Versagenskriterien für Faser-Kunststoff-Verbunde

Versagenskriterien für Faser-Kunststoff-Verbunde

Versagenskriterien für Faser-Kunststoff-Verbunde (FKV) dienen zur Unterscheidung ob eine äußere Belastung in einem Bauteil aus Faser-Kunststoff-Verbund (vgl. auch Laminat) zu einem Versagen führt oder nicht. Der Begriff "Versagenskriterium" ist für FKV eher üblich, da unter diesem Oberbegriff die "Bruchkriterien" für die Faser, die Matrix, die Grenzfläche Faser-Matrix und die Delamination von Schichten gefasst werden.

Aufgrund der strukturellen Anisotropie von Faser-Kunststoff-Verbunden wird zwischen unterschiedlichen Versagensarten unterschieden. Es existieren eine Vielzahl von Kriterien, deren Anwendung vom zu berechnenden Problem abhängt. Die Ergebnisse der Kriterien unterscheiden sich oft erheblich. Im deutschsprachigen Raum wird mit der neuen VDI-Richtlinie 2014, Blatt 3 der Versuch unternommen, ein einheitliches Berechnungsverfahren einzuführen.

Problematik

Bei metallischen Werkstoffen wird der statische Festigkeitsnachweis oft über das Verhältnis einer Vergleichsspannung (z.B. von Mises Spannung) zu einer aus dem einaxialen Zugversuch gewonnen Festigkeitsgröße geführt. Dabei kann ein Reservefaktor ermittelt werden. Bei Faser-Kunststoff-Verbunden ist dieses Vorgehen nicht möglich, da in den unterschiedlichen Raumrichtungen unterschiedlich hohe Festigkeiten vorliegen (Anisotropie), da die Komponenten "Faser" und "Matrix sowie deren Grenzflächen unterschiedlich belastet werden und diese Komponenten stark unterschiedliche Eigenschaften besitzen. Es muss daher sehr genau zwischen äußerer Belastung und innerer Beanspruchung unterschieden werden. Zusätzlich gehen einige Kriterien davon aus, dass die Bruchwiderstände mit der Beanspruchungsart interagieren.

Die Berechnung der Bruchlast ist aufgrund von komplexeren Festigkeitskennwerte noch nicht mit der Genauigkeit wie bei metallischen Werkstoffen möglich. Die Festigkeiten in Faserkunststoffverbunden reagieren sehr empfindlich auf die Änderung der Fertigungsbedingungen. Des Weiteren spielen Parameter, wie der Faservolumenanteil, die Temperatur, die Feuchte usw. eine wichtige Rolle. Der Einfluss von mikromechanischen Eigenspannungen so wie nichtlinearer Elastizität ist Stand der Forschung.

Kennwerte, d. h. mechanische Eigenschaften für die Auslegung von Faser-Kunststoff-Verbunden können z.B. durch die Zug-Druck-Torsion-Prüfung (ZDT-Prüfung) gewonnen werden.

Einteilung der Versagenskriterien

Da Faser-Kunststoff-Verbunde üblicherweise einen Laminataufbau, d. h. schichtartigen Aufbau besitzen, kann eine gewisse Schädigungshistorie beobachtet werden. Deshalb beziehen sich Bruchkriterien bzw. Versagenskriterien auf den Beginn (Schichtversagen, engl. "first ply failure"), die Degradation (sukzessives Versagen, engl. "gradual failure") oder auf das (katastrophale Total-)Versagen einer Struktur.

Allen Versagenskriterien ist gemein, dass die auftretenden Spannungen und teilweise auch die Verformungsenergien bewertet werden. Je nach Kriterium sind noch physikalisch-begründete oder nicht begründete Anpassungen über Parameter in der mathematischen Formulierung enthalten.

Die Kriterien für Faser-Kunststoff-Verbunde werden nach der Art der Versagensaussage unterteilt:

Pauschalkriterien

Pauschale Kriterien können nur zwischen Versagen oder Nichtversagen unterschieden werden. Sie treffen keine Aussage über die Art des eintretenden Bruchs (Bruchmode). Erfahrene Konstrukteure können jedoch ggf. aus den pauschalen Kriterien auf die Bruchform schließen (bei Kenntnis der vorherrschenden Belastungsart und -richtung).

