sollte der „Klärung konzeptioneller und sicherheitstechnischer Fragen zur Endlagerung“ dienen. Befürworter des Standortes Gorleben verlangten zwischenzeitlich eine Aufhebung des Moratoriums, um den Salzstock „weiter zu erkunden“. Gegner fordern einen Variantenvergleich mit mehreren Alternativstandorten in anderen Wirtsgesteinen, wie dies für große Planungsvorhaben sonst auch zwingend vorgeschrieben ist. Überdies halten sie die bisherigen Erkenntnisse über die örtliche geologische Situation längst für aussagekräftig genug, um Gorleben als ungeeignet für ein Atommüll-Endlager anzusehen.

Aktuelle Probleme in anderen bereits als Lager für schwach- und mittelradioaktiven Abfall genutzten Salzstöcken wie Asse II und Morsleben – darunter Deckenabstürze, Ablaugungen und Grundwassereinbrüche – werden von Kritikern als Indiz dafür gewertet, dass das Medium Steinsalz ein geologisch ungeeignetes Wirtsgestein für ein langfristig stabiles und sicheres Endlager darstelle. Dem ist entgegenzuhalten, dass es sich bei Asse II und Morsleben um ehemalige Bergwerke handelt, wohingegen das Bergwerk Gorleben ein für die Endlagerung jungfräulich erschlossenes Bergwerk ist.

Die Kosten für den Offenhaltungsbetrieb des Bergwerks Gorleben belaufen sich auf jährlich rund 22 Millionen Euro.[9]

Diskussion

Schon zu Beginn der Errichtung des Erkundungsbergwerkes – das vom früheren Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) einmal als ungenehmigter „Schwarzbau“ bezeichnet wurde – und des Zwischenlagers kam es 1979 zu Protesten der Bevölkerung und bundesweit von Atomkraftgegnern.

Es gibt auch Befürworter und durch die Planungen Begünstigte am Standort Gorleben. Die Gemeinde Gorleben sowie die Samtgemeinde Gartow bekommen vom Land Niedersachsen jährliche Ausgleichszahlungen, sogenannte Gorleben-Gelder. Auch die Atomenergiewirtschaft sowie große Teile der politischen Parteien CDU/CSU und FDP, darunter die CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel und der niedersächsische FDP-Umweltminister Hans-Heinrich Sander, setzen sich für eine alternativlose weitere Erkundung und letztlich den Ausbau des Salzstockes Gorleben als nationales oder eventuell sogar internationales Endlager für hochradioaktiven Atommüll ein.

Ende August 2009 erklärte Umweltminister Sigmar Gabriel das Atomendlager für „tot“. Es sei „praktisch ausgeschlossen“, eine weitere Erkundung des niedersächsischen Salzstocks durchzuführen. Zuvor war bekannt geworden, dass Ende 2015 ca. 115 Verträge mit Grundbesitzern in Gorleben auslaufen. Zum anderen war 1983 ein Gutachten zur Endlagerstätte, das Sicherheitsbedenken beinhaltete, nach Einflussnahme der Regierung Helmut Kohls geändert worden. CDU, CSU, FDP und die Atomindustrie halten dagegen an Gorleben als Atommülllager fest.[10]

