Adiabatische Erreichbarkeit

Erweiterte Suche

Adiabatische Erreichbarkeit bezeichnet eine Relation zwischen verschiedenen Zuständen eines thermodynamischen Systems. Der von Constantin Carathéodory[1] im Jahr 1909 geprägte Begriff „adiabatic accessibility“ wurde 1999 von Elliott Lieb und Jakob Yngvason im Rahmen ihrer axiomatischen Grundlegung der Thermodynamik[2] aufgegriffen[3]. Mit Hilfe des Konzepts der adiabatischen Erreichbarkeit lässt sich die Entropie definieren, ohne die Konzepte der „Wärme“ oder der „Temperatur“ zu Hilfe zu nehmen und ohne Informationen über die mikroskopische Struktur der Materie zu nutzen.

Einen Zustand Y eines thermodynamischen Systems bezeichnet man ausgehend vom Zustand X desselben Systems als adiabatisch erreichbar, wenn es möglich ist, das System unter Zuhilfenahme einer "Apparatur" und eines Gewichts im Rahmen eines Prozesses aus dem Zustand X in den Zustand Y zu überführen, wobei die Apparatur am Ende des Prozesses in den Zustand zurückkehrt, den sie zu Beginn des Prozesses hatte. Das Gewicht darf dabei seine Lage im Schwerefeld geändert haben.

Wenn beispielsweise das System eine bestimmte Wassermenge ist, im Zustand X das Wasser in Gestalt von Schnee und im Zustand Y in flüssiger Form vorliegt, so ist Y von X aus adiabatisch erreichbar. Man schreibt dann $ X\prec Y $, gesprochen "X liegt vor Y". Beispielsweise kann ein an einem Faden befindliches Gewicht über eine Rolle, von der sich der Faden abwickelt, einen mechanischen Rührer antreiben, der den Schnee zum Schmelzen bringt. Umgekehrt ist X von Y aus nicht adiabatisch erreichbar, was zusammengefasst mit der Schreibweise $ X\prec \prec Y $ ("X liegt echt vor Y") zum Ausdruck gebracht wird.

Zwei Zustände, die wechselseitig adiabatisch erreichbar sind, heißen adiabatisch äquivalent.

Die Entropie wird dann im Rahmen der Lieb-Yngvason-Theorie als Funktion des Systemzustandes derart definiert, dass

  1. die Entropie zweier Zustände genau dann gleich ist, wenn diese adiabatisch äquivalent sind;
  2. die Entropie von Zustand X genau dann kleiner als die von Zustand Y ist, wenn Y von X aus adiabatisch erreichbar ist, nicht aber umgekehrt.

Quellen

  1. Constantin Carathéodory: Untersuchungen über die Grundlagen der Thermodynamik, Math. Ann., 67:355–386, 1909
  2. Elliott H. Lieb, Jakob Yngvason: The Physics and Mathematics of the Second Law of Thermodynamics, Phys. Rep. 310, 1-96 (1999)
  3. Für frühere Verwendung des Begriffes siehe W. Muschik: Aspects of Non-Equilibrium Thermodynamics: Six Lectures on Fundamentals and Methods (1990). Wassim M. Haddad, VijaySekhar Chellaboina und Sergey G. Nersesov verweisen in Thermodynamics: A Dynamical Systems Approach (2005) auf Constantin Carathéodory als einer der Begründer der axiomatischen Thermodynamik. Carathéodorys 1909 erschienene Veröffentlichung („Erste axiomatisch strenge Begründung der Thermodynamik“) fand große Beachtung durch Max Planck und Max Born.

Literatur

  • Elliott H. Lieb, (editors: B. Nachtergaele, J.P. Solovej, J. Yngvason): Statistical Mechanics: Selecta of Elliott H. Lieb, 2005, ISBN 978-3-540-22297-2
  • André Thess: Das Entropieprinzip - Thermodynamik für Unzufriedene, Oldenbourg-Verlag 2007, ISBN 978-3-486-58428-8

Weblinks

Die cosmos-indirekt.de:News der letzten Tage

25.09.2023
Thermodynamik | Optik | Akustik
Licht- und Schallwellen enthüllen negativen Druck
Negativer Druck ist ein seltenes und schwer nachzuweisendes Phänomen in der Physik.
20.09.2023
Sterne | Teleskope | Astrophysik
JWST knipst Überschall-Gasjet eines jungen Sterns
Die sogenannten Herbig-Haro-Objekte (HH) sind leuchtende Gasströme, die das Wachstum von Sternbabies signalisieren.
18.09.2023
Optik | Quantenphysik
Ein linearer Weg zu effizienten Quantentechnologien
Forschende haben gezeigt, dass eine Schlüsselkomponente für viele Verfahren der Quanteninformatik und der Quantenkommunikation mit einer Effizienz ausgeführt werden kann, die jenseits der üblicherweise angenommenen oberen theoretischen Grenze liegt.
17.01.1900
Thermodynamik
Effizientes Training für künstliche Intelligenz
Neuartige physik-basierte selbstlernende Maschinen könnten heutige künstliche neuronale Netze ersetzen und damit Energie sparen.
16.01.1900
Quantencomputer
Daten quantensicher verschlüsseln
Aufgrund ihrer speziellen Funktionsweise wird es für Quantencomputer möglich sein, die derzeit verwendeten Verschlüsselungsmethoden zu knacken, doch ein Wettbewerb der US-Bundesbehörde NIST soll das ändern.
15.01.1900
Teilchenphysik
Schwer fassbaren Neutrinos auf der Spur
Wichtiger Meilenstein im Experiment „Project 8“ zur Messung der Neutrinomasse erreicht.
17.09.2023
Schwarze Löcher
Neues zu supermassereichen binären Schwarzen Löchern in aktiven galaktischen Kernen
Ein internationales Team unter der Leitung von Silke Britzen vom MPI für Radioastronomie in Bonn hat Blazare untersucht, dabei handelt es sich um akkretierende supermassereiche schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien.
14.09.2023
Sterne | Teleskope | Astrophysik
ESO-Teleskope helfen bei der Lösung eines Pulsar-Rätsels
Durch eine bemerkenswerte Beobachtungsreihe, an der zwölf Teleskope sowohl am Erdboden als auch im Weltraum beteiligt waren, darunter drei Standorte der Europäischen Südsternwarte (ESO), haben Astronom*innen das seltsame Verhalten eines Pulsars entschlüsselt, eines sich extrem schnell drehenden toten Sterns.
30.08.2023
Quantenphysik
Verschränkung macht Quantensensoren empfindlicher
Quantenphysik hat die Entwicklung von Sensoren ermöglicht, die die Präzision herkömmlicher Instrumente weit übertreffen.
30.08.2023
Atomphysik | Teilchenphysik
Ein einzelnes Ion als Thermometer
Messungen mit neuem Verfahren zur Bestimmung der Frequenzverschiebung durch thermische Strahlung an der PTB unterstützen eine mögliche Neudefinition der Sekunde durch optische Uhren.