Quasispezies
Das als Quasispezies bezeichnete Modell wurde von Manfred Eigen und Peter Schuster vorgeschlagen,[1] basierend auf einer früheren Arbeit von Manfred Eigen[2]. Es beschreibt qualitativ die Evolution eines geschlossenen Systems von selbstreproduzierenden Molekülen, z. B. RNA oder DNA. Es wurde als Beitrag zur Suche nach dem Ursprung des Lebens konzipiert und überträgt die Darwin’sche Evolutionstheorie mit Mutation und Selektion auf die molekulare Ebene. Quantitative Aussagen sind mit diesem Modell schwer zu machen, denn die Anfangsbedingungen sind in der Praxis schwer herzustellen oder nachzumessen.
Annahmen
Vier Annahmen macht diese Theorie:
- Die zu replizierenden Moleküle sind aus einer kleinen Zahl von Bausteinen zusammengesetzt.
- Neue Moleküle entstehen nur durch (möglicherweise fehlerhafte) Replikationen der bereits vorhandenen Moleküle.
- Substrate – zum Aufbau der Moleküle notwendige Substanzen – sind in großer Menge vorhanden, Abbauprodukte verlassen den Behälter.
- Moleküle können wieder in ihre Bausteine zerfallen, gemäß ihrer Stabilität. Das Alter eines Moleküls spielt keine Rolle.
Experiment
Im Reaktionsgefäß kommt es zu Evolution: Die Konzentration eines Molekültyps hängt stark ab von seiner Stabilität (Zerfallsrate) und seiner Reproduktionsrate. Bei der Replikation kann es zu Fehlern kommen (Mutation), welche dem Molekül möglicherweise verbesserte Überlebenschancen bieten – das ursprüngliche Molekül wird dann verdrängt (Selektion). Da stets mehr oder weniger starke Mutationen auftreten, nennt man nahe verwandte (ähnliche) Moleküle eine Quasispezies. Diese wurden in RNA-Viren beobachtet. Da Mutation in ähnliche Moleküle regelmäßig vorkommt, ist der Fortpflanzungserfolg nicht nur von einer Spezies abhängig, sondern einer ganzen „Wolke“ von ähnlichen Spezies, die sich immer wieder ineinander umwandeln und ähnlich gut reproduzieren: In der „Mitte“ optimal, zum „Rand“ hin immer schlechter. Eine Spezies kann so auch durch Mutation von einer anderen Spezies entstehen, nicht nur durch eigene Replikation. Man beachte also, dass der Erfolg einer Quasispezies abhängig ist von ihrer Reproduktionsrate, ihrer Sterberate, aber auch von ihrer Mutationsrate: Ohne Fehler bei der Replikation existiert nur eine einzige Spezies – eine Verbesserung ist unmöglich, bei zu hoher Mutationsrate verbreitert sich die Quasispezies über die gesamte Population. Langsam wachsende Spezies werden nicht zwangsläufig von schneller wachsenden verdrängt: Eine schneller wachsende Spezies kann in die langsamer wachsende hineinmutieren und so das Aussterben durch Zerfall und Abfluss auf einem kleinen Niveau ausgleichen.
Es können sogar Hyperzyklen auftreten: Ein Molekül A reproduziert ein Molekül B, welches wiederum A repliziert. Die Moleküle A und B vermehren sich also abhängig voneinander und bilden ebenfalls eine Quasispezies.
Mathematische Beschreibung
Ein einfaches mathematisches Modell für die Quasispezies: Es gebe
wobei
wobei
Das ist ein lineares Gleichungssystem. Der übliche Lösungsweg ist, erst die W-Matrix zu diagonalisieren. Ihre Diagonaleinträge werden Eigenwerte sein zu verschiedenen Mischungen (Eigenvektoren) der W-Matrix, die man die Quasispezies nennt. Nach vielen Generationen wird sich nur der Eigenvektor mit dem höchsten Eigenwert durchsetzen und diese Quasispezies wird dominieren. Die Eigenvektoren geben das relative Verhältnis jeder Sequenz im Gleichgewicht an.
Ein einfaches Beispiel
Das Konzept der Quasispezies kann verdeutlicht werden durch ein einfaches System, bestehend aus 4 Sequenzen: Sequenz 1 ist [0,0] und die Sequenzen [0,1], [1,0] und [1,1] seien als 2, 3 und 4 durchnummeriert. Angenommen, Sequenz [0,0] mutiere nie und produziert immer einen Nachkommen. Die anderen 3 Sequenzen produzieren im Durchschnitt
Die diagonalisierte Matrix ist:
und die Eigenvektoren zu diesen Eigenwerten sind:
Eigenwert Eigenvektor 1-2k [0,-1,0,1] 1-2k [0,-1,1,0] 1 [1,0,0,0] 1+k [0,1,1,1]
Nur der Eigenwert
Einzelnachweise
- ↑ Manfred Eigen und Peter Schuster: The Hypercycle: A Principle of Natural Self-Organization. In: Die Naturwissenschaften, Band 64, Nr. 11, 1977, S. 541–565, doi:10.1007/BF00450633
- ↑ Manfred Eigen: Selforganization of Matter and the Evolution of Biological Macromolecules. In: Die Naturwissenschaften, Band 58, Nr. 10, 1971, S. 465–523, doi:10.1007/BF00623322