Im April 2010 berichtete das ZDF-Magazin Frontal21 über der Redaktion und Greenpeace vorliegende, bisher vertrauliche Dokumente zu Gorleben.[11] Aus den Dokumenten geht eindeutig hervor, dass die Vorauswahl für Gorleben unter dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht wissenschaftlich nicht abgesichert war. Gerd Lüttig, ehemals Vizepräsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hatte im Auftrag der Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungsgesellschaft zwischen 1972 und 1975 bundesweit 250 verschiedene Salzstöcke für die Lagerung atomarer Reststoffe untersucht und in Klassen unterschiedlicher Eignung kategorisiert.[12] Nach seiner Aussage war der Standort Gorleben nicht in den ersten beiden Klassen erfasst.[11] Nach Lüttigs Aussagen antwortete Albrecht auf den Hinweis, dass Gorleben nicht auf der Analyseliste der vordringlichen und besonders gut geeigneten Salzstöcke stand, mit den Worten: „Das macht nichts, das ist jetzt eine politische Entscheidung“.[11] Albrecht kann sich heute nicht mehr zu den Vorgängen äußern, weil er an Demenz erkrankt ist.[13] Matthias Edler, bei Greenpeace verantwortlich für den Themenbereich Atomenergie, kam nach der Sichtung der Akten zu folgendem Schluss: „Die Akten sagen, es gab kein wissenschaftliches Auswahlverfahren, an dessen Ende als konsequentes Ergebnis der Salzstock Gorleben stand. […] Insofern kann man das nur als eine politische, und zwar als eine willkürliche Entscheidung bezeichnen“.[11] Geologische Fragen spielten eine untergeordnete Rolle.[14] Allerdings hält Geologe Lüttig nach neueren Erkundungen den Salzstock in Gorleben heute als Endlager für geeignet[4]. Im März 2010 erklärte Bundesumweltminister Norbert Röttgen, dem Standort Gorleben „aufgrund des bisherigen Erkenntnisstands“ Priorität zu geben und die Erkundung des Salzstocks nach zehnjähriger Pause ("Moratorium") wieder aufzunehmen.[15]

Im September 2010 wurde öffentlich bekannt, dass am Salzstock Gorleben Gaseinschlüsse entdeckt wurden. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass sich in größerer Tiefe womöglich große Erdgasvorkommen befinden. Diese Vermutung stützt sich auf Erdgasfunde im nur wenige Kilometer entfernten brandenburgischen Lenzen. Dort wurde in den 1960er Jahren nach Erdgas gebohrt; dabei kam es am 25. Juni 1969 zu einer schweren Gasexplosion [16], wonach die Bohrungen eingestellt wurden. Falls unter dem geplanten Atommüllendlager Gorleben ebenfalls große Gasmengen lagern, was wegen der geographischen Nähe zu Lenzen laut Prof. Dr. Klaus Duphorn wahrscheinlich ist, könnte das eine Gefahr für das geplante Endlager sein.[17][18]

Untersuchungsausschuss zu Gorleben

Der Bundestag setzte auf Antrag von 285 Abgeordneten der SPD, der Linken und der Grünen am 26. März 2010 einen Untersuchungsausschuss zu Gorleben ein. Das 15-köpfige Gremium unter Vorsitz der CDU-Parlamentarierin Maria Flachsbarth soll die Umstände klären, unter denen die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Jahr 1983 entschied, nur den Salzstock im niedersächsischen Gorleben und nicht auch geologische Formationen wie Granit oder Ton in anderen Bundesländern auf eine Eignung für die Atommüll -Endlagerung zu prüfen.[19]

Geprägt war die Debatte vor allem vom Streit um den schließlich von der Koalitionsmehrheit abgelehnten Antrag der SPD (17/1161), für die Dauer des Ausschusses auf die von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) geplante Fortsetzung der Erkundungsarbeiten in Gorleben zu verzichten, die seit einem unter Rot-Grün verhängten Moratorium ruhten.[20] Des Weiteren wurde beim Niedersächsischen Landtag ein Untersuchungsausschuss eingerichtet, der im Oktober 2012 seine Arbeit beendete.

Zwischenlager

Das Zwischenlager wurde 1983 fertiggestellt, aber wegen massiver Widerstände und Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Land und dem Bund erst 1995 in Betrieb genommen.[21] Im Transportbehälterlager soll der hochradioaktive Atommüll aus den Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague und Sellafield über einige Jahrzehnte in den Transportbehältern zwischengelagert werden, bis er sich von anfänglich 400°C auf 200°C abgekühlt hat – und ein geeignetes Endlager zur Verfügung steht. Derzeit (28. November 2011) befinden sich dort 113 dieser Container. Die Gesamtkapazität des Lagers beträgt 420 Behälter.

Kritiker äußern Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Anlage und weisen insbesondere auf den nicht vorhandenen Schutz vor Flugzeugabstürzen hin. Dagegen vertreten die Betreiber den Standpunkt, der Abfall sei in den Behältern ausreichend geschützt (vgl. hierzu Kritik an der Sicherheit der Castor-Behälter).

