Elektronische Zunge
Eine elektronische Zunge ist ein Gerät, das den Geschmackssinn elektronisch imitieren soll.
Unter dem Stichwort elektronische Zunge verbirgt sich ein Gesamtkonzept aus Sensorik und Datenverarbeitung. Die Sensorik ist für die eigentliche Datenaufnahme zuständig. Diese Daten müssen jedoch erst sinnvoll interpretiert werden, um zu einem konkreten Ergebnis zu kommen. Im Falle der elektronischen Zunge besteht die Sensorik aus mehreren Ionensensitiven Elektroden. Diese Elektroden weisen allerdings nicht nur eine spezifische Empfindlichkeit gegenüber einem einzelnen Ion auf, sondern reagieren sensibel auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Ionen und chemischer Verbindungen. Diese Eigenschaft wird als Querempfindlichkeit bezeichnet. Die Querempfindlichkeit der Elektroden gegenüber einzelnen Ionen unterscheidet sich jedoch voneinander, so dass jede Elektrode anders auf vorhandene Ionen reagiert. Das Konzept „elektronische Zunge“ ist jedoch nur umsetzbar, da diese Querempfindlichkeit spezifisch und reproduzierbar ist. Somit ergeben sich für eine wiederholte Messung ähnliche Daten. Aus dem „Gesamtbild“ aller dieser Daten ergibt sich ein für den Analyten spezifisches Muster. Dieses Muster kann mit bereits bekannten Mustern abgeglichen werden, womit eine Identifikation eines Analyten möglich wird.
Das Gesamtkonzept versucht die biologischen Sinne, sowohl in der Sensorik, als auch der Datenanalyse, zu kopieren und elektronisch umzusetzen. Daher gibt es neben der elektronischen Zunge auch noch eine elektronische Nase für gasförmige Stoffe. Die auswertende Elektronik entspricht der der elektronischen Zunge. Jedoch werden für die Sensorik gassensitive Detektoren verwendet.
Konzept
Die elektronische Zunge besteht aus den folgenden Elementen:
- Einem Sensorarray
- Einer Signalerfassenden Elektronik mit A/D-Umsetzer
- Signalaufbereitung im PC
- Signalanalyse
Weitere Forschung wird im Bereich der Sensoren stark vorangetrieben. Hier ist vor allem eine Miniaturisierung der Elektroden wichtig. Weitere Entwicklungen sind ebenfalls im Bereich der Signalanalyse nötig.
Für die Signalanalyse kommen zum Einsatz:
- Clusterverfahren (PCA: Principal Component Analysis) (→ Hauptkomponentenanalyse)
- Fuzzylogik
- ANN (Artificial Neural Networks, künstliche Neuronale Netze)
Die Auswertende Elektronik muss in der Lage sein Muster wieder zu erkennen. Da sich die Ergebnisse, je nach Anzahl der im Sensorarray verwendeten Sensoren, über mehrere Dimensionen erstrecken (3 Sensoren = 3 Dimensionaler Ausgangsvektor) und es immer zu den nicht vermeidbaren Messfehlern kommt, muss die Elektronik diese multidimensionale und unscharfe Daten verarbeiten können.
Anwendungsfelder
Die Elektronische Zunge ist in der Lage zwischen verschiedenen Gemischen zu differenzieren /bzw. verschiedene Gemische miteinander zu vergleichen. Diese Fähigkeiten eröffnen dieser Technologie ein sehr weites Anwendungsspektrum. Anwendungsfelder wären beispielsweise:
1. Die industrielle Analytik
Im Bereich der industriellen Anwendungen ermöglicht die elektronische Zunge eine Onlineüberwachung von verschiedenen Prozessen. So ist die elektronische Zunge in der Lage, den grad an Alterung von Schmiermitteln zu bestimmen. In der Automobilbranche ließe sich somit der Zeitpunkt bestimmen, zu welchem das Motor- und Getriebeöl verschlissen ist. Somit könnten Routineölwechsel entfallen und das Öl müsste nur zu dem Zeitpunkt gewechselt werden, zu dem es seine Gleitfähigkeit verloren hat. Der Einsatz der elektronischen Zunge würde somit sowohl die Unterhaltskosten für ein KFZ senken, als auch die Umwelt entlasten, da Altölabfälle minimiert werden würden.
2. Die klinische Analytik
Im klinischen Bereich bietet die elektronische Zunge die Möglichkeit, Laborkosten zu reduzieren und viele Untersuchungen nahezu in Echtzeit durchzuführen. Es könnten viele aufwendige chemische Analysen entfallen, da die elektronische Zunge in der Lage ist, verschiedene Verbindungen und Ionen in den Körperflüssigkeiten nachzuweisen, bzw. deren Konzentration zu überwachen. Auch kann ein direkter Vergleich zwischen den Körperflüssigkeiten eines Kranken Patienten mit denen eines gesunden Patienten erfolgen. Gerade die Urinanalyse stellt hierbei ein interessantes Anwendungsfeld dar, da sich sogar eine routinemäßige Onlineüberwachung des Urins realisieren lassen könnte.
3. Nahrungsmittelanalytik
Die Nahrungsmittelindustrie stellt einen sehr wichtigen Anwendungsbereich für die elektronische Zunge dar. Da diese Technologie stark an die biologischen Sinne angelehnt ist, eignet sie sich hervorragend für die Differenzierung diverser Nahrungsmittel. Sinnvoll erscheint der Einsatz der elektronischen Zunge im Bereich der Prozessüberwachung bei der industriellen Produktion von Lebensmitteln und Getränken. Gerade im Falle von Getränken lässt sich der Prozess Online überwachen. Eicht man eine elektrische Zunge analog zum menschlichen Geschmackssinn, so ist es möglich, geschmackliche Abweichungen schon im laufenden Prozess zu erkennen. Dadurch kann einer Abweichung relativ schnell entgegengesteuert werden, so dass Produktionsausfälle minimiert werden können. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist der Schutz vor Plagiaten. Da die elektronische Zunge in der Lage ist mit hoher Zuverlässigkeit zwischen Substanzen zu unterscheiden, können direkt vor Ort Untersuchungen durchgeführt und Plagiate mit hoher Wahrscheinlichkeit erkannt werden. Die elektronische Zunge minimiert aufwendige Laboruntersuchung und beschleunigt Entscheidungen. Dadurch werden Kosten für den Plagiat Schutz minimiert.
4. Umweltanalytik
Auch im Bereich der Umweltanalytik kann die elektronische Zunge Kosten senken und durch Onlineüberwachung mögliche Umweltbelastungen reduzieren. So bietet sich ihr Einsatz in der Überwachung des Abwassers von Kläranlagen und Industrieanlagen an. Schon geringe Verunreinigungen können frühzeitig erkannt werden, so dass eingegriffen werden kann, bevor eine tatsächliche Gefährdung der Umwelt eintreten würde. Die elektronische Nase kann, als elektronische Zunge für Gase, eine konkrete Überwachung von Geruchsbelästigung ermöglichen. Wird sie nach dem menschlichen Geruchssinn geeicht, so können wissenschaftlich fundierte Aussagen über die Belastung der Umwelt mit unangenehmen Gerüchen gemacht werden.
Siehe auch
- Signalverarbeitung
- Neuronales Netz
- Clusteranalyse