Differenzierende Kriterien

Differenzierende Kriterien gelten nur für eine bestimmte Bruchart, den Zwischenfaserbruch oder den Faserbruch. Mit ihnen ist eine Vorhersage unterschiedlicher Bruchformen (Bruchmoden) möglich.

Die differenzierenden Kriterien sind eng mit der sog. Klassischen Laminattheorie verknüpft, da die globalen Belastungen zunächst in ihrer Auswirkung auf die Einzelschicht eines Laminates umgerechnet werden müssen. Die Kriterien werden dann auf den lokalen Spannungszustand in der Einzelschicht bezogen.

Faserbruchkriterien

Mögliche Faserbruchformen. Die Brüche werden durch unterschiedliche Beanspruchungen hervorgerufen
Mögliche Zwischenfaserbruchformen. Die Brüche werden durch unterschiedliche Beanspruchungen hervorgerufen

Als Faserbruch bezeichnet man den Bruch einer Faser. Dabei wird die Faser durch einen senkrechten oder zur Faserachse geneigten Riss durchtrennt.

Zwischenfaserbruchkriterien

Als Zwischenfaserbruch bezeichnet man einen Bruch oder Riss in der Matrix (Kohäsivversagen) oder der Grenzfläche zwischen Faser und Matrix (Adhäsivversagen). Es werden keine Fasern durchtrennt.

Delaminationskriterien

Delamination bei CFK unter Druckkrafteinfluss

Als Delamination bezeichnet man die Trennung zweier Schichten in einem geschichteten Faser-Kunststoff-Verbund. Die Delamination kann als Sonderfall des Zwischenfaserbruchs angesehen werden. Die Einteilung orientiert sich stark an der Bruchmechanik und teilt die zum Versagen führenden Belastungen entsprechend in drei Kategorien ein

  • Normalbelastung auf Schichtebene (Mode I)
  • Schubbelastung in der Schichtebene, parallel zu der Faserorientierung (Mode II)
  • Schubbelastung in der Schichtebene, senkrecht zu der Faserorientierung (Mode III)

Die Belastungen treten im realen Bauteil natürlich nicht in Reinform auf. Dementsprechend orientiert sich die Versuchstechnik zur Charakterisierung des Delaminationsverhaltens neben den reinen Belastungen auch an Kombinationen:

  • Mode I geprüft durch DCB (double cantilever beam)
  • Mode II geprüft durch ENF (end notch fixture)
  • Mode I+II geprüft durch MMFR (mixed mode fixed ratio)

Hinweis

Im September 2006 ist die neue VDI-Richtlinie 2014, Blatt 3, Entwicklung von Bauteilen aus Faser-Kunststoff-Verbund - Berechnungen veröffentlicht worden.

Literatur

  • A. Puck: Festigkeitsanalyse von Faser-Matrix-Laminaten. Hanser, 1996. ISBN 3-446-18194-6, kostenloser Download des Buchs als pdf
  • M. Knops: Analysis of Failure in Fibre Polymer Laminates -- The Theory of Alfred Puck. Springer, 2008. ISBN 978-3-540-75764-1
  • D. R. Moore, A. Pavan, J. G. Williams (ed.) Fracture Mechanics Testing Methods for Polymers, Adhesives and Composites. Elsevier, 2001. ESIS Publication 28
  • M. Knops, C. Bögle: Gradual failure in fibre/polymer laminates, Composite Science and Technology. Elsevier, Volume 66, Issue 5, May 2006
  • VDI-Richtlinie 2014: Entwicklung von Bauteilen aus Faser-Kunststoff-Verbund - Berechnungen, Blatt 3, Ausgabe Deutsch/Englisch, September 2006

Weblinks

  • Mikroskopbilder von geschädigten Faser-Kunststoff-Verbunden [1]