Proteste gegen den Bau

Bei Protesten gegen das im Bau befindliche Zwischenlager im September 1982[22] verursachten Wasserwerfer des Typs WaWe 6 bei sitzenden Demonstranten Rippenbrüche, Rückenprellungen und Nierenverletzungen; Klagen gingen bis vor das Bundesverfassungsgericht.[23][24]

Transporte zum Zwischenlager und Proteste

Momentaufnahme einer Demonstration gegen einen Castor-Transport 1996
Barrikade bei Gorleben 1996
Großkundgebung bei Splietau 2010

Bisher (Stand Dezember 2011) wurden mit 13 Transporten 113 Atommüll-Behälter in das Zwischenlager transportiert. Der erste Transport fand im April 1995 statt, der bisher letzte im November 2011. Bisher stammten die Transporte aus La Hague, Transporte aus Sellafield sollen folgen.

Es traten zweimal längere Zeiträume ohne Transporte auf:

  • Zwischen Mai 1998 und Januar 2000 wurden Castor-Transporte wegen gemessener radioaktiver Verunreinigungen vorübergehend verboten.[25]
  • 2009 fand kein Transport statt, da die neuen Container noch nicht genehmigt waren. Hintergrund waren erforderliche Vorkehrungen wegen der höheren Temperatur des geplanten Transportguts.[26]

Proteste und Blockaden

Die Proteste gegen die Atomenergienutzung und die Entsorgungspläne erreichen ihren Höhepunkt beim Transport von Castor-Behältern nach Gorleben. Hiervon besonders stark betroffen ist zum einen die Eisenbahnstrecke von Lüneburg bis zur Verladestation Dannenberg, zum anderen die Straßentransportstrecke. Von der Verladestation fahren die LKW bis zum Atommülllager Gorleben noch etwa 20 Kilometer über Landstraßen und durch Dörfer. Die Nordroute führt über Quickborn, Kacherien, Langendorf, Grippel, Pretzetze und Laase nach Gorleben, die Südroute von Dannenberg über Splietau, Gusborn, Pretzetze und Laase nach Gorleben.[27][28] Die Transporte werden von einem großen Polizeiaufgebot begleitet.[29]

Die Transporte wurden von großen Protesten begleitet und mussten von starken Polizeikräften begleitet werden. Waren es beim ersten Transport (April 1995) nur 4.000 Demonstranten und 7.600 Polizisten, so steigerte sich die Zahl der eingesetzten Polizeikräfte auf bis zu 30.000 beim dritten Transport (März 1997).[25][30]

Neben Sitzblockaden setzten die Atomkraftgegner immer wieder auf Barrikaden aus Traktoren, Baumstämmen und anderen Materialien sowie auf Ankettaktionen. So ketteten sich beispielsweise 2001 fünf Aktivisten aus dem wendländischen Widerstand sowie von Robin Wood bei Süschendorf an der Bahnstrecke Lüneburg - Dannenberg an einen im Gleisbett eingelassenen Betonblock.[31] Eine ähnliche Aktion fand 2008 bei Berg an der Bahnstrecke Lauterbourg - Wörth statt. Dort ketteten sich drei Demonstranten an.[32] Beim selben Transport kletterten später drei Demonstranten auf den Zug mit den Containern.[33] Mehrere Stunden Verspätungen entstanden durch eine Blockade, bei der sich jeweils vier Demonstranten an eine Betonpyramide auf der Straße angekettet hatten.[34] 2004 kam es zu einem Todesfall auf dem französischen Teil der Transportstrecke[35].

Überblick

Von 1995 bis 2012 waren dreizehn Transporte von Containern mit hochradioaktivem Material zu verzeichnen:

# Ankunft Container Beschreibung
1 April 1995 1 Der erste Castor-Transport fand im April 1995 statt. Die Proteste hatten mit 4.000 Demonstranten und 7.600 Polizisten noch einen geringen Umfang. Insgesamt wurde ein Container transportiert.[36]
2 Mai 1996 1 Beim zweiten Transport im Mai 1996 wurden ein Container mit in Glaskokillen verschweissten Atommüll angeliefert.[37]
3 März 1997 6 Im März 1997 waren beim dritten Transport 30.000 Polizisten bei der Anfahrt von sechs Containern im Einsatz, die Anlieferung kostete rund 56 Millionen Euro..[25][38]
4 März 2001 6 Im März 2001 wurden, nach vierjähriger Pause, sechs Container nach Gorleben gebracht. [39] 15.000 Polizisten wurden eingesetzt. Durch an den Schienenstrecken angekettete Demonstranten kam es zu insgesamt 17 Stunden Verzögerung.[40]
5 November 2001 6 Beim fünften Transport im November 2001 wurden 15.000 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz (BGS) zum Schutz des Transportes von 6 Containern eingesetzt.[41][42]
6 November 2002 12 Beim sechsten Transport im November 2002 wurden zwölf Container angeliefert. Somit waren 32 von 420 Stellplätzen für 3800 Tonnen Atommüll belegt.[25] Die Polizeikessel in den Dörfern Laase und Grippel beschäftigten die Gerichte. [43][44][45]
7 November 2003 12 Im November 2003 sicherten 12.500 Polizisten den siebten Transport. 171 Demonstranten wurden festgenommen.[46][47]
8 November 2004 12 Beim achten Castor-Transport im November 2004 wurden 12 Behälter transportiert.[37] Der französische Anti-Atom-Aktivist Sébastien Briat wurde nahe Avricourt in Frankreich im Rahmen einer versuchten Blockade vom Zug des Atommülltransports nach Gorleben erfasst und tödlich verletzt.
9 November 2005 12 Beim neunten Transport 2005 wurden 12 Behälter angeliefert.[37]
10 November 2006 12 Der zehnte Transport mit zwölf Behältern fand im November 2006 statt. Bundesweit waren 16.500 Polizisten im Einsatz, davon allein 9.400 um Gorleben.[48]
11 November 2008 11 Im November 2008 kamen beim elften Transport elf Behälter des Typs TN 85 zum Einsatz.[49][50][51] An der deutsch-französischen Grenze verzögertem drei an die Gleise gekettete Demonstranten den Transport um zwölf Stunden.[52] Beim Transport kletterten später drei Demonstranten auf den Zug mit den Containern.[53] Mehrere Stunden Verspätungen entstanden durch eine Blockade, bei der sich jeweils vier Demonstranten an eine Betonpyramide auf der Straße angekettet hatten.[54]. Die Gesamtzahl der Behälter mit hoch radioaktivem Müll in Gorleben betrug nach diesem Transport 91.[55]
12 November 2010 11 Das Bundesamt für Strahlenschutz erteilte im Mai 2010 die Genehmigung für den zwölften Transport.[56] Anfang November 2010 wurden elf neue Container mit Atommüll aus La Hague angeliefert. Der Einsatz von etwa 16.500 Polizisten war eingeplant. In Gorleben wurde erstmals die Unterstützung der Bundeswehr angefordert.[57][58]
13 November 2011 11 Am 28. November 2011 erreichte nach fast 126 Stunden ein Castortransport mit elf Containern mit hochradioaktivem Atommüll aus La Hague das Zwischenlager. Durch die massiven Protestaktionen war dies die längste Transportzeit bislang. Bei dem Transport gingen auch ausländische Polizisten gegen Demonstranten nahe Gorleben vor. Sie stammen aus Frankreich, Kroatien und Polen.[59] Insgesamt waren 19.000 Polizisten im Einsatz.[60]

Ausblick

Ab 2014 sollen 21 Behälter aus Sellafield aufgenommen werden.[61] Im August 2011 wurde bekannt, dass die Strahlung an den Messpunkten auf 0,27 Millisievert pro Jahr gestiegen sei, erlaubt sind 0,3 Millisievert pro Jahr. Die Ursache für den Strahlungsanstieg ist noch unklar. Sollte diese erlaubte Jahresdosis überschritten werden, was laut dem Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz nicht auszuschließen sei, dürften keine weitere Castoren mehr eingelagert werden. Aufgekommene Forderungen nach einer Absage der nächsten Transporte lehnte das Umweltministerium ab.[62]

Literatur

  • K. Duphorn & U. Schneider: Zur Geologie und Geomorphologie des Naturparks Elbufer-Drawehn. – Abhandl. Naturwiss. Vereinigung Hamburg (NF) 25 (1983): 9–40.
  • H. Klinge, A. Köthke, R.-R. Ludwig & R. Zwirner: Geologie und Hydrogeologie des Deckgebirges über dem Salzstock Gorleben. – Zeitschr. f. angewandte Geologie (2/2002): 7–15. (PDF online)
  • D. Appel & J. Kreusch: Gutachterliche Stellungnahme zum Zusammenfassenden Zwischenbericht über bisherige Ergebnisse der Standortuntersuchung in Gorleben der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt vom Mai 1983 - Stellungnahme im Auftrag der Fraktion die Grünen im Bundestag sowie der Fraktion Die Grünen im Niedersächsischen Landtag, 122 S., Juni 1984, Hannover.

