Dilatanz (Fluid)

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Dilatanz (von lateinisch dilatus verzögernd, aufschiebend, hinhaltend, schleppend, Part. Perf. von differre), auch Scherverzähung, ist in der Rheologie die Eigenschaft eines nichtnewtonschen Fluids, bei hohen Scherkräften eine höhere Viskosität zu zeigen. Im Englischen nennt man ein dilatantes Fluid auch shear-thickening, also „scherverdickend“ oder „scherverfestigend“.

Die Zunahme der Viskosität entsteht durch eine Strukturänderung im Fluid, die dafür sorgt, dass die einzelnen Fluid-Partikel stärker miteinander wechselwirken (zum Beispiel sich verhaken) und so schlechter aneinander vorbei gleiten.

Die Viskosität (Zähigkeit) eines dilatanten Fluids steigt mit der Schergeschwindigkeit an, hängt aber bei konstanter Schergeschwindigkeit nicht von der Zeit ab.
Wenn die Viskosität nach Verminderung der Scherkraft nicht sofort wieder absinkt, spricht man von Rheopexie, die sehr wohl zeitabhängig ist.

Für die Dilatanz von körnigen Materialien siehe Dilatanz (Granulare Materie).

Mathematisch-Physikalische Modellierung

Schubspannungs-Schergeschwindigkeits-Diagramm:
1: dilatantes Fluid
2: Newtonsches Fluid
3: Scherverdünnendes (pseudoplastisches) Fluid
4: Bingham-plastisches Fluid
5: Casson-plastisches Fluid

Trägt man die Schubspannung $ \,\tau $ als Funktion der Schergeschwindigkeit (Scherrate) $ \,{\frac {du}{dy}} $ auf, so sind Flüssigkeiten mit Dilatanz typischerweise durch ein Fließgesetz der Form

$ \,\tau =K\left({\frac {du}{dy}}\right)^{n} $

mit dem Konsistenz-Faktor K und dem Fließindex n > 1 gekennzeichnet (Kurve 1 im Diagramm).

Das gegensätzliche Verhalten, die Abnahme der Viskosität mit der Scherrate bzw. Schubspannung, entsprechend einem Index n < 1, wird Strukturviskosität (auch Scherentzähung, Scherverdünnung) genannt und findet sich z. B. in hochpolymeren Lösungen (Kurve 3 im Diagramm).

Für Newtonsche Flüssigkeiten wie Wasser ist n = 1, die Viskosität also unabhängig von Schubspannung oder Scherrate (Kurve 2 im Diagramm).

Beispiele

  • Bei einem Stärkebrei kann man das Verhalten im Experiment gut beobachten: dazu wird Stärke mit Wasser verrührt, so dass ein wässriger Brei entsteht. Wenn man einen Löffel langsam durch den Brei zieht, erscheint dieser flüssig, bei höherer Geschwindigkeit wird der Brei so zäh, dass er nicht mehr fließt, sondern eher wegbröckelt. Die Bröckchen werden jedoch nach sehr kurzer Zeit wieder flüssig und verschmelzen mit dem übrigen Brei. Dieses Verhalten ist ein Beispiel für Dilatanz aber nicht für Rheopexie.
  • Auch Kochkäse verhält sich dilatant: Er lässt sich langsam rühren, wird bei höherer Geschwindigkeit aber fester und reißt.
  • Zinkpasten mit einem hohen Feststoffanteil weisen ebenfalls Dilatanz auf. Das kann zum Festsetzen der Salbenmühle führen, mit der diese Paste hergestellt wird, und muss entsprechend beachtet werden.
  • Suspensionen feiner Teilchen in Beton (Beton-Suspensionen) weisen ebenfalls die Eigenschaften einer dilatanten Flüssigkeit auf.[1]

Verwendung

Der US-Hersteller Dow Corning produziert aus Silikon-Polymer den dilatanten hüpfenden Kitt, der bisher vor allem als Kinderspielzeug auf dem Markt war. Neben der normalen Knetbarkeit verhält sich diese Substanz bei plötzlicher, mechanischer Belastung völlig anders: wirft man eine Kugel aus dem Material zu Boden, springt sie wie ein Gummiball zurück; schlägt man mit dem Hammer sehr schnell auf ein Stück, zerspringt dieses in viele kleine scharfkantige Stücke, fast wie Keramik. Auch beim Zerreißen bilden sich scharfe Kanten und glatte Bruchflächen. Technische Anwendungen waren nicht bekannt.

Ein Material mit ähnlichen Eigenschaften wird seit kurzem als Active Protection System (APS) beispielsweise in Motorradbekleidung eingesetzt: speziell geformte Pads, die einen dilatanten Compound enthalten, erlauben die freie Beweglichkeit des Trägers. Bei einem abrupten Schlag in Folge eines Sturzes jedoch „verhärtet“ das Material zu einer hartgummiähnlichen Konsistenz, verteilt die einwirkenden Kräfte auf eine größere Körperpartie und verhindert so Verletzungen.

Aktuell werden dilatante Flüssigkeiten in Verbindung mit Kevlargeweben bei der Herstellung von Schuss- bzw. stichfesten Schutzwesten erprobt. Das Gewebe erhält durch die Tränkung mit der Flüssigkeit eine derart hohe Widerstandskraft gegenüber dem Eindringen, dass sogar metallische Pfeilspitzen, abgeschossen von schweren Jagdpfeilbögen, ein wenige Millimeter dickes Gewebe nicht zu durchdringen vermögen (Quelle: Pro7 "Galileo").

Literatur

  • Rheologie Normen, Beuth Verlag 2007, ISBN 3-41016-576-2 (speziell DIN 1342-1)
  • Die Viskosität von Fluiden, Universität Oldenburg (PDF)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Tilo Proske: Frischbetondruck bei Verwendung von Selbstverdichtendem Beton. Abgerufen am 14. Dezember 2009 (Dissertation TU Darmstadt).

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