Weblinks

Commons: Atommülllager Gorleben – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Vorlage:Commonscat/WikiData/Difference

Einzelnachweise

  1. Andreas Maier: Die Legende vom Salzstock, veröffentlicht auf zeit-online
  2. 1973 erfuhr die Öffentlichkeit erstmals von den Bauplänen eines Kernkraftwerkes in Langendorf. Dagegen gründete sich eine Bürgerinitiative, bis 1982 geleitet von Marianne Fritzen , die für ihr Engagement 2010 von der Heinrich Böll-Stiftung den 'Petra-Kelly-Preis' erhielt
  3. gorleben-archiv.de
  4. 4,0 4,1 Endlager Gorleben aus Expertensicht nur zweite Wahl, Interview des Deutschen Depeschendienstes mit dem Geologen Gert Lüttig, Abgerufen am 1. November 2009
  5. 5,0 5,1 Gisela Jaschik: März 1979: Gorleben-Treck nach Hannover. In: Norddeutsche Geschichte. ndr.de, abgerufen am 22. März 2011 (HTML, deutsch, Video).
  6. Klinge et al.: Geologie und Hydrogeologie des Deckgebirges über dem Salzstock Gorleben. (vgl. Literatur; hier als pdf-Datei direkt verlinkt)
  7. Sigrid Totz (14. November 2006): Das Mehrbarrierensystem bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Kurzfassung. Greenpeace. Abgerufen am 8. November 2010.
  8. Gorleben-Moratorium aufgehoben, NDR. 21. September 2010. Abgerufen am 8. November 2010.
  9. www.bmu.de, Informationen zum Salzstock Gorleben beim Bundesumweltministerium
  10. Energie: Gabriel beerdigt das Atomendlager Gorleben, Welt Onlinhe. 26. August 2009. Abgerufen am 12. November 2010.
  11. 11,0 11,1 11,2 11,3 Steffen Judzikowski und Christian Rohde: Willkür statt Wissenschaft – Wie Gorleben zum Endlager erkoren wurde, 13. April 2010, unter heute.de.
  12. Christoph Seidler: Greenpeace-Recherche: Dokumente entlarven Willkür bei Gorleben-Wahl, Spiegel Online. 13. April 2010. Abgerufen am 12. November 2010.
  13. Seine Tochter machte dies im Mai 2008 öffentlich
  14. Greenpeace stellt Akten ins Netz: Die Gorlebenlüge, taz. 14. April 2010. Abgerufen am 12. November 2010.
  15. Endlagerdebatte: Gorleben-Akten strahlen auf Röttgen ab, 13. April 2010, unter ftd.de.
  16. Bei der Explosion am 25. Juni 1969 starb ein Mann und sechs weitere wurden schwer verletzt. (Susanne Schrammar (20. September 2010): Salzstock Gorleben: Warnung vor neuen Risiken. Deutschlandfunk. Abgerufen am 29. Januar 2011.)
  17. Susanne Schrammar (20. September 2010): Salzstock Gorleben: Warnung vor neuen Risiken. Deutschlandfunk. Abgerufen am 8. November 2010.
  18. Björn Vogt (14. September 2010): Die Katastrophe von Rambow. wendland-net. Abgerufen am 8. November 2010.
  19. 1. Untersuchungsausschuss zum Gorleben-Endlager
  20. Untersuchungen zu Gorleben. Deutscher Bundestag (26. März 2010). Abgerufen am 8. November 2010.
  21. Hintergrund: Atommüll-Zwischenlager Gorleben. NDR (23. März 2010). Abgerufen am 12. November 2010.
  22. Fotos Gorleben 1982. Tanz auf dem Vulkan. Umbruch-Bildarchiv. Abgerufen am 12. November 2010.
  23. Wie viele Wasserwerfer braucht eine Demokratie?. In: gulli.com (26. Oktober 2010). Abgerufen am 12. November 2010.
  24. taz vom 22. November 2010: Die Verletzungsgefahr durch Wasserwerfer ist enorm hoch. Das ist den Behörden auch seit Jahrzehnten bekannt. Doch gelernt haben sie nichts, wie der Fall Dietrich Wagner beweist.
  25. 25,0 25,1 25,2 25,3 Silke Rehren (29. Juli 2010): Castor - Ein umstrittener Behälter. In: Planet Wissen. Abgerufen am 12. November 2010. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „PW“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  26. Atommüll: 2009 kein Castor-Transport, Focus. 29. April 2008. Abgerufen am 12. November 2010.
  27. Hinweise zur Transportstrecke, speziell Lüneburg-Dannenberg-Gorleben: So kommen die Castoren nach Gorleben. In: Förderverein anti atom aktuell e.V. (Hrsg.): anti atom aktuell. 2006, Nr. 172-173, Juli 2006. Abgerufen am 8. November 2010.
  28. Auf der Seite der Polizei Niedersachsen sind die Routen im Wendland als Landkarte und Beschreibung zu finden
  29. Atommüll-Transport nach Gorleben von vielen Protesten begleitet. 5. November 2010. Abgerufen am 12. November 2010.
  30. Wolf-Dieter Narr: Der CASTOR-Transport 1997 - Demonstrationen und Polizeieinsätze. In: Bürgerrechte & Polizei/CILIP. Nr. 56, Januar 1997. Abgerufen am 12. November 2010.
  31. Hubertus von Hörsten, Lisa Erdmann und Matthias Gebauer (28. März 2001): Tag II: Alles rund um den Castor. Spiegel Online,. Abgerufen am 12. November 2010.
  32. Zwölfstündige Castor-Blockade in Berg/Wörth. Aktionsbündnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim (18. November 2008). Abgerufen am 12. November 2010.
  33. Anti-Atom-Proteste: Castor-Transport rollt auf Gorleben zu, WELT. 9. November 2008. Abgerufen am 12. November 2010.
  34. Bereits 15 Stunden Verspätung durch Blockaden: Betonpyramiden machen Polizei zu schaffen, Hamburger Abendblatt. 10. November 2008. Abgerufen am 12. November 2010.
  35. http://www.stern.de/panorama/castor-transport-ein-zug-der-trauer-532010.html
  36. WDR (online)
  37. 37,0 37,1 37,2 verivox (online)
  38. CILIP (online)
  39. Heinz Ziegeldorf: Agenda 21 und Schule (online)
  40. Spiegel (online)
  41. Rhein-Zeitung (online)
  42. Spiegel (online)
  43. Oberlandesgericht Celle, AZ 22 W 6/05, 22 W 7/05, 22 W 8/05
  44. Landgericht Lüneburg, AZ 10 T 35/04, 10 T 49/04
  45. Amtsgericht Dannenberg, AZ 39 XIV 225/02, 39 XIV 225/02 L
  46. Berliner Zeitung (online)
  47. Spiegel, 12. November 2003 (online)
  48. WELT (online)
  49. WELT (online)
  50. Frankfurter Rundschau (online)
  51. Greenpeace (online)
  52. Spiegel (online)
  53. WELT (online)
  54. Hamburger Abendblatt (online)
  55. Focus (online)
  56. Spiegel (online)
  57. Süddeutsche Zeitung (online)
  58. taz (online)
  59. Kritische PolizistInnen: Gorleben. Letzter Zugriff: 8. Mai 2012
  60. Castor so lang wie noch nie unterwegs, taz.de. 28. November 2011. Abgerufen am 31. Januar 2012.
  61. Uwe Westdörp: Heiße Fracht aus La Hague, NOZ-online. 27. Oktober 2010. Abgerufen am 12. November 2010.
  62. Strahlenwerte gefährden Castor-Transport. In: Süddeutsche Zeitung, 26. August 2011. Abgerufen am 26. August 2011.


53.0262411.35052Koordinaten:

53° 1′ 34″ N, 11° 21′ 